EU-Entscheidung soll deutsche Regierung entlasten
Mit beschleunigtem Tempo steuert Brüssel auf die Beseitigung des Gen-Moratoriums zu und öffnet somit für die vorwiegend
US-amerikanischen Agro-Konzerne den europäischen Markt. Kann die "rot-grüne" Bundesregierung die Novellierung des
Gentech-Gesetzes über die Ausgestaltung der sogenannten Koexistenz noch einige Monate hinauszögern, ist sie in der
Lage, die Schuld für den Fall des Gen-Moratoriums der in Deutschland ohnehin ungeliebten EU-Bürokratie in die Schuhe
zu schieben. Dann kann sie darauf hoffen, daß sie den Unmut der weit überwiegend gegen die Einfuhr und den Anbau
von Gen-Food eingestellten Bevölkerung von sich abzulenken vermag. Eine völlig unzureichende Koexistenzregelung
wird uns dann noch als Rettung vor der Gen-Kontamination verkauft werden und die uneingeschränkte Tatenlosigkeit
gegen die Entscheidung der EU-Bürokratie wird hinter der Ungeheuerlichkeit der fernen Brüsseler Willkür verblassen.
Daß die "rot-grüne" Bundesregierung sich ziert, den baldigen Fall des Gen-Moratoriums zu verkünden, ist klar erkennbar:
Aus dem Künast-Ministerium war gestern zu vernehmen, hierzu sei es "noch zu früh", obwohl die Novellierung des
Gentech-Gesetzes bereits für September angekündigt war. Selbst die 'taz' kommentiert: "Diese unpopuläre
Ankündigung überläßt man wohl lieber der EU-Kommission".
Es ist ebenfalls klar erkennbar, daß die aktuelle Begutachtung der Gen-Maissorte NK 603 des US-Konzerns Monsanto
auf eine schnelle Zulassung angelegt ist. Heute tagt das GMO-Gremium (Gremium für die Zulassung genmanipulierter
Organismen) bei der gerade eben neu gegründeten EU-Lebensmittelbehörde. Aus dem gentech-freundlichen
Robert-Koch-Institut, personell mit jenem GMO-Gremium verlinkt, ist ebenfalls die frohe Kunde baldiger
Entscheidungsfindung zu vernehmen.
Zwecks Beschleunigung wird selbst der Wortlaut selbst verfaßter Verordnungen zurechtgebogen und es wird ein
Zulassungsverfahren angewendet, das noch gar nicht in Kraft ist. Die Food and Feed Novelle (EU-Lebensmittel- und
Futtermittel-Verordnung) ist zwar bereits beschlossen, wird aber frühestens Mitte Oktober im EU-Amtsblatt veröffentlicht
und erst damit rechtskräftig. Da könnte ein Jürgen Trittin mit der (vorläufig) fünfjährigen Dramaturgie bis zum Inkrafttreten
seiner Dosenverordung nur staunen - wäre diese denn unbeabsichtigt.
Andere Zulassungen liegen allerdings bereits auf Halde, so daß es noch eines gewissen PR-Kniffs bedarf, ausgerechnet
die Zulassung des NK 603 zum Fall des Gen-Moratoriums zu stilisieren. Doch auch diese Dramaturgie ist sicherlich
schon vorbereitet. Schon vor 1998, seit dem das europaweite Gen-Moratorium besteht, wurde 18 Anträgen auf
kommerziellen Anbau genmanipulierter Pflanzen zugestimmt - allerdings fehlte die rein formelle Sortenzulassung, die in
Einvernehmen mit den bislang stillhaltenden Gentech-Riesen verzögert wurde. Die Politik hatte ihnen versprochen, die
mehrheitliche Ablehnung der "Menschen im Lande" aufzulösen. Ein Versprechen, an das die Manager der Agro-Konzerne -
im Gegensatz zu den unglaublichen Versprechen vor Wahlen - geglaubt hatten und das die Politik trotz aller
Koexistenz-Rhetorik nicht einzulösen vermochte.
Bei den 18 bereits vor 1998 genehmigten Gen-Sorten handelt es sich um verschiedene Raps- und Maissorten, um dreierlei
Gen-Nelken, einen Impfstoff auf genmanipulierter Basis, Gen-Tabak, Gen-Soja, Gen-Chicoree und anderes. Das alles
soll in den kommenden Monaten über Europa hereinschwappen. Aber damit nicht genug: weitere 22 Anträge warten
bereits darauf, ebenfalls durchgewunken zu werden. Daß die Agro-Konzerne freiwillig fünf Jahre lang stillhielten, beweist
die Tatsache, daß sie gegen die Verschleppung der Sortenzulassung mit unfehlbarer Erfolgsaussicht vor dem
Europäischen Gerichtshof hätten klagen können. Und daß sie nun nicht länger warten wollen und daß "die Politik" - trotz
unveränderter Bockigkeit der europäischen Völker - die Segnungen der "Grünen Gentechnik" nunmehr durchpeitschen
soll, ist einem einzigen Umstand geschuldet: Die Konzerne stehen samt und sonders vor dem finanziellen Ruin. Sie
schreiben seit Jahren rote Zahlen und selbst bei solch potenten Kunden spielen da die Banken nicht ewig mit.
Adriana Ascoli