7.02.2001

G36
rot-grüne Beihilfe zum Völkermord?

"In a world of compromise some don't"
Werbeslogan der Waffenschmiede Heckler & Koch

Für eine Kampagne gegen Rüstungsexporte

Handfeuerwaffen sind Prestigeobjekte von Rüstungsbossen, Militärs und Verteidigungs­politikern. Mehr als das aber sind sie das gebräuchlichste Mittel der Kriegführung. Handfeuerwaffen - neben Landminen - sind "konventionelle" Waffen und fordern dennoch weitaus mehr Tote als diejenigen Waffen, die gemeinhin als Massenvernichtungswaffen gelten. Kein bundesdeutscher Regierungsvertreter - gleich welcher parteipolitischen Couleur - hat es bislang gewagt, ein Export- geschweige denn ein Produktionsverbot dieser Massen­vernichtungs­waffen zu fordern.
Dabei ist Deutschland eines der wenigen Länder, deren Gewehre über Direktexporte und Lizenzvergaben das Morden rund um den Globus ermöglichen. Bis heute wurden rund 10 Millionen G3-Gewehre produziert, exportiert und eingesetzt. Inzwischen hat die Oberndorfer Waffenschmiede Heckler&Koch (H&K) die Bundeswehr mit dem Nachfolge- modell G36 ausgerüstet.

Opfer der Rot-Grünen Rüstungsexportpolitik?

Sollte die jetzige Bundesregierung wie ihre Vorgänger verfahren, droht die Fortsetzung der tödlichen "Erfolgsstory" aus Oberndorf - und das Massenmorden mit deutschen Handfeuerwaffen geht in die nächste Runde. Der erste Schritt ist bereits getan: Mit Zustimmung des Bundessicherheitsrats erhält das türkische Militär im Jahr 2001 eine Munitionsfabrik - optimal geeignet zur Fortsetzung des Bürgerkriegs in Kurdistan. Wann folgen die ersten G36-Gewehre? Mit welchen Argumenten will man Gewehrexporte versagen, wenn man zuvor die entsprechende Munitionsfabrik geliefert hat?

Die G3-Story - Weltmeister aus Oberndorf

Am 28. Dezember 1949 wurde das Unternehmen Heckler & Koch in Oberndorf am Neckar gegründet. Noch in den 50er Jahren entwickelten die Waffentechniker die neue Standardwaffe für die Bundeswehr: das Schnellfeuergewehr G3. Die 60er Jahre waren geprägt von der Ausrüstung der deutschen Streitkräfte und dem Ausbau eigener Produktionskapazitäten. Die H&K-Waffen"familie" wurde um die Maschinenpistole MP5 ergänzt.
Gerade die Serienfertigung des G3 entpuppte sich als wahre Goldgrube. Nach der Ausrüstung der deutschen Streitkräfte mit der "Braut des Soldaten", so die makabre Bezeichnung für das Gewehr aus Oberndorf, erschloss die H&K-Geschäfts- führung neue Absatzmärkte. Dabei profitierten die schwäbischen High-Tech-Produzenten von der Tatsache, dass der Verkauf angesichts von weltweit mehr als 350 Kriegen und Bürgerkriegen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts boomte. In nur wenigen Jahren avancierte das schwäbische Unternehmen zum größten deutschen Hersteller von Handfeuerwaffen. Kaum eine kriegerische Auseinander- setzung fand und findet ohne den mörderischen Einsatz der H&K-Handfeuerwaffen statt.
Gemessen an der Zahl der Empfängerländer ist Heckler&Koch bis heute unangefochtener deutscher Rüstungsexportmeister. Auf Bundestagsfragen sah sich Willy Wimmer, früherer Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverteidigungs- ministerium, zum Eingeständnis gezwungen, dass für G3-Gewehre "bis 1988 für über 80 Länder Ausfuhr- genehmigungen erteilt" wurden. Während die Bundes- regierung unter Helmut Kohl gebetsmühlenartig die Leier einer "restriktiven Rüstungsexportpolitik" wiederholte, erteilte sich H&K zugleich einen Freilieferschein für Waffenexporte an nahezu alle Scheindemokratien und Diktaturen.
Folgenschwerer noch als die Direktexporte aus Oberndorf haben sich die Lizenzvergaben ausgewirkt. Nach 1961 genehmigten die Bundesregierungen (bei wechselnder parteipolitischer Besetzung) die Vergabe der Nachbaurechte und den Verkauf entsprechenden Know-hows an die Lizenznehmer im Ausland: So sind G3-Lizenzen 1961 an Portugal, 1963 an Pakistan, 1964 an Schweden, 1967 an Norwegen, den Iran und die Türkei, 1969 an Saudi-Arabien, 1970 an Großbritannien und Frankreich, 1971 an Thailand, 1977 an Griechenland, 1979 an Mexiko und 1981 an Burma vergeben worden.
Wiederholt erfolgte die Lizenzvergabe sogar auf Betreiben der Regierung. Längst ist der Interessenverband von Heckler&Koch mit der jeweiligen Bundesregierung zum Weltmeister der Lizenzvergaben im Handfeuerwaffenbereich aufgestiegen: Über 20 Nachbaurechte für H&K-Waffen sind bislang vergeben worden - mehr als bei der russischen Kalaschnikow oder der US-amerikanischen M16.
G3-Gewehre sowie MP5-Maschinenpistolen werden in den Fabrikationsstätten in Lateinamerika, im Nahen Osten oder in Südostasien produziert. Bis heute zählt das G3 - von dem insgesamt zwischen 7 und 10 Millionen Exemplare zumeist in Lizenz gefertigt worden sind - neben der Kalaschnikow AK47, der M16, der israelischen Uzi und der belgischen FN FAL zu den meist eingesetzten Gewehren auf den Schlachtfeldern in aller Welt.

Die Folgen sind katastrophal: Abgesehen von wenigen Regionen - der Arktis, der Antarktis, den Staaten des ehemaligen Warschauer Pakts und China - finden sich Heckler&Koch-Gewehre im mörderischen Dauerfeuer. Bis zum heutigen Tag sind Hunderttausende von Menschen von H&K-Waffen getötet worden - mehr Menschen, als Oberndorf seit seiner Stadtgründung im Jahre 1251 insgesamt an Einwohnern gehabt hat.
In Oberndorf am Neckar werden diese Fakten bis heute verdrängt, nur allzu gern verschanzt man sich hinter einer Mauer des Schweigens. Bei den vereinzelten Gesprächen, die im Laufe der Jahre zwischen Friedensbewegten und Firmenvertretern stattgefunden haben, konnte keinerlei Konsens herbeigeführt werden. Für die H&K-Repräsentanten gilt die immerdar propagierte Schutzbehauptung: "Alles läuft ausschließlich über die Bundesregierung!" Tatsächlich steht vereinzelten illegalen Exporten eine weit überwiegende Zahl legaler Waffenausfuhren gegenüber. Moralisch mitschuldig sind sie dennoch alle: Die Oberndorfer Profiteure der Kriege und die politischen Entscheidungsträger der vergangenen Jahrzehnte. An ihren Händen klebt das Blut der Opfer ihrer Geschäftspolitik.
Dreißig Jahre nach seiner Einführung war der G3-Markt gesättigt, die Schnellfeuergewehre entsprachen längst nicht mehr den High-Tech-Ansprüchen der NATO-Kampftruppen. Als die Bundesregierung den bereits erteilten Großauftrag für das neu entwickelte G11-Gewehr stornierte, stand Heckler & Koch vor dem Konkurs.1 Rückwirkend zum 1. Januar 1991 wurde H&K zu hundert Prozent von Royal Ordnance übernommen, einem Tochterunternehmen des größten europäischen Luft- und Raumfahrtkonzerns British Aerospace. Royal Ordonance befand sich bereits im Besitz einer G3-Lizenz.2 Die Zielsetzung der Londoner Geschäfts- führung war eindeutig: H&K sollte über eine weitere Waffenentwicklungen wieder in die Spitzengruppe der Handfeuerwaffenfirmen geführt und erneut zu einem hoch profitablen Unternehmen gemacht werden.

Fortgesetzter Völkermord mit deutschen Waffen?

Am 8. Mai 1995 erteilte der General der Heeresrüstung die Einführungsgenehmigung für das Heckler&Koch-Gewehr HK50, im Bundeswehrjargon G36 genannt. Nur sechzehn Monate später (September 1996) wurde das erste Fertigungslos des G3-Nachfolgers an die Krisenreaktions- kräfte ausgeliefert. Zuvor musste die Güteprüfstelle der Bundeswehr per Abnahmebeschluss bestätigen, dass die mittlere Treffpunkt auf hundert Meter in einem 12 Zentimeter umfassenden Kreis liegt. Die Streuung darf 20 Zentimeter nicht überschreiten, ansonsten würden die "Weichziele" - so die bei Militärs übliche Bezeichnung für Menschen - zu selten getroffen werden.
Gegenüber dem überalterten G3 mit seinem 7,62 mm x 51 Kaliber verspricht das G36 nicht nur eine erhöhte Trefferquote, sondern auch die Erfüllung der Kriterien zur Teilnahme an allen Out-of-area-Kampfeinsätzen der NATO. Seit Jahren verwenden verschiedene Mitglieds- bzw. assoziierte Staaten im Bereich der Handfeuerwaffen das NATO-Kaliber 5,56 mm x 45: Großbritannien beim SA80, Belgien beim FNC und Frankreich beim FAMAS.

Zur eigentlichen Neuorientierung im Munitionsbereich kam es aufgrund der Marktauseinandersetzung mit der US-amerikanischen Firma der Firma Colt, deren M16 das US-Militär verwendet. Die 5,56 mm-Munition ist halb so schwer wie die des G3 und weist einen um 50 Prozent geringeren Patronenimpuls auf. Die H&K-Techniker erkannten, dass ihr Unternehmen nur dann auf dem internationalen Waffenmarkt bestehen kann, wenn sie sich der US-Norm anpassen: Kein Wunder also, dass das G36 bei einer um rund 50 Prozent erhöhten Feuerkraft aufgrund des leichten und zugleich hitzeresisteten Kunststoffs sowie der neuen 5,56 mm-Munition immer noch über ein Kilo leichter als das G3 ist - auf dem Schlachtfeld ein entscheidender Vorteil in Sachen Beweglichkeit und Nachschub.
Mit dem G36, zu einem Stückpreis von 1.200,- DM 170.000 mal für das bundesdeutsche Heer geordert3, verfügt H&K über einen Gewehrtyp, der wie sein Vorgängermodell zum Global Seller werden soll. Die Rahmenbedingungen dafür scheinen - dank einer weiterhin hemmungslos praktizierten Rüstungsexportpolitik - bestens. Und alles spricht dafür, dass die Türkei einer der ersten Abnehmer sein wird.

Munition für das türkische Militär

Vor Jahren behauptete Ursula Seiler-Albring, damalige Staatsministerin im Auswärtigen Amt: "Die Bundesregierung hat sich von der türkischen Regierung wiederholt ausdrücklich versichern lassen, daß deutsche Waffen vertragsgemäß nicht im Rahmen der Terrorismusbekämpfung (gemeint waren Kurden, Anm. des Verfs.) verwendet werden." Wie falsch derlei Aussagen sind, weiß jeder, der den Einsatz türkischer Kampfeinheiten - auch gegen Zivilisten - in der Vergangenheit verfolgt hat. Seit Jahrzehnten setzen türkische Militäreinheiten bei ihren Vernichtungsaktionen gegen Kurdinnen und Kurden H&K-Waffen "Made in Turkey" ein: Die Lizenzvergabe der H&K-Maschinenpistole MP 5 an die Türkei erfolgte 1983, die des Schnellfeuergewehrs G3 bereits 1967. Seither hat der Lizenznehmer Makina ve Kimya Endustrisi Kurumu (MKEK) aus Ankara pro Jahr bis zu 40.000 G3-Gewehre gefertigt - genug um das Oberndorfer G3 zur Standardwaffe der türkischen Streitkräfte werden zu lassen.
Rechtlich wäre die Rücknahme der Handfeuerwaffenlizenz möglich. Doch noch nie hat irgendeine Bundesregierung eine vergebene G3-Lizenz zurückgezogen. Warum sollte sie auch? Bislang lagen Lizenzvergaben immer im "vitalen Interesse" der deutschen Christ- & Sozialdemokraten.

Wo die Rot-grüne Bundesregierung steht, hat sie im Sommer mit der Mehrheitsabstimmung im geheim tagenden Bundessicherheitsrat zur Lieferung einer Munitionsfabrik in die Türkei gezeigt: Die Fritz Werner Industrieausrüstungen GmbH im hessischen Geisenheim, ein Tochterunternehmen von Ferrostaal, erhielt die Genehmigung, im Jahr 2001 gemeinsam mit französischen und belgischen Partnern eine Munitionsfabrik für das NATO-Kaliber 5,56 mm zu errichten.
Man mag sich über die Auswirkungen der Exporte von Leopard II-Panzern an Schweden oder die Schweiz streiten können. Im Fall des Aufbaus einer Munitionsfabrik in der Türkei sind die Folgen offensichtlich: Rot-Grün leistet Unterstützung beim Völkermord in Kurdistan. Jegliche Versprechungen eines Gerhard Schröder, Rudolf Scharping oder Joschka Fischer bezüglich einer menschenrechts- orientierten Außenpolitik platzen wie Seifenblasen. Und die neu beschlossenen "Politischen Grundsätze der Bundesregierung zum Rüstungsexport" vom Januar 2000 entpuppen sich als Barbiturat zur Ruhigstellung einer kritischen Öffentlichkeit. Dort heißt es: "Der Beachtung der Menschenrechte im Bestimmungs- und Endverbleibsland wird bei den Entscheidungen über Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern besonderes Gewicht beigemessen."
Während man nach außen Humanität propagiert und mit diesem Argument den Kampfeinsatz der Bundeswehr in Serbien legitimiert, wird in vertraulicher Sitzung Beihilfe zum Morden geleistet.

Völkermordanzeige wegen Rüstungsexporten

Am 26. Februar 1993 stellten eine Reihe von Friedens- und Menschenrechtsorganisationen "Strafanzeige wegen Unterstützung des Völkermordes und Aggressionskrieges der Türkischen Republik gegen das kurdische Volk durch bundesdeutsche staatliche Stellen, Rüstungsbetriebe und Einzelpersonen". Angelika Beer, damals Bundesvorstands- mitglied der GRÜNEN, begründete ihre Beteiligung an der Strafanzeige damit, dass sich der türkische Staat die "Endlösung der Kurdenfrage" versuche. Zu Recht kritisierte die GRÜNEN-Politikerin damals: "Trotz des nachgewiesenen Einsatzes deutscher Waffen gegen die kurdische Bevölkerung läuft der tödliche Waffenhandel zwischen den Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei weiter. Die deutsche Wirtschaft ist bereit immer wieder aufs Neue zu beweisen, daß sie zugunsten des eigenen Profits in Kauf nimmt, über Leichen zu gehen." Weiter beklagte Angelika Beer, mittlerweile Obfrau von Bündnis 90/DIE GRÜNEN im Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestags: "Mitten in Europa herrscht Krieg - doch niemand sieht hin."4 Heute müssen wir feststellen: Noch immer herrscht Krieg mitten in Europa und auch Rot-Grün geht - mit der Zustimmung zum Export der Munitionsfabrik - über Leichen.
Das 5,56 mm-Kaliber der Munitionsfabrik von Fritz Werner ist auch für das neue G36 geeignet. Was liegt näher, als sich an die G3-"Erfolgs"story zu erinnern: Der Bewaffnung der Bundeswehr folgten die Direktexporte und Lizenzvergaben in alle Welt.

Jürgen Grässlin


Anmerkungen:

1 Kersten, Manfred und Walter Schmid: Hecker & Koch.
Die offizielle Geschichte der Oberndorfer Firma Heckler&Koch. Verlag Udo Weispfennig, Wuppertal 1999, S. 29.
2 Ebd., S. 33.
3 SZ 21.08.97.
4 Kersten/Schmid, ebd. S. 5.

Wollen wir verhindern, dass auch das G36 zum weltweiten Verkaufsschlager wird und erneut Hunderttausende von Opfern zu beklagen sind, müssen wir jetzt eine breit angelegte Kampagne gegen G36-Direktexporte und -lizenzvergaben initiieren. Wer sich dafür engagieren möchte, kann sich an die DFG/VK oder an Netzwerk Regenbogen wenden.
Ebenfalls zur Ächtung der sogenannten Kleinwaffen
ruft die UNICEF auf.

 

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