Klaus Schramm schrieb:
Über das Thema haben wir ja schon ein paar mal geredet. Günter Grass ist
nach wie vor einer der hellsichtigsten deutschen Intellektuellen (siehe
zB. die Rede vor dem Europaparlament, die auf www.netzwerk-regenbogen.de
veröffentlicht ist) - er zieht nur die falschen Schlüsse daraus und verhebt
sich dazu noch
darin stimme ich mit Dir überein. Solange wir den Mechanismen nicht auf
den Grund gehen und sie dort auch korrigieren, wird sich nichts ändern.
Da helfen auch die Worte von sogenannten Intellektuellen nicht weiter.
Auch Popper mit seiner These von der systemeigenen Fehlerkorrektur wird
ja gern zitiert, um die 'unsichtbar regelnde Hand' des Marktes zu
belegen. Hierzu meine Gegenposition:
Sir Karl Popper übersah bei seiner These zur systemeigenen
Fehlerkorrektur das evolutionär geschaffene Potenzial des Menschen
Freiheit, zu sehen oder die (Ein-)Sicht zu verweigern.
Die systemeigene Fehlerkorrektur funktioniert nämlich nur dann, wenn das
Sensorium nicht taub, blind oder sonst wie abgeschaltet ist. Hier gilt
es anzusetzen, denn unser Sensorium ist in der gegenwärtigen
Gesellschaft gewaltbereiter, neoliberal-kapitalistischer Orientierung
und Prägung zumindest in Trance, wenn nicht gar abgeschaltet. Die dem
System zugesprochene Korrekturautomatik versagt: Obwohl wir sehen und
erleben, dass durch das WTO-gesteuerte Weltwirtschaftssystem Schaden
angerichtet wird, verharren wir wie der von der Schlange hypnotisierte
Hase erstarrt und reagieren nicht mit unseren Instrumenten alternativer
Möglichkeiten des Wirtschaftens.
Wären unsere Gesellschaften tatsächlich demokratisch offen und frei, so
gäbe es einen fließenden Ausgleich gefährlich werdender Potenziale
mithilfe aller möglichen Alternativen! Doch das totalitär organisierte
System der Interessen Weniger gegen die Interessen der Mehrheit ist
starr und tödlich. Es verhindert jegliche soziale Höherentwicklung und
damit eine für alle Beteiligten bessere Welt.
Tatsächliche Gewalt sichert das Ausbeuten der Ressourcen selbst der
Folgegenerationen und mentale Manipulation verhindert das Erkennen der
Gefahren und damit den breiten Widerstand als Beginn des Korrektivs.
> Es mag verfrüht sein, das Zusammenbrechen des Kapitalismus zu prophezeien.
Zu oft schon hat er seine Untergangs-Propheten durch eine unglaubliche
Zähigkeit und Erneuerungsfähigkeit eines schlechteren belehrt. Aber auch
ich meine, es rumpelt kräftiger in der Kiste und knirscht ächzender im
Gebälk als je zuvor. Auch habe ich ja schon gesagt, daß es einigen Grund
zu Angst gibt. Denn immer in der Geschichte war das Absterben eines alten
und die Geburt eines neuen Systems von viel Blutvergießen und Schrecken
begleitet, WENN die Menschen nicht fähig waren im Sinne einer Hebammen
tätigkeit das Neue vorzubreiten und ihm den Weg zu bahnen.
Ich schätze es handelt sich bei geschichtlichen Abläufen um Flüsse mit
derart großen Kräften, daß sie weder willkürlich eingeleitet, noch
verhindert werden können - insofern meine ich, daß Grass sich mit
seinem Apell an Rot-grün verhebt, ganz abgesehen davon, daß die
Adressaten seines Apells eh völlig die falschen und völlig kraft-
und machtlos sind.
Und letztlich finde ich eine Überlegung entscheidend: Mit dem Kapitalismus
wird ein globaler Untergang der gesamten Menscheit, unserer Zivilisation
und nicht zuletzt das Sterben zumindest aller "höheren" Lebensformen,
wenn auch vielleicht erst in 100 oder 200 Jahren unvermeidlich sein,
während etwas neues zumindest die Chance auf ein Überleben und die
Realisierung von Utopien, also Hoffnung, bietet.