Freiburger Gericht verbietet Mobilfunk-Sendeanlage
Am 20.12.2000 verkündete das Amtsgericht Freiburg ein Urteil, das erstmals in Deutschland die elektromagnetische Strahlung ("Elektrosmog") einer
Mobilfunk-Sendeanlage als potentiell gesundheitsgefährlich einstuft.
In diesem Fall ging es um die Klage eines schwerkranken, bettlägrigen und von einem lebensnotwendigen Herzschrittmacher abhängigen Mieters,
dessen Vermieter fünf Meter oberhalb des Bettes des Klägers eine Mobilfunk- Sendeanlage installieren wollte. Dies entspricht den gültigen
Sicherheitsentfernungen, wie durch eine Standort- bescheinigung der Regulierungsbehörde bestätigt wurde.
Das Gericht kam dennoch zu dem Schluss, dass "eine konkrete Gefährdung" des Mieters trotz Einhaltung dieser Sicherheitsabstände
"wahrscheinlich erscheint" und gab der Klage statt.
Der Vermieter sowie die Betreiberin der Mobilfunk-Sende- anlage sind inzwischen in Berufung gegangen.
Quelle: BUND Regionalverband Südlicher-Oberrhein
Urteil des Amtsgerichts Freiburg
Amtsgericht Freiburg
Holzmarkt 2, 79098 Freiburg i.Br
Telefax: 0761/205-1800,
Telefon: 205-1425 u. 1424
4 C 717/00
Verkündet am 20.12.2000
RiAG
und zugleich als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
in Sachen Kläger (Anonym) gegen Beklagter (Anonym) wegen Unterlassung
hat das Amtsgericht Freiburg i.Br.
durch Richter am Amtsgericht
auf die mündliche Verhandlung vom 15.12.2000 für Recht erkannt:
- l. Der Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines Ordnungsgeldes bis 500.000,00 DM, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs
Monaten zu unterlassen, einen Betriebsraum für den Betrieb einer Basisstation (BTS mit Antenne - Mobilfunk-Sendeanlage) gem. Standortbescheinigung
der Regulierungsbehörde für Telekommunikation vom 26.11.1999 zu errichten und, soweit die Antennenanlage schon errichtet ist, diese in Betrieb
zu nehmen sowie Testläufe durchzuführen .
- 2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
- 3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 5.000,00 DM.
Tatbestand:
Die Kläger sind Mieter einer 3-Zimmerwohnung (mit Küche und Bad) im Dachgeschoß des Hauses des
Beklagten in (Anonym) seit 01.03.1977.
Der Kläger Ziffer 2 ist seit September 1994 aufgrund eines damals erlittenen Schlaganfalls praktisch durchgehend
bis heute halbseitig gelähmt. Er erlitt im Mai 1995, im November 1996 wie auch im November 1997 weitere Schlaganfälle. Am 04.10.1994 wurde
ein - lebenserhaltender - Herzschrittmacher implantiert. Durch den vierten Schlaganfall wurde sein Sehvermögen am rechten Auge erheblich
beeinträchtigt. Die Sehschwäche dauert bis heute an. Er ist im wesentlichen bettlägerig und seit 01.07.1996 in die Pflegestufe 2 eingeordnet.
Der Beklagte beabsichtigt, im Dachspitz über der von den Klägern bewohnten Wohnung einen
Betriebsraum für eine Antennenanlage des (Anonym)-Netzes auszubauen aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung mit der Firma (Anonym).
Die Sendeanlage wurde genehmigt durch die Regulierungs- behörde für Telekommunikation und Post, Außenstelle (Anonym), mit
Standortbescheinigung vom 26.11.1999 (As. 243/247). Die ersten Installationsarbeiten wurden im November 1999 begonnen. Die Anlage sollte im Mai 2000 in
Betrieb gehen. Aufgrund von einstweiligen Verfügungen, die die Kläger erwirkten, wurden die Bau- und Installationsarbeiten Anfang 2000 vom
Beklagten bzw. der (Anonym) eingestellt und bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht wieder aufgenommen. Der Beklagte
beabsichtigt aber weiterhin, aufgrund vertraglicher Verpflichtungen mit der (Anonym) diese Antennenanlage/Basissendeanlage von (Anonym) installieren
und in Betrieb setzen zu lassen.
Die Kläger behaupten, durch den Betrieb der Basisstation werde der dem Kläger Ziffer 2 im Oktober 1994 implantierte Herzschrittmacher
beeinflußt bzw. beinträchtigt, sowohl durch die
Probeläufe wie auch durch den normalen Betrieb. Die Kläger seien in ständiger -
nicht unbegründeter - Furcht, daß durch den Betrieb der Anlage der Herzschrittmacher ausfallen könne mit akuter Lebensgefahr für
den Kläger Ziffer 2.
Ferner behaupten die Kläger, durch den Betrieb der Sendeanlage bestehe die konkrete Gefahr körperlicher
Beeinträchtigungen der Kläger, insbesondere des Klägers Ziffer 2 wegen seiner
exponierten stationären Lage im Bereich seines Bettes im Abstand von ca. 5m unterhalb der Sendeanlage.
Die Kläger sind der Ansicht, daß der Beklagte nicht berechtigt sei, die Sendeanlage in Betrieb gehen zu
lassen mit Rücksicht auf seine mietvertraglichen Verpflichtungen sowie aus der allgemeinen Verpflichtung, Körperbeschädigungen und
Verletzungen unbeteiligter Dritter zu unterlassen (§§ 823, 1004 BGB).
Die Kläger beantragen zuletzt, [...] wie im Tenor erkannt.
Der Beklagte beantragt Klagabweisung.
Er ist der Ansicht, daß durch die Einhaltung der Sicherheitsabstände, wie sie in der Standortbescheinigung
der Regulierungsbehörde attestiert würden, nach den derzeitigen wissenschaftlich anerkannten Grenzwerten, die den heutigen Stand von Forschung und
Technik darstellten, von keiner Gesundheitsgefährdung ausgegangen werden könne.
Es wurde Beweis erhoben durch Einholung von schriftlichen Gutachten, die das Universitätsklinikum [...] am
07.05.2000 (As. 117/145) sowie Professor Dr. Ing.(Anonym), Klinikum der [...] am 15.07.2000 (As. 265/281) erstattet haben. Ferner wurden aus dem
einstweiligen Verfügungsverfahren LG Frankfurt 2 - 04 O 274/00 gutachtliche schriftliche Stellungnahmen
beigezogen von Dipl. Ing. (Anonym) vom 27.05.2000 (As. 531/543), Dr. (Anonym) - Medizinphysiker (DGMP) - Uniklinik (Anonym) vom 20.07.2000
(As. 545/559), Prof. Dr. (Anonym), Universität [...], vom April 2000 (As. 561/601) sowie Aussageprotokoll Prof. Dr. Ing. habil. med.(Anonym),
vom 27.09.2000 (As. 605/613). Diese Stellungnahmen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Ferner wird auf den Inhalt der
Verhandlungsprotokolle vom 15.03.2000 (As. 95/99), 23.06.2000 (As. 229/233), 26.07.2000 (As. 293/297), 10.11.2000 (As. 523/525) und 15.12.2000
(As. 647/649) verwiesen.
Weiterhin lag dem Gericht eine ärztliche Stellungnahme von Dr. (Anonym) vom 06.07.2000 bezüglich
des Klägers Ziffer 2 vor (Anlage zur Akte), die ebenfalls Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet. Aufgrund seiner mietvertraglichen Verpflichtungen, die u.a.
dahin gehen, Gesundheitsbeeinträchtigungen und Störungen der Kläger als Mieter zu
unterlassen, ist der Beklagte verpflichtet, die geplante Mobilfunkbasisstation nicht zu errichten bzw. durch
die in dem dafür vorgesehenen Raum im Dachspitz des Hauses oberhalb
der Wohnung der Kläger installieren und betreiben zu lassen. Aufgrund des Ergebnisses der
Beweisaufnahme steht für das Gericht fest, daß durch den Betrieb der Basisstation nicht nur
eine gesundheitliche Beeinträchtigung der Kläger, insbesondere des Klägers Ziffer 2 nicht
ausgeschlossen ist, sondern vielmehr eine konkrete Gefährdung wahrscheinlich erscheint.
1.
Wie bereits das Landgericht Frankfurt in dem Urteil vom 27.09.2000 (2-04 O 274/00, das den Parteien im Wortlaut
vorliegt) ausführlich dargelegt hat, ist die gesetzliche Festlegung der Immissionsgrenzwerte nach der 26. Bundesimmissionsschutzverordnung
(BImSchVo), auf die sich der Beklagte wegen der Zulässigkeit und Unbedenk- lichkeit der Basissendeanlage beruft, nicht ausreichend für
die Annahme einer nur unwesentlichen Beeinträchtigung der Personen, die im Nahbereich den Strahlungsbelastungen ausgesetzt sind. Die
empfohlenen Grenzwerte, die die Regulierungsbehörde bei der Standortbescheinigung berücksichtigt hat, sollen nach dem Bericht der
Strahlenschutzkommission Heft 23/1999 "dem gesicherten Wissen über akute gesundheitliche Beeinträchtigungen unter Berücksichtigung von
Sicherheitsfaktoren entsprechen". Dabei werden die Sicherheitsfaktoren unter Berücksichtigung bekannter Einflussfaktoren geschätzt und zudem
für die Festsetzung von Grenzwerten im Bereich der Hoch- frequenzbelastung als Maßstab lediglich die erzeugte Erwärmung des Gewebes
durch Absorption als Ausgangspunkt herangezogen. Insgesamt sind bei der Festsetzung der Grenzwerte mit den entsprechenden Sicherheitsfaktoren lediglich
thermische Wirkmechanismen berücksichtigt worden, nicht dagegen die nicht thermischen Einflüsse hochfrequenter Felder auf den menschlichen
Organismus. Zudem liegen - was zwischen den Parteien nach Vorlage der schriftlichen Stellungnahmen anerkannter Wissenschaftler unstreitig geblieben ist -
lediglich Ergebnisse kurzzeitiger Expositionen vor, nicht jedoch Langzeitstudien über den Einfluss von gepulsten, hochfrequenten, elektromagnetischen
Feldern, wie sie von der geplanten Sendestation ausgehen, auf den menschlichen Organismus mit befürchteten gravierenden
Gesundheitsbeein- trächtigungen mit zum Teil nachhaltigem Krankheitswert.
2.
Mit Rücksicht auf die bisher noch unerforschten Gefährdungspotentiale hochfrequenter, gepulster
Strahlungen mit biologischen Auswirkungen bei Feldstärken weit unter der
thermischen Schwelle (wie sie den derzeitigen Grenzwerten der Strahlenschutzverordnung zugrunde liegt) werden
von wissenschaftlicher Seite erheblich niedrigere Grenzwerte
gefordert, insbesondere für die Fälle, in denen Personen den Strahlungen dauernd ausgesetzt sind,
beispielsweise also für Ruhe- und Schlafbereiche. Ferner scheint es gesicherter
Forschung zu entsprechen, daß die schädlichen Einflüsse für alte und kranke Personen
sich besonders stark auswirken und deshalb in diesen Fällen die Grenzwerte weiter herabzusetzen sind. Diese Erkenntnisse haben bereits
Niederschlag gefunden in gesetzlichen Regelungen, allerdings nicht in der Bundesrepublik Deutschland, sondern in der "benachbarten" Schweiz.
Der Schweizer Bundesrat hat im Dezember 1999 die neue "Verordnung über den Schutz vor nicht ionisierender Strahlung (NISV)" verabschiedet
und zum 01. Februar 2000 in Kraft gesetzt. Hier werden für Mobilfunksendeanlagen (u.a. D1/D2) Anlagegrenzwerte zwischen ca. 4200 nW/qcm und
9600 nW/qcm festgelegt. Diese Werte liegen bei etwa l% der ICNIRP-Empfehlung, wie sie in Deutschland unverändert übernommen wurde.
Aus Vorsorgegründen für die Gesundheit sind seit 1992 weitergehende (strengere) Standards der baubiologischen Messtechnik (SWN)
entwickelt und gefordert worden, die in Deutschland und international für die biologische Bewertung von Umweltbelastungen herangezogen werden.
Für periodisch gepulste Hochfrequenzstrahlung (u.a. T- und E-Netz Mobilfunksender) werden hier Strahlungsdichten definiert, bei denen eine Belastung
mit mehr als 10 nW/qcm mit "extreme Anomalien" bewertet wird.
Im vorliegenden Fall hat Prof Dr.(Anonym) im [...] Zusammenhang mit der Frage, ob der Herzschrittmacher des
Klägers Ziffer 2 durch die geplante Sendeanlage beeinflusst werden könnte, eine Feldstärke von 7,7 V/m errechnet für den
Bereich, in dem das Bett des Klägers Ziffer 2 steht (As. 271). Diese Feldstärke kann umgerechnet werden in die Strahlungsdichte
(Einheit nW/qcm), wobei für die Beurteilung biologischer Wirkung üblicherweise die Strahlungsdichte herangezogen wird (Gutachten [...]
vom 27.05.2000 As. 531). Die Umrechnung der Feldstärke 7,7 V/m in Strahlungsdichte ergibt einen Wert von 15000 nW/qcm. Dies hat Dr. (Anonym),
auf telefonische Anfrage errechnet und bestätigt. Der so errechnete Wert liegt damit zwar noch weit unter den Grenzwerten der (deutschen)
Strahlenschutzimmissions- verordnung, jedoch oberhalb der Werte, die nach der Schweizer Strahlenverordnung
zulässig sind. Die hier geplante Anlage würde also in der Schweiz (nach geltendem Recht) nicht (mehr) zugelassen werden.
3.
Insgesamt liegt die Strahlenbelastung der geplanten Sendeanlage für beide Kläger damit; in einem
Bereich, der eine (gravierende) Gesundheitsbeeinträchtigung auf Dauer wahrscheinlich erscheinen lässt, ohne daß bisher
endgültige wissenschaftliche Ergebnisse hierüber vorliegen. Diese körperliche Beeinträchtigung ist für den
Kläger Ziffer 2 deshalb umso gravierender, weil er als überwiegend Bettlägriger der Strahlung in. einem Abstand von ca.
5m auf Dauer ausgesetzt ist und zudem schwer krank ist. Hier liegt also eine extrem ungünstige Situation mit extrem ungünstiger
Prognose für die Anfälligkeit von Strahlungsschäden vor mit der Folge, daß aus diesem Grund die Kläger einen
Anspruch auf Unterlassung dieser wahrscheinlich körperverletzenden Sendeanlage gegen den Beklagten haben.
4.
Bei dieser Situation kann es dahingestellt bleiben, ob die Sendeanlage auch Einfluss haben kann auf die
Funktion des herzerhaltenden Schrittmachers (diese Frage wird von Prof. Dr. (Anonym) in seinem Gutachten vom 15.07.2000 mit Sicherheit
ausgeschlossen, As. 265/275) und ob aus rechtlichen Gründen schon die subjektiv empfundene, konkrete Angst der Kläger
(wie sie von Dr. (Anonym) in seinem Attest vom 06.07.2000 nachhaltig bestätigt wird) vor einem solchen Versagen des Herzschrittmachers
dazu führen könnte, im Rahmen eines bestehenden Mietverhältnisses den Betrieb einer solchen Sendeanlage zu untersagen.
5.
Nach allem war der Klage stattzugeben. Über die Nebenfolgen wurde nach §§ 91, 709 ZPO entschieden.
............
Richter am Amtsgericht