Am 14. Oktober wandten sich Repräsentanten der irakischen Stadt
Falludscha in einem Brief an UN-Generalsekretär Kofi Annan
Exzellenz, es ist sehr offensichtlich, daß die US-amerikanischen Streitkräfte
jeden Tag im Irak Völkermordverbrechen verüben. Jetzt, während wir an
Eure Exzellenz schreiben, verüben die US-amerikanischen Streitkräfte
diese Verbrechen in der Stadt Falludscha. Die amerikanischen
Kampfflugzeuge werfen ihre mächtigsten Bomben auf die
Zivilbevölkerung, die Hunderte von unschuldigen Menschen töten und
verletzen. Zur gleichen Zeit greifen ihre Panzer die Stadt mit schwerer
Artillerie an.
Wie Sie wissen, gibt es keine militärische Präsenz in der Stadt. Es gab
keinerlei Aktionen seitens der Falludscha-Widerstandsbewegung in den
vergangenen Wochen, weil die Verhandlungen zwischen den Vertretern
der Stadt und der Regierung gut vorankamen. In dieser Atmosphäre
begannen die neuen Bombardements der USA. (...)
Nun sind viele Menschen in den Überresten ihrer zerbombten Häuser
eingeschlossen wie in einer Falle, und niemand kann ihnen helfen,
während die Angriffe weitergehen. Allein in der Nacht zum 13. Oktober
haben US-amerikanische Bombardements 50 Häuser zerstört - mit ihren
Bewohnern darin. Ist das ein genozidales Verbrechen oder eine
Unterrichtsstunde in US-amerikanischer Demokratie? Es ist offensichtlich,
daß die USA Terrorakte gegen die Bevölkerung von Falludscha
nur aus einem Grund begehen: die Weigerung, ihre Besatzung zu
akzeptieren. (...)
Wir wissen, daß wir in einer Welt leben, die mit zweierlei Maß mißt. In
Falludscha haben sie ein neues, vages Ziel erschaffen: Al Sarkawi. Das
ist der neue Vorwand, um ihre Verbrechen zu rechtfertigen, das Töten
und das tägliche Bombardement von Zivilisten. Fast ein Jahr ist
vergangen, seitdem sie diesen neuen Vorwand erfunden haben, und
jedes Mal, wenn sie Häuser, Moscheen und Restaurants zerstören und
Kinder und Frauen töten, sagen sie "Wir haben eine erfolgreiche
Operation gegen Al Sarkawi durchgeführt." Sie werden niemals sagen,
daß sie ihn getötet haben, weil es eine solche Person nicht gibt. Und
das bedeutet, daß das Töten von Zivilisten und der tägliche Genozid
weitergehen werden.
Die Bevölkerung von Falludscha versichert Ihnen, daß diese Person,
falls sie existiert, nicht in Falludscha ist und wahrscheinlich nirgendwo
im Irak. Die Bevölkerung von Falludscha hat viele Male angekündigt,
daß jede Person, die Al Sarkawi sieht, ihn töten würde. Es ist
offensichtlich, daß dieser Mann nur eine hypothetische Figur ist, die von
den USA erschaffen wurde. Gleichzeitig haben die Vertreter von
Falludscha, unsere Stammesführer, bei vielen Gelegenheiten das
Kidnapping und Töten von Zivilisten angeprangert. Wir haben keine
Verbindung zu irgendeiner Gruppe, die solch inhumanes Verhalten
praktiziert.
Exzellenz, wir bitten Sie und auch alle anderen führenden Staatsmänner
der Welt, auf die US-amerikanische Administration den größtmöglichen
Druck auszuüben, damit sie ihre Verbrechen in Falludscha stoppt und
ihre Armee abzieht, weit weg von der Stadt. Die Stadt war sehr ruhig
und friedlich, als ihre Einwohner sie wieder selbst verwalten konnten.
Wir haben keine Unruhen in der Stadt gehabt. Die zivile Verwaltung
ging gut. (...)
Wir haben einfach die Besatzungsmacht nicht willkommen geheißen.
Das ist unser Recht gemäß der UN-Charta, dem internationalen Recht
und den Normen der Humanität. Wenn die US-Amerikaner das Gegenteil
glauben, dann sollen sie zuerst zur UNO gehen und all ihren
ausführenden Organen, bevor sie in einer Weise handeln, die im
Gegensatz zur UN-Charta steht, die sie unterzeichnet haben.
Es ist sehr dringend, daß Eure Exzellenz zusammen mit anderen
führenden Persönlichkeiten der Welt rasch eingreifen, um neue
Massaker zu verhindern. (...)
Hochachtungsvoll,
Kassim Abdullsattar Al Dschumaili
Präsident des
Studienzentrums für Menschenrechte und Demokratie, für die
Bevölkerung und für den Stadtrat von Falludscha, die
Juristenvereinigung, die Lehrervereinigung, den Rat der Stammesführer
sowie das Haus der Fatwa und religiösen Erziehung.