Geheimakten nach 20 Jahren veröffentlicht:
Pipeline-Geschäft trotz Chemiewaffenkrieg
verhandelt
Donald Rumsfeld, heute US-Verteidigungsminister, traf sich am
20. Dezember 1983 mit Saddam Hussein und dessen
Stellvertreter Tariq Aziz in Bagdad. Sie sprachen, das steht nun
fest, nicht über die Chemiewaffen, die der Irak gerade im Krieg
gegen den Iran eingesetzt hatte. Sie sprachen auch nicht über
die Verfolgung der Kurden, der Schiiten oder anderer
Minderheiten. Ihr einziges Thema war Öl - genauer: die
Finanzierung und der Bau einer Pipeline vom Irak an den Golf
von Akaba, zum Roten Meer. Akaba liegt in Jordanien, ein paar
Kilometer nur entfernt von Eilat, und das gehört zu Israel. Auch
Israel sollte in das Projekt einbezogen werden.
Die Gründe für den laufenden US-Feldzug mögen manchem
noch unklar sein. Die Gründe für Rumsfelds Reise nach Bagdad
vor zwanzig Jahren liegen offen zutage, seit das
US-Sicherheitsarchiv die Geheimhaltung der entsprechenden
Akten aufgehoben hat. Auf 18 Seiten belegt das Washingtoner
»Institute for Policy Studies« zusammen mit dem Sustainable
Energy & Economy Network anhand der zugänglichen Papiere:
Die gleichen Personen, die bis heute im Irak nach
Massenvernichtungswaffen zu suchen vorgeben, hatten
damals die Massenvernichtung von Iranern und Kurden vor
Augen, aber nur eins im Kopf: Öl.
Im März 1982 hatte die syrische Regierung zur Unterstützung
Irans den Irakern ihre große Ölexportleitung ans Mittelmeer
gesperrt. Als Haupt-Exportroute blieb die Trasse zu den
unzureichenden Hafenanlagen südlich von Basra am
Persischen Golf. Zusätzlich hat die Route den Nachteil, daß sie
von iranischer Seite, also vom Nordostufer des Golfs aus, leicht
blockiert werden kann. Das gilt trotz der zahlreichen
westlichen Stützpunkte an der Südseite der Straße von
Hormus, zum Beispiel in der Exklave von Oman. Eine weitere
Möglichkeit zur Abfuhr überwiegend des nordirakischen Öls
führte und führt durch kurdisches und türkisches Gebiet nach
Ceyhan am Mittelmeer. Sie war und ist gefährdet, solange die
dortigen Konflikte ungelöst sind.
Reagans Außenminister George Shultz, vorher Manager beim
Großbauunternehmen und Öltechnologie-Giganten Bechtel,
lancierte daher für seinen früheren Arbeitgeber die Idee einer
Pipeline ans Rote Meer, das bis dahin von derartigen
Überlegungen ausgeschlossen schien - und zwar wegen der
Nähe zu Israel. Rumsfeld trug das Investitonsvorhaben
mehrfach in Bagdad vor, so auch in einer Variante am 26. März
1984. Am selben Tag verurteilte ein UN-Ausschuß einstimmig
den Einsatz irakischer Chemiewaffen gegen iranische
Soldaten. Das veranlaßte den US-Außenminister Shultz lediglich
dazu, die Iraker zu bitten, sie mögen die USA nicht in die
»peinliche Situation« bringen, künftig Chemikalien zu kaufen,
die »Ausgangsmaterial für etwas sein könnten, was zur
Produktion chemischer Waffen beitragen könnte«.
Unterdessen trieben die US-Delegierten die
Finanzierungspläne für das Pipeline-Projekt voran und
versicherten angesichts der Chemiewaffen ihren irakischen
Verhandlungspartnern: »Wir möchten nicht, daß dieses Thema
unsere gegenseitigen Beziehungen beherrscht.« Deutlich wird
die bewußte Verknüpfung des privatwirtschaftlichen
Gewinnmotivs mit geostrategischen Gesichtspunkten bei
Bechtel-Manager H.B. Scott angesichts eines scheinbar
bevorstehenden Abschlusses der Verhandlungen mit dem Irak
im Jahre 1984: »Ich kann gar nicht genug betonen, wie wichtig
die Anstrengungen des Bechtel-Managements auf allen
Ebenen der US-Regierung und der Industrie sind, dieses
Projekt zu unterstützen. Das Projekt hat bedeutende
geopolitische Untertöne. Die Zeit dürfte dafür reif sein, mit dem
Projekt schnell voranzukommen und zwar mit sehr
bedeutenden Belohnungen dafür, daß Bechtel es ermöglicht
hat.«
Die U.S. Export-Import-Bank und die U.S. Overseas Private
Investment Corporation, die mit Regierungsunterstützung
Exportgeschäfte absichern helfen, wurden von Lobbyisten und
Reagan-Beamten gedrängt, 500 Millionen Dollar Kredite und
Bürgschaften bereitzustellen. Doch Saddam Hussein verlangte
seinerseits Sicherheit. Er fürchtete, Israel könnte die Pipeline
angreifen. So entwickelte die US-Regierung Pläne, Erträge aus
der Pipeline an die israelische Arbeitspartei weiterzuleiten.
Auch erwog sie, militärische und zivile Hilfe für Israel an die
Zusicherung zu koppeln, daß die Pipeline unangetastet bleibt.
Richter William Clark flog deshalb als fürstlich bezahlter
Angestellter der Technologiefirma Bechtel nach Bagdad -
ausgewiesen als Vertreter von Präsident Reagan und seines
Nationalen Sicherheitsrates. Auch ein enger Freund des
damaligen israelischen Ministerpräsidenten Schimon Perez
schaltete sich in die Verhandlungen ein. Der Schweizer
Milliardär Bruce Rappaport wandte sich an Bechtel mit dem
Angebot einer israelischen Sicherheitsgarantie für die geplante
Trasse. Rappaport verlangte einen Abschlag auf den Abschluß
von zehn Prozent, von dem ein Teil an ihn, ein anderer an
Israel weitergeleitet werden sollte.
Am 25. Februar 1985 versicherte Schimon Perez, daß Israel
keinen »unprovozierten Angriff« gegen die Pipeline
durchführen würde. Doch die Projektbetreiber fürchteten, daß
diese sprachliche Wendung nicht dazu ausreichen würde, die
Iraker zu beruhigen. Ein Jahr später ließ Saddam Hussein den
gesamten Plan fallen. Die Autoren der Studie meinen: Seitdem
hätten sich die irakisch-US-amerikanischen Beziehungen von
Jahr zu Jahr verschlechtert.
Wieder einmal zeigt sich: Was in der Gegenwart von
Kriegsbefürwortern als Konspirationstheorie lächerlich gemacht
wird, ist möglicherweise längst in Akten als nackter Fakt
festgehalten. Nur sind uns die Akten vorläufig unzugänglich.
Heute wirken an Kriegsplänen und deren Durchführung weit
mehr rechtsextreme Neokonservative mit als vor zwanzig
Jahren. Sie handeln im Konsens mit der rechtsextremen
israelischen Regierung. Eine Bestechung der Arbeitspartei
dürfte sich angesichts der Schwäche der Kriegsgegner in Israel
erübrigt haben.
Die Autoren der Studie urteilen abschließend: »Die bittere
Lektion aus dem Akaba-Projekt ist wohl, daß ein ›übler
Diktator‹ als guter Freund der Vereinigten Staaten gilt, wenn
er ein Geschäft zu machen bereit ist - und als tödlicher Feind,
wenn er sich sperrt.«
Thomas Immanuel Steinberg