18.08.2003

Kommentar

Gen-Klage USA gegen EU
Dresche für den Büttel

Im Mai wurde vom Europa-Parlament - kurz darauf vom Agrar-Ministerrat abgesegnet - eine Kennzeichnungs-Verordnung für Gen-Food verabschiedet, die angeblich die "Wahlfreiheit" für die europäischen VerbraucherInnen garantieren soll. Doch bisher wollte die weit überwiegende Mehrheit der EuropäerInnen keine Wahlfreiheit - über die Jahre immer wieder durch Umfragen bestätigt will eine Mehrheit von 70 bis 90 Prozent überhaupt kein Gen-Food. Mehr als zwei Drittel. Und das gilt gemeinhin als verfassungsändernde Mehrheit.

Wozu also die Kennzeichnungs-Verordnung ? Sie dient einerseits dem Zweck, den Europäerinnen einzureden, sie könnten nun sicher sein - sicher vor Gen-Food, das nun erst importiert und angebaut werden soll. Denn sie dient andererseits dazu, das seit 1998 europaweit geltende Gen-Moratorium zu kippen. Gelegentlich zwar durchbrochen diente dieses Moratorium dem Schutz Europas vor den Interessen der vorwiegend US-amerikanischen Agro-Konzernen, denen der Anbau ihrer genmanipulierten, patentierten Mais-, Raps-, Weizen- und Soja-Sorten in den USA, Kanada, Argentinien, Indien oder China nicht mehr genügt. China ist zudem wieder wegen schlechter Erfahrungen auf dem Absprung und Australien und Rußland konnten trotz langanhaltenden Drucks bisher nicht geknackt werden.

Die europäischen Regierungen nun, allen voran die spanische und - oh Wunder ! - die deutsche bewähren sich als Büttel und Türöffner und versehentlich gab ein großer Teil der deutschen Medien in Unkenntnis der Strategie und in Verkennung der Rechtslage bereits bekannt, das Gen-Moratorium sei gefallen. Und zur Vollendung der globalen Schmierenkommöde bekommet die EU heute medienwirksam Dresche. Denn in einer neuen Allianz der Willigen reichten heute die USA zusammen mit Argentinien und Kanada bei der WTO Klage gegen die EU ein. Und hier plötzlich - wo sie das Egebnis exakt vorausbestimmen können - ist den USA ein internationaler Gerichtshof willkommen.

Attac und BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland) werfen nunmehr der US-Regierung vor, sie wolle "die Europäer durch die WTO zwingen (...), gentechnisch veränderte Produkte zu essen". Tatsächlich jedoch klagen die USA und ihre Allianz der Willigen auf nichts anderes, als das, was ihr die EU bereits als willfähriger Büttel auf dem silbernen Tablett präsentiert: die Öffnung der europäischen Märkte und Anbauflächen.

Nun wird das Spiel mit gezinkten Karten ersichtlich: Im nächsten Akt unterliegt die EU vor dem Weltgericht der WTO und im übernächsten Akt präsentiert sie die Kennzeichnungs-Verordnung als ihren weisen Schachzug, den EuropäerInnen selbst die Entscheidung "mit der Einkaufstasche am Supermarktregal" überlassen zu wollen. Damit haben wir dann den Schwarzen Peter in der Hand. Denn entweder wird sich sehr rasch die Minderheit, der es allein nach billigstem Fraß gelüstet, durchsetzen - so wie auch vor Jahren noch die handy-Enthusiasten eine belächelte Minderheit waren. Oder in zwei drei Jahren bereits wird durch unweigerliche Vermischung keinerlei gentechnik-freie Nahrung mehr auf dem Markt zu haben sein, da sich nach und nach jegliche Grenzwerte - erst vierteljährlich dann monatlich nach oben verschoben - als nicht mehr einzuhalten erweisen werden.

Attac und BUND rufen jetzt anläßlich der zwischen 7. und 14. September in Cancun, Mexiko, anstehenden Ministerkonferenz der WTO zu Protesten auf. Sie wollen "gegen die WTO und für das Recht der BürgerInnen und Bürger demonstrieren, selbst zu entscheiden, welche Lebensmittel in Europa auf den Tisch kommen". Die entscheidende Frage jedoch ist, was in Europa auf die Äcker kommt.

"Dieser Schritt ist auch symbolisch - er soll andere Länder, insbesondere Entwicklungsländer, davor abschrecken, Gentechnik-Restriktionen einzuführen oder beizubehalten", erklären die beiden Verbände weiter. Dem ist insofern zuzustimmen, als ein Fall des EU-Moratorium vermutlich auch den Widerstand Australiens und Chinas brechen wird, für die Europa ein entscheidender, wenn nicht der entscheidende Markt darstellt. Leider ist die Formulierung - wie so viele bei attac und bei BUND - so wachsweich, daß unter "Gentech-Restriktionen" auch eine Kennzeichnungs-Verordnung verstanden werden könnte. Aber diese ist - wie inzwischen genügend wissenschaftliche Studien aufgezeigt haben - zur Gewährleistung einer "Koexistenz" zwischen "Grüner Gentechnik" und gentech-freier Landwirtschaft in der Praxis untauglich. Die dabei andiskutierten bürokratischen Regularien zur Führung von Anbaukatastern, zur Dokumentation von Rückverfolgbarkeit vom fertigen Produkt zum Acker, die hierzulande bereits jedem Praktiker nur ein müdes Lächeln entlocken, sind erst recht in Ländern wie Australien und China - an Entwicklungsländer schon gar nicht zu denken - völlig unpraktikabel.

BUND und attac kündigen als Widerstandsformen an, "mit Aktionen bundesweit gentechnikfreie Zonen einzurichten". Dies ist als Mobilisierung im Rahmen einer großangelegten Kampagne zum Erhalt des EU-Moratoriums durchaus sinnvoll. Doch der zentrale Punkt ist dieses Moratorium. Fällt es, werden symbolische gentechnikfreie Zonen nicht mehr Wirkung entfalten als jene atomwaffenfreien Zonen, zu denen sich deutsche Städte in der Hochzeit der Friedensbewegung erklärten und als es gegen die NATO-Nachrüstung ging. Wenn erstmal die Würfel gefallen sind, wird ihre Wirkung so gering sein wie die der immer noch sinnvollen CASTOR-Blockaden.

Aber gerade der Vergleich mit der Atomenergie zeigt, wie wichtig es ist, den entscheidenden Zeitpunkt nicht zu verpassen. In Österreich konnte das "atomare Zeitalter" aufgehalten werden, weil gleich das erste geplante AKW, Zwentendorf verhindert wurde. Obrigheim markierte ausgerechnet 1968 die Zäsur in Deutschland. Wenn das Gen-Moratorium fällt und der Anbau von genmanipulierten Pflanzen erstmal großflächig zugelassen wird, werden wir das Zeug verdammt schwer wieder los...

Ganz zu recht werfen BUND und attac zum Schluß den EU-Regierungen vor, "der gentechnischen Verunreinigung auch in der EU Tür und Tor zu öffnen. Während die EU bei der WTO gegen die Klage der USA Widerstand leiste, gebe sie gleichzeitig das Gentechnik-Moratorium selber auf."

Die logische Konsequenz dieser Erkenntnis wäre eine europaweite Kampagne für den Erhalt des Gen-Moratorims. Ein erster Schritt dazu ist die Unterstützung der Unterschriften-Aktion

 

Frank Bayer

 

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