Ein Wahnsinns-Staudamm-Projekt auf Island
Rund 800 Megawatt Stromleistung steht Island im Moment zur Verfügung. 750 Megawatt könnten hinzukommen,
wenn die Karahnjukar-Schlucht in einen riesigen Stausee verwandelt wird. 800 Megawatt werden in Island vollständig
durch erneuerbare Energien, kleine und große Wasserkraftwerke und Erdwärmekraftwerke zur Verfügung gestellt.
Island ist das einzige Land Europas, in dem es weder Atomkraftwerke noch Kohlekraftwerke gibt und in dem
keinerlei fossile Energieträger zur Stromerzeugung eingesetzt werden. Der Überfluß an natürlicher Energie ist so
groß, daß Island an der Weltspitze des Energieverbrauchs pro Kopf liegt. Die Hitze des vulkanischen Untergrundes
liefert so viel Energie zum Heizen und Dampf für Kraftwerke, daß sich fast jedes isländische Dorf ein öffentliches
Freibad leisten kann, das auch bei minus 25 Grad noch plus 25 Grad warmes Wasser bietet.
Zusammen mit der Karahnjukar-Schlucht würden mehrere kleine Schluchten und Täler, an die hundert Wasserfälle,
Moore, Heidelandschaft und Feuchtgebiete unter gewaltigen Wassermassen verschwinden. Mit einem 200 Meter
hohen Damm soll die Karahnjukar-Schlucht zugemauert werden, einem Damm, der damit zu den höchsten Europas
zählen würde.
Die Biologieprofessorin Thora Thorhallsdottir aus Islands Hauptstadt Reykjavik kämpft gegen das gigantomanische
Staudamm-Projekt an. Da der Natur kein Wert an sich zugebilligt wird, preist sie die nützliche Funktion der
Karahnjukar-Schlucht fürs isländische Klima. Das Karahnjukar-Gebiet, erklärt sie, habe mit seiner isolierten
Lage nahezu kontinentaleuropäisches Klima mit wenig Regen und relativ warmem Sommer. Dadurch wirke der
Canyon als natürliche Barriere für die heftigen Staubstürme, die von Westen regelmäßig herannahen. Die Schlucht
schluckt einen Großteil des Staubes.
Zudem ist zu befürchten, daß der Stausee zu einem Staubsee würde. Die Wasserhöhe des Stausees soll nach
den Planungen je nach Jahreszeit um 70 Meter schwanken. Jedes Frühjahr würde daher vor der Schneeschmelze
ein eineinhalb Kilometer breiter Streifen nackten Bodens trockenliegen. Kommen dann die Staubstürme, würden
diese auf der Ostseite - so zeigen die Erfahrungen bei ähnlichen Projekten - Millionen Kubikmeter Erdreich zum
Abrutschen bringen. Viele sensible Arten, die bislang dort anzutreffen sind, würden darunter begraben. Thora
Thorhallsdottir warnt, daß durch solche Erosion Wüsten entstehen.
Zudem produziert die Fäulnis in solch riesigen Stauseen auch bei relativ kaltem Klima soviel Methan, daß diese
Groß-Wasserkraftwerke keineswegs als umweltverträglich gelten können. Methan ist um ein Vielfaches
klimaschädlicher als Kohlendioxid und so tragen Groß-Wasserkraftwerke pro erzeugter Kilowattstunde
oft mehr zum Treibhauseffekt bei als konventionelle Kraftwerke.
Der Vorstandsvorsitzende des halb-staatlichen Energie-Konzerns Landsvirkjun, Fridrik Sophusson, bezeichnet
diese Argumente als neoromantischen Nationalismus von Leuten, denen Kurzschnabelgänse und Rentiere
wichtiger seien als Menschen. Doch was haben die Menschen Islands von einem Projekt, das ihren
Energieüberfluß mehr als verdoppelt. Wer benötigt 750 Megawatt zusätzlich zu den überreichlich
vorhandenen 800 Megawatt ?
Landsvirkjun will den Strom, der durch den Karahnjukar-Stausee erzeugt werden soll, nicht für Beleuchtung
oder industrielle Produktionsstraßen einsetzen. Die europaweit größte Aluminiumfabrik soll auf Island
entstehen und damit würde sich die umweltzerstörerische Wirkung potenzieren. Aluminiumverhüttung
ist eine der schmutzigsten und giftigsten Industrien. Das produzierte Aluminium dient - wer würde anderes
erwarten - selbstverständlich nicht dem isländischen Bedarf. Zwei bestehende Aluminiumfabriken mit einem
Ausstoß von zusammen 230.000 Tonnen produzieren bereits jetzt mehr Aluminium in einem Jahr als alle
Menschen auf Island in ihrem gesamten Leben an Alufolien oder Leichtbauteilen für ihre Fahrzeuge
verbrauchen könnten.
Die geplante Aluminiumfabrik hätte einen Ausstoß von zwischen 240.000 und 420.000 Tonnen pro Jahr. Hier
geht es um sehr viel Geld. Und da spielt es auch keine Rolle, daß Island über keinerlei Bauxit-Vorkommen
verfügt. Bauxit, das rötliche Erz, aus dem Aluminium - im Vergleich zu anderen Metallen irrsinnigem
Energieaufwand - gewonnen wird, kommt vorwiegend aus tropischen Regionen wie Australien, Brasilien
oder Guinea und müßte - zu Tonerde aufbereitet - auf Schiffen Tausende von Kilometern bis in die Arktis
transportiert werden.
Der einzige Grund für die Vergewaltigung der Karahnjukar-Schlucht ist die Gier der Aluminium-Industrie nach
billigem Strom. Und wie schon so oft in der Geschichte beruht der geringe Preis darauf, daß Natur nichts kostet.
Die Aluminium-Industrie gehört zu den größten Energieverbrauchern der Erde. Oft wird sie mit geheimgehaltenen
staatlich subventionierten Dumpingpreisen an ihrem Standort gehalten, weil die Regierungen aus militärischen
Gründen am Aluminium interessiert sind. Überall auf dem Globus schießen Aluminiumwerke wie Giftpilze aus der
Erde, wo billiger oder hoch subventionierter Strom zur Verfügung steht. Die Standorte werden den Investoren wie
Mädchen auf dem Sklavenmarkt feilgeboten und wenn sich diese locken lassen wird ihnen oftmals kostenlos ein
Tiefseehafen gebaut, damit dort die Frachter mit der Tonerde aus Übersee gelöscht werden können.
In Bauxit-Bergwerken beispielsweise in Brasilien beginnt eine Straße der Zerstörung mit dem umweltschädigenden
Abbau. Über den Strom aus der zerstörten Karahnjukar-Schlucht und fluorhaltigen giftigen Schlacken bei der
Verhüttung in Island führt sie weiter, beispielsweise nach Mexiko. Dorthin wird das in Barren geschmolzene
Aluminium gebracht, wo es billig zu Dosen gewalzt und mit Cola befüllt wird. Und vielleicht endet diese Straße
der Zerstörung beim Aldi oder Lidl um die Ecke, die ihren Preisvorsprung gegenüber dem übrigen
Lebensmittelhandel dem "Verzicht" auf ein umweltverträgliche Mehrweg-Flaschen verdanken. Nein, sie
führt weiter bis zum Straßengraben an der nächsten Bundesstraße, der meistbesuchten Alu-Sammelstelle
im gesamten Landkreis...
Das klingt nicht nur verrückt, das ist der Irrsinn der Globalisierung - ökonomisch sinnvoll. Die globale Reise hat
einen Anteil von nicht mal einem Prozent an den Kosten zur Produktion des Aluminiums - geschweige denn an
den Produktionskosten einer Alu-Dose. 20 bis 30 Prozent beträgt der Anteil des Stroms an den Kosten.
Ökonomisch also glasklar, daß die Alu-Industrie dorthin drängt, wo Strom am billigsten ist. Und so kommt
unerwartet von Fridrik Sophusson das Umwelt-Argument wieder ins Spiel: Wenn nicht Islands Strom-Konzern
Landsvirkjun die Elektriztät fürs Alu bereits stelle, gehe die Alu-Industrie möglicherweise nach Mosambik. Und dort
im schwarzen Afrika, oh Graus, würde der Strom klimaschädigend mit billiger südafrikanischer Kohle produziert.
Tatsächlich hat Landsvirkjun ausgerechnet, daß ein Wasserkraftwerk auf Island der Atmosphäre jährlich über
fünf Millionen Tonnen Kohlendioxid ersparen würde - und setzt skrupellos darauf, daß nie ein Wort über Methan
gesprochen oder gar geschrieben wird.
Doch nicht nur der direkte Vergleich bei der Stromerzeugung ist Humbug: Es ist zudem unbestreitbar, daß bei
der Alu-Verhüttung der Ausstoß an Klimagasen extrem hoch ist. Und dies ist zumindest den entscheidenden
Leuten in Island bekannt. Denn allein wegen der geplanten Alu-Fabrik hat sich die Regierung Islands
prophylaktisch geweigert, das Kyoto-Protokoll zu unterzeichnen, in dem sich alle Industrienationen zu
einer Reduktion ihrer Treibhausgase verpflichteten. Dabei haben sich Islands PolitikerInnen völlig unnötig
bloßgestellt, denn das Kyoto-Protokoll wird von keiner einzigen Industrienation ernsthaft umgesetzt.
Völlig nutzlos war auch, daß sich selbst eine isländische Regierungskommission gegen das Karahnjukar-Projekt
aussprach. Deren 280 Seiten umfassendes Gutachten kam eindeutig zum Ergebnis, daß der ökologische Schaden
größer als der ökonomischer Nutzen sei. Doch Siv Fridleifsdottir, die "Umwelt"-Ministerin von Island, die umbeschadet
aller Umweltverbrechen - wie in Deutschland auch - ihren Nimbus als "Umweltschützerin" wahren kann, treibt das
Karahnjukar-Projekt mit aller Kraft voran. Angeblich aus purem Fraktionsgehorsam. Wie klein ist doch die Welt !
Auch mit dem Staudamm bleibe das Karahnjukar-Gebiet "das größte ungestörte Naturgebiet Europas", sagt die
"Umwelt"-Ministerin. So sehen es auch viele in Egilsstadir, dem Städtchen am Lagarfljot, wo beispielsweise
Rentierexperte Skarphedinn Thorisson sein idyllisches Zuhause hat. Angeblich sind hier sind neun von zehn
Leuten für den Staudamm, weil er Jobs und Wohlstand verspricht. Björn Gudmundsson, der Bürgermeister,
denkt wie jeder Bürgermeister in der einfachen Formel: mehr Arbeitsplätze = mehr Steuerzahler. Wie alle
Isländer liebt auch er die Berge, die Gletscher und die Wildnis: Aber man müsse "auch Opfer bringen". Er werde
die Natur auch mit Stausee lieben. Wer weiß, vielleicht könne er dann da oben segeln.
Erwartungsfroh hat der Bürgermeister schon mal ein großes Neubaugebiet für Egilsstadir ausweisen lassen.
Ein paar Häuser weiter wohnt Einar Rafn Haraldsson, der Vorstand der Bürgerinitiative 'Energie für Ost-Island',
einer Organisation für den Stausee und gegen die "verträumten Gedichteleser aus dem fernen Reykjavik". Das
Land blute aus, klagt Haraldsson, die Fischerei-Industrie an den Fjorden sei voll automatisiert und biete immer
weniger Jobs. Das Karahnjukar-Projekt sei eine "Frage von Leben und Tod".
Der Staudamm soll aus Steuergeldern mitfinanzieren werden. Und tatsächlich ist die Landflucht nicht durch
Arbeitslosigkeit bedingt, sondern weil die Menschen Reykjavik attraktiver finden. In den Fischfabriken stehen
längst Polen und Filipinos am Fließband. Und auch für die versprochenen "bis zu 1000 Arbeitsplätze" in der
hochautomatisierten Alu-Schmelze, im Karahnjukar-Kraftwerk und bei Zulieferern würde erfahrungsgemäß
fremdes Personal an die einsamen Fjorde geholt werden müssen.
Nicht zuletzt ist die Wirtschaftlichkeit des gesamten Karahnjukar-Projekts - nicht für die Konzerne, aber aus
isländischer Sicht - äußerst fraglich. Denn das mit Abstand größte Industrieprojekt in der Geschichte Islands
überfordert die Finanzkraft des Landes bei weitem. Über eine Milliarde US-Dollar sollen allein Stausee und
Kraftwerk kosten. Der halb-staatliche Energie-Konzern Landsvirkjun müßte einen riesigen Kredit auf dem
internationalen Geldmarkt aufnehmen. Der Staat will dafür eine Bürgschaft geben, was bedeutet, daß das
Risiko auf die gesamte isländische Bevölkerung abwälzt wird.
Jede Familie in Island bürgt mit rund 25.000 bis 30.000 Dollar für das Kraftwerk, sagt der Ökonom Sigudur
Johannsson, der eine Studie dazu vorgelegt hat. Das ist vermutlich Weltrekord. Hinzu kommt, daß eine
Staatsbürgschaft für ein Kraftwerk im liberalisierten europäischen Energiemarkt eigentlich gar nicht mehr
erlaubt ist. Sie ist genauso wettbewerbswidrig wie die Tatsache, daß Landsvirkjun keine Steuern zu zahlen
braucht. Die zusätzlich nötige Milliarde US-Dollar für die Aluminiumhütte sollen sich nach den Vorstellungen
der isländischen Regierung ein einheimisches Konsortium, das die Pensionskassen des Landes beleihen
will, und ein ausländischer Aluminium-Multi teilen. Ein weiteres riskantes Geschäft. Denn über den
Strompreis, den Landsvirkjun mit einem potenziellen Investor ausgehandelt hat, schweigt sich die
Regierung aus. Er muß niedrig liegen, damit überhaupt ein Investor nach Island kommt. Aber hoch
genug, damit sich noch Geld verdienen läßt. Und wenn es nur Bestechungsgelder sind.
Unabhängige Gutachten belegen, daß die Rechnung leicht schief gehen könnte. Die Branche sitzt auf
Überkapazitäten, und der Aluminiumpreis ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesunken, unter
anderem weil das Recycling immer attraktiver wird. Nicht auszumalen, was geschähe, wenn die Aluhütte
gebaut würde, aber irgendwann pleite ginge. Landsvirkjun stünde mit 750 Megawatt unverkäuflichen
Stroms da, die Nation mit einem Riesenberg Schulden und das Karahnjukar-Gebiets wäre
unwiederbringlich dahin.
Petra Willaredt