Rede zum Ostermarsch 2001
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
wir haben uns heute zusammengefunden, um auf dramatische Fehlentwicklungen in aller Welt sowie auf entscheidende Fehlsteuerungen der
Politik der vorigen und der heutigen Bundesregierung aufmerksam zu machen. Wir haben uns aber auch zusammengefunden, um unseren
Forderungen nach einer sozial gerechteren, einer ökologisch intakteren und vor allem einer friedlicheren Welt Nachdruck zu verleihen.
Auf der Erde toben derzeit rund 40 Kriege und Bürgerkriege, die Millionen von Toten fordern. Nur einige wenige von ihnen haben in den industrialisierten
Staaten, gerade auch in Deutschland, zu heftigen Diskussionen um so genannte "humanitäre Militärinterventionen" zur Wahrung der Menschenrechte
geführt. Vor allem die Beteiligung der Bundeswehr am völkerrechtswidrigen NATO-Kampfeinsatz im Kosovo - der wohlgemerkt ohne UNO-Mandat
erfolgt ist - hat zu Kontroversen in der SPD, den Kirchen und den Gewerkschaften geführt. Mit ihrem Meinungsumschwung haben sich Bündnis 90/DIE GRÜNEN
von einer anti- militaristischen Oppositionspartei zu einer militär- und rüstungsbefürwortenden Regierungspartei entwickelt.
Ich bin der Meinung: Menschenrechte können nicht herbeigebombt werden. Aus diesem Grund habe ich meinen Parteiaustritt aus den GRÜNEN erklärt.
Mit ihrer mehrheitlich erteilten Zustimmung konnte die unter Bundeskanzler Kohl und Verteidigungsminister Rühe eingeleitete Umstrukturierung der
Bundeswehr von einer Verteidigungs- in eine Angriffsarmee unter Bundeskanzler Schröder, Verteidigungsminister Scharping und Außenminister Fischer
vollendet werden. Heute zeigt sich dreierlei:
1. Die Umstrukturierung der Bundeswehr war und ist ein aktiver Beitrag zur Kriegsführung.
2. Der völkerrechtswidrige Kampfeinsatz im Kosovo konnte seitens der Bundesregierung nur durch eine Vielzahl verfälschter Darstellungen und offensichtlicher Lügen -
z.B. Scharpings "Hufeisenplan" - durchgesetzt werden. Genau aus diesem Grund unterstütze ich die Kampagne
der Friedensinitiative Nottuln zur Einrichtung eines "Untersuchungsausschusses zum
Krieg in Jugoslawien".
3. Menschenrechte lassen sich nicht mit militärischen Mitteln erzwingen - weder in Tschetschenien noch im Kosovo! Denn Gewalt erzeugt neue Gegengewalt.
Mit ihrem vorgetäuschten Anspruch, global "Frieden und Menschenrechte" mit militärischen Mitteln durchsetzen zu wollen, befürworten die NATO-Staaten - allen voran
die USA - Militäreinsätze in aller Welt. Wohin diese so genannten "humanitären Interventionen" führen, hat sich bereits 1993/1994 beim UNOSOM-II-Einsatz in Somalia
gezeigt. Militärs von NATO- und Nicht-NATO-Staaten versuchten, so ihre Begründung, den Menschen in Somalia zu helfen, die unter dem grausamen Bürgerkrieg
im Land zu leiden hatten. 1.700 Bundeswehrsoldaten eines Nachschub- und Transport- bataillons sollten eine indische Brigade versorgen. Da nur 3 indische Soldaten
eintrafen, grub die Bundeswehr in Belet Huen Brunnen und errichtete ein Feldlazarett. Die beträchtliche Mititärpräsenz der US-Army erklärte sich vor allem auf Grund
der riesigen Erdölreserven, die in Somalia vermutet wurden. US-Erdölkonzerne hatten sich die Förderrechte für weite Teile des Landes gesichert. Wie wenig das
Menschenrechtsargument in Wirklichkeit eine Rolle spielt, zeigt sich im Fall rohstoffarmer Länder, wie dem Sudan. Dort tobt seit Jahrzehnten ein von der UNO und der
NATO unbeachteter Bürgerkrieg.
Was hat das alles mit dem Thema "Rüstungsexporte" zu tun? In Somalia existiert keine einzige Waffenfabrikationsanlage. Ausnahmslos alle Waffen sind importiert
worden. Im Handfeuerwaffenbereich handelt es sich dabei vor allem um das M16-Gewehr der Amerikaner, die Kalashnikow der Russen oder Chinesen, die UZI der Israelis,
die FN FAL der Belgier und das G3-Gewehr der Deutschen. Mit diesen Maschinenpistolen und Schnellfeuergewehren führen verfeindete Clans seit Jahrzehnten Krieg
gegeneinander. Neun von zehn Opfern dieses und anderer Kriege - in der Militärsprache "Weichziel" oder "Kollateralschaden" genannt - sind Zivilistinnen und Zivilisten:
Kinder, Frauen, alte Menschen. Die Profiteure dieses und anderer Kriege aber sind die Rüstungsproduzenten und -exporteure in den Industrieländern.
In den Jahren 1995 bis 1999 handelte sich dabei um:
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1. USA
2. Russland
3. Frankreich
4. Großbritannien
5. Deutschland
7. China
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53 Mrd $
14 Mrd $
11 Mrd $
7 Mrd $
6 Mrd $
2 Mrd $
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Ständiges Mitglied Sicherheitsrat VN
Ständiges Mitglied Sicherheitsrat VN
Ständiges Mitglied Sicherheitsrat VN
Ständiges Mitglied Sicherheitsrat VN
Mitglied Sicherheitsrat VN
Ständiges Mitglied Sicherheitsrat VN
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(Quelle: SIPRI Yearbook 2000, p. 372)
Mit anderen Worten: Die Hälfte aller Waffen, die weltweit bei Kriegen und Bürgerkriegen zum Einsatz kommen, stammt aus der Produktion US-amerikanischer
Rüstungskonzerne. Spätestens an dieser Stelle zeigt sich die Verlogenheit der so genannten "Menschenrechtspolitik" der Staaten, die als Ständige Mitglieder
im UN-Sicherheitsrat darüber entscheiden, wo eine Militärintervention zugunsten der "Menschenrechte" stattfindet - und wo nicht. Bei ihren Kampfeinsätzen
sammeln ihre Militärs genau die Waffen ein, die ihre Rüstungsindustrie zuvor gegen teures Geld geliefert hat. Denn 85 Prozent der Rüstungsexporte erfolgen
durch amerikanische, russische, französische, britische und chinesische Waffenschmieden. Wenigstens in diesem Sinne gäbe es ein durchaus ernst zu nehmendes
Argument, auch die BR Deutschland in den UN-Sicherheitsrat aufzunehmen: Dann nämlich würden die sechs Ständigen Mitglieder mehr als 90 Prozent des
Weltwaffenhandels bestimmen.
Gerade Handfeuerwaffen sind diejenigen Waffensysteme, mit denen die meisten Menschen verstümmelt oder ermordet werden. Am meisten verbreitet sind dabei
die Kalashnikow. Auf Platz 4 der "Exportschlager" im Handfeuerwaffenbereich rangiert das deutsche G3-Gewehr mit rund 7 Millionen wird Exemplaren, mit denen
bis heute weltweit gemordet wird. Kaum ein Krieg oder Bürgerkrieg findet ohne G3-Gewehre oder MP5-Maschinenpistolen von Heckler & Koch aus Oberndorf
am Neckar statt.
In der Regel schießen die verfeindeten Armeen oder Guerillaeinheiten oder Clans mit exakt den gleichen Waffen aufeinander. Dabei müssen nicht alle G3-Gewehre
aus der Oberndorfer Produktion stammen: Denn im Handfeuer- waffenbereich sind wir Deutsche Weltmeister!
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Lizenzvergabe
Waffentyp
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Jahr
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Staat
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1. G3A2, G3A3, G3A4
2. G3A3, G3P4
3. G3 (Ak4)
4. G3A4
5. G3A6
6. G3A7 (G3A3, G3A4)
7. G3
8. G3, versch. Modelle
9. G3
10. G3
11. G3A3, G3A4
12. G3A3, G3A4
13. G3, lokal modif.
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1961
1963
1964
1967
1967
1967
1969
1970
1970
1971
1977
1979
1981
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Portugal
Pakistan
Schweden
Norwegen
Iran
Türkei
Saudi-Arabien
Großbritannien
Frankreich
Thailand
Griechenland
Mexiko
Birma (Myanmar)
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(J. Grässlin, RIB-Archiv)
Kein anderes Land hat derart viele Lizenzen vergeben, wie die BR Deutschland. Diese Rüstungsexportpolitik ist verwerflich und inhuman! Wer - wie die
CDU-CSU-SPD-FDP- geführten Bundesregierungen - in den 60er, 70er und 80er Jahren den Lizenzvergaben zugestimmt hat, der trägt massive Mitschuld am
millionenfachen Morden mit G3-Gewehren in aller Welt!
Direktexporte und Lizenzvergaben sind aktive Beihilfe zum Völkermord in Staaten Afrikas, Lateinamerikas oder Asiens! In der Türkei tobt seit Jahren ein tödlicher
Bürgerkrieg. Er ist Ursache für die Flucht von Hunderttausenden von Menschen. Dieser Fakt ist keine Überraschung, denn wer Waffen sät, wird Flüchtlinge ernten.
Bereits im Januar 1993 habe ich mit Freundinnen und Freunden der Friedens- und Menschenrechtsbewegung 1 Strafanzeige wegen Beihilfe zum Völkermord
durch Rüstungsexporte in die Türkei gestellt. Wir begründeten damals unsere Strafanzeige mit folgenden Argumenten, ich zitiere: “Mitten in Europa herrscht Krieg - doch
niemand sieht hin.”(Vorwort der Broschüre zur Strafanzeige)
"Eine Zurückweisung der Strafanzeige wäre ein weiterer Beweis für die Doppelmoral der deutschen Politik und Gerichtsbarkeit, die von internationaler Geltung der
Menschenrechte... spricht, aber gleichzeitig die eigenen Kriegsverbrecher ungestraft weiter Beihilfe zum Völkermord am kurdischen Volk leisten lässt." (Vorwort der
Broschüre zur Strafanzeige)
"Die deutsche Wirtschaft ist bereit, immer wieder aufs Neue zu beweisen, dass sie zugunsten des eigenen Profits in Kauf nimmt, über Leichen zu gehen." (Stellungnahme
der Pressekonferenz vom 26. Februar 1993 über die "Strafanzeige wegen Beihilfe zum Völkermord")
Unsere Forderungen lauteten damals:
"Beendigung der Unterstützung von Völkermord und Kriegsverbrechen am kurdischen Volk! Keine weiteren Rüstungsexporte in die Türkei! Stoppt die Rüstungs- produktion!"
(Stellungnahme zur Pressekonferenz vom 26. Februar 1993 über die "Strafanzeige wegen Beihilfe zum Völkermord")
Alle diese Aussagen stammen von Angelika Beer, damals Mitglied im Bundesvorstand der GRÜNEN. Sie haben bis heute nichts an ihrer Gültigkeit verloren.
Heute sind SPD und GRÜNE an der Regierung. Viele von uns haben sie am 27. September 1998 gewählt, weil sie uns versprochen haben, die menschenverachtende
Rüstungsexportpolitik zu beenden. Ich selbst war 1994 und 1998 Bundestagskandidat der GRÜNEN. Mit den neuen "Politischen Grundsätzen" für den Kriegswaffenexport
vom Januar 2000 schien der Durchbruch geschafft. Seither heißt es: "Der Beachtung der Menschenrechte im Bestimmungs- und Endverbleibsland wird bei den
Entscheidungen über Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern besonderes Gewicht beigemessen." Weiter: "Der Export von Kriegswaffen wird nicht
genehmigt, es sei denn, dass im Einzelfall besondere außen- und sicherheitspolitische Interessen der Bundesrepublik Deutschland unter Berücksichtigung der
Bündnisinteressen für eine ausnahmsweise zu erteilende Genehmigung sprechen."
Was so schön klingt, hat sich längst als Seifenblase entpuppt. Denn der Nachsatz der "ausnahmsweise zu erteilenden Genehmigung" entwickelt sich zusehends zum Türöffner.
Waffen für Bosnien, Kroatien, Israel, Saudi-Arabien oder Indonesien sind nach dieser Definition auch zukünftig möglich - vor allem dank der SPD, ihrem rüstungskonformen
Kanzler sowie den Lobbyisten im Verteidigungs- und Wirtschafts-Ministerium. Sprengstoff pur bergen geplante Panzer-, Hubschrauber- und Gewehr-Lieferungen an die Türkei,
zugleich NATO-Partner und einer der schlimmsten Menschenrechts-Verletzer weltweit. Dem türkischen Militär fehlt derzeit das Geld, die 1.000 Leopard-II-Panzer
"Made in Germany" zu ordern.
Die Zahlen des Rüstungsexportberichts von 1999 sprechen für sich: Unter Rot-Grün verdoppelte sich die Zahl deutscher Rüstungsexporte von 1997 auf 1999, wobei diesmal
noch Altlasten der Regierung Kohl mitgerechnet werden. Die Türkei - nach wie vor Krisen- und Kriegsgebiet - liegt mit Waffentransfers in Höhe von rund 1,9 Milliarden DM
mit deutlichem Abstand an erster Stelle der Empfängerländer. Die Sachlage als solche aber hat sich verschärft: Unter Rot-Grün morden mehr deutsche Waffen und deutsches
Geld in aller Welt!
Mittlerweile hat der Bundessicherheitsrat die Lieferung einer Munitionsfabrik der deutschen Rüstungsfirma Fritz Werner in die Türkei genehmigt. Bundesaußenminister
Joschka Fischer hat dagegen votiert und ansonsten geschwiegen. Angelika Beer - mittlerweile Obfrau der GRÜNEN im Verteidigungs- ausschuss - und ihre Fraktionskolleginnen
und -kollegen haben auch diesen Rüstungsexport schulterzuckend akzeptiert. Unsere Botschaft an die heutige Bundesregierung ist die gleiche, wie die von 1993:
Sollte diese menschenverachtende Rüstungsexportpolitik in die Türkei und an menschenrechtsverletzte Regime nicht gestoppt werden, dann werden wir wieder
Strafanzeige stellen müssen - diesmal gegen Rot-Grün. Denn deutsche Munition aus deutschen Gewehrläufen war und ist eine todsichere Form der Beihilfe zum Völkermord
an Kurdinnen und Kurden.
Weitere Rüstungsexporte an das menschenrechtsverletzende türkische Militär sind geplant, womöglich sogar eine Lizenzvergabe für das neue Gewehr G36 der Oberndorfer
Waffenschmiede Heckler & Koch.
Ich möchte euch heute bitten, unsere Resolution gegen das G36 zu unterstützen:
"Seit Jahrzehnten kommen G3-Schnellfeuergewehre der deutschen Waffenfirma Heckler & Koch über Direktexporte und Lizenzproduktionen weltweit zum tödlichen
Einsatz in Kriegen und Bürgerkriegen. Das Nachfolgemodell G36 ist bei der Bundeswehr eingeführt. Im Sinne einer vorbeugenden Friedenspolitik fordern wir die
Bundesregierung auf, ihre rechtlichen und politischen Mittel auszuschöpfen, um Direktexporte und Lizenzvergaben für das G36-Gewehr zu verhindern."
Denn unsere Werte sind nicht militärischer Machterhalt oder wirtschaftliche Interessen - sondern Toleranz, Mitmenschlichkeit, Humanität und Gerechtigkeit.
Unser Ziel ist der Ausstieg aus der Rüstungsproduktion und die Umstellung auf eine sinnvolle zivile Fertigung (Rüstungskonversion).
Wer Frieden schaffen will, muss Frieden organisieren und finanzieren. Den Weg dorthin weist FÜNF FÜR FRIEDEN. Diese internationale Abrüstungsinitiative - unterstützt
vom Friedensnobelpreisträger José Ramos-Horta, der DFG-VK, von vielen weiteren Friedensorganisationen und Einzelpersonen - fordert die stufenweise Senkung der
Militär- und Rüstungshaushalte um mindestens fünf Prozent pro Jahr.
Die FÜNF-Dividende benötigen wir für
- die Beseitigung des Hungers
- den Erhalt und Ausbau von Bildungs- und Gesundheitssystemen.
- die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit,
- Frauenförderprogramme
- die Sicherung sozialstaatlicher Aufgaben
- den Abbau der Militärapparate
- die Umschulung von Soldaten
- die Rüstungskonversion.
Wir wollen handeln! Helft uns dabei! Unterstützt die internationale Abrüstungsinitiative FÜNF FÜR FRIEDEN!
Von der Bundesregierung fordern wir:
- Die Verwirklichung der Menschenrechte mit einer glaubwürdigenMenschenrechtspolitik!
- Die Öffnung der Grenzen für Flüchtlinge - und nicht für Waffen!
- Den Einsatz für die Opfer von Kriegen ein und nicht für Arbeitsplätze in der deutschen Rüstungsindustrie!
- Vor allem aber: den Stopp aller Rüstungsexporte!
Jürgen Grässlin
Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK)
Sprecher der Kritischen AktionärInnen DaimlerChrysler
Mitglied im Vorstand des Rüstungs-Informationsbüro Baden-Württemberg (RIB e.V.)
e-mail: j.graesslin@gmx.de
1 Strafanzeige stellten u.a.:Angelika Beer (Die Grünen), Hans Branscheid (Medico international), Ulla Jelpke (PDS), Jürgen Grässlin
(Rüstungs-Informationsbüro RIB), Christiane Urban (BUKO), Holger Rothbauer
(Kritische Daimler-Aktionäre), verschiedene Rechtsanwaltsverbände