2.10.2002

Irak-Krieg
nur Theaterdonner

Bundeskanzler Schröder wußte sehr gut, daß ein neuerlicher Krieg gegen den Irak von der US-Regierung gar nicht ernsthaft geplant ist. So konnte er sich ohne jedes Risiko (und vermutlich unter vorheriger Absprache mit der US-Administration) im deutschen Wahlkampf als Friedensapostel aufspielen. Zwar rutschte ihm im zweiten "Kandidaten-Duell" bei ARD und ZDF eine bemerkenswerte Formulierung heraus. Diese wurde allerdings in der anschließenden Jounalistenrunde lediglich von Altmeister Gerd Ruge beachtet, der sich im Gegensatz zu jüngeren KollegInnen durch allgegenwärtige Propaganda und Gehirnwäsche noch nicht völlig von eigenem Denken abhalten läßt.

Welche Argumente sprechen für diese Einschätzung, daß ein Krieg gegen den Irak gar nicht "ansteht"?

In der gegenwärtigen Politik sind die Beweggründe selten (manche klugen Köpfe meinen: nie) irrationaler oder gar moralischer Natur, sondern entscheidend ist der Nutzen. Mit irrational meine ich religiöse, ethnische und andere allein in der Propaganda vorgebrachte Beweggründe. Unter Nutzen ist allein materieller Vorteil und Machtgewinn zu verstehen - so irrational sich dies letztlich auch bei einer tiefergehenden Betrachtungsweise herausstellen mag. Die entscheidenden Fragen, um Politik zu verstehen sind: Wem nützt es (cui bono)? und: Wie groß ist der Nutzen im Verhältnis zum Aufwand?

Im Falle eines neuerlichen Kriegs gegen den Irak scheidet die in der Weltöffentlichkeit diskutierte Frage, ob vom Irak gegenwärtig (nicht mittelfristig!) eine konkrete Gefahr ausgeht, aus. Dazu liegen die zuverlässigen Aussagen früherer UN-Waffeninspekteure (ein aktuelles Interview mit Scott Ritter ist am Ende dieses Artikels in Auszügen dokumentiert.) seit geraumer Zeit vor. US-amerikanische und britische Geheimdienste wissen sehr wohl, daß der Irak qualitativ entwaffnet ist. Ebenfalls ist bekannt, daß der scheidende Verteidigungsminister, William Powell, dem kommenden Präsidenten George Bush im Januar 2001 mitgeteilt hatte: "Der Irak stellt für seine Nachbarn keine militärische Bedrohung mehr dar."

Verbindungen zwischen dem Irak und Al Quaida sind solch offensichtlicher Unfug, daß sich eine Kommentierung erübrigt.

Für die US-Regierung war Öl immer - zuletzt für den Afghanistan-Krieg - ein hinreichender Grund für Krieg. Hier liegt der Nutzen für die internationalen Konzerne klar auf der Hand. Doch auch Öl scheidet als Grund für einen Irak-Feldzug aus, da Saddam Hussein liebend gern bereit wäre, wieder größere Mengen Öl zu liefern. Moralische Hinderungsgründe scheiden ebenfalls aus, da sie anderen Potentaten und Schlächtern wie beispielsweise den nigerianischen Statthaltern gegenüber nicht die geringste Bedeutung hatten und haben.

Daß die US-Administration (und dahinter Bush-Vater mit dem Argument des "unerledigten Jobs") sich die Liquidierung Saddam Husseins in den Kopf gesetzt hätte, wäre ein völlig irrationaler Beweggrund, der nun mal ausschließlich in der Propaganda eine Rolle spielt. Auch die Argumentationsfigur, die "Neo-Konservativen" um Bush hätten zuviel "politisches Kapital" in die Beseitigung Saddam Husseins investiert, als daß sie da jetzt noch rauskönnten, entbehrt jeglichen Bezug zur Nutzendimension. Mehr noch: Sie verkennt, daß es nicht auf die Färbung verschiedener politischer Strömungen, sondern allein auf die realen politischen Kräfteverhältnisse ankommt..

Den tatsächliche Grund für den US-amerikanischen Propaganda-Feldzug genannt zu haben, dürfte das letzte (und vielleicht einzige) Verdienst der jetzt ehemaligen Justizministerin Hertha Däubler-Gmelin sein: Ablenkung von innenpolitischen Problemen - sprich: dem schlimmsten Wirtschaftseinbruch seit 1929. Daß sie diese Erkenntnis mit der für ihre Kreise (Joschka Fischer: Auschwitz im Kosovo, Rudolf Scharping: Konzentrationslager in Srebreniza) schon notorischen Vorliebe für Nazi-Vergleiche verdeckt und unkenntlich gemacht hat, ist schade. Bush ist nur eine Marionette. Und die Verbrechen der US-Regierungen mit denen Deutschlands unter Hitler vergleichen zu wollen, wäre eine Verharmlosung der industriemäßig angelegten Vernichtung, die vorrangig gegen Juden, aber auch gegen viele andere Menschengruppen gerichtet war. Bei allen US-amerikanischen Verbrechen, Morden und der skrupellosen Zerstörung des globalen Klimas - eine solche Monstrosität hat die USA (noch) nicht erreicht.

Allenfalls als Nebeneffekt kann die Wiederzulassung von UN-Waffeninspekteuren gewertet werden, denn zumindest in einigen Jahren könnte der immerhin von der USA selbst an die Macht gebrachte und sich als gelehriger Schüler des CIA erweisende Saddam Hussein wieder zur Gefahr werden. Aber einen Krieg deswegen riskieren ? Dann müßten auch Waffeninspekteure in Nigeria oder Nord-Korea mit Kriegsandrohung durchgesetzt werden.

Nicht zuletzt ist noch folgendes nur naiven Gemütern als zynisch erscheinende Argument bedenkenswert: Nach dem Verschwinden Osama Bin Ladens und der Dressur eines Gaddafi bis hin zur Überstellung offensichtlich unschuldiger Landsleute als Bauernopfer für den vermutlich vom CIA ausgelösten Flugzeugabsturz von Lockerbie gibt es einen offenkundigen Mangel an Schurken für die US-Propaganda. Auch Arafat läßt sich trotz aller Demütigungen nicht mehr in diese Rolle drängen. Da wäre es doch für die US-Regierung völlig nutzlos, sondern geradezu kontraproduktiv, Saddam Hussein zu beseitigen...

 

Klaus Schramm

 

Auszüge aus einem Interview von Johannes von Dohnanyi mit dem ehemnaligen UN-Waffeninspekteur Scott Ritter für die Zeitschrift 'konkret' (Nr. 10, Oktober 2002):

(...)
J. v. D.: Andererseits scheinen Geheimdienstberichte aus London Saddams Kontakte mit Al Qaida zu beweisen. Die Internationale Atomenergiebehörde in Wien hält Nuklearwaffen im Irak nicht mehr für ausgeschlossen. Das Internationale Institut für Strategische Studien (IISS) malt ein wahres Horrorszenario über die Massenvernichtungswaffen des Iraks. Und Sie stellen dem Iraker einen Persilschein aus.

Scott Ritter: Ich habe nie behauptet, daß Saddam Hussein ungefährlich ist. Aber insgesamt haben die UN-Waffeninspektoren, allen Hindernissen zum Trotz, den Irak entwaffnet. Das Problem war die Vorgabe des Weltsicherheitsrats von einhundert Prozent Entwaffnung vor der Aufhebung der Sanktionen.

J. v. D.: Und dieser Nachweis war unmöglich?

Scott Ritter: Wir wußten noch nicht einmal mit Sicherheit, ob es die vermeintlich noch fehlenden zehn Prozent überhaupt gab. Bagdad hat das immer geleugnet.

J. v. D.: Und das haben Sie geglaubt?

Scott Ritter: Nein. Wir haben uns nur noch intensiver mit Saddam Husseins geheimen internen Machtstrukturen beschäftigt. Obwohl die UN-Resolutionen uns das Recht dazu gaben, blockierte der Irak von da an die Inspektionen, weil diese Recherchen angeblich nichts mehr mit der Suche nach Massenvernichtungswaffen zu tun hatten.

J. v. D.: Damit wäre das Mißtrauen der USA gerechtfertigt?

Scott Ritter: Warten Sie. Die USA haben das Wissen der UN-Waffeninspektoren über die geheimen Strukturen des Iraks mißbraucht, um den Widerstand gegen Saddam Hussein zu schüren und einen Putsch zu inszenieren. Aber der Sicherheitsrat hat den Sturz Saddam Husseins oder die Destabilisierung des Iraks nie autorisiert.

J. v. D.: Immerhin hat Bagdad Sie und Ihre Truppe rausgeworfen!

Scott Ritter: Falsch. Washington provozierte mit besonders aggressiven Inspektionen einen Konflikt, für den der Irak dann zur Strafe bombardiert wurde. Kein Wunder, daß Bagdad uns seitdem nur noch als außenpolitische Werkzeuge Amerikas betrachtete und die Inspektoren nicht mehr ins Land zurück ließ.

J. v. D.: Haben Sie als amerikanischer Spion im Irak operiert?

Scott Ritter: Ich habe das Mandat des Sicherheitsrats nie verletzt. Und als ich das nicht mehr garantieren konnte, bin ich gegangen.

J. v. D.: Wie kam es dazu?

Scott Ritter: Unter der Bedingung, daß sie unser Wissen nie für ihre eigenen Zwecke nutzen würden, halfen Geheimdienste verschiedener Länder uns bei der Auswertung der Informationen.

J. v. D.: So naiv können Sie doch nicht gewesen sein!

Scott Ritter: Anders als die USA haben sich Länder wie Deutschland, Frankreich und sogar Israel strikt daran gehalten.

J. v. D.: Und was Sie damals zusammentrugen, plus die Hinweise auf die neuesten Gefahren, läßt Washington jetzt wieder von einer neuen irakischen Gefahr reden.

Scott Ritter: Nur daß ich bis heute keinen überzeugenden Beweis dafür gesehen habe, daß der Irak nach dem Abzug der Inspektoren den Bau biologischer, chemischer und nuklearer Waffen wiederaufgenommen hat. Wissen Sie, anders als George W. Bush habe ich für mein Land gekämpft. Darauf bin ich stolz. Aber von daher weiß ich auch, daß Krieg eine zu ernste Angelegenheit ist, um ihn auf der Grundlage von Spekulationen zu beginnen.

J. v. D.: Alles nur Spekulationen?

Scott Ritter: Fangen wir vorne an. Saddam Hussein ist ein weltlicher Diktator, der den islamischen Fundamentalismus seit dreißig Jahren bekämpft. Osama Bin Laden hält Saddam für einen Apostaten. Es ist absurd zu glauben, daß diese beiden Männer sich gegen die Vereinigten Staaten verbünden könnten.

J. v. D.: Die Internationale Atomenergiebehörde argumentiert mit Fakten.

Scott Ritter: Wenn Sie den Bericht der IAEO aufmerksam lesen, dann steht da drin, daß der Irak keine nuklearen Waffenkapazitäten hat. Die IAEO hat die falsche Interpretation des Weißen Hauses öffentlich dementiert.

J. v. D.: Papiere aus dem Internationalen Institut für Strategische Studien (IISS) gelten in der Regel als zuverlässig. Auch das IISS warnt vor einer atomaren Bedrohung durch Saddam Hussein.

Scott Ritter: Der IISS-Bericht basiert nicht auf Fakten, sondern auf Spekulationen. Schon die Wahl der Worte ist bezeichnend. Der Irak "könnte bald Atomwaffen haben", heißt es da. Oder der Irak "könnte dies machen" oder "würde vielleicht" jenes tun. Alles unbewiesene Hypothesen, die um so gefährlicher sind, als sie von Washington als angeblich bewiesene Wahrheiten verbreitet werden.

J. v. D.: Und Ihre Behauptungen sind keine Spekulationen?

Scott Ritter: Die UN-Waffeninspektoren hatten bis 1996 zwischen 90 und 95 Prozent der irakischen Programme für Massenvernichtungswaffen zerstört. Allein für das Atomwaffenprogramm müßte Bagdad Milliarden-Dollarbeträge investieren, um auf den Stand von 1991 zurückzukehren. Das würde entdeckt werden. Aber nicht alles Nuklearmaterial, das angeblich im Besitz des Iraks war, wurde gefunden. Material übrigens, dessen Existenz für uns nie gesichert war. Der IISS-Report geht jetzt einfach davon aus, daß Bagdad dieses Material noch hat. Und das gleiche gilt für die angeblichen chemischen und biologischen Waffen. Ich weiß genug von der Materie, um die Quellen zu kennen, die benutzt wurden. Es ist die Art, wie die Autoren zu ihren Ergebnissen kommen, die mir Angst macht.

J. v. D.: Warum?

Scott Ritter: Da ist etwa Kay Taylor, der Leiter des Washingtoner Büros des IISS und wie ich ein ehemaliger UN-Waffeninspektor. In einem Radiointerview sprach er von einer kleinen Impfstoffabrik, in der das Regime kleine Mengen von Botulinum hergestellt haben soll. Angeblich ist dort auch das Anthrax-Labor von Saddam Hussein angesiedelt. Das Problem ist nur: Taylor behauptet, daß diese Fabrik, die von den Waffeninspektoren zerstört und inzwischen wiederaufgebaut wurde, heute wieder biologische Kampfstoffe herstellt. Er hat zugegeben, daß er dies nicht mit Sicherheit weiß. Ihm genügt es, daß die Iraker theoretisch dazu in der Lage sein könnten.

J. v. D.: Und die chemischen Waffen?

Scott Ritter: Die angebliche Produktion des gefährlichsten Nervengifts VX in kristalliner Form haben wir nie beweisen können. Wir haben Tabun und Sarin gefunden. Beide Kampfstoffe verlieren selbst unter perfekten Lagerbedingungen in fünf Jahren ihre Wirkung. Wir haben die irakischen Tabun- und Sarinfabriken zerstört. Und selbst wenn es da einen nicht entdeckten Rest chemischer Waffen gab, wäre der heute wertlos. Das würde übrigens so ähnlich auch für biologische Kampfstoffe gelten.

J. v. D.: Aber könnte es nicht sein, daß der Irak heimlich die Produktion solcher Waffen wiederaufgenommen hat?

Scott Ritter: Bis 1998 haben die UN-Inspektoren keinen solchen Versuch des Iraks entdeckt, die Chemiewaffen-Produktion wieder zu beginnen. Daß wir uns da recht verstehen: Ich teile die Sorgen, daß etwa Düngemittelfabriken ohne die dauernde Kontrolle der UN-Inspektoren schnell wieder umgerüstet werden könnten. Aber wir können doch nicht einen Krieg beginnen, weil wir glauben, daß der Irak etwas getan haben könnte. Bush muß beweisen, daß genau das geschehen ist.

J. v. D.: US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld behauptet steif und fest, daß die nötigen Beweise im Besitz Washingtons sind. Angeblich hat Saddam Hussein seine Waffenfabriken in den Untergrund verlegt.

Scott Ritter: Das ist dummes Geschwätz. Bis 1998 war ich persönlich für die Suche nach solchen Einrichtungen verantwortlich. Ich hatte spezielle Radaranlagen, mit denen man durch die Erdoberfläche schauen kann. Mit mir arbeiteten von der CIA ausgebildete Geophysiker. Wir haben nicht eine einzige solche Anlage gefunden. Es gibt sie einfach nicht.

J. v. D.: Nur dummes Zeug?

Scott Ritter: Muß ich deutlicher werden? Ich glaube, daß Donald Rumsfeld die Öffentlichkeit belügt.

(...)
J. v. D.: (...), waren Sie kürzlich zu Gesprächen im Irak. Was haben Sie den Vertretern des Regimes gesagt?

Scott Ritter: Daß sie keine Alternative haben, als die UN-Waffeninspektoren ohne jede Bedingung wieder ins Land zu lassen, wenn sie als Nation nicht vernichtet werden wollen.

J. v. D.: Das Wort "bedingungslos" dürfte in Bagdad kaum Begeisterung ausgelöst haben.

Scott Ritter: Immerhin haben sie versprochen, noch einmal darüber nachzudenken. Es gab ja auch eine gute Nachricht.

J. v. D.: Welche?

Scott Ritter: Wenn der Irak die Inspektoren wieder ins Land läßt, dann wollen einige Staaten wie Kanada, Südafrika und Belgien eine Rolle als ehrbare Vermittler oder, wenn Sie so wollen, als Kontrolleure übernehmen. Diese Staaten würden dafür sorgen, daß die Waffeninspektoren nicht mehr wie früher das Mandat der Vereinten Nationen verletzen und den Irak ausspionieren. Kurz und gut, ich habe dem Regime einen Ausweg gezeigt, mit dem einerseits der Krieg vermieden und zugleich die Würde und Souveränität des Iraks gewahrt werden könnte.

J. v. D.: So einfach wäre es, den Krieg zu vermeiden?

Scott Ritter: Ich habe es den Irakern immer wieder gesagt: Erlaubt den UN, eure Entwaffnung zu zertifizieren - und Washingtons Politik wird zusammenbrechen. Ich glaube, daß sie das verstanden haben. Aber natürlich liegt die letzte Entscheidung bei Saddam Hussein. Der Ball liegt jetzt in seiner Spielhälfte.

J. v. D.: Wie hat Washington auf Ihre Reise reagiert?

Scott Ritter: Deren Strategie ist es, mich zu ignorieren. Bushs Berater Richard Perle hat öffentlich gesagt, daß jede Auseinandersetzung mit meinen Positionen mich nur glaubwürdiger machen würde.

 

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