18.05.2003

Artikel / Selbstkritik

Prognose:
Dritter Weltkrieg ?

Was waren die Gründe für den Irak-Krieg ?

In meinem Artikel vom 2.10.02 hatte ich die Prognose gewagt, es werde nicht - wie von der US-Administration mit immer schärferen Worten angedroht - zu einem Krieg gegen den Irak kommen. Beruhten die von mir dargelegten Fakten auf Fehlinformationen, waren meine Schlußfolgerungen falsch ?

Nach wie vor bin ich davon überzeugt, daß es voreilig ist, den Schluß zu ziehen: Wenn eine Regierung einen Krieg ankündigt, wird sie diesen auch durchführen. Zumindest für eine Regierung, die über eine fast unumschränkte Medien- und damit Definitionsmacht verfügt wie die US-amerikanische, ist ein Schwenk in der Propaganda durchaus denkbar. Modellfall, wenn auch mit weniger Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit, wäre die Haltung der US-Administration gegenüber Libyen, das immerhin ähnlich dem Irak ohne Kriegserklärung und wider internationales Recht bombardiert und zum Schurkenstaat erklärt worden war, dann aber - nach reichlich Demutsgesten und Menschenopfern - letztlich verschont blieb, ohne daß auch nur Diktator Gaddafi abgelöste worden wäre.

Nicht also um nun meinerseits demutsvoll im Sinne stalinistischer Selbstkritik meine Thesen zu widerrufen, scheint mir eine neuerliche Analyse sinnvoll. Sinnvoll scheint mir eine Fehlersuche aus zwei Gründen:

1. Auch in Zukunft dürfte es sinnvoll sein, Politikerworte nicht für bare Münze zu nehmen und zu versuchen (was wie jeder Versuch auch scheitern kann), auf Grund von Fakten eine Prognose abzugeben.

2. Es sind eine Vielzahl von Gründen (oftmals summarisch) genannt worden, die die US-Administration zum Irak-Krieg veranlaßt hätten. Manche haben sich inzwischen als offensichtlich falsch herausgestellt. Um die gegenwärtige Weltpolitik zu verstehen, ist es unumgänglich, die tatsächlichen Kriegsgründe zu analysieren. Auch, um Prognosen wagen zu können.

Welche in der Öffentlichkeit vorgebrachten Kriegsgründe hatte ich diskutiert ?

Zunächst die von der US-Administration genannten Gründe

Vom Irak geht eine Gefahr aus.

Die einzigen Raketen, die der Irak besaß und die auch nicht geheim waren, wurden vor Beginn des Krieges in Inititiave des irakischen Regimes zerstört. Inzwischen wird von manchen schlaumeierisch gefragt, ob dies denn so klug gewesen sei. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte das irakische Militär den Krieg auch mit diesen Raketen verloren. Zudem ist klar, daß auch diese Raketen keine reale Bedrohung für die umliegenden Staaten - auch nicht für Israel - darstellten und erst recht nicht für die USA.

Chemische oder atomare Bedrohung. Die von mir zitierten Aussagen eines ehemaligen UN-Waffeninspekteurs und die in den USA im Senat veröffentlichten Aussagen des CIA als auch die (lediglich in der Öffentlichkeit ins Gegenteil verkehrten) Aussagen der Internationalen Atomenergiebehörde haben sich bestätigt. Bisher sind trotz der von Colin Powell vor dem Weltsicherheitsrat mit großem Effekt vorgetragenen "Beweise" und der Behauptung, daß den UN-Waffeninspekteueren diese Beweise aus welchen Gründen auch immer nicht zugänglich gemacht werden könnten, keinerlei verbotene Waffen im besiegten Irak gefunden worden. Wenn nun nach so langer Zeit und nachdem entgegen den Äußerungen von G. W. Bush die Suche im Irak bereits aufgegeben wurde, dennoch irgendwelche "Funde" präsentiert werden sollten, dürfte jedem denkenden Menschen klar sein, daß es sich dabei um Inszenierungen handeln wird.

Meiner Behauptung "Verbindungen zwischen dem Irak und Al Quaida sind solch offensichtlicher Unfug, daß sich eine Kommentierung erübrigt" muß ich auch heute nichts hinzufügen.

Daß diese Gründe subjektiv dennoch eine Rolle gespielt hätten, kann ausgeschlossen werden. Wie die Aussagen von CIA-Chef Tennet vor dem US-Senat zeigen, war die US-Administration gut informiert. Etwas anderes anzunehmen (und die US-Propaganda für bare Münze zu nehmen) erscheint mir leichtfertig.

Die möglichen wirtschaftlichen oder strategischen Gründe.

Hier hatte ich mich darauf beschränkt, festzustellen, daß der Irak weit mehr Öl exportierte als die offiziellen Zahlen auswiesen (wie die Zerstörung der Pipeline nach Syrien bestätigte) und daß ein mögliches Plus an Öl auf dem Weltmarkt auch in mehreren Jahren die geschätzen Kosten des Krieges von 100 bis 200 Mrd. Dollar niemals einspielen könnte. Daß der Krieg nun lediglich rund 50 Mrd. Dollar gekostet habe, wird zwar behauptet, läßt sich jedoch nur schwer verifiziern.

Auf mögliche strategische Gründe war ich in meinem Artikel nicht eingegangen, da es mir zu spekulativ erschien, die mögliche Destabilisierung der Region und einer möglicherweise von US-Seite gewünschte "Neuordnung" gegeneinander abzuwägen. Eine solche Abwägung erscheint mir auch heute noch spekulativ.

Zwei Gesichtspunkte jedoch hatte ich nicht in Erwägung gezogen.

Auch etliche derer, die davon überzeugt waren, die US-Administration werde den Krieg um den - mehr oder weniger profitablen - Zugriff auf das irakische Öl führen, sind von der gegenwärtigen Entwicklung überrascht, daß der Irak allem Anschein nach zu einem US-Protektorat gemacht wird. Bei einem Marionetten-Regime wie beispielsweise dem in Afghanistan muß der Gegenwert des aus dem Boden schießenden schwarzen Goldes immerhin mit einer Vielzahl Einheimischer geteilt werden, die dafür entlohnt sein wollen, den Reichtum des Landes der Mehrheit ihres Volks vorzuenthalten. Immerhin ist dies auch ein sehr riskanter Job, wie der Austausch der afghanischen Leibwache Karsais durch US-amerikanische body guards illustriert. Wieviel an zusätzlichem Gewinn jedoch ein Protektorat gegenüber einem Marionetten-Regime tatsächlich bringen mag, ist schwer einzuschätzen. Zudem ist eine Bilanzschätzung mit solcherart Unwägbarkeiten verknüpft, inwieweit die US-Administration die irakische Bevölkerung weiterhin hungern lassen kann, ohne ihren eh schon weitgehend aufgebrauchten Kredit an moralischer Glaubwürdigkeit vor der Weltöffentlichkeit vollends zu verspielen. Aber interessiert dies in der USA noch jemanden ?

Ein zweiter Gesichtpunkt ist jedoch schwerwiegender: Die wirtschaftliche Lage der USA ist - ähnlich der Deutschlands vor dem Zweiten Weltkrieg - derart prekär, daß Krieg genauer: eine Folge von Kriegen den wirklich Mächtigen, also den Bürokratien der großen Konzerne, als einziger Ausweg erscheinen könnte. Dies würde erklären, daß ein Krieg mit einer solch fraglichen Bilanz (wie ich nach wie vor behaupte) nur als erste Etappe in einer Reihe von Kriegen zu sehen wäre, deren Ziel die unumschränkte Weltherrschaft ist. Die Propaganda der US-Administration, weitere "Anti-Terror-Kriege" führen zu wollen, würde jedenfalls zu einem solchen Plan passen. Auch Nazi-Deutschland hatte mit kleinen Kriegen angefangen, um den Widerstand der anderen Großmächte auszutesten. Und ähnlich wie damals ist die Reaktion eine Art Appeasement-Politik. Jedenfalls ist von Deutschland, Frankreich oder Rußland kein ernsthafter Widerstand zu erwarten und Pläne zum Aufbau einer europäischen Militärmacht sind nichts als Traumtänzerei.

Der einzige bemerkenswerte Unterschied zur Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg besteht in der vor dem Irak-Krieg neuerstarkten und zudem weltweiten Friedensbewegung. Der Irak-Krieg konnte nicht verhindert werden. Aber der nächste Krieg der USA wird nicht lange auf sich warten lassen. Vielleicht ist auch dieser noch nicht zu verhindern. Aber auch der Vietnam-Krieg wurde erst nach jahrelangen Protesten abgebrochen. Und je prekärer die Weltwirtschaftskrise wird, desto eher wird die Friedensbewegung sich mit anderen politischen Kräften zusammenschließen und desto wahrscheinlicher werden politische Streiks und gewaltfreie Aktionen wie sie beispielsweise in diesem Frühjahr Gewerkschafter der italienischen Bahn und italienische Hafenarbeiter uns vormachten.

Geschichte wiederholt sich nicht, heißt es. Deshalb drückt sich meine Hoffnung diesmal im Verzicht auf eine Prognose aus...

 

Klaus Schramm

 

 

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