16.04.2003

Der Rumsfeld-Saddam-Deal

Geheimakten nach 20 Jahren veröffentlicht:
Pipeline-Geschäft trotz Chemiewaffenkrieg verhandelt

Donald Rumsfeld, heute US-Verteidigungsminister, traf sich am 20. Dezember 1983 mit Saddam Hussein und dessen Stellvertreter Tariq Aziz in Bagdad. Sie sprachen, das steht nun fest, nicht über die Chemiewaffen, die der Irak gerade im Krieg gegen den Iran eingesetzt hatte. Sie sprachen auch nicht über die Verfolgung der Kurden, der Schiiten oder anderer Minderheiten. Ihr einziges Thema war Öl - genauer: die Finanzierung und der Bau einer Pipeline vom Irak an den Golf von Akaba, zum Roten Meer. Akaba liegt in Jordanien, ein paar Kilometer nur entfernt von Eilat, und das gehört zu Israel. Auch Israel sollte in das Projekt einbezogen werden.

Die Gründe für den laufenden US-Feldzug mögen manchem noch unklar sein. Die Gründe für Rumsfelds Reise nach Bagdad vor zwanzig Jahren liegen offen zutage, seit das US-Sicherheitsarchiv die Geheimhaltung der entsprechenden Akten aufgehoben hat. Auf 18 Seiten belegt das Washingtoner »Institute for Policy Studies« zusammen mit dem Sustainable Energy & Economy Network anhand der zugänglichen Papiere: Die gleichen Personen, die bis heute im Irak nach Massenvernichtungswaffen zu suchen vorgeben, hatten damals die Massenvernichtung von Iranern und Kurden vor Augen, aber nur eins im Kopf: Öl.

Im März 1982 hatte die syrische Regierung zur Unterstützung Irans den Irakern ihre große Ölexportleitung ans Mittelmeer gesperrt. Als Haupt-Exportroute blieb die Trasse zu den unzureichenden Hafenanlagen südlich von Basra am Persischen Golf. Zusätzlich hat die Route den Nachteil, daß sie von iranischer Seite, also vom Nordostufer des Golfs aus, leicht blockiert werden kann. Das gilt trotz der zahlreichen westlichen Stützpunkte an der Südseite der Straße von Hormus, zum Beispiel in der Exklave von Oman. Eine weitere Möglichkeit zur Abfuhr überwiegend des nordirakischen Öls führte und führt durch kurdisches und türkisches Gebiet nach Ceyhan am Mittelmeer. Sie war und ist gefährdet, solange die dortigen Konflikte ungelöst sind.

Reagans Außenminister George Shultz, vorher Manager beim Großbauunternehmen und Öltechnologie-Giganten Bechtel, lancierte daher für seinen früheren Arbeitgeber die Idee einer Pipeline ans Rote Meer, das bis dahin von derartigen Überlegungen ausgeschlossen schien - und zwar wegen der Nähe zu Israel. Rumsfeld trug das Investitonsvorhaben mehrfach in Bagdad vor, so auch in einer Variante am 26. März 1984. Am selben Tag verurteilte ein UN-Ausschuß einstimmig den Einsatz irakischer Chemiewaffen gegen iranische Soldaten. Das veranlaßte den US-Außenminister Shultz lediglich dazu, die Iraker zu bitten, sie mögen die USA nicht in die »peinliche Situation« bringen, künftig Chemikalien zu kaufen, die »Ausgangsmaterial für etwas sein könnten, was zur Produktion chemischer Waffen beitragen könnte«.

Unterdessen trieben die US-Delegierten die Finanzierungspläne für das Pipeline-Projekt voran und versicherten angesichts der Chemiewaffen ihren irakischen Verhandlungspartnern: »Wir möchten nicht, daß dieses Thema unsere gegenseitigen Beziehungen beherrscht.« Deutlich wird die bewußte Verknüpfung des privatwirtschaftlichen Gewinnmotivs mit geostrategischen Gesichtspunkten bei Bechtel-Manager H.B. Scott angesichts eines scheinbar bevorstehenden Abschlusses der Verhandlungen mit dem Irak im Jahre 1984: »Ich kann gar nicht genug betonen, wie wichtig die Anstrengungen des Bechtel-Managements auf allen Ebenen der US-Regierung und der Industrie sind, dieses Projekt zu unterstützen. Das Projekt hat bedeutende geopolitische Untertöne. Die Zeit dürfte dafür reif sein, mit dem Projekt schnell voranzukommen und zwar mit sehr bedeutenden Belohnungen dafür, daß Bechtel es ermöglicht hat.«

Die U.S. Export-Import-Bank und die U.S. Overseas Private Investment Corporation, die mit Regierungsunterstützung Exportgeschäfte absichern helfen, wurden von Lobbyisten und Reagan-Beamten gedrängt, 500 Millionen Dollar Kredite und Bürgschaften bereitzustellen. Doch Saddam Hussein verlangte seinerseits Sicherheit. Er fürchtete, Israel könnte die Pipeline angreifen. So entwickelte die US-Regierung Pläne, Erträge aus der Pipeline an die israelische Arbeitspartei weiterzuleiten. Auch erwog sie, militärische und zivile Hilfe für Israel an die Zusicherung zu koppeln, daß die Pipeline unangetastet bleibt. Richter William Clark flog deshalb als fürstlich bezahlter Angestellter der Technologiefirma Bechtel nach Bagdad - ausgewiesen als Vertreter von Präsident Reagan und seines Nationalen Sicherheitsrates. Auch ein enger Freund des damaligen israelischen Ministerpräsidenten Schimon Perez schaltete sich in die Verhandlungen ein. Der Schweizer Milliardär Bruce Rappaport wandte sich an Bechtel mit dem Angebot einer israelischen Sicherheitsgarantie für die geplante Trasse. Rappaport verlangte einen Abschlag auf den Abschluß von zehn Prozent, von dem ein Teil an ihn, ein anderer an Israel weitergeleitet werden sollte.

Am 25. Februar 1985 versicherte Schimon Perez, daß Israel keinen »unprovozierten Angriff« gegen die Pipeline durchführen würde. Doch die Projektbetreiber fürchteten, daß diese sprachliche Wendung nicht dazu ausreichen würde, die Iraker zu beruhigen. Ein Jahr später ließ Saddam Hussein den gesamten Plan fallen. Die Autoren der Studie meinen: Seitdem hätten sich die irakisch-US-amerikanischen Beziehungen von Jahr zu Jahr verschlechtert.

Wieder einmal zeigt sich: Was in der Gegenwart von Kriegsbefürwortern als Konspirationstheorie lächerlich gemacht wird, ist möglicherweise längst in Akten als nackter Fakt festgehalten. Nur sind uns die Akten vorläufig unzugänglich. Heute wirken an Kriegsplänen und deren Durchführung weit mehr rechtsextreme Neokonservative mit als vor zwanzig Jahren. Sie handeln im Konsens mit der rechtsextremen israelischen Regierung. Eine Bestechung der Arbeitspartei dürfte sich angesichts der Schwäche der Kriegsgegner in Israel erübrigt haben.

Die Autoren der Studie urteilen abschließend: »Die bittere Lektion aus dem Akaba-Projekt ist wohl, daß ein ›übler Diktator‹ als guter Freund der Vereinigten Staaten gilt, wenn er ein Geschäft zu machen bereit ist - und als tödlicher Feind, wenn er sich sperrt.«

 

Thomas Immanuel Steinberg

 

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