11.07.2006

Interview

Koexistenz hat sich in Kanada
als nicht praktikabel erwiesen

Leo Frühschütz sprach mit Percy Schmeiser

Vorbemerkung:
Der kanadische Bauer Percy Schmeiser ist dem Streit mit dem Konzern Monsanto nicht ausgewichen und hat teuer dafür bezahlt. Doch er kämpft weiter gegen Gentechnik auf den Feldern. Weil er weiß, was sie anrichtet.

Leo Frühschütz:
Percy, Sie haben vor dem Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen in Genf die kanadische Regierung beschuldigt, Menschenrechte der Verbraucher und Landwirte zu verletzen. Was werfen Sie ihr konkret vor?

Percy Schmeiser:
Kanada hat vor zehn Jahren den Anbau von genmanipuliertem Raps und Soja erlaubt. Mit der Einführung dieser Genpflanzen haben die kanadischen Bauern jegliche Selbstbestimmung verloren. Ihr Land wird mit Gen-Raps und Gen-Soja kontaminiert, mit allen negativen Konsequenzen: zerstörte Ernten, zerstörte Existenzen.

Gibt es dafür konkrete Beispiele?

Viele. Ein Beispiel bin ich selbst. Meine Frau und ich haben über 40 Jahre lang Raps angebaut und gezüchtet. Wir hatten Sorten entwickelt, die speziell an die regionalen Bedingungen angepasst waren. 1998 stellte sich heraus, dass unsere Rapsfelder und damit unser Saatgut mit Gen-Raps von Monsanto verunreinigt waren. Die Arbeit von über 40 Jahren war zerstört.

Hat Monsanto den Schaden ersetzt?

Von wegen. Monsanto hat uns vorgeworfen, ihr Saatgut illegal angebaut zu haben und uns vor Gericht auf Patentzahlungen verklagt. Die ersten zwei Instanzen gaben Monsanto Recht. Sie entschieden, dass es egal ist, wie der Gen-Raps auf unsere Felder gelangte. Der Raps sei das Eigentum von Monsanto. Wir mussten Monsanto unser gesamtes Saatgut ausliefern. Das bedeutet, du kannst als Bauer über Nacht deine gesamte Ernte und dein Saatgut verlieren, weil der Wind deine Felder mit Gen-Pflanzen kontaminiert, die du gar nicht haben willst.

Und die dritte Instanz?

Der oberste Gerichtshof von Kanada bestätigte 2004 die Eigentumsrechte von Monsanto, entschied aber, dass wir keinen Cent an Monsanto zahlenmüssen. Der Konzern wollte eine Million kanadische Dollar, das sind etwa 700.000 Euro. Das wäre das Ende unserer Farm gewesen. Allerdings mussten wir unsere Gerichtskosten selbst tragen. Die beliefen sich auf 400.000 Dollar.

Wie haben Sie das finanziert?

Wir haben unser Land verpfändet und einen Teil unserer Rücklagen für den Ruhestand aufgebraucht. Außerdem hatten wir viele Unterstützer aus der ganzen Welt. Alleine hätten wir es nicht geschafft.

Viele kanadische Farmer haben verunreinigte Felder. Warum hat Monsanto ausgerechnet Sie verklagt?

Monsanto hat damals gezielt Saatgut-Züchter ausgesucht. Außerdem war ich als Bürgermeister und früherer Abgeordneter gut bekannt. Monsanto selbst hat das als Testfall bezeichnet. Sie wollten wohl ausprobieren, wie weit sie mit ihrer Macht gegen die Rechte der Farmer vorgehen konnten.

Was sagten die anderen Farmer dazu?

Ich bekam sehr viel Unterstützung. Aber viele Farmer hatten Angst, sich öffentlich zu äußern. Monsanto drohte den Bauern, wenn ihr euch hinter Schmeiser stellt, dann seid ihr dran. Monsanto hat konzern-eigene Privatdetektive. Sie marschieren ohne Erlaubnis über die Felder und stehlen dort Saatgut oder Pflanzen, um sie auf Monsanto-Gene untersuchen zu lassen. Wenn ein Farmer sie erwischt und mit dem Gericht droht, dann lachen sie nur und sagen: "Verklag´ uns doch. Wenn wir mit dir vor Gericht fertig sind, hast du keine Farm mehr."

Dürfen die das?

Monsanto ist sehr mächtig. Die kanadische Regierung unterstützt die Gentechnik-Industrie bedingungslos. Monsanto arbeitet mit den zuständigen Behörden Hand in Hand. Wenn Bauern hören, was mich mein Prozess gekostet hat und wie lange das Verfahren dauerte, dann geben sie lieber klein bei. Für einen kleinen Bürger gibt es gegen einen Milliarden-Konzern keine Gerechtigkeit.

Welche wirtschaftlichen Folgen hatte der Anbau von Gen-Raps und Gen-Soja in Kanada?

Die Landwirte haben Exportprobleme bei Raps und Soja, weil viele Länder genmanipulierte Produkte ablehnen. In Kanada gibt es kein gentechnikfreies Raps- und Sojasaatgut mehr. Auch die Imkerei ist zerstört, weil der gesamte kanadische Honig mit genmanipuliertem Erbgut kontaminiert ist. Aber noch schlimmer sind die sozialen Folgen.

Was meinen Sie damit?

Ich erzähle Ihnen ein Beispiel. Monsanto druckt Anzeigen, in denen Farmer eine Belohnung bekommen, wenn sie dem Konzern Nachbarn melden, die illegal Gen-Raps oder Gen-Soja anbauen. Der denunzierte Bauer bekommt Besuch von zwei Detektiven. Die sagen, "wir haben Informationen, dass Sie illegal Saatgut von Monsanto anbauen. Entweder Sie unterzeichnen diese Erklärung oder wir sehen uns vor Gericht wieder und dann sind Sie Ihre Farm los". In der Erklärung müsste er sich verpflichten zu zahlen und über die ganze Angelegenheit nicht zu reden. Dann gehen die Detektive, und der Farmer sitzt da und überlegt, welcher Nachbar ihn verpfiffen hat. Das Ergebnis solcher Methoden ist, dass das Misstrauen rapide wächst und der soziale Zusammenhalt im ländlichen Raum zerbricht. Meine Großeltern kamen 1890 aus Bayern über die USA nach Kanada. Sie mussten mit den Nachbarn zusammenarbeiten, um Straßen, Schulen, die ganze Infrastruktur aufzubauen. Dieser Zusammenhalt ist zerstört.

Was können die EU und Deutschland aus den kanadischen Erfahrungen lernen?

Die wichtigste Lektion ist: Es gibt keine Koexistenz, keinen Sicherheitsabstand. Die Ausbreitung genmanipulierter Organismen (GMO) lässt sich nicht kontrollieren. Die Wahlfreiheit ist verloren, wenn GMO eingeführt werden. Ich höre hier dieselben Argumente, die uns 1996 erzählt wurden: hohe Ernten, weniger Chemikalien, Bekämpfung des Hungers. Nichts davon ist wahr. Nach zwei Jahren sanken die Erträge um 15 Prozent bei Soja und um 7 Prozent bei Raps. Die Qualität ist nur noch halb so gut. Hinzu kommt, dass die Getreide-Bauern jetzt dreimal so viel Pestizidebrauchen, weil sich der pestizidresistente Raps ihrer Nachbarn als Super-Unkraut in Getreidefeldern ausbreitet.

Ist es nicht schon zu spät, den Siegeszug der Gentechnik zu verhindern?

Ich habe in den letzten Jahren über 50 Länder besucht, die meisten mehrfach. Überall wächst der Widerstand. In Kanada sind seit zehn Jahrenkeine neuen GMO mehr eingeführt worden. Wir haben den Einsatz der Terminator-Gene verhindern können. Aber ich weiß auch, dass wir nicht aufhören dürfen zu kämpfen, denn die Konzerne werden weiterhin und mit allen Mitteln versuchen, Gentechnik durchzusetzen.

Sie sind 75. Was gibt Ihnen die Kraft, weiterzukämpfen?

Natürlich wäre es viel einfacher, jetzt daheim zu sein, die 15 Enkelkinder zu besuchen, mit ihnen fischen zu gehen oder Baseball anzuschauen. Es ist hart, immer so lange von der Familie weg zu sein. Aber die Sache ist wichtig. Wir wollen unseren Enkeln eine Welt mit sauberen Lebensmitteln, Wasser, Boden und Luft hinterlassen. Außerdem habe ich mich immer für die Bauern eingesetzt. Meine Frau Louise und ich haben uns geschworen: So lange wir am Leben sind, werden wir für das Recht der Farmer auf der ganzen Welt kämpfen, ihr eigenes Saatgut anzubauen. Louise hat eine sehr starke Persönlichkeit. Ohne ihre Unterstützung hätte ich das nicht geschafft.

Danke für das Gespräch.

 

Einige weitere Infos:
Mehr über den "Fall Schmeiser"
Percy Schmeiser hat alle Dokumente über seinen Streit mit Monsanto unter www.percyschmeiser.com ins Internet gestellt.
Die deutsche Übersetzung eines Vortrages von ihm hat das Umweltinstitut München veröffentlicht.
Percy schildert seinen Fall auch in dem Buch "Gefahr Gentechnik" von Manfred Grössler, Concordverlag, ISBN 3-9501887-1; 24,90 Euro.

David gegen Goliath: Schmeiser versus Monsanto

Percy Schmeiser: Bauer und Saatgutzüchter, wohnt in Bruno in der westkanadischen Provinz Saskatchewan und besitzt eine 600 Hektar große Farm. Er war lange Bürgermeister und auch einige Jahre Abgeordneter im Parlament der Provinz. Percy ist seit über 50 Jahren mit seiner Frau Louise verheiratet, die beiden haben fünf Kinder und 15 Enkel.

Monsanto: Agrarchemie- und Gentechnik-Konzern, Aktiengesellschaft mit Hauptsitz in Saint Louis, USA. Gegründet 1901, Umsatz 2005: 6,3 Milliarden US-Dollar, 255 Millionen US-Dollar Nettogewinn, 13.700 Mitarbeiter, Vorstandsvorsitzender Hugh Grant. Monsanto hat in den letzten sieben Jahren für 13 Milliarden Dollar Saatgutfirmen aufgekauft und ist nun der weltweit größte Anbieter. Bei Gentechnik-Saatgut hat der Konzern 90 Prozent Marktanteil.

Erstveröffentlichung: 'Schrot&Korn', Heft 7/06.
Wir bedanken uns bei Leo Frühschütz für die freundliche Erlaubnis zur Nachveröffentlichung.
Alle Rechte liegen beim Autor Leo Frühschütz.
http://www.schrotundkorn.de/2006/200607b01.html

 

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