3.11.2004

Brief aus Falludscha
an Kofi Annan

Am 14. Oktober wandten sich Repräsentanten der irakischen Stadt Falludscha in einem Brief an UN-Generalsekretär Kofi Annan

Exzellenz, es ist sehr offensichtlich, daß die US-amerikanischen Streitkräfte jeden Tag im Irak Völkermordverbrechen verüben. Jetzt, während wir an Eure Exzellenz schreiben, verüben die US-amerikanischen Streitkräfte diese Verbrechen in der Stadt Falludscha. Die amerikanischen Kampfflugzeuge werfen ihre mächtigsten Bomben auf die Zivilbevölkerung, die Hunderte von unschuldigen Menschen töten und verletzen. Zur gleichen Zeit greifen ihre Panzer die Stadt mit schwerer Artillerie an.

Wie Sie wissen, gibt es keine militärische Präsenz in der Stadt. Es gab keinerlei Aktionen seitens der Falludscha-Widerstandsbewegung in den vergangenen Wochen, weil die Verhandlungen zwischen den Vertretern der Stadt und der Regierung gut vorankamen. In dieser Atmosphäre begannen die neuen Bombardements der USA. (...)

Nun sind viele Menschen in den Überresten ihrer zerbombten Häuser eingeschlossen wie in einer Falle, und niemand kann ihnen helfen, während die Angriffe weitergehen. Allein in der Nacht zum 13. Oktober haben US-amerikanische Bombardements 50 Häuser zerstört - mit ihren Bewohnern darin. Ist das ein genozidales Verbrechen oder eine Unterrichtsstunde in US-amerikanischer Demokratie? Es ist offensichtlich, daß die USA Terrorakte gegen die Bevölkerung von Falludscha nur aus einem Grund begehen: die Weigerung, ihre Besatzung zu akzeptieren. (...)

Wir wissen, daß wir in einer Welt leben, die mit zweierlei Maß mißt. In Falludscha haben sie ein neues, vages Ziel erschaffen: Al Sarkawi. Das ist der neue Vorwand, um ihre Verbrechen zu rechtfertigen, das Töten und das tägliche Bombardement von Zivilisten. Fast ein Jahr ist vergangen, seitdem sie diesen neuen Vorwand erfunden haben, und jedes Mal, wenn sie Häuser, Moscheen und Restaurants zerstören und Kinder und Frauen töten, sagen sie "Wir haben eine erfolgreiche Operation gegen Al Sarkawi durchgeführt." Sie werden niemals sagen, daß sie ihn getötet haben, weil es eine solche Person nicht gibt. Und das bedeutet, daß das Töten von Zivilisten und der tägliche Genozid weitergehen werden.

Die Bevölkerung von Falludscha versichert Ihnen, daß diese Person, falls sie existiert, nicht in Falludscha ist und wahrscheinlich nirgendwo im Irak. Die Bevölkerung von Falludscha hat viele Male angekündigt, daß jede Person, die Al Sarkawi sieht, ihn töten würde. Es ist offensichtlich, daß dieser Mann nur eine hypothetische Figur ist, die von den USA erschaffen wurde. Gleichzeitig haben die Vertreter von Falludscha, unsere Stammesführer, bei vielen Gelegenheiten das Kidnapping und Töten von Zivilisten angeprangert. Wir haben keine Verbindung zu irgendeiner Gruppe, die solch inhumanes Verhalten praktiziert.

Exzellenz, wir bitten Sie und auch alle anderen führenden Staatsmänner der Welt, auf die US-amerikanische Administration den größtmöglichen Druck auszuüben, damit sie ihre Verbrechen in Falludscha stoppt und ihre Armee abzieht, weit weg von der Stadt. Die Stadt war sehr ruhig und friedlich, als ihre Einwohner sie wieder selbst verwalten konnten. Wir haben keine Unruhen in der Stadt gehabt. Die zivile Verwaltung ging gut. (...)

Wir haben einfach die Besatzungsmacht nicht willkommen geheißen. Das ist unser Recht gemäß der UN-Charta, dem internationalen Recht und den Normen der Humanität. Wenn die US-Amerikaner das Gegenteil glauben, dann sollen sie zuerst zur UNO gehen und all ihren ausführenden Organen, bevor sie in einer Weise handeln, die im Gegensatz zur UN-Charta steht, die sie unterzeichnet haben. Es ist sehr dringend, daß Eure Exzellenz zusammen mit anderen führenden Persönlichkeiten der Welt rasch eingreifen, um neue Massaker zu verhindern. (...)

 

Hochachtungsvoll,

Kassim Abdullsattar Al Dschumaili

Präsident des Studienzentrums für Menschenrechte und Demokratie, für die Bevölkerung und für den Stadtrat von Falludscha, die Juristenvereinigung, die Lehrervereinigung, den Rat der Stammesführer sowie das Haus der Fatwa und religiösen Erziehung.

 

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