von Jürgen Grahl
Lieber Herr Schramm,
Besten Dank für Ihre wohlwollende
Besprechung meines "Reform"-Artikels. In einigen Punkten
haben Sie mich allerdings missverstanden; daher folgende
Erläuterungen:
(Im folgenden sind die zitierten Passagen aus dem Diskussionsbeitrag von Klaus Schramm in roter Schrift
wiedergegeben.)
3. Er beleuchtet das Verhältnis der Produktionsfaktoren
Energie und Arbeit: Während Arbeit ohne (nennenswerte)
Effektivitätssteigeung teurer wird, steigt zugleich die
Produktionsmächtigkeit des Faktors Energie. Pro
eingesetzter Kilowattstunde (ob nun Strom, auf diese
Einheit umgerechnetes Heizöl oder was auch immer) kann
mehr produziert oder mehr Dienstleistung angeboten
werden.
Sie verstehen Produktionsmächtigkeit (PM) offenbar im Sinne
von Produktivität (d.h. Verhältnis von Wertschöpfung zu
Faktoreinsatz). Das ist NICHT gemeint; PM (oder genauer
Produktionselastizität) bedeutet die Empfindlichkeit, mit
der Veränderungen im Faktoreinsatz die Wertschöpfung
beeinflussen. Eine PM von 0 Prozent bedeutet, dass die
Wertschöpfung völlig unabhängig von dem betreffenden Faktor
ist (dieser also irrelevant ist), eine PM von 100 Prozent
bedeutet, dass eine kleine (z.B. 1-prozentige) Erhöhung des
Faktoreinsatzes voll auf die Wertschöpfung durchschlägt,
diese also um ebenfalls (z.B. 1 Prozent) wachsen lässt; eine PM von
40% bedeutet entsprechend, dass bei 1Prozent Mehreinsatz des
Faktors die Wertschöpfung um 0,4 Prozent wächst usw. In diesem
Sinne können die PM als Maß für die "Wichtigkeit" der
einzelnen Faktoren für die Wertschöpfung betrachtet werden
- und als Maß für das "Gewinnsteigerungspotential" der
einzelnen Faktoren. Im Text ist auch nicht von steigender
PM der Energie die Rede, sondern von hoher PM (44 Prozent); über
die zeitliche Entwicklung treffe ich keine Aussage.
Die (Arbeits- bzw. Energie-)Produktivität hingegen ist ein
sehr schlechter Maßstab für die Bedeutung eines Faktors:
Wenn dieser vollständig substituiert wird durch andere
Faktoren, geht seine Produktivität gegen Unendlich! (So
bedeutet der Marsch in die maximale Automation, dass die
Arbeitsproduktivität immer weiter ansteigt. Daraus wird von
den Gewerkschaften etc. der Anspruch abgeleitet, die Löhne
entsprechend der gestiegenen Produktivität zu erhöhen - und
dabei verkannt, dass sich hierin nur die zunehmende
Entbehrlichkeit und Verdrängung des Faktors Arbeit
widerspiegelt, was die Durchsetzbarkeit dieses Anspruchs
zunehmend illusorisch macht.)
Es ist selbstverständlich, daß in einer
profitorientierten Wirtschaft in energieeffizientere
Verfahren investiert wird, statt in Arbeitsplätze.
Meinen Sie hier nicht "energieintensiv" statt "-effizient"?
Denn zwar steigt die Energieeffizienz AUCH, aber nur
relativ langsam - sie hinkt weit hinter dem technisch
Möglichen hinterher, als Folge der niedrigen Energiepreise.
Die dominierende Entwicklung ist das Wegrationalisieren der
Arbeit, nicht das der Energie. Unter der Annahme, dass Sie
dies auch so gemeint haben, ist einzuwenden, dass diese
Entwicklung kein inhärentes Wesensmerkmal einer
profitorientierten Wirtschaft ist, sondern durch das
beschriebene Ungleichgewicht zwischen Arbeit / Energie
bedingt: Das Verhältnis zwischen PM und Kosten ist bei der
Energie um den Faktor ca. 60 günstiger als bei der Arbeit!
Wäre es umgekehrt, dann würde die Entwicklung völlig anders
verlaufen: Man würde gerade aus Gründen der
Profitmaximierung Energie durch Arbeit ersetzen (was wir
natürlich nicht beabsichtigen - es soll nur ein
Gedankenexperiment sein.)
Selbst wenn es gelänge, Energie durch Besteuerung teurer
zu machen, würde sich dieser Prozeß beschleunigen. Denn
umso attraktiver wäre es, energieeffizientere Verfahren zu
investieren und umso schneller ginge die Zahl der
Arbeitsplätze zurück.
??? Weshalb sollte eine Steigerung der Energieeffizienz mit
einem sogar noch BESCHLEUNIGTEN Verlust an Arbeitsplätzen
verbunden sein? In Einzelfällen mag dies zutreffen, aber
nicht im Durchschnitt. Im Gegenteil, in vielen Fällen würde
das Wegrationalisieren menschl. Arbeit unterbleiben, weil
diese konkurrenzfähiger gegenüber der Energie würde. Zudem
sind die Arbeitsplätze zu bedenken, die in anderen
Bereichen (Bildung, Gesundheit, Pflege) neu entstehen
können und dort auch dringend benötigt werden, sich heute
aber nicht "rechnen". Das ist eigtl. der wichtigere Effekt,
denn wie Sie ja selbst vermerken, geht es uns nicht um ein
Rückgängigmachen der industr. Revolution.
A Die Illusion der "ökologischen" (von J. Grahl selbst in
Anführungszeichen gesetzt) Steuerreform.
In den letzten
Jahren erfolgten minimale Erhöhungen der Mineralöl- und
anderer Energiesteuern. Diese wurden um ein Vielfaches
durch gleichzeitige und mehrmalige Preiserhöhungen
übertroffen.
Darüber, wie unzureichend die bisherigen Ökosteuerschritte
waren, sind wir uns einig. Das spricht aber nicht gegen das
Konzept als solches. Wenn ich von der ÖSR rede, dann meine
ich damit nicht primär die rotgrüne ÖSR, sondern unser
idealtypisches Konzept, das im übrigen weit über die
üblichen ÖSR-Konzepte hinausgeht, vgl. z.B. den Artikel
"Agenda 2009" von W. v. Fabeck auf unserer Homepage
(www.sfv.de, Anm. v. K.S.)
, in dem
wir - wiederum "nur" als Gedankenexperiment - den Fall
betrachtet haben, dass die gesamten (!) Steuern und Abgaben
auf die Energie umgelegt werden. Dass es bis zur Umsetzung
dieses im besten Wortsinne radikalen Konzeptes ein weiter
Weg ist, darüber gebe ich mich keinen Illusionen hin.
Dass ich "ökolog." bei "ÖSR" in Anführungszeichen setze, ist
übrigens nicht abwertend gemeint, sondern nur ein
Seitenhieb darauf, dass über der zumeist ökolog. Begründung
der ÖSR ihre wirtschaftlichen und sozialen Chancen
übersehen werden. Daher gefällt mir die Terminologie der
ÖDP besser: "Steuerreform für Arbeit und Umwelt".
Es ist eine Illusion zu meinen - aus
Vernunftgründen, statt aufgrund gesellschaftlicher
Kräfteverhältnisse - könne noch draufgesattelt und die
(längst aufgegebene) "soziale Marktwirtschaft" zur
"öko-sozialen Marktwirtschaft" aufgestockt werden.
Ich habe nirgends behauptet, dass Vernunftgründe allein die
notwendigen Veränderungen herbeiführen können; das wäre in
der Tat illusorisch. Aber auch wenn man die Veränderungen
durch Druck von unten erzwingen will, muss man dafür ein
realpolitisch taugliches Konzept haben, und dazu bedarf es
nun einmal breitangelegter Aufklärungsarbeit.
Das dieses Wirtschaftssystem konstituierende "kurzsichtige
Profitstreben" steuert die gesamte Weltwirtschaft (d.h.
die verflochtene Wirtschaft der gegenwärtig zehn
Industrie-Nationen) unweigerlich in den Kollaps. Ob
dieser bereits in naher Zukunft oder erst in Jahrzehnten
eintreten wird, bleibt der Spekulation überlassen.
Ich kann Ihren Pessimismus gut verstehen, aber er hilft uns
nicht weiter. Im Gegenteil, dieser Pessimismus und die mit
ihm einhergehende Mut- und Perspektivlosigkeit ist wohl der
Hauptgrund, weshalb sich heute kaum noch jemand engagiert -
und damit wird der Pessimismus zur sich selbst erfüllenden
Prophezeiung!
Herzliche Grüße,
Jürgen Grahl