Dieses Interview ist in zweierlei Hinsicht wertvoll: Es erhellt einerseits
den Hintergrund der - zumindest mir - bisher unverständlichen
Inkonsequenz von Günter Grass. Einerseits trat er wegen der
Abschaffung des Asylrechts aus der SPD aus, andererseits
macht er nun wieder Wahlkampf für "Rot-Grün". Einerseits ist er
einer der wenigen Intellektuellen, die sich noch an ihr vor mehr
als zehn Jahren gegebenes Versprechen erinnern, die BILD-Zeitung
zu boykottieren, andererseits macht er sich zum Affen bei der
Financial Times Deutschland, deren RedakteurInnen sich wohl vor Lachen
gekringelt haben...
Wenn wir uns die Geschichte
der grauenhaften Revolutionen, der Französischen oder der
Oktober-Revolution anschauen, mag mensch wirklich nicht
urteilen, ob die realen oder nur verhießenen Fortschritte die
Verluste an Menschenleben aufwiegen. Ich jedenfalls hoffe
keinesfalls auf eine Revolution zur Ablösung des Kapitalismus.
Statt eines plötzlichen Zusammenbruchs scheint mir eher
ein allmähliches Absterben wünschenswert, das Zeit läßt,
evolutionär eine neue menschliche, in Einklang von Emotionalität
und Rationalität erwachsende, Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung
entstehen zu lassen und mitzugestalten.
Zum zweiten müßten wir jeder Anhängerin und jedem
Anhänger von attac dieses Interview unter die Nase halten -
denn bisher können sie sich in vornehmer Zurückhaltung
vor einer Aussage zur Bundestagswahl drücken. Nicht
ohne Grund, denn attac setzt ja in seinen zentralen
Forderungen auf die Illusion, daß der Kapitalismus
zu zähmen sei. Von wem dies zu geschehen habe, bleibt
wundersam nebulös. Daß Günter Grass den Adressaten
dieser Knabenmorgen- blütenträume benennt, ist ein
Verdienst.
Adriana Ascoli
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