Genmanipulierte DNA wurde in herkömmlichem Saatgut
gefunden
Eine wissenschaftliche Untersuchung wirft ernsthafte Fragen auf
Auswirkungen auf den Handel, ökologische Landwirtschaft und menschliche Gesundheit
Wissenschaftler fanden DNA aus genmanipulierten Nutzpflanzen in Saatgut verschiedener herkömmlicher Züchtungen dreier Hauptnahrungspflanzen, bei denen bisher keinerlei genetische Veränderungen vorgenommen worden waren. Die bahnbrechende Studie, die am Montag von der US-amerikanischen Vereinigung umweltbewußter Wissenschaftler UCS (Union of Concerned Scientists) herausgegeben wurde, belegt, daß Gen-Kontaminationen auch sortenübergreifend stattfinden und die vorgesehenen Sicherheitsmaßnahmen gegen unerwünschte Verbreitung nicht greifen.
"Mit dieser Studie wird die bisherige Annahme aus den Angeln gehoben, wonach wenigsten ein Anteil des Saatgut-Pools - das verschiedener herkömmlicher Züchtungen - von genmanipuliertem Material wirklich frei bleiben könnte", sagte Dr. Margaret Mellon, Mikrobiologin, Mitglied von UCS und leitende Autorin der neuen Studie. "Es gibt keinen Grund anzunehmen, daß die Kontamination der Saatgut-Bestände auf unsere Funde beschränkt ist. Das Tor zu den Saatgut-Pools steht weit offen." Und weiter führte sie aus: "Die traditionelle Vielfalt des Saatgut-Pools ist ein Kulturerbe und ein unwiederbringlicher Schatz der Landwirtschaft, der erhalten werden muß. Die Regierung sollte die Untersuchungsergebnisse umgehend zur Kenntnis nehmen und die notwendigen Schritte einleiten, um die weitere Kontamination zu stoppen und den Saatgut-Pool zu schützen."
Überraschender Weise handelt es sich um die erste systematische Studie, die unternommen wurde, um die Saatgut-Ressourcen der USA auf Einflüsse durch genmanipulierte Saaten zu untersuchen. Das wissenschaftliche Team nahm sechs verschiedene Canola-Züchtungen (Canola ist eine besonders in den USA und Kanada weitverbreitete und in 45 Jahren herkömmlicher Züchtung entstandene Raps-Sorte mit vielfältigen Unter-Sorten), Mais- und Sojabohnen-Sorten unter die Lupe, die von kommerziellen Anbietern in den USA verbreitet werden. Dieser Züchtungen waren nie zuvor Objekt gentechnischer Verfahren. Zur Untersuchung wurden modernste Verfahren eingesetzt, die Aufschluß über die spezifische Reihenfolge der Gen-Sequenzen in der DNA geben.
"Die Gen-Kontaminationen sind nicht etwa sporadisch, sondern finden sich bereits weit verbreitet in den untersuchten Saatgut-Sorten," erläutert Dr. Mellon. Obwohl nur rund ein Drittel des US-amerikanischen Mais-Anbaus mit genmanipuliertem Mais erfolgt, ist bereits rund 50 Prozent der untersuchten herkömmlichen Sorten gen-kontaminiert. Ein ähnliches Ergebnis fand sich bei den untersuchten herkömmlichen Soja-Sorten. Und bei den sechs untersuchten herkömmlichen Sorten Canola-Raps fand sich in sämtlichen sechs Fällen genmanipuliertes Material in der DNA der Saaten.
Selbst wenn die gefundenen Gen-Kontaminationen nur auf einen Grad von mindestens 0,05 Prozent genmanipuliertem Anteil in den untersuchten Saaten mit Sicherheit schließen ließen, könne selbst ein so geringer Anteil zu hunderten von Tonnen kontaminierter Pflanzen in herkömmlichem Anbau führen, erläutert Dr. Jane Rissler, UCS-Pflanzen-Pathologin und Co-Authorin der Studie. "Wir müssen der Realität der Saatgut-Kontamination jetzt entgegentreten", sagte Rissler, die hinzufügte, daß die meisten der speziellen DNA-Sequenzen, auf die getestet wurde, in den gebräuchlichen genmanipulierten Saaten zu finden seien, die sich gegenwärtig auf dem US-Markt befinden. Diese Sorten wurden vorrangig zu Zwecken der Pestizid-Resistenz manipuliert. Aber die Laboratorien sind in der Regel unfähig, auf andere Gen-Veränderungen hin zu testen, die in Pflanzen vorkommen, deren DNA zu pharmazeutischen oder industriellen Zwecken manipuliert wurden - und die in Feld-Versuchen in den USA angebaut wurden. Diese genmanipulierten Nutzpflanzen könnten weitaus einschneidendere Gesundheitsrisiken bergen als bisher vermutet.
"Solange wir nicht mehr wissen, wäre nur eine Haltung verantwortungsbewußt zu nennen, die davon ausgeht, daß jedweder Gen-Sequenz, die künstlich in irgendeine Nutzpflanze eingesetzt wurde, sei sie nun geprüft und kommerziell angebaut oder lediglich im Feld-Versuch eingesetzt, potentiell den Saatgut-Pool kontaminieren kann", meint Rissler. "Unter den potentiell für Gen-Kontaminationen in Frage kommenden Pflanzen, sind solche deren Gene manipuliert wurden, um Drogen, Kunststoffe und Impfstoffen zu produzieren."
Ernste Gefahren können auch daraus resultieren, daß Gen-Sequenzen aus genmanipuliertem Getreide, das zu pharmazeutischen oder industriellen Zwecken dient, das Saatgut für Nahrungsmittel-Getreide kontaminiert. Labor-Materialien, die benötigt werden, um solche Gene in molekularen Tests zu ermitteln, stünden kaum öffentlich zur Verfügung. Da auf diese Kontaminationen hin kaum getestet würde, könnten sie um so leichter unbeabsichtigt in Nahrungsmitteln verbreitet werden. Dieses Tor zum Nahrungsmittel-Saatgut müsse dringend verschlossen werden.
Rissler führt die Gen-Kontaminationen auf Pollenflug und physikalische Vermischungen des Saatguts zurück. Klar sei auch, daß die jetzt auch von US-Behörden vorgesehenen Puffer-Zonen zwischen genmanipulierten und herkömmlichen Nutzpflanzen unzureichend sind, um Gen-Kontaminationen zu vermeiden. Die UCS warnt davor, daß Saatgut-Kontaminationen, die unbemerkt bleiben, den landwirtschaftlichen Handel zum Erliegen bringen könnten. Zudem würden dem ökologischen Landbau auf unfaire Weise enorme Lasten aufgebürdet und ein Risikospiel mit der Nahrungsmittelversorgung getrieben.
Der ökologische Landbau ist von einer traditionellen Vielfalt an Saatgut abhängig, um die vorgegebenen Standards einhalten und die Nachfrage decken zu können. Die Gen-Kontamination herkömmlichen Saatguts stellt eine schwere Belastung für diesen landwirtschaftlichen Bereich dar, da in absehbarer Zukunft kaum mehr genfreies Saatgut zur Verfügung stehen wird.
Die offensichtlich gewordenen Saatgut-Kontaminationen könnten es US-Exportfirmen weitaus schwieriger machen, Japan, Südkorea der EU oder anderen Exportkunden zuzusichern, daß Lieferungen von Getreide und Ölsaaten keine ungenehmigten genmanipulierten Sorten-Anteile enthält. Die Versorgung mit gebräuchlichen Produkten, die frei von veränderten Gen-Sequenzen wären, könnte ebenso schwierig werden.
Die Studie kommt zu einem Zeitpunkt, während dem Verhandlungsdelegationen von rund 86 Nationen und der EU auf der Konferenz in Kuala Lumpur, Malaysia, über das Cartagena Protokoll über biologische Sicherheit und zum Erhalt der biologischen Vielfalt debattieren. Die Besorgnis wächst, daß die Vereinbarungen viel zu lasch sind, um den gentechnischen Gefahren Paroli zu bieten zu können. Die Konferenz begann am Sonntag, 22. Februar, und wird bis zum 27. Februar andauern. Doch bereits 1999, noch unter der Clinton-Administration, war die USA, die über zwei Drittel der weltweit gehandelten genmanipulierten Nutzpflanzen produziert, aus den Verhandlungen über das Cartagena Protokoll ausgestiegen.
Christian Semmler