2.10.2003

Wann endet
das Gen-Moratorium?

EU-Entscheidung soll deutsche Regierung entlasten

Mit beschleunigtem Tempo steuert Brüssel auf die Beseitigung des Gen-Moratoriums zu und öffnet somit für die vorwiegend US-amerikanischen Agro-Konzerne den europäischen Markt. Kann die "rot-grüne" Bundesregierung die Novellierung des Gentech-Gesetzes über die Ausgestaltung der sogenannten Koexistenz noch einige Monate hinauszögern, ist sie in der Lage, die Schuld für den Fall des Gen-Moratoriums der in Deutschland ohnehin ungeliebten EU-Bürokratie in die Schuhe zu schieben. Dann kann sie darauf hoffen, daß sie den Unmut der weit überwiegend gegen die Einfuhr und den Anbau von Gen-Food eingestellten Bevölkerung von sich abzulenken vermag. Eine völlig unzureichende Koexistenzregelung wird uns dann noch als Rettung vor der Gen-Kontamination verkauft werden und die uneingeschränkte Tatenlosigkeit gegen die Entscheidung der EU-Bürokratie wird hinter der Ungeheuerlichkeit der fernen Brüsseler Willkür verblassen.

Daß die "rot-grüne" Bundesregierung sich ziert, den baldigen Fall des Gen-Moratoriums zu verkünden, ist klar erkennbar: Aus dem Künast-Ministerium war gestern zu vernehmen, hierzu sei es "noch zu früh", obwohl die Novellierung des Gentech-Gesetzes bereits für September angekündigt war. Selbst die 'taz' kommentiert: "Diese unpopuläre Ankündigung überläßt man wohl lieber der EU-Kommission".

Es ist ebenfalls klar erkennbar, daß die aktuelle Begutachtung der Gen-Maissorte NK 603 des US-Konzerns Monsanto auf eine schnelle Zulassung angelegt ist. Heute tagt das GMO-Gremium (Gremium für die Zulassung genmanipulierter Organismen) bei der gerade eben neu gegründeten EU-Lebensmittelbehörde. Aus dem gentech-freundlichen Robert-Koch-Institut, personell mit jenem GMO-Gremium verlinkt, ist ebenfalls die frohe Kunde baldiger Entscheidungsfindung zu vernehmen.

Zwecks Beschleunigung wird selbst der Wortlaut selbst verfaßter Verordnungen zurechtgebogen und es wird ein Zulassungsverfahren angewendet, das noch gar nicht in Kraft ist. Die Food and Feed Novelle (EU-Lebensmittel- und Futtermittel-Verordnung) ist zwar bereits beschlossen, wird aber frühestens Mitte Oktober im EU-Amtsblatt veröffentlicht und erst damit rechtskräftig. Da könnte ein Jürgen Trittin mit der (vorläufig) fünfjährigen Dramaturgie bis zum Inkrafttreten seiner Dosenverordung nur staunen - wäre diese denn unbeabsichtigt.

Andere Zulassungen liegen allerdings bereits auf Halde, so daß es noch eines gewissen PR-Kniffs bedarf, ausgerechnet die Zulassung des NK 603 zum Fall des Gen-Moratoriums zu stilisieren. Doch auch diese Dramaturgie ist sicherlich schon vorbereitet. Schon vor 1998, seit dem das europaweite Gen-Moratorium besteht, wurde 18 Anträgen auf kommerziellen Anbau genmanipulierter Pflanzen zugestimmt - allerdings fehlte die rein formelle Sortenzulassung, die in Einvernehmen mit den bislang stillhaltenden Gentech-Riesen verzögert wurde. Die Politik hatte ihnen versprochen, die mehrheitliche Ablehnung der "Menschen im Lande" aufzulösen. Ein Versprechen, an das die Manager der Agro-Konzerne - im Gegensatz zu den unglaublichen Versprechen vor Wahlen - geglaubt hatten und das die Politik trotz aller Koexistenz-Rhetorik nicht einzulösen vermochte.

Bei den 18 bereits vor 1998 genehmigten Gen-Sorten handelt es sich um verschiedene Raps- und Maissorten, um dreierlei Gen-Nelken, einen Impfstoff auf genmanipulierter Basis, Gen-Tabak, Gen-Soja, Gen-Chicoree und anderes. Das alles soll in den kommenden Monaten über Europa hereinschwappen. Aber damit nicht genug: weitere 22 Anträge warten bereits darauf, ebenfalls durchgewunken zu werden. Daß die Agro-Konzerne freiwillig fünf Jahre lang stillhielten, beweist die Tatsache, daß sie gegen die Verschleppung der Sortenzulassung mit unfehlbarer Erfolgsaussicht vor dem Europäischen Gerichtshof hätten klagen können. Und daß sie nun nicht länger warten wollen und daß "die Politik" - trotz unveränderter Bockigkeit der europäischen Völker - die Segnungen der "Grünen Gentechnik" nunmehr durchpeitschen soll, ist einem einzigen Umstand geschuldet: Die Konzerne stehen samt und sonders vor dem finanziellen Ruin. Sie schreiben seit Jahren rote Zahlen und selbst bei solch potenten Kunden spielen da die Banken nicht ewig mit.

 

Adriana Ascoli

 

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