29.07.2002

Diskussionsbeitrag
von Adriana Ascoli

Inkonsequenz und Verdienst

Dieses Interview ist in zweierlei Hinsicht wertvoll: Es erhellt einerseits den Hintergrund der - zumindest mir - bisher unverständlichen Inkonsequenz von Günter Grass. Einerseits trat er wegen der Abschaffung des Asylrechts aus der SPD aus, andererseits macht er nun wieder Wahlkampf für "Rot-Grün". Einerseits ist er einer der wenigen Intellektuellen, die sich noch an ihr vor mehr als zehn Jahren gegebenes Versprechen erinnern, die BILD-Zeitung zu boykottieren, andererseits macht er sich zum Affen bei der Financial Times Deutschland, deren RedakteurInnen sich wohl vor Lachen gekringelt haben...

Wenn wir uns die Geschichte der grauenhaften Revolutionen, der Französischen oder der Oktober-Revolution anschauen, mag mensch wirklich nicht urteilen, ob die realen oder nur verhießenen Fortschritte die Verluste an Menschenleben aufwiegen. Ich jedenfalls hoffe keinesfalls auf eine Revolution zur Ablösung des Kapitalismus. Statt eines plötzlichen Zusammenbruchs scheint mir eher ein allmähliches Absterben wünschenswert, das Zeit läßt, evolutionär eine neue menschliche, in Einklang von Emotionalität und Rationalität erwachsende, Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung entstehen zu lassen und mitzugestalten.

Zum zweiten müßten wir jeder Anhängerin und jedem Anhänger von attac dieses Interview unter die Nase halten - denn bisher können sie sich in vornehmer Zurückhaltung vor einer Aussage zur Bundestagswahl drücken. Nicht ohne Grund, denn attac setzt ja in seinen zentralen Forderungen auf die Illusion, daß der Kapitalismus zu zähmen sei. Von wem dies zu geschehen habe, bleibt wundersam nebulös. Daß Günter Grass den Adressaten dieser Knabenmorgen- blütenträume benennt, ist ein Verdienst.

 

Adriana Ascoli

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