24.06.1999

Genfood
- in der Schweiz
längst gescheitert

Fiasko Genfood

Nestlé, Migros & Co verzichten in der Schweiz auf die neue Technik. Ist das der Ausstieg?

Davon träumt in der freien Marktwirtschaft jeder Konsument und jede Konsumentin: von grossen und mächtigen multinationalen Konzernen, die zuhören, wenn man ihnen die Meinung sagt. Nun gehen diese utopischen Sehnsüchte in Erfüllung. Was bisher bloss in der optimalen Welt der theoretischen Ökonomie galt, wird Realität: Grosse Unternehmen verbannen auf Druck ihrer Kunden gentechnologisch veränderte Produkte (GVO) aus ihren Regalen.

Nach Rinderwahnsinn und Dioxinpoulets ist die Haltung der Bevölkerung klar. Gemäss einer Umfrage des Instituts Isopublic für die «Weltwoche» sagen 71 Prozent der Schweizer, dass sie kein Genfood kaufen würden. Besonders die Frauen wollen die neuen Nahrungsmittel nicht (82 Prozent). Gleichzeitig erklären sich 65 Prozent bereit, für konventionelles Essen zehn Prozent mehr zu bezahlen – Zahlen, die der Industrie den Angstschweiss auf die Stirn treiben dürften.

Und auch treiben. Die global tätigen Lebensmittelhersteller Nestlé und Unilever, die der Gentechnologie grundsätzlich positiv gegenüberstehen, verkünden nun, dass sie in der Schweiz und in anderen europäischen Ländern auf genveränderte Zutaten verzichten. «Wenn die Konsumenten diese Produkte nicht wollen, respektieren wir das», sagt etwa Bruno Schmid von Lipton-Sais/Unilever.

Gentechfreie Zone

Die zwei Multis sind die letzten in einer langen Reihe von Anbietern, Herstellern und Grossverteilern, die sich von der neuen Technologie abwenden. Nicht nur Migros und Coop vermeiden heute gentechnisch veränderte Substanzen. Auch Schokoladehersteller wie Lindt & Sprüngli, die vor allem auf Sojaderivate wie Lecithin angewiesen sind, kaufen nur herkömmlich hergestellte Rohstoffe ein.

Einzigartig am Ausstieg aus dem Genfood ist der Zeitpunkt: Er erfolgt, bevor die Industrie überhaupt richtig eingestiegen ist. Denn obwohl der Import gewisser gentechnologisch veränderter Soja- und Maissorten erlaubt ist, liegen in den Schweizer Ladenregalen heute kaum GVO-Produkte. Zwei Toastbrotsorten von Nestlé sind nicht mehr im Angebot, ein Diätdrink von Novartis besteht in diesem Jahr wieder aus traditionellen Zutaten.

Für die gentechfreie Zone Schweiz können wir in erster Linie unseren Nachbarn in der Europäischen Union danken. Ein harter Kern von Gentech-Gegnern in Frankreich, Österreich, Luxemburg und Griechenland verschafft seinem Unmut in Umfragen Luft, besetzt Versuchsfelder, erlässt Importverbote oder weigert sich, Gentech-Produkte zu kaufen.

Alle treibt die gleiche Sorge um, wie Umfragen und Bürgerforen zeigen: Weshalb sollen wir Pflanzen essen, die durch das Einschleusen fremder Gene herbizid- oder insektenresistent geworden sind, ohne dass wir die Langzeitrisiken kennen? Was bringen uns die neuen Produkte überhaupt?

Jüngste und wohl effizienteste Gegner sind die Briten. Es hat sie lange nicht gekümmert, was sie assen – Hauptsache, es war fettig genug.
Bis der Wissenschaftler Arpad Pusztai ins öffentliche Rampenlicht trat. Er hatte erklärt, GVO-Kartoffeln hätten bei Laborratten zu Schädigungen des Immunsystems geführt und war daraufhin frühpensioniert worden. Als Wissenschaftler im Februar seine Ergebnisse stützten, brach ein Sturm der Entrüstung los. Man erinnerte sich an Vertuschungen der Regierung während des BSE-Skandals; seither verkaufen fast alle grossen Supermärkte nur mehr GVO-freie Produkte.
Siehe da, plötzlich wird in Europa die getrennte Vermarktung von Massengütern wie Mais und Soja möglich. Unternehmen, die noch vor der Genschutzinitiative klagten, eine saubere Trennung sei nicht praktikabel, bemühen sich um Lieferanten, die konventionelles Soja oder Mais garantieren – in Brasilien, Kanada, aber auch in den USA, wo schon 55 Prozent des angebauten Sojas gentechnisch verändert sind. « Vorher waren wir eine Insel, doch durch den Druck der europäischen Handelsketten hat sich die Lage verändert», sagt Beat Hodler vom Schweizer Nahrungsmittelindustrie-Verband Fial.

Geholfen hat auch der neue Grenzwert: Vom 1. Juli an müssen in der Schweiz Lebensmittel nur deklariert werden, wenn ihr gentechnisch veränderter Anteil ein Prozent übersteigt. Kleine Verunreinigungen beim Transport fallen so nicht mehr ins Gewicht.
«In Europa herrscht derzeit de facto ein Genfood-Moratorium. Daran wird sich in den nächsten drei bis fünf Jahren wenig ändern», sagt selbst Arthur Einsele, Kommunikationschef von Novartis Seeds. Die Saatguthersteller, Hauptpromotoren der neuen Anbautechnologie, haben inzwischen eingesehen, dass die renitenten Europäer derzeit nicht zu bekehren sind.

Statt dessen trösten sie sich mit der fernen Zukunft. In fünf bis zehn Jahren soll eine neue Generation gentechnisch veränderter Produkte die Märkte erobern – mit sogenannten «output traits», Eigenschaften also, die auch den Konsumenten Zusatznutzen bieten. Tomaten etwa, die länger frisch bleiben. Oder Kartoffeln mit viel Stärke, aus denen sich fettarme Pommes frites machen lassen. «Dann wird die Akzeptanz», so die vereinigte Meinung der Saatgut- und Lebensmittelhersteller, «auch hier grösser sein.»
Der Konsument, die Konsumentin wird es sie wissen lassen.

 

Alain Zucker

 

neuronales Netzwerk