"Die USA wollen die UN-Sanktionen gegen Bagdad ändern, damit die irakische Zivilbevölkerung weniger leiden muss.
Statt des 1990 vom Weltsicherheitsrat verhängten Wirtschafts- und Handelsembargos will Washington jetzt «intelligente
Sanktionen», die den Irak von weiterer Aufrüstung abhalten sollen."
(Auszug aus einer dpa-Meldung vom 27.02.2001)
Saddam Hussein überfiel Kuwait am 2. August 1990 und annektierte das Emirat. Diese völkerrechtlich zu verurteilende
Vorgehensweise Bagdads veranlasste die UNO mit der Resolution 661 am 6. August 1990 auf Druck der USA ein
Wirtschafts-, Finanz- und Militärembargo gegen den Irak festzulegen. Fünf Monate später, am 17. Januar 1991, begann
unter Führung der USA der Golfkrieg, die "Operation Wüstensturm". Nach Anerkennung aller UN-Resolutionen durch
Saddam Hussein und der Verpflichtung des Irak seine ballistischen Raketen, chemischen und nuklearen Waffen offenzulegen
wurde am 12. April 1991 das offizielle Ende des Krieges erklärt.
Die Bilanz des Krieges zeigt: weit überwiegend traf es Zivilisten
350 Tonnen abgereichertes Uran wurden u.a. verschossen, 668 Schulen und 95 Krankenhäuser sowie 7 der insgesamt 8
Wasserkraftwerke wurden getroffen, 80 Prozent der Nahrungsmittelproduktion wurden vernichtet. 200.000 Menschen wurden
getötet, zwei Drittel unter ihnen waren Zivilisten.
Nach Beendigung des Kriegs blieb das Embargo bestehen - seit nunmehr 10 Jahren. Damit wurde der Irak Objekt eines einmaligen
internationalen Experiments mit offenem Ausgang: Was passiert, wenn ein Land mittels internationaler Sanktionen jahrelang
isoliert wird, und dies, nachdem zuvor seine Infrastruktur, Landwirtschaft und die Möglichkeit der Eigenversorgung zerstört wurde.
“Die Zahl der Sanktionstoten (im Irak) ist das stille Äquivalent zu 10 Hiroshima-Bomben!”
(Dr. Hannush vom UN-Welternährungsprogramm)
Laut UNICEF sterben täglich 250 Menschen an den Folgen der Blockade, Tag für Tag 10 Schulklassen - seit 10 Jahren!1
Schätzungsweise 1,5 Millionen Menschen wurden Opfer der schärfsten Sanktionen, die je gegen einen Staat verhängt wurden.
Das Trinkwasserproblem verschärft sich von Woche zu Woche und fordert inzwischen eine erhebliche Anzahl von Toten unter der
Bevölkerung.
1996 wurde das Programm "Öl für Lebensmittel" ins Leben gerufen. Dringend benötigte Nahrungsmittel und Medikamente darf
Bagdad seit dem unter Aufsicht eines "Sanktions- komitees" durch Erdölverkäufe importieren - alle sechs Monate für rund 600
Millionen Dollar. Laut IPPNW dürfen vom Erlös nur 35 Prozent für den Einkauf von Lebensmitteln, Medikamenten und Hospitalbedarf
ausgegeben werden. Dies sind umgerechnet 6 Dollar pro Mensch und Monat. Das entspricht, wie amnesty international in ihrem
Journal veröffentlichen, einer Ration von zwei Kilo Zucker, neun Kilo Mehl, 2,5 Kilo Reis, 1/2 Liter Speiseöl, dazu ein wenig Seife
und Waschpulver.
Fazit: jedes vierte Kind ist mangelernährt. Die Zahl der Straßenkinder hat dramatisch zugenommen, nur noch jeder dritte Jugendliche beendet die Schule.
Seit 1994 hat nach inoffiziellen Angaben kein Frühgeborenes mehr überlebt. Die Kinder erkranken und sterben an Leukämie,
wie auch an Durchfallerkrankungen und Infektionen, die heilbar wären. Im August 1999 veröffentlichte UNICEF folgende Ergebnisse
einer Studie:
- die Sterblichkeit der Kinder unter fünf Jahren erhöhte sich von 56 Todesfällen pro 1000 Geburten im Zeitraum
1984 - 1989 auf 131 Todesfälle pro 1000 Geburten 1994 - 1999.
- Die Sterblichkeit bei Kleinkindern im ersten Lebensjahr erhöhte sich von 47 auf 108 pro 1000 Geburten
Noch bis Ende der 80er Jahre verbesserten sich die Überlebenschancen der Kinder im Irak stetig. Bei einer
Fortsetzung dieser Entwicklung wären heute 500.000 Kinder mehr am Leben.2
Die verschiedenen UNO-Agenturen im Irak bemühen sich zwar zu helfen: Sie bauen Trinkwasserstationen,
unterstützen die Förderung von Frauen und Behinderten, reparieren Stromleitungen und haben es Dank einer
Impfkampagne geschafft, die Polio (Kinderlähmung) auszurotten. "Dennoch haben die Vereinten Nationen den
PR-Krieg um die Schuld an der Krise im Irak verloren", beklagt Generalsekretär Kofi Annan.
Zwei UN-Koordinatoren sind inzwischen zurückgetreten: Im September 1998 der Ire Dennis Halliday und im
Frühjahr 2000 sein Nachfolger, der UN-Beamte Hans Graf Sponeck. Beide beklagten in aller Öffentlichkeit die
verheerenden Auswirkungen der westlichen Sanktionspolitik.
"Das Embargo gegen den Irak ist keine Außenpolitik - es ist sanktionierter Massenmord!"
(Noam Chomsky und Eward Said, US-amerikanische Wissenschaftler)
In ihren Jahresberichten prangert amnesty international die Menschenrechtsverletzungen im Irak an. Hier herrscht nach wie
vor ein Terrorregime: Minister wurden nach Kabinettsitzungen erschossen, Prostituierte öffentlich enthauptet,
Fußballnationalspieler nach einem verlorenen Spiel ausgepeitscht.3 Seit 1994 sind Verordnungen in Kraft, die die
Amputation von Händen und Ohren und das Brandmarken der Stirn als Strafe erlauben. Diese Erlasse standen wohl im
Zusammenhang mit der steigenden Kriminalitätsrate, deren Ursachen offenbar in den sich verschlechternden ökonomischen
Verhältnissen lagen.4
Die Sanktionen, befand kürzlich auch die amerikanische Zeitschrift Foreign Affairs, hätten Saddam nur noch gestärkt, die
Menschen seien noch abhängiger von ihm geworden.
Wer aber kann, versucht das Land zu verlassen. Eine organisierte Flucht nach Europa kostet auf dem irakischen
Schleppermarkt umgerechnet rund 6.000 Mark. Viele kommen nicht weiter als bis in die Türkei, in die sie von
griechischer oder italienischer Grenzpolizei zurückgeschickt werden. Oder sie kommen um: Dutzende Iraker
sind in diesem Jahr im Mittelmeer ertrunken oder in engen Containern erstickt.3
Mit der "Operation Wüstensturm" 1991 drang die USA auch auf irakisches Territorium Richtung Bagdad vor. Das UNO-Mandat
sah aber nur die Befreiung Kuwaits und nicht den Sturz Saddam Husseins vor. Aus sicherheitspolitischen Gründen schien dies
auch wenig sinnvoll. Zu groß war die Furcht vor neuen Unruhen und Kriegen in der Region.
Nach dem erklärten Willen der USA sollte die Opposition im Lande eine Entmachtung Saddams erreichen. Mit der Fortführung des Embargos sollte die Bevölkerung
gezwungen werden, sich von Hussein loszusagen und seinem Sturz voranzutreiben. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus
gerechtfertigt, von der Geiselnahme eines Volkes zu sprechen. Die Opposition im Ausland ist zerstritten und das Volk hungert.
Nun stellt sich zu Recht die Frage, ob die USA und Großbritannien an einem Sturz des Diktators noch interessiert sind. Solange
Saddam Hussein (und sein Clan) nämlich als Unsicherheitsfaktor in der Region dargestellt werden kann, legitimiert dies die, für
die US-Wirtschaft sehr wichtigen, Rüstungsexporte an potentielle Gegner Iraks in der Region. Damit verstößt die US-Regierung
aber auch ihrerseits gegen die UNO-Resolution 687. Im § 14 wird die Abrüstung in der Region verlangt als Voraussetzung für die
Reduzierung des irakischen Waffenarsenals.
Zwar machte die USA für die "Befreiung Kuwaits" vor allem humanitäre und moralische Gründe geltend, aber es geht ums
Öl und damit um die Macht am Golf. Schätzungen gehen nämlich davon aus, dass dem irakischen Ölmarkt in der näheren
Zukunft eine enorme Bedeutung zukommt. Saudi-Arabien soll über 260 Milliarden Barrel Ölvorräte verfügen, der Irak über
315 Milliarden Barrel. Am Fördergeschäft möchten einige Staaten beteiligt werden. Tatsächlich hat der Irak bereits
Lieferverträge mit Frankreich, Russland, China und etlichen anderen Ländern für die Phase nach den Sanktionen
abgeschlossen.5 Mit Russland blüht seit geraumer Zeit auch der Schwarzhandel. Dies sind nebenbei auch jene
Staaten, die sich für ein baldiges Ende der Sanktionen einsetzen, weniger aus humanitären Gründen denn aus Eigennutz,
wie sich leicht erkennen lässt.
"Mit Recht wird das Embargo - die Waffe des Hungers - als kriminell und als Völkermord bezeichnet!"
(Europäische Vereinigung von Juristinnen und Juristen für Demokratie und Menschenrechte in der Welt e. V. EJDM)
Ein Vorwurf der Friedensbewegung an Vertreter der Außen- und Verteidigungspolitik sowohl im Zusammenhang mit dem damaligen
Golfkrieg, wie auch dem militärischen Einsatz im Kosovo war, dass die Verantwortlichen das jeweilige Embargo nicht konsequent
eingehalten hätten. Angesichts der “humanitären Katastrophe” im Irak muss mensch sich allerdings mit der Frage beschäftigen,
ob ein Embargo, das auch die Blockade von Lebensmitteln und Medikamenten umfasst, tatsächlich Teil der Außenpolitik sein kann.
Darf ein Volk als Geisel genommen werden oder lassen sich Sanktionen und Blockaden auf solche Güter beschränken, wie z.B. Öl
im Falle des Embargos gegen Serbien, die zur Aufrüstung und zur Mobilmachung dienen? Diese können aber wiederum nur
funktionieren, wenn sich die internationle Gemeinschaft über Art und Umfang einer Blockade geeinigt hat. Wenn Außenminister
Powell jetzt von "intelligenten Sanktionen" redet, dann darf mensch gespannt sein, wie diese aussehen sollen.
Denn zwei Dinge sind in der dpa-Meldung (s.o.) deutlich geworden:
- Das 10-jährige Embargo gegen den Irak hat nicht verhindert, dass Saddam Hussein aufrüsten konnte! Auf über zwei Milliarden
Mark pro Jahr werden die Erlöse aus geschmuggeltem Öl geschätzt. Geld, das direkt in die Taschen der irakischen Oligarchie
und von dort auf Auslandskonten fließt. Während das Volk hungert, lebt die Machtelite in Saus und Braus.
- Vertreter der amerikanischen Regierung scheinen zu erkennen, dass ihr bisheriges Handeln alles andere als intelligent war,
denn die, die unter dem Totalembargo zu leiden haben, ohne auch nur im Ansatz etwas an den Machtverhältnissen im Land
ändern zu können, sind allen vor allem Kinder!
In einem offenen Brief an Außenminister Fischer, dokumentiert in der Wochenzeitung "Freitag", vom 8.01.1999, schlug der
Politikwissenschaftler Mohssen Massarat einen Entwurf einer langfristig angelegten Friedensordnung für den nahen und
mittleren Osten vor. Dieser sah u.a. die konsequente Reduzierung von Waffenexporten in die Region vor, wie auch die
Unterstützung aller Bemühungen für einen regionalen Sicherheits- und Friedenspakt, der den Nahost- und Kurdistankonflikt
und einen Abrüstungsprozess einschließt. Die Förderung des Aufbaus ziviler Strukturen und die Unterstützung von
Demokratisierungsprozessen ist wichtiger denn je. Nur ein intensiver Dialog zwischen Europa und der Region kann zu
gemeinsamen Energieversorgungs- und Klimastrategien führen. Die klimapolitischen Anforderungen der Energie- und
CO2-Reduktion müssen auch mit langfristigen Interessen der Ölerzeugerstaaten in Einklang gebracht werden.
Frankreich, Deutschland, Italien und Russland könnten durch das Ein- und Voranbringen dieses Planes erste Ansätze
einer zivilen gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik markieren.5
Doch über alle Gruppen und Initiativen hinweg muss Einigkeit darüber bestehen, dass dieses Embargo zu Gunsten
der irakischen Bevölkerung sofort aufgehoben und die Geiselnahme beendet wird.
Barbara Schroeren-Boersch
Anmerkungen:
1 Uni-Kassel, Friedenspolitscher Ratschlag: Die bösen Folgen des Embargos
2 UNICEF: 12.8.1999 Kindersterblichkeit im Irak hat sich verdoppelt / Sanktionen müssen Kinder schonen
www.unicef.de
3 amnesty international: ai-Journal Februar 2001
4 ai: Menschenrechtslage im Irak
www.amnesty.de
5 Graswurzelrevolution: Clemens Ronnefeldt: Krieg im Irak
www.comlink.de/graswurzel
Literatur und Links zum Thema:
Uni Kassel:
www.uni-kassel.de
- Gegen unmenschliche Sanktionen und weitere Vertuschungen
- Sanktionen im Irak sind völkerrechtswidrig
- Irak 10 Jahre Embargo
IPPNW
www.ippnw.de
- Ärzte fordern Ende der Irak-Sanktionen
WSWS (World Socialist Web Site)
www.wsws.org
- USA und Großbritannien setzen Verlängerung der Sanktionen gegen den Irak durch
- Die furchtbaren Auswirkungen der Wirtschaftssanktionen auf den Irak
Europäische Vereinigung von Juristinnen und Juristen für Demokratie und Menschenrechte in der Welt e.V. :
www.ejdm.de
- Aufhebung des Embargos gegen den Irak