22.07.2002

Diskussionsbeitrag
von Wolfgang Fischer

Kapitalismus - wahnsinnige
Utopie mit Todesfolge

Klaus Schramm schrieb:
Über das Thema haben wir ja schon ein paar mal geredet. Günter Grass ist nach wie vor einer der hellsichtigsten deutschen Intellektuellen (siehe zB. die Rede vor dem Europaparlament, die auf www.netzwerk-regenbogen.de veröffentlicht ist) - er zieht nur die falschen Schlüsse daraus und verhebt sich dazu noch

darin stimme ich mit Dir überein. Solange wir den Mechanismen nicht auf den Grund gehen und sie dort auch korrigieren, wird sich nichts ändern. Da helfen auch die Worte von sogenannten Intellektuellen nicht weiter. Auch Popper mit seiner These von der systemeigenen Fehlerkorrektur wird ja gern zitiert, um die 'unsichtbar regelnde Hand' des Marktes zu belegen. Hierzu meine Gegenposition:

Sir Karl Popper übersah bei seiner These zur systemeigenen Fehlerkorrektur das evolutionär geschaffene Potenzial des Menschen Freiheit, zu sehen oder die (Ein-)Sicht zu verweigern.

Die systemeigene Fehlerkorrektur funktioniert nämlich nur dann, wenn das Sensorium nicht taub, blind oder sonst wie abgeschaltet ist. Hier gilt es anzusetzen, denn unser Sensorium ist in der gegenwärtigen Gesellschaft gewaltbereiter, neoliberal-kapitalistischer Orientierung und Prägung zumindest in Trance, wenn nicht gar abgeschaltet. Die dem System zugesprochene Korrekturautomatik versagt: Obwohl wir sehen und erleben, dass durch das WTO-gesteuerte Weltwirtschaftssystem Schaden angerichtet wird, verharren wir wie der von der Schlange hypnotisierte Hase erstarrt und reagieren nicht mit unseren Instrumenten alternativer Möglichkeiten des Wirtschaftens.

Wären unsere Gesellschaften tatsächlich demokratisch offen und frei, so gäbe es einen fließenden Ausgleich gefährlich werdender Potenziale mithilfe aller möglichen Alternativen! Doch das totalitär organisierte System der Interessen Weniger gegen die Interessen der Mehrheit ist starr und tödlich. Es verhindert jegliche soziale Höherentwicklung und damit eine für alle Beteiligten bessere Welt.

Tatsächliche Gewalt sichert das Ausbeuten der Ressourcen selbst der Folgegenerationen und mentale Manipulation verhindert das Erkennen der Gefahren und damit den breiten Widerstand als Beginn des Korrektivs.

> Es mag verfrüht sein, das Zusammenbrechen des Kapitalismus zu prophezeien. Zu oft schon hat er seine Untergangs-Propheten durch eine unglaubliche Zähigkeit und Erneuerungsfähigkeit eines schlechteren belehrt. Aber auch ich meine, es rumpelt kräftiger in der Kiste und knirscht ächzender im Gebälk als je zuvor. Auch habe ich ja schon gesagt, daß es einigen Grund zu Angst gibt. Denn immer in der Geschichte war das Absterben eines alten und die Geburt eines neuen Systems von viel Blutvergießen und Schrecken begleitet, WENN die Menschen nicht fähig waren im Sinne einer Hebammen tätigkeit das Neue vorzubreiten und ihm den Weg zu bahnen.

Ich schätze es handelt sich bei geschichtlichen Abläufen um Flüsse mit derart großen Kräften, daß sie weder willkürlich eingeleitet, noch verhindert werden können - insofern meine ich, daß Grass sich mit seinem Apell an Rot-grün verhebt, ganz abgesehen davon, daß die Adressaten seines Apells eh völlig die falschen und völlig kraft- und machtlos sind.

Und letztlich finde ich eine Überlegung entscheidend: Mit dem Kapitalismus wird ein globaler Untergang der gesamten Menscheit, unserer Zivilisation und nicht zuletzt das Sterben zumindest aller "höheren" Lebensformen, wenn auch vielleicht erst in 100 oder 200 Jahren unvermeidlich sein, während etwas neues zumindest die Chance auf ein Überleben und die Realisierung von Utopien, also Hoffnung, bietet.

Der Kapitalismus ist die Utopie, eine wahnsinnige Utopie mit Todesfolge, das sagt auch Amery. Da bin ich nicht für Retten, sondern eher für Alternativen und setze mit Dir auf Hoffnung, allerdings brauchts zu deren Realisierung Widerstand und Korrektur - viel Arbeit noch also!

Packen wir's an - ciao

Wolfgang

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