27.10.2005

Dokumentation

Agro-Gentechnik
Nützlich? Gefährlich? Nachhaltig?

Vorbemerkung:
Hier ein interessanter Artikel aus der Schweizer 'WOZ'. Insbesondere zum Stand der Scheizer Volksabstimmung über das dortige Gen-Moratorium ist hier in Deutschland kaum je etwas zu erfahren. Am 27. November werden die SchweizerInnen über dessen Fortbestand entscheiden.

Agro-Gentechnik

Nützlich? Gefährlich? Nachhaltig?

Von Marcel Hänggi (Mitarbeit: Benno Vogel)

Am 27. November kommt die Initiative für ein Gentech-Moratorium in der Landwirtschaft zur Abstimmung. Aus diesem Anlass: die zwölf wichtigsten Fragen zur Gentechnik in der Landwirtschaft.

1. Was bietet die Gentechnik der Landwirtschaft heute?

Die kommerziellen Anwendungen der Gentechnik in der Landwirtschaft betreffen heute vier Pflanzenarten - Mais, Raps, Baumwolle, Soja - und zwei Eigenschaften - Herbizidresistenz und Schädlingsresistenz. Herbizidresistente Pflanzen werden zusammen mit einem Breitbandherbizid des gleichen Herstellers angeboten, das alle Pflanzen auf dem Feld ausser den erwünschten vernichtet. Seit Jahren angekündigt werden Pflanzen, die den KonsumentInnen und nicht nur den LandwirtInnen Vorteile bringen sollen: etwa besser schmeckende, vitaminreichere Früchte oder gar solche, die pharmakologische Wirkstoffe enthalten.

2. Konsumieren wir heute bereits GVO-Produkte?

Produkte aus gentechnisch veränderten Organismen (GVO) müssen gemäss Gentechnikgesetz deklariert werden, der Import von GVO ist bewilligungspflichtig. Zugelassen sind hierzulande eine GV-Soja- und drei GV-Maissorten. Allerdings verzichten fast alle Händler freiwillig auf GVO; der Umfang des Imports ist minimal. Nicht deklarationspflichtig sind Fleisch, Eier und Milchprodukte von Tieren, die mit GVO gefüttert wurden. Vergangenes Jahr bestand ein halbes Prozent der Futtermittelimporte aus GVO. (Ein Moratorium würde die Einfuhr von Futter- und Lebensmitteln nicht verbieten.) Keine Deklarationspflicht besteht für Textilien aus GV-Baumwolle.

3. Ist der Konsum transgener Produkte gefährlich?

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schreibt, es gebe «keine Daten darüber, dass geprüfte Gentech-Lebensmittel nicht sicher sind». Millionen Menschen weltweit, argumentieren BefürworterInnen, essen aus GVO hergestellte Produkte, und es sind keine Gesundheitsschäden bekannt, die nachweislich darauf zurückgehen. Allerdings hat bislang auch niemand versucht, diesen Nachweis wissenschaftlich zu erbringen. Zumindest in Fütterungsversuchen mit Tieren sind Schäden festgestellt worden, die sich nicht eindeutig erklären lassen. 1998 fütterte der Biochemiker Arpad Pusztai Ratten mit Kartoffeln, die mit einem Gen des Schneeglöckleins ein Protein (Lektin) gegen Frassinsekten herstellen. Die Ratten erkrankten, obwohl das Lektin selber, wenn es dem Futter beigemischt wurde, die Ratten nicht schädigte. Offenbar löst die Einbringung des Lektin-Gens in das Kartoffelgenom mehr aus als die blosse Bildung von Lektin (vgl. Frage 10). Gentech-BefürworterInnen zweifeln Pusztais Resultate an. Zu ähnlichen Resultaten wie Pusztai kam 2004 eine Studie, die im Auftrag des Agrokonzerns Monsanto erstellt wurde und eigentlich hätte zeigen sollen, dass der Genuss des transgenen Maises Mon 863 unbedenklich sei (vgl. Frage 9).

4. Gefährden GVO die Umwelt?

Gentechnisch veränderte Pflanzen können sich mit verwandten Arten kreuzen. Falls transgene Pflanzen Eigenschaften aufweisen, die ihnen einen Überlebensvorteil bieten, können sich diese, einmal freigesetzt, in der Umwelt schnell verbreiten. Das kann die biologische Vielfalt gefährden, zudem besteht die Gefahr, dass so genannte «Super-Unkräuter» entstehen, da einige Nutzpflanzen sich mit Unkräutern kreuzen können (etwa Sorghum mit dem Unkraut Aleppohirse oder Raps mit Rüpsen). Strittig ist, in welchem Umfang solche Auskreuzungen stattfinden.

Ein weiteres Risiko ist der so genannte horizontale Gentransfer, bei dem Pflanzengene in Mikroorganismen gelangen. Das ist vor allem dann gefährlich, wenn Antibiotikaresistenz-Gene transferiert werden. Solche wurden in den ersten Jahren der Gentechnik aus technischen Gründen verwendet. Gentech-BefürworterInnen meinen, dass horizontaler Gentransfer äusserst unwahrscheinlich sei; KritikerInnen weisen darauf hin, dass auch aus einer sehr geringen Wahrscheinlichkeit bei einer sehr grossen Anzahl Pflanzen und Mikroorganismen eine reale Möglichkeit resultiere.

Sicher ist: Das Risiko ist wenig erforscht. Nur rund hundert von tausend Freisetzungsversuchen mit GV-Pflanzen in Europa wurden von Risikoanalysen begleitet. Die weltgrösste Umweltschutz-Dachorganisation, die World Conservation Union IUCN, die unter anderem 82 Staaten zu ihren Mitgliedern zählt, forderte 2004 wegen der bestehenden Unsicherheiten ein Gentech-Moratorium. Ein Nationalfondsprojekt über «Nutzen und Risiken der Freisetzung von GVO» ist geplant; über dessen Bewilligung entscheidet der Bundesrat diesen Herbst.

5. Ist Koexistenz möglich?

Grundsätzlich ist Koexistenz, das Nebeneinander von Landwirtschaft mit und ohne GVO, eine asymmetrische Sache: Kreuzen gentechnisch veränderte Pflanzen in das Feld des gentechfreien Betriebs ein, so kann dieser seine Produkte nicht mehr als gentechfrei verkaufen, sobald ein Grenzwert (0,9 Prozent) überschritten ist. Umgekehrt entsteht kein Schaden.

Koexistenz ist möglich, sagt eine im April 2005 veröffentlichte Studie der Eidgenössischen Forschungsanstalt Reckenholz (FAL): Für Mais und Raps müsste zwischen den Feldern, je nach Sorte, lediglich ein Abstand von 25 bis 50 Metern eingehalten werden, zudem sei eine Reihe technischer und organisatorischer Massnahmen nötig. Demgegenüber kommt das Forschungsinstitut für Biologischen Landbau (FiBL) zum Schluss, Koexistenz sei in der kleinräumigen Landwirtschaft der Schweiz unwirtschaftlich: Beim Raps etwa wären Feldabstände von vier Kilometern nötig. Weil Rapssamen sehr lange fruchtbar bleiben, kann eine Auskreuzung auch noch nach Jahren stattfinden. Die Differenzen zwischen FAL und FiBL rühren von verschiedenen Annahmen her: Die FAL hielt eine Einkreuzung von 0,5 Prozent für tolerierbar. Das FiBL rechnete mit 0,1 Prozent, damit der Grenzwert auch dann eingehalten werden kann, wenn Verunreinigungen aus verschiedenen Quellen sich kumulieren.

Das Gesetz will den Konsum GVO-freier Produkte ermöglichen. Weil absolute Reinheit nicht garantiert werden kann, sieht die Verordnung Grenzwerte vor. Das Ziel ist jedoch, Verunreinigungen möglichst zu vermeiden und nicht die Grenzwerte auszureizen. Deshalb ist es sinnvoll, mit tieferen Toleranzwerten zu rechnen.

6. Ist GVO-Landwirtschaft nachhaltig?

Wächst die Weltbevölkerung weiter wie bisher, wird es mehr Nahrungsmittel brauchen. Zusätzlicher Landverbrauch und noch mehr Einsatz von Agrochemikalien könnten die Ökosysteme zum Kollaps bringen. Gentechnik helfe, dies zu verhindern, sagen ihre BefürworterInnen: Dank Ertragssteigerung könne der Flächenbedarf reduziert werden; ausserdem sinke der Bedarf an Agrochemikalien, weil ja schädlingsresistente Pflanzen nicht mehr gegen Schädlinge gespritzt werden müssten. Das ist teilweise korrekt, sagt etwa das FiBL - aber nur, wenn mit konventioneller Landwirtschaft verglichen werde. Wird der Verbrauch an Agrochemikalien, der Energie- und Wasserverbrauch, die Bodenfruchtbarkeit, die biologische Vielfalt gemessen, schliesst der Bio- gegenüber dem GVO-Landbau überall - und teilweise markant - besser ab. Selbst der Minderbedarf an Chemikalien dank GVO im Vergleich mit der konventionellen Landwirtschaft ist umstritten: Weil Schädlinge und Unkräuter sich an die transgenen Pflanzen anpassen und ihrerseits Resistenzen entwickeln, würden nur in den ersten Jahren weniger Chemikalien gespritzt. Schliesslich lagert die Gentech-Landwirtschaft einen beträchtlichen Teil ihrer Kosten aus, das heisst, der Anbau mag für den einzelnen Betrieb ökonomisch interessant sein, aber die (ökologischen) Folgekosten trägt die Allgemeinheit.

7. Hilft Gentechnik gegen Hunger und Unterernährung?

Transgene trockenheits- oder salzresistente Nutzpflanzen könnten in Gegenden gedeihen, die heute unterversorgt sind; gegen Mangelkrankheiten sollen transgene Pflanzen helfen, die besonders vitaminreich sind. Der an der ETH entwickelte transgene Golden Rice enthält Betacarotin, aus dem der Körper Vitamin A bildet. Er soll Millionen Kindern helfen, die unter Vitamin-A-Mangel leiden und von Erblindung bedroht sind.

Aus entwicklungspolitischer Sicht fragt sich, ob die Vorteile gentechnischer Lösungsansätze die Nachteile aufwiegen und ob sich die Ziele auf anderem Weg nicht effizienter erreichen lassen. Die Weltlandwirtschaftsorganisation (FAO) setzt auf Gentech, und auch einige unabhängige Entwicklungsfachleute wie Welternährungspreisträger Per Pinstrup-Andersen wollen diese Option offen halten. Für die Mehrheit der Entwicklungsorganisationen aber ist Gentechnik der falsche Weg. Golden Rice ist aus ihrer Sicht eine Hightechlösung für ein Problem, das durch eine Monokultur-Hightechlandwirtschaft verursacht ist, die für den Weltmarkt statt für lokale Bedürfnisse produziert: Das Problem ist nicht, dass die traditionelle Nahrung zu wenig Betacarotin enthielte, sondern dass die Menschen keinen Zugang dazu haben. Und was die Trockenheitsresistenz angeht: Das Internationale Forschungszentrum für Landbau in Trockenzonen in Aleppo (Icarda, siehe WOZ Nr. 41/04), das keinerlei Berührungsängste zur Gentechnologie kennt, setzt auf Lowtechmethoden zur optimierten Wassernutzung, auf konventionelle Züchtung sowie auf «vergessene» Landrassen statt auf GVO, weil es sich davon effizientere Lösungen verspricht.

8. Schaffen GVO neue Abhängigkeiten?

Für viele Gentech-KritikerInnen, aber auch für unabhängige Gentech-BefürworterInnen sind neue Abhängigkeiten die gewichtigste negative Folge des GVO-Anbaus. Diese liegt weniger in der Technologie als in der Patentgesetzgebung und -praxis begründet, seit 1980 das US-Bundesgericht erstmals ein Patent auf einen gentechnisch veränderten Mikroorganismus für gültig erklärt hat. GVO sind heute mit Urheberrechten belegt. Wer Saatgut kauft, kauft gleichzeitig eine - beschränkte - Nutzungslizenz für diese Urheberrechte, die im Besitz der Firma bleiben. Das verändert die Machtverhältnisse in der Landwirtschaft radikal, betrifft insbesondere KleinbäuerInnen in Entwicklungsländern und beeinflusst die Versorgungslage dieser Länder nachteilig. Der GVO-Markt wird heute fast vollständig von vier Konzernen (Monsanto, Syngenta, DuPont, Bayer) beherrscht. Industriekritische Gentech-BefürworterInnen haben deshalb eine Initiative gestartet, die sich an der Open-Source-Bewegung für freie Software orientiert und die Produkte der Gentechnologie frei verfügbar machen will.

9. Kann man GVO-Herstellern trauen?

Nein. Bis im März 2005 exportierte Syngenta in Europa nicht zugelassenen Bt-10-Mais als Bt-11-Mais deklariert aus den USA in die EU. Als das bekannt wurde, sprach Syngenta von einem Fehler und beteuerte, die beiden Maissorten seien fast identisch. Das war gelogen: Bt-10 enthält, anders als Bt-11, ein (in Europa verbotenes) Antibiotikaresistenz-Gen. Monsanto hat die Zulassung von Mon-863-Mais in der EU beantragt (das Verfahren ist noch hängig). Dazu hat die Firma eine in ihrem Auftrag erstellte, tausendseitige Studie eingereicht. Laut Zusammenfassung wiesen Fütterungsversuche an Ratten diesen Mais als unbedenklich aus. Doch die Zusammenfassung widersprach den Resultaten: An den Nieren der gefütterten Ratten waren Schädigungen festgestellt worden (vgl. Frage 3).

Agrofirmen und gentech-freundliche Regierungen üben ausserdem Druck auf die öffentliche Forschung und wissenschaftliche Journale aus. 2001 publizierte «Nature» ein Paper über Auskreuzungen transgenen Maises in Mexiko. Die Studie ist umstritten - dieses Jahr publizierte «PNAS online» eine Studie, die keine Spuren von GVO im mexikanischen Mais feststellte -, doch wer immer Recht hat: Sicher ist, dass massiv Druck auf die «Nature»-Redaktion ausgeübt wurde, der diese dazu brachte, sich von der Studie zu distanzieren - ein bisher einmaliger Vorgang. Arpad Pusztai (vgl. Frage 3) verlor, nachdem er öffentlich über seine Lektin-Kartoffel-Versuche gesprochen hatte, auf Druck der britischen Regierung seine Stelle.

10. Weiss man, wie künstlich verpflanzte Gene wirken?

Die Agrogentechnik beruht auf der Grundannahme, dass ein Gen, das im Organismus X eine bestimmte Eigenschaft hat, im Organismus Y genau gleich wirkt. Diese Annahme ist nicht vollkommen falsch. So bringt das Gen, das im Bacillus thuringiensis ein Insektengift produziert, Nutzpflanzen dazu, ebendieses Gift zu produzieren. Die Grundannahme greift aber zu kurz. Schon die Definition von «Gen» ist unklar; Gene können im selben Organismus auf verschiedene Arten wirken. Die Mechanismen, die bestimmen, wann ein Gen wie wirkt, und das Zusammenspiel der Gene sind bei weitem nicht abschliessend geklärt.

11. Gefährdet ein Moratorium den Forschungsplatz Schweiz?

Die Forschung wird vom Moratorium ausgenommen. Die GegnerInnen des Moratoriums meinen aber, dieses setze «falsche Signale» und schade der Forschung indirekt. Doch: Die Forschung gibt es nicht - es gibt verschiedene Forschungsrichtungen, die miteinander um begrenzte Fördermittel konkurrieren. Wer «forschungsfeindlich!» ruft, vergisst meist zu fragen, welche Forschung gemeint ist. Derzeit wird in Gentech-Forschung, da kommerziell lukrativ, weit mehr investiert als beispielsweise in Biolandbauforschung. Wenn also das Moratorium die Gentech-Forschung tatsächlich bremsen sollte, wäre dies schlicht ein Korrektiv zu einer problematischen Schwerpunktsetzung.

12. Wäre ein Gentech-Moratorium mit internationalem Recht vereinbar?

Die Welthandelsorganisation (WTO) verbietet Handelshemmnisse, die nicht auf wissenschaftlich begründeten Bedenken beruhen. Doch was «wissenschaftlich» sei, lässt sich nicht so klar bestimmen. Zwischen der EU und den USA ist seit Jahren ein Verfahren zu genau dieser Frage hängig; in der EU selber hat der Europäische Gerichtshof Anfang Oktober ein Moratorium in Oberösterreich für ungültig erklärt. JuristInnen rechnen damit, dass das WTO-Schiedsgericht ein GVO-Importverbot für ungültig erklären wird. Allerdings bräuchte es dazu ein Verfahren - solange niemand die Schweiz vor der WTO einklagen würde, könnte das Moratorium gelten.

Die Volksinitiative «für Lebensmittel aus gentechnikfreier Landwirtschaft» verlangt, dass in der Schweizer Landwirtschaft keine Pflanzen angebaut und keine Tiere gehalten werden dürfen, die gentechnisch verändert sind. Das Verbot soll fünf Jahre lang gelten. Die Schweizer Lebensmittelproduktion bekäme die Gelegenheit, sich mit einem gentechnikfreien Angebot am Markt zu profilieren. Umfragen zeigen, dass eine klare Mehrheit der KonsumentInnen eine gentechnikfreie Landwirtschaft will.

 

WOZ vom 27.10.2005
www.woz.ch/artikel/inhalt/2005/nr43/Wissen/12399.html

 

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