Leif Allendorf sprach für die 'Junge Welt' mit Klaus Schramm, dem Initiator
einer Unterschriftenaktion zur Beibehaltung des Moratoriums gegen Gentechnik
L.A.: Wann wird es die ersten Waren mit dem Etikett »Enthält Gentechnik« in unseren
Lebensmittelregalen geben?
K.S.: Ich denke, daß Anfang nächsten Jahres mit den ersten
Nahrungsmitteln dieser Art gerechnet werden muß.
Die EU-Kommission läßt den einzelnen Staaten auffällig viel
Spielraum, wie die kürzlich erlassenen Richtlinien zu
gentechnisch veränderten Pflanzen national umgesetzt
werden...
Die Bestimmungen zur Kennzeichnung von Lebensmitteln sind
gar nicht so schlecht. Wenn es allein darum ginge,
genveränderte Nahrungsmittel mit entsprechender
Auszeichnung in Europa zuzulassen, dann wäre das eine
Sache, mit der man meiner Ansicht nach leben kann. Schlimm
ist, daß künftig auch bei uns gentechnisch veränderte Pflanzen
angebaut werden sollen.
Hat die Klage bei der WTO gegen die Europäische Union
darauf Einfluß?
Die Klage der USA, Argentiniens und Kanadas gegen die
Kennzeichnungspflicht in der EU läuft unabhängig davon. Ich
sehe eine Gefahr darin, daß die Verbraucher mit der
Kennzeichnungsverordnung in Sicherheit gewiegt werden und
glauben, diese sei ein tatsächlicher Schutz. Wenn aber der
Anbau von Genpflanzen unter dem Deckmantel der
Kennzeichnungspflicht erlaubt wird, dann wird es in Europa
bald keine gentechnikfreie Landwirtschaft mehr geben. Denn
die Koexistenz, also das Nebeneinander von Gentechnik und
konventionellem Anbau, ist nichts als eine Illusion.
Ist es denkbar, daß auf Druck der WTO sogar die
Kennzeichnungspflicht gekippt wird?
Da kann man zwei mögliche Szenarien durchspielen. Einmal:
Das europaweite Gen-Moratorium fällt. Dann haben wir Anbau
von gentechnisch veränderten Pflanzen und in zwei, drei
Jahren, das ist meine Prognose, wird jede andere
Landwirtschaft hier in Europa vernichtet sein. Und dann spielt
es auch keine Rolle mehr, ob es eine
Kennzeichnungs- verordnung gibt oder nicht. Oder aber wir
schaffen es, daß das Moratorium bestehen bleibt. Die
Kennzeichnungsverordnung wäre obsolet, weil wir hier nichts
hätten, was wir kennzeichnen müssen. Und Banken und
Unternehmen würden aufhören, Geld in die Entwicklung von
Gentechnik zu stecken. Monsanto macht ja schon seit einiger
Zeit damit rote Zahlen. Vielleicht würde die Genindustrie
weltweit zusammenbrechen.
Aber in den Vereinigten Staaten boomt doch die
Gentechnik...
Landwirte, die dort auf Gentechnik gesetzt haben, überlegen
bereits, sich wieder davon abzuwenden, weil sie ihre Produkte
nicht loswerden. Die USA sind auf Export angewiesen, aber
selbst Afrika hat den amerikanischen Gen-Weizen abgelehnt.
China ist am Kippen. In Australien will zwar die Regierung
Gentechnik einführen, aber die Bauern sind dort so stark, daß
sie solche Importe verhindern konnten. Es steht überall auf
der Welt auf der Kippe. Und deswegen schaut auch die ganze
Welt auf Europa. Bleibt es da noch bei der Position gegen die
»Grüne Gentechnik« oder geht es in die Richtung der USA?
Es gibt ja auch in Europa einen ersten Sündenfall: Den
kommerziellen Anbau von gentechnisch verändertem Mais in
Spanien. Wurden davon schon andere Felder in Mitleidenschaft
gezogen?
Und wie! Dort haben Biolandwirte schon ihre Konzession
verloren, weil deren Felder durch Pollenflug von
Nachbarfeldern mit genmanipulierten Pflanzen kontaminiert
wurden.
Wie ist es zu erklären, daß Bauern in Afrika bei Annahme
einer US-Spende von Gen-Weizen in Abhängigkeit geraten
können?
Normalerweise behalten Bauern, auch wenn sie
Hilfslieferungen bekommen, einen Teil vom Weizen oder Mais
zurück, um Saatgut fürs nächste Jahr zu haben. Das
funktioniert nicht, wenn sie genmanipulierte Pflanzen anbauen,
denn dann werden unweigerlich Lizenzgebühren fällig, und
durch pestizidresistente Gen-Pflanzen werden sie von den
Agro-Konzernen abhängig, die zugleich die Gen-Pflanzen und
die dazu passenden Pestizide anbieten.