Was waren die Gründe für den Irak-Krieg ?
In meinem Artikel vom 2.10.02 hatte ich die Prognose gewagt, es werde nicht - wie von der US-Administration mit
immer schärferen Worten angedroht - zu einem Krieg gegen den Irak kommen. Beruhten die von mir dargelegten
Fakten auf Fehlinformationen, waren meine Schlußfolgerungen falsch ?
Nach wie vor bin ich davon überzeugt, daß es voreilig ist, den Schluß zu ziehen: Wenn eine Regierung einen Krieg
ankündigt, wird sie diesen auch durchführen. Zumindest für eine Regierung, die über eine fast unumschränkte
Medien- und damit Definitionsmacht verfügt wie die US-amerikanische, ist ein Schwenk in der Propaganda durchaus
denkbar. Modellfall, wenn auch mit weniger Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit, wäre die Haltung der
US-Administration gegenüber Libyen, das immerhin ähnlich dem Irak ohne Kriegserklärung und wider internationales
Recht bombardiert und zum Schurkenstaat erklärt worden war, dann aber - nach reichlich Demutsgesten und
Menschenopfern - letztlich verschont blieb, ohne daß auch nur Diktator Gaddafi abgelöste worden wäre.
Nicht also um nun meinerseits demutsvoll im Sinne stalinistischer Selbstkritik meine Thesen zu widerrufen, scheint
mir eine neuerliche Analyse sinnvoll. Sinnvoll scheint mir eine Fehlersuche aus zwei Gründen:
1. Auch in Zukunft dürfte es sinnvoll sein, Politikerworte nicht für bare Münze zu nehmen und zu versuchen (was wie
jeder Versuch auch scheitern kann), auf Grund von Fakten eine Prognose abzugeben.
2. Es sind eine Vielzahl von Gründen (oftmals summarisch) genannt worden, die die US-Administration zum Irak-Krieg
veranlaßt hätten. Manche haben sich inzwischen als offensichtlich falsch herausgestellt. Um die gegenwärtige
Weltpolitik zu verstehen, ist es unumgänglich, die tatsächlichen Kriegsgründe zu analysieren. Auch, um Prognosen
wagen zu können.
Welche in der Öffentlichkeit vorgebrachten Kriegsgründe hatte ich diskutiert ?
Zunächst die von der US-Administration genannten Gründe
Vom Irak geht eine Gefahr aus.
Die einzigen Raketen, die der Irak besaß und die auch nicht geheim waren, wurden vor Beginn des Krieges in
Inititiave des irakischen Regimes zerstört. Inzwischen wird von manchen schlaumeierisch gefragt, ob dies denn
so klug gewesen sei. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte das irakische
Militär den Krieg auch mit diesen Raketen verloren.
Zudem ist klar, daß auch diese Raketen keine reale Bedrohung für die umliegenden Staaten - auch
nicht für Israel - darstellten und erst recht nicht für die USA.
Chemische oder atomare Bedrohung. Die von mir zitierten Aussagen eines ehemaligen UN-Waffeninspekteurs und die
in den USA im Senat veröffentlichten Aussagen des CIA als auch die (lediglich in der Öffentlichkeit ins Gegenteil
verkehrten) Aussagen der Internationalen Atomenergiebehörde haben sich bestätigt. Bisher sind trotz der von Colin
Powell vor dem Weltsicherheitsrat mit großem Effekt vorgetragenen "Beweise" und der Behauptung, daß den
UN-Waffeninspekteueren diese Beweise aus welchen Gründen auch immer nicht zugänglich gemacht werden
könnten, keinerlei verbotene Waffen im besiegten Irak gefunden worden. Wenn nun nach so langer Zeit und
nachdem entgegen den Äußerungen von G. W. Bush die Suche im Irak bereits aufgegeben wurde, dennoch
irgendwelche "Funde" präsentiert werden sollten, dürfte jedem denkenden Menschen klar sein, daß es sich
dabei um Inszenierungen handeln wird.
Meiner Behauptung "Verbindungen zwischen dem Irak und Al Quaida sind solch offensichtlicher Unfug, daß sich
eine Kommentierung erübrigt" muß ich auch heute nichts hinzufügen.
Daß diese Gründe subjektiv dennoch eine Rolle gespielt hätten, kann ausgeschlossen werden. Wie die Aussagen
von CIA-Chef Tennet vor dem US-Senat zeigen, war die US-Administration gut informiert. Etwas anderes anzunehmen
(und die US-Propaganda für bare Münze zu nehmen) erscheint mir leichtfertig.
Die möglichen wirtschaftlichen oder strategischen Gründe.
Hier hatte ich mich darauf beschränkt, festzustellen, daß der Irak weit mehr Öl exportierte als die offiziellen Zahlen
auswiesen (wie die Zerstörung der Pipeline nach Syrien bestätigte) und daß ein mögliches Plus an Öl auf dem
Weltmarkt auch in mehreren Jahren die geschätzen Kosten des Krieges von 100 bis 200 Mrd. Dollar niemals
einspielen könnte. Daß der Krieg nun lediglich rund 50 Mrd. Dollar gekostet habe, wird zwar behauptet, läßt sich
jedoch nur schwer verifiziern.
Auf mögliche strategische Gründe war ich in meinem Artikel nicht eingegangen, da es mir zu spekulativ erschien, die
mögliche Destabilisierung der Region und einer möglicherweise von US-Seite gewünschte "Neuordnung" gegeneinander
abzuwägen. Eine solche Abwägung erscheint mir auch heute noch spekulativ.
Zwei Gesichtspunkte jedoch hatte ich nicht in Erwägung gezogen.
Auch etliche derer, die davon überzeugt waren, die US-Administration werde den Krieg um den - mehr oder weniger
profitablen - Zugriff auf das irakische Öl führen, sind von der gegenwärtigen Entwicklung überrascht, daß der Irak allem
Anschein nach zu einem US-Protektorat gemacht wird. Bei einem Marionetten-Regime wie beispielsweise dem in
Afghanistan muß der Gegenwert des aus dem Boden schießenden schwarzen Goldes immerhin mit einer Vielzahl
Einheimischer geteilt werden, die dafür entlohnt sein wollen, den Reichtum des Landes der Mehrheit ihres Volks
vorzuenthalten.
Immerhin ist dies auch ein sehr riskanter Job, wie der Austausch der afghanischen Leibwache Karsais durch
US-amerikanische body guards illustriert. Wieviel an zusätzlichem Gewinn jedoch ein Protektorat gegenüber einem
Marionetten-Regime tatsächlich bringen mag, ist schwer einzuschätzen.
Zudem ist eine Bilanzschätzung mit solcherart Unwägbarkeiten verknüpft, inwieweit die US-Administration die irakische
Bevölkerung weiterhin hungern lassen kann, ohne ihren eh schon weitgehend aufgebrauchten Kredit an moralischer
Glaubwürdigkeit vor der Weltöffentlichkeit vollends zu verspielen. Aber interessiert dies in der USA noch jemanden ?
Ein zweiter Gesichtpunkt ist jedoch schwerwiegender: Die wirtschaftliche Lage der USA ist - ähnlich der Deutschlands
vor dem Zweiten Weltkrieg - derart prekär, daß Krieg genauer: eine Folge von Kriegen den wirklich Mächtigen, also den
Bürokratien der großen Konzerne, als einziger Ausweg erscheinen könnte. Dies würde erklären, daß ein Krieg mit einer
solch fraglichen Bilanz (wie ich nach wie vor behaupte) nur als erste Etappe in einer Reihe von Kriegen zu sehen wäre,
deren Ziel die unumschränkte Weltherrschaft ist. Die Propaganda der US-Administration, weitere "Anti-Terror-Kriege"
führen zu wollen, würde jedenfalls zu einem solchen Plan passen. Auch Nazi-Deutschland hatte mit kleinen Kriegen
angefangen, um den Widerstand der anderen Großmächte auszutesten. Und ähnlich wie damals ist die Reaktion eine
Art Appeasement-Politik. Jedenfalls ist von Deutschland, Frankreich oder Rußland kein ernsthafter Widerstand zu erwarten
und Pläne zum Aufbau einer europäischen Militärmacht sind nichts als Traumtänzerei.
Der einzige bemerkenswerte Unterschied zur Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg besteht in der vor dem Irak-Krieg
neuerstarkten und zudem weltweiten Friedensbewegung. Der Irak-Krieg konnte nicht verhindert werden. Aber der nächste
Krieg der USA wird nicht lange auf sich warten lassen. Vielleicht ist auch dieser noch nicht zu verhindern. Aber auch der
Vietnam-Krieg wurde erst nach jahrelangen Protesten abgebrochen. Und je prekärer die Weltwirtschaftskrise wird, desto
eher wird die Friedensbewegung sich mit anderen politischen Kräften zusammenschließen und desto wahrscheinlicher
werden politische Streiks und gewaltfreie Aktionen wie sie beispielsweise in diesem Frühjahr Gewerkschafter der
italienischen Bahn und italienische Hafenarbeiter uns vormachten.
Geschichte wiederholt sich nicht, heißt es. Deshalb drückt sich meine Hoffnung diesmal im Verzicht auf eine
Prognose aus...
Klaus Schramm