Am 19. Mai 1627 wurde Katharina Henot im Alter von 57 Jahren als "Hexe" durch den Kölner Stadtrat zum Tode verurteilt und ermordet. Die offizielle Rehabilitierung der Kölner Postmeisterin wurde gestern auf den Weg gebracht. In Deutschland haben bisher 13 Kommunen die Opfer der "Hexen"-Prozesse rehabilitiert.
Nach fast 400 Jahren bekannte sich ein Ausschuß des Kölner Stadtrats zu dem offensichtlichen Unrechts-Urteil, das vom damaligen Kölner Stadtrat im Jahr 1627 ausgesprochen worden war. Insgesamt wurden in Köln 38 Todesurteile wegen "Hexerei" vollstreckt. Zu den Opfern gehörten nicht nur Frauen, sondern auch drei Männer und ein Junge. Ein achtjähriges Mädchen, das ebenfalls eine Hexe sein sollte, wurde aus der Stadt verbannt. Der Fall der Katharina Henot war in Köln nie in Vergessenheit geraten.
Hanns Joachim Hirtz, ein Nachfahre von Katharina Henot, sagte, der Prozeß gegen sie sei auch nach den damaligen Maßstäben ein Justizmord gewesen, da sie sich auch unter schwerster Folter nicht schuldig bekannt habe. Nach den damaligen Gesetzen konnte man nur für eine Tat verurteilt werden, die man selbst zugegeben hatte. Um das zu erreichen, wurde die Folter angewandt.
"Die Stimme der Katharina Henot wurde 1627 erstickt, als man sie vor den Toren Kölns erdrosselt hat," sagte der frühere Religionslehrer und evangelische Pfarrer Hartmut Hegeler, 65, vor dem Ausschuß. "Man hat versucht, sie für immer zum Schweigen zu bringen, aber das ist nicht gelungen. Bis heute redet man von ihrem Schicksal in dieser Stadt." Seit Jahren setzt sich Hegeler für die Rehabilitierung von als "Hexen" oder "Zauberern" ermordeter Menschen ein. "Anfangs wollte ich mich mit dem Thema gar nicht beschäftigen," erzählt Hegeler. "Aber eine Gruppe von Schülerinnen hat drauf bestanden. Die haben gleich zu Beginn des Schuljahres gesagt: »Herr Hegeler, wir wollen unbedingt über die Hexenprozesse reden!«" Die Schülerinnen und Schüler waren es auch, die ihn später fragten, ob Urteile wie das gegen Katharina Henot eigentlich irgendwann aufgehoben worden seien. Die Antwort war Nein. Seitdem hat sich Hegeler vorgenommen, den Namen Katharina Henots zu säubern.
Ein Ausschuß des Kölner Stadtrats verurteilte am gestrigen Montag einstimmig die Hexenprozesse in der Stadt vor rund 400 Jahren. Der Ausschuß regte eine "offizielle Erklärung" des gesamten Stadtrates an, in der sich dieser vom Unrecht der Hexenverfolgung distanzieren solle. Von den Ratsmitgliedern wurde anerkannt, daß die Stadt Köln schon sehr viel, aber noch nicht alles getan habe, um die als "Hexen" verleumdeten Menschen zu rehabilitieren. Der Ausschuß bat auch das Erzbistum Köln, sich von dem begangenen Unrecht zu distanzieren.
Hegeler bedankte sich anschließend herzlich: "Ich bin glücklich, ich bin richtig froh." Es gehe ihm nicht um eine juristische, sondern um eine sozialethische Rehabilitierung. "Es ist unsere moralische Pflicht, daß wir für das Schicksal von Menschen eintreten, die unschuldig verfolgt wurden."
In ganz Deutschland wurden schätzungsweise 30.000 Menschen, die der Hexerei bezichtigt wurden, nach Urteilen durch weltliche Behörden ermordet. 1627 hatte der Kölner Rat Katharina Henot wegen "umlaufender Gerüchte" festnehmen lassen. Unter anderem war sie von einer Nonne verleumdet worden. Danach wurde sie gefoltert, am 19. Mai vor den Stadttoren von einem Henker erdrosselt und anschließend verbrannt.
Katharina Henot, Postmeisterin aus einer wohlhabenden, "gut katholischen" Familie, war bis zuletzt standhaft und hatte sich - was bei den damaligen Foltermethoden eine große Ausnahme war - nicht zu einem Geständnis zwingen lassen. Obwohl sie über Wochen hin dreimal der Folter unterzogen wurde, beteuerte sie weiter ihre Unschuld. Ihren letzten Verteidigungsbrief schrieb sie mit der linken Hand, weil sie die rechte nicht mehr bewegen konnte. Als "verstockte Sünderin" wurde sie dem kurfürstlichen Hohen Weltlichen Gericht übergeben, das ein Todesurteil über sie sprach. Katharina Henot ist in Köln eine Symbolfigur. Ihr Fall markiert den Beginn der Hochphase der Hexenverfolgung in der Stadt. Zudem war die Frau die erste "Hexe" aus der städtischen Oberschicht.
Kaum ein historisches Thema stößt heute auf so viel Interesse wie die "Hexenverfolgung". Dabei sind jedoch viele Vorstellungen verbreitet, die von der Geschichtswissenschaft schon lange widerlegt wurden.
So ist etwa nachgewiesen, daß die Kirchen keine entscheidende Rolle in der Zeit des Hexenwahn spielten. Die Geistlichkeit paßte sich jedoch in dieser Frage erstaunlich schnell dem Zeitgeist an. In Deutschland waren es ausschließlich weltliche, also zum Beispiel städtische Gerichte, die die Hexen folterten und zum Tode verurteilten. Kirchliche Gerichte hatten nicht das Recht, über Leben und Tod zu befinden. Die im Zusammenhang mit der "Hexenverfolgung" weitgehend zu unrecht verdächtigte Inquisition, die Ende des 15. Jahrhundert aufkam, diente vornehmlich der Disziplinierung und Unterdrückung innerkirchlicher "Abweichler", sogenannter Häretiker. Die Inquisition in Spanien und Italien stand der Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit skeptisch bis ablehnend gegenüber.
Ebenso ist es ein längst widerlegtes Vorurteil, daß sich die "Hexenverfolgung" auf katholische Gebiete beschränkt habe. Offensichtlich waren katholische und protestantische ChristInnen gleichermaßen für den Hexenwahn anfällig. So wurden etwa in der kleinen protestantischen Stadt Minden in Ostwestfalen wesentlich mehr "Hexen" hingerichtet als im katholischen Köln, einer der größten deutschen Städte.
Ein weiterhin häufig verbreitetes Gerücht besagt, daß vorwiegend heilkundige Frauen als "Hexen" verfolgt worden seien. Oft wird dies mit der Andeutung verknüpft, die Kirche habe ein Interesse gehabt, auf diese Weise alte heidnische Überlieferungen auszurotten. Tatsache ist jedoch, daß nur sehr wenige der als "Hexen" Ermordeten Hebammen oder Kräuterfrauen waren. Außerdem ist heute wissenschaftlich belegt, daß 10 bis 15 Prozent der Opfer Männer waren, die als "Hexer" oder "Zauberer" ermordet wurden.
Ebenso falsch ist auch die heute noch weit verbreitete Ansicht, der Hexenwahn sei ein Phänomen des "finsteren Mittelalters" gewesen. Tatsächlich jedoch begann die "Hexenverfolgung" erst zum Ende des Mittelalters im 15. Jahrhundert und erreichte ihren Höhepunkt zwischen 1550 und 1650. Es war eine Zeit des Umbruchs, in der die feudale Gesellschaftsform durch die Industriegesellschaft abgelöst wurde. Ähnlich wie in der heutigen Zeit, in der sich durch massive soziale Umbrüche erzeugte Verzweiflung und Aggression gegen die Schwachen, gegen die "faulen" Arbeitslosen und gegen Minderheiten richtet, war die Hexenverfolgung Ausdruck der sozialen Umbrüche der damaligen Zeit.
Wie brüchig auch heute noch das Ideal des Rechtsstaates ist, zeigt das Beispiel des Kent-State-Massakers in Ohio am 4. Mai 1970. Im Zuge der Vietnamkriegs-Proteste war es an der Kent State University zu Massen-Demonstrationen gekommen. Nachdem am 2. Mai ein vom 'Reserve Officer Training Corps' genutztes Gebäude auf dem Campus niedergebrannt worden war, erklärte der Bürgermeister den Ausnahmezustand und rief die Nationalgarde, die 'Ohio Army National Guard', die mit rund 1.000 Mann anrückte. Nach einer nicht genehmigten Protest-Kundgebung auf dem Gelände der Universität und dem Einsatz von Tränengas, eröffnete ein Trupp der Nationalgarde unter dem Kommando ihres Generals unvermittelt das Feuer und schoß in die Menge unbewaffneter DemonstrantInnen – laut FBI "ohne bedroht oder in Gefahr zu sein." Dabei wurden in 13 Sekunden mindestens 67 Schüsse abgegeben. Einige Nationalgardisten verschossen ihr gesamtes achtschüssiges Magazin. Es gab vier Tote, einen Querschnittsgelähmten und acht weitere Verletzte. Trotz einiger hundert Augenzeugen, und obwohl die Ereignisse umfassend durch Fotos, Ton-, TV- und Amateurfilm-Aufnahmen dokumentiert sind, kam es zu keinen Verurteilungen. Bis heute wurde niemand gerichtlich für das Massaker zur Verantwortung gezogen.
Auch in Deutschland und rund 400 Jahre nach den Zeiten des Hexenwahns können wir nicht sicher sein, daß sich hier und heute solch krasses Unrecht in ähnlicher Weise wiederholt. Dem kann nur vorgebeugt werden, wenn diese Gewalttaten aufgearbeitet und deren Ursachen analysiert werden.
Anmerkungen
Siehe auch unseren Artikel:
Anna Trutt
- gestern als Hexe ermordet (30.04.01)