Russische Nahrungsmittel-Konzerne haben öffentlichen Informationen über Nahrungsmittel den Kampf angesagt.
Über die genmanipulierten Bestandteile ihrer Produkte sollen die rusischen VerbraucherInnen nicht mehr informiert werden.
AktivistInnen der Umweltschutz-Kampagne "Vorsicht beim Einkauf!" in Wolgograd, die Infos über Gen-Food
zusammenstellen, sahen sich in jüngster Zeit mit unverhüllten Drohungen eines großen örtlichen "Lebens"-mittel- Produzenten
konfrontiert. Einer der Initiatoren der Kampagne, Sergej Schawlak, berichtet von mehreren Drohanrufen, bei denen er
anonym und ultimativ aufgefordert wurde, "seine nutzlose Tätigkeit" einzustellen.
Sergej Schawlak berichtet, daß die VerbraucherInnen- schutz-Kampagne im vergangenen Jahr einen Fragebogen
an die örtlichen Firmen verteilte, um den Anteil genmanipulierter Nahrungsmittel offenzulegen - merkwürdigerweise kam
lediglich ein Fragebogen ausgefüllt zurück. "Dieses Jahr schickten wir den Fragebogen an 16 Firmen in Wolgograd und
warnten vor der Möglichkeit, die Firmen, die eine Auskunft verweigerten, ob sie genmanipulierte Zutaten verwenden, auf
unserer Internet-Seite zu veröffentlichen. Ein paar Tage später wurde ich auf meinem Handy angerufen - übrigens ist diese
Telefonnummer nicht auf dem Fragebogen veröffentlicht worden - und mußte mir Drohungen von einem der größten
Unternehmen Wolgograds anhören."
Wolgograd ist eine Stadt mit hochentwickelter Lebensmittel- Industrie und wurde erst kürzlich von den Produzenten
genmanipulierter Nahrungsmittel-Komponenten als Ziel auserkoren wie von Seiten des Umweltschutzes aufgedeckt
wurde. Zudem bestätigen Experten, daß die geschilderte Reaktion der Nahrungsmittel-Industrie in Hinblick auf
Informationen über den Einsatz genmanipulierter Komponenten nicht nur für Wolgograd sondern auch andere
russische Städte typisch ist.
Eine Verordnung "über Implementierung von Gesundheits- Richtlinien" des obersten russischen Gesundheits-Inspektors
Genadij Onischenko trat am 1. September 2002 in Kraft. Dementsprechend wären die
Nahrungsmittel-Hersteller zwingend gehalten, ihre Produkte mit einer detaillierten Information über genetisch
manipulierte Inhalte zu versehen. Nach Auskunft der internationalen Organisation 'For Biological Safety' gibt es erst
wenige Produzenten, die auf den Waren-Etiketten die entsprechenden Informationen liefern. Die lokale Sprecherin
der Organisation, Olga Berlova, erklärte der Tageszeitung RBC, daß sie diese Kennzeichnung erst auf zwei Produkten
finden konnte, auf Krabben-Sticks und Kochfleisch, das in der Stadt Uriopinsk hergestellt worden war.
Der Direktor des Timirjassew-Instituts für Pflanzen- Physiologie, Wladimir Kusnetsow bestätigt, daß es ziemlich
selten sei, daß auf Nahrungsmitteln tatsächlich Informationen über deren genetisch veränderte Bestandteile verzeichnet
seien. Und in der Regel seien solche Hinweise, die über genetisch veränderte Bestandteile informieren, winzig und für
gewöhnliche VerbraucherInnen kaum erkennbar.
Es gibt mehrere Gründe, die erklären, warum die Verordnung des obersten russischen Gesundheits-Inspektors noch
wertlos ist. Erstens wurde bisher noch keine vollständige Liste von genmanipulierten Komponenten, die auf
Nahrungsmitteln gekennzeichnet werden müssen, erstellt. Es gibt eine vorläufige Liste, die aber veraltet ist und weit
verbreitete Komponenten nicht enthält. Laut Olga Berlova ist Aspartam eine solche Komponente, die weithin bei der
Herstellung von Getränken, Ketchup und Kaugummi verwendet wird. Die Verwendung von vorgefertigten Komponenten
macht die Nahrungsmittelproduktion erheblich billiger. Obgleich Aspartam nicht auf der offiziellen Liste der
genmanipulierten Komponenten erscheint, wird von Produzentenseite eingeräumt, daß es sich dabei um ein Produkt
der Gentechnik handelt.
Berlova verweist auf Vorfälle in Kalifornien, wo nach Problemen in der Schwangerschaft und bei der Geburt eine große
Anzahl von Frauen die Gerichte anriefen und gegen entsprechende Produkte klagten. In diesem Fall gab es einen
Vergleich: Es wurde anerkannt, daß Phenylalanin, ein Bestandteil von Aspartam, für Schwangere schädlich sei.
Sie fragt: "Wurden jemals Kaugummipäckchen gesichtet, auf denen gekennzeichnet ist, daß sie Phenylalanin
enthalten und damit eine Kontraindikation für Menschen gegeben ist, die unter Phenylketonurie leiden ? Tatsächlich ist
Aspartam für jeden Menschen gefährlich."
Ein weiteres Problem stellen die geringen Kenntnisse der Nahrungsmittelproduzenten über genmaipulierte Komponenten
dar. Von UmweltschützerInnen wird darauf hingewiesen, daß Nahrungsmittelproduzenten oft genug gar nicht so genau
wissen, welche Komponenten sie verwenden. Nehmen wir beispielsweise genmanipulierte Soja-Bohnen.
Nahrungsmittelproduzenten werden nicht selten Opfer cleverer Importeure, die ihnen einreden, daß die Verwendung
solcher Komponenten die Kosten des Endprodukts verringert. Iwan Blokow, der Kampagnen-Direktor von Greenpeace
Rußland, schätzt, daß 70 bis 80 Prozent der in der USA produzierten Soja-Bohnen genmanipuliert sind. Und die USA ist der
größter Lieferant von Soja-Produkten. Der russische Import von Soja-Bohnen und Soja-Produkten hat sich in den letzten
drei Jahren verdreifacht. Infolge des EU-Gen-Moratoriums wurde Rußland zu einem wichtigen Ziel für den Verkauf solcher
Produkte - insbesondere, da das Land keine stringente Gesetzgebung zur Kennzeichnung von Nahrungsmitteln mit
genmanipulierten Komponenten besitzt. Und zudem verschweigen viele Hersteller absichtlich Informationen über den
Inhalt ihrer Produkte. Laut Olga Berlova hätte die Kennzeichnung von genmanipulierten Bestandteilen dieselbe Folge
wie ein aufgedruckter Totenkopf - Wenn VerbraucherInnen ein solches Zeichen sähen, würden sie niemals das Produkt
kaufen.
Nicht nur, daß die gesetzlichen Vorgaben zur biologischen Sicherheit der Produkte mangelhaft sind, es gibt zudem keine
Methoden, um den Prozentanteil genmanipulierter Komponenten in Nahrungsmitteln zu bestimmen. Nach Auskunft von
Ivan Blokow gibt es lediglich Methoden zu einer qualitativen Analyse, ob genmanipulierte Komponenten im betreffenden
Nahrungsmittel enthalten seien, aber keine Methoden zu einer quantitativen Analyse. Und leider wird die qualitative
Analyse von Nahrungsmitteln auf Spuren genmanipulierter Komponenten häufig in Labors vorgenommen, die auch im
Auftrag von Firmen arbeiten, die genmanipuliertes Material importieren. Seltsamer Weise widerspricht das russische
Verfahren zur Bestimmung der Sicherheit von Nahrungsmittlen internationalem Recht. Es ist unsinnig, daß die Sicherheit
eines Produkts vom Produzenten selbst entschieden wird.
Experten fordern die Einführung strenger Strafandrohungen, um Produzenten, die genmanipulierte Komponenten
auf den Waren-Eiketten nicht kennzeichnen, abzuschrecken. Ein weiteres Problem der russischen Verordnungen
über genmanipulierte Komponenten in Nahrungsmitteln ist dieser Prozentsatz, ab dem die Kennzeichnung auf dem
Warenetikett zwingend ist. In Rußland wurde er auf 5 Prozent festgelegt. Iwan Blokow, Kampagnen-Direktor von
Greenpeace Rußland, weist darauf hin, daß die EU gerade erst eine Kennzeichnungspflicht ab einem Anteil von
über 0,9 Prozent genmanipulierter Komponenten erlassen habe. Solange es jedoch keine Methoden zur quantitativen
Analyse gebe, seine beide Prozentangaben rein fiktiv.
Olga Berlova erinnert daran, daß die Situation mit genmanipulierter Nahrung in Rußland erst im Rückblick verständlich
wird: "Die Sache hat eine lange Vorgeschichte: Das russische Gentechnik-Gesetz, von Skryabin
ausgearbeitet, wurde 1996 in Rußland veröffentlicht - exakt zu dem Zeitpunkt als die USA den Export von genmanipulierten
Soja-Bohnen steigern wollte." Nachdem der europäische Markt verschlossen blieb und auch unter dem Signum
humanitärer Hilfe die Märkte in Afrika und Asien nicht die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen, wird Rußland als
Absatzmarkt immer interessanter. Doch statt die US-amerikanischen Segnungen willkommen zu heißen, wird der
Widerstand in Rußland gegen genmanipulierte Nahrungsmittel immer stärker und die russische Umweltbewegung setzt darauf,
daß die Situation in Bälde kippt.
Adriana Ascoli