Jürgen Grässlin: 'Ferdinand Piech.
Techniker der Macht.'
Droemer 2000
Wieder gibt es ein Buch des Freiburger Autors Jürgen Grässlin, wieder widmet er sich einem führenden Manager eines deutschen Großunternehmens:
Ferdinand Piech, Vorstandsvorsitzender des Volkswagen-Konzerns.
Für sein erfolgreiches Porträt des DaimlerChrysler Vorstandsvorsitzenden Schrempp, “Herr der Sterne”, hatte er von linker Seite viel Kritik einstecken
müssen. Zu unkritisch sei er mit dem Manager umgegangen, zu vorsichtig sei er an die Beschreibung der Zeit Schrempps als Südafrika-Chef von
Mercedes-Benz herangegangen. Mag sein, dass Grässlin diesem Vorwurf in seinem neuen Buch von vornherein jede Grundlage nehmen wollte, mag
sein, dass er mit der Person Piech äußerst kritisch umgeht, weil er keine Recherche- gespräche mit ihm selbst führen konnte, da Piech ihm diese
verweigerte - jedenfalls kann ihm mangelnde Distanz gegenüber dem VW-Mann nicht vorgeworfen werden. Grässlin enthält sich keiner Kritik an der
Person Piech, sei es an dessen rücksichtslosem Machtstreben, an seinen fragwürdigen Umgangsweisen mit Mitarbeitern oder seinem Mangel an
ökologischem Bewusstsein. Leider droht diese Kritik vereinzelt abzurutschen in eine moralisch-idealistische Bewertung der Person Piech, obwohl
dessen Verhalten und Rücksichtslosigkeit für Personen in solcher Stellung typisch und unabdingbar ist. Nicht das Handeln einer Person, sondern das
System, das sie zu solchem Handeln zwingt oder zumindest dieses Handeln voraussetzt und fördert, ist zu kritisieren.
Nichtsdestotrotz informiert Grässlin umfassend über die Geschichte eines Managers, der, aus dem Porsche-Piech-Clan stammend, von Geburt an die
Geschichte des VW-Konzerns begleitet hat. Das Buch wird so zur Darstellung der Geschichte eines der größten europäischen Industriekonzerne, zu
einer pointierten Beschreibung kapitalistischer Konkurrenz-, Konzentrations- und Verdrängungsprozesse aus ganz spezifischem Blickwinkel.
Grässlin beschreibt zunächst die unrühmliche Rolle, die der Konzern und der Piech-Großvater Ferdinand Piech im Dritten Reich gespielt haben. Sei es
die Beschäftigung von Zwangsarbeitern, die Produktion von Rüstungsgütern oder die Verflechtung der damaligen Volkswagen-Führung mit den
Nazi-Eliten - nichts bleibt außen vor. Er macht nicht den Fehler, Piech eine Art Erbsünde zuzuschreiben, wohl aber kritisiert er zu Recht dessen
fragwürdigen Umgang mit der Vergangenheit der eigenen Familie und des VW-Konzerns, insbesondere im Umgang mit der Entschädigung der
ehemaligen Zwangsarbeiter.
Ein großes Kapitel behandelt die Affäre um den spanischen Manager und Zulieferer-Schreck Lopez, der von General Motors zu VW wechselte und der
bei dieser Gelegenheit gleich Akten in großem Stil mitgehen ließ. Das (positiv ausgedrückt) blinde Vertrauen Piechs in Lopez, das ihn wohl beinahe den
Job gekostet hätte, ist kaum zu erklären - auch Grässlin beschränkt sich weitgehend auf das Beschreiben der spannenden Geschehnisse um die größte
Affäre um Industriespionage aller Zeiten.
Unter anderem im Zusammenhang mit dem Vier-Tage-Modell bei VW wird die Kungelei von Betriebsräten bei VW, Gewerkschaftern der IG Metall und der
VW-Führung geschildert. Nicht immer verhielten sich die Spitzen der ArbeitnehmerInnen solidarisch und kritisch, nicht selten dominierten die
Eigeninteressen die Interessen der zu Vertretenden.
Ein besonderes Interesse dürfte Grässlin, ehemaliges Mitglied der Grünen und noch 1998 Bundestagskandidat der Ex-Öko-Partei, an dem Kapitel über
die durch Deutschland gekippte Altautoverordnung der Europäischen Union gehabt haben. Piech, zu jener Zeit Vorsitzender einer europäischen
Vereinigung von Autoproduzenten, brachte seinen alten Bekannten, das Ex-Aufsichtsratsmitglied und heutigen Autokanzler Schröder dazu, dessen
Umweltminister Trittin die Anweisung zu geben, in der Runde der Umweltminister der EU die Altautoverordnung in der strikten und für Autohersteller
teuren Fassung zu kippen. Beide Automänner triumphierten, die Grünen als Regierungspartei tragen Mitverantwortung, dass länger als ursprünglich
vorgesehen Altautos in Flüssen und Seen versenkt oder zur billigen Entsorgung nach Osteuropa verkauft werden. Der Techniker der Macht hatte wieder
einmal gesiegt.
Das flüssig geschriebene Buch gewährt einen tiefen Einblick in die Geschichte eines großen deutschen Industriekonzerns, in die Gepflogenheiten
kapitalistischer Managementkreise und die Abhängigkeit der Politik von diesen sowie in die Arroganz und Intrigen einer europäischen Industriedynastie.
Grässlin macht deutlich: Piech ist nicht irgendwer, VW ist nicht irgendein Konzern. Prädikat lesenswert.
Rezension von: Patrick Schreiner
aus: 'Stattzeitung für Südbaden'
mit Dank für die Erlaubnis zur Nachveröffentlichung