Bildungswerk der DFG-VK Hessen

Milosevic abgewählt -
und nun?

Nach den Wahlen in Jugoslawien erhielten wir eine Reihe von Anfragen, wie sich denn nun die Situation für Deserteure und Kriegsdienstverweigerer in Jugoslawien darstellt. Bei vielen AnruferInnen schwang bei dieser Frage die Hoffnung mit, dass sich nun in Jugoslawien alles zum Besseren wenden und für Deserteure bald eine Rückkehr möglich sein würde. Bei den Deserteuren selbst herrscht hingegen große Unsicherheit vor. Sie leben in der Angst, bei einer Rückkehr Repressionen ausgesetzt zu sein. Für sie stehen dabei nicht einmal die (möglicherweise asylrelevanten) Gründe einer strafrechtlichen Verfolgung im Vordergrund, sondern viel mehr die vielfältigen Formen der Repressionen, die es außerhalb des Gesetzes gibt.

Das Regime unter Milosevic war zwar auf seine Person zugeschnitten. Mehr aber sorgte die NATO-Propaganda insbesondere zum Kosovokrieg dazu, dass er als ein zweiter Hitler dargestellt wurde. Das war er sicher nicht. Die Anzettelung von Kriegen zwecks Machterhalt, die Einschränkung der Medienfreiheit, die Vertreibung von Minderheiten, der Aufbau und Unterhalt oder zumindest Tolerierung von paramilitärischen Einheiten und anderes stand auf seinem Programm, nicht aber die Ausrottung von Minderheiten. Zudem war es der Opposition in Jugoslawien über viele Jahre möglich, weitgehend frei von Repressionen zu arbeiten. Erst in diesem Jahr spitzte sich beispielsweise die Situation für Frauen in Schwarz und andere Menschenrechts- und Friedensorganisationen dermaßen zu, dass einige von ihnen das Land verlassen mussten.

So ist nach dem Sturz von Milosevic auch so manches noch wie zuvor. Einige wichtige Posten sind von ihm nahestehenden Personen besetzt. Im Bundesparlament haben die bisherigen Regierungsparteien auch weiterhin die Mehrheit, zumindest bis zur Wahl Ende Dezember. Wichtiger wiegt aber noch, dass die durch die Kriege hervorgerufene Militarisierung der Gesellschaft, die Polarisierung und der geschürte Hass entlang ethnischer Definitionen bestehen bleibt.

Kostunica hat die Wahl gewonnen, aber nicht nur, weil sich die meisten Oppositionsparteien auf ihn als Präsidentschafts- kandidaten einigen konnten, sondern auch, weil er einen nationalistischen Wahlkampf geführt hat. Die Hoffnungen, die sich mit ihm verbinden, zeigen das Dilemma der jugoslawischen Gesellschaft eigentlich noch einmal in aller Deutlichkeit auf. Ihm wird eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Veränderung der Gesellschaft zugeschrieben, womit er zu einem "Retter der Nation" stilisiert wird. Die Fixierung auf ihn könnte dabei zugleich zu einem Verhängnis werden, denn sie widerspricht eklatant allen Ansätzen, eine autoritätsfixierte und militarisierte Gesellschaft zu reformieren. Auf der anderen Seite hat er lange nicht soviel Macht, wie ihm zugeschrieben wird. Er ist deshalb an dieser Position darauf angewiesen, immer neue Koalitionen auch mit den VertreterInnen der alten Nomenklatura zu bilden - und ist damit in den Möglichkeiten der Veränderung grundsätzlich eingeschränkt.

Überhaupt bleibt bislang offen, welche Zielrichtung er einschlagen wird. Sicher ist nur, dass es ihm um eine Annäherung Serbiens an die westlichen Staaten geht, was sicher mit zunächst noch einmal drastischen Konsequenzen für die Bevölkerung verbunden sein wird und dem Ausverkauf der industriellen Infrastruktur Serbiens.

Situation von Deserteuren und Kriegsdienst- verweigerern
In dieser Situation müssen sich diejenigen verorten, die sich in den Kriegen zuvor geweigert haben, an den Verbrechen teilzunehmen. Es sei noch einmal daran erinnert. Es waren nach Schätzungen des Belgrader Helsinkikomitees für Menschenrechte allein von 1991 bis 1995 200.000 Wehrpflichtige. Im Kosovo/a-Krieg dürften es einige Zehntausend gewesen sein. Es wird von über 20.000 Strafverfahren gesprochen, die 1999 eröffnet worden sind. Die uns bekannten Verurteilungen beliefen sich in aller Regel auf über 5 Jahre. Durch die Erhöhung der Strafandrohung aufgrund des ausgerufenen Kriegszustandes und bei evtl. Flucht ins Ausland droht den Deserteuren und Kriegs- dienstverweigerern nach wie vor eine strafrechtliche Verfolgung mit Haftstrafen von 5 bis zu 20 Jahren. Daran kann erst ein umfassendes Amnestiegesetz, welches auch tatsächlich von Militär und Gerichten eingehalten wird, etwas ändern.

Rekrutierung während des Kosovo/a-Krieges
Aus der deutschen Praxis kennen wir es: die Post stellt mit einem Einschreiben die Einberufung zum Militär- oder Zivildienst zu. Was hier ein üblicher Verfahrensweg ist, entspricht allerdings keineswegs der Praxis in anderen Ländern, insbesondere dann nicht, wenn diese Länder Krieg führen. So gab es in der Bundesrepublik Jugoslawien mehrfach Rekrutierungswellen, bei denen willkürlich Männer verhaftet und in die Kasernen gebracht wurden, unter ihnen auch Flüchtlinge aus Bosnien und Kroatien. Wir nennen dies "wilde Rekrutierungen" und einige Beispiele sollen verdeutlichen, wie man sich das vorstellen muss:

  • "In Pancevo führten sie eine Razzia in einem Flüchtlingslager durch und nahmen alle Männer fest."
    (Politika vom 14. Juni 1995)

  • "Am 21. Juni überprüfte die Polizei in Belgrad einen Bus der Linie 26 und rekrutierte einen Mann."
    (Zeugenaussage vom 21. Juni 1995)

  • "Serbische Polizei umstellte in Belgrad das Café Havanna und nahm 80 Leute mit."
    (Radio B 92 vom 22. Juni 1995)

  • "Mirko Drljaca aus Hrtkovci wurde an beiden Beinen verletzt, als er versuchte, der Mobilisierung zu widerstehen."
    (Telegraf vom 21. Juni 1995)1

  • "Anfang Februar berichteten albanische Quellen aus dem Kosovo, dass 'die serbischen Behörden serbische Flüchtlinge in die Polizeieinheiten im Kosovo einberiefen'. Das UNHCR verurteilte Anfang März die serbischen Behörden wegen der 'Rekrutierung serbischer Flüchtlinge, was allen internationalen Konventionen vollkommen widerspricht'. Das Flüchtlingskommissariat, eingesetzt von der serbischen Regierung, 'bestritt dies' sofort und 'klagte die unabhängigen Medien an, absichtlich falsche Informationen zu verbreiten', obwohl sie zugleich die Wahrheit zugaben: 'einige junge männliche Flüchtlinge erhielten Einberufungsbescheide, (...) aber es ist sicher, dass sie nicht mobil gemacht werden'."
    (Stasa Zajovic im März 1998)

  • "Einige der Flüchtlinge, die in Privatwohnungen leben, wurden direkt telefonisch einberufen."
    (Stasa Zajovic im März 1998)2

  • "Junge Männer aus Kraljevo berichten, dass 'Dich jetzt sogar die zivile Polizei schnappt: sie halten Dein Auto an, fragen nach den Papieren und nehmen Dich mit.'"
    (Stasa Zajovic im März 1999)

  • "Sie nehmen Leute mit, schnappen sie in der Nacht, weil sie nicht freiwillig kommen."
    (Radio B 92 vom 18. März 1999)

Was im Vorfeld aller bisherigen Kriege im ehemaligen Jugoslawien geschah, war auch Praxis vor dem Kosovo/a-Krieg. So wurde seit Oktober 1998 wieder vermehrt über Rekrutierungen berichtet. Dies waren in aller Regel Einberufungen von Reservisten zu Wehrübungen. Es gab in keinem Fall eine offizielle Mobilisierung für den Krieg. Tatsächlich wurden die Reservisten aber im Kriegsgebiet eingesetzt.

Die große Welle der Mobilisierung begann nach der ersten Runde der Verhandlungen in Rambouillet. Sie fand in viel größerem Maß in den Regionen, außerhalb von Belgrad, statt. Rekrutiert wurde neben der Zusendung von Einberufungs- bescheiden auch in Form von Razzien und Polizeikontrollen auf Straßen. Männer im wehrpflichtigen Alter wurden von der Straße weg zum Militär gebracht.

In anderen Fällen wurden Soldaten am Ende ihres regulären Dienstes nicht entlassen, sondern der Dienst unbefristet verlängert. Das trifft auch auf Reservisten zu, die zu "Wehrübungen" einberufen wurden.

Ohne formalen Einberufungsbescheid haben Deserteure und Kriegsdienstverweigerer, die ins Ausland flüchteten, erhebliche Probleme, ihren Schritt und die damit verbundene Gefahr glaubhaft zu machen. Wer sich in einer solchen Situation den Rekrutierungen entzieht, kann oft nicht nachweisen, dass auch er persönlich zu einer Wehrübung, d.h. zum Kriegsdienst einberufen wurde, weil ihm kein Einberufungsbescheid auf dem formalen Weg zugestellt wurde.

Hoffnung auf eine Amnestie
Auf einem Treffen zur Frage der Kriegsdienstverweigerung, das im Sommer 2000 in Leskovac, im Süden Serbiens, stattfand, beschlossen die dort anwesenden 60 TeilnehmerInnen: "Wir fordern alle politischen Kräfte dazu auf, für die dringende Verabschiedung eines Amnestiegesetzes zu arbeiten. Wir fordern die Regierung der Bundesrepublik Jugoslawien dazu auf, ein Amnestiegesetz für alle Straftaten des militärischen Ungehorsams während des letztjährigen Konfliktes um den Kosovo und der NATO-Intervention zu verabschieden, mit Ausnahme derjenigen, die Kriegs- verbrechen begangen haben. (...) Das heißt: die augenblickliche Freilassung aller Gefangenen und die Einstellung aller Strafverfahren gegen Militärdienst- verweigerer."3

Am 30. Oktober 2000 war der Frankfurter Rundschau zu entnehmen, dass "der neue jugoslawische Präsident Vojislav Kostunica alle politischen Gefangenen, Wehrdienst- verweigerer und Fahnenflüchtigen begnadigen und damit ein Zeichen für den Bruch mit der Herrschaft des früheren Präsidenten Slobodan Milosevic setzen will". Ein hoffnungsvolles Zeichen ist dies vor allem deswegen, da er mit der Ausarbeitung ein Komitee unter Leitung von Stevan Lilic beauftragt hat, der sich im Rahmen des Jugoslawischen RechtsanwältInnenkomitees für Menschenrechte seit Jahren für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung einsetzt. Noch wissen wir nicht, ob es tatsächlich eine umfassende Amnestie geben wird und sind daher auf Vermutungen angewiesen. Es lassen sich aber sehr wohl Rückschlüsse aus dem letzten Amnestiegesetz von 1996 ziehen.

Erinnern wir uns. Damals wurden alle Personen amnestiert, die bis zum 12. Dezember 1995 der Einberufung keine Folge leisteten und eine strafbare Handlung im Sinne des Artikels 214 oder durch Unerlaubtes Entfernen von der Truppe eine strafbare Handlung im Sinne des Artikels 217 des Strafgesetzbuches der Bundesrepublik begangen haben. (...) Ausgenommen sind Berufssoldaten bzw. aktive Offiziere und aktive jüngere Offiziere."4

Das hieß also, dass Militärdienstentziehung und Fahnenflucht, längst nicht aber alle anderen möglichen Delikte, amnestiert wurden. So standen dann weiter "Dienst in den feindlichen Streitkräften", "Befehlsverweigerung" und anderes unter Strafe. Gleichwohl gab es nur wenige Berichte, dass das Amnestiegesetz nicht eingehalten wurde.

Das war aber keineswegs die einzige Konsequenz. Mit der zumindest formal erfüllten Bedingung des Daytoner Abkommens, eine Amnestie zu verabschieden, war auch ein Startschuss für die westeuropäischen Regierungen gegeben worden, Militärdienstflüchtige aus der Bundesrepublik Jugoslawien abzuschieben. So kam es dazu, dass abgeschobene Personen, die sich der Teilnahme an den Kriegen entzogen hatten, in Jugoslawien wieder zu Reserveübungen einberufen wurden, d.h. faktisch zum Krieg. Hier erwies sich die Erfüllung der formalen Voraussetzung als ein zynisches Instrument, im Rahmen menschenrechtlicher Standards den Kriegführenden zuzuarbeiten und zugleich das Primat der Flüchtlingsabwehr durchzusetzen.

Eine Amnestie bedeutet auch keine Rehabilitierung der Deserteure, sondern vielmehr eine Einstellung der strafrechtlichen Verfolgung für ein Delikt, oder mehrere, die bis auf den von der Amnestie benannten Zeitraum weiter ein strafrechtliches Vergehen darstellen. Der Makel bleibt. Und wie wir aus der Geschichte Deutschlands und dessen Umgang mit Deserteuren und Verweigerern des II. Weltkrieges wissen, werden sie in großen Teilen der Gesellschaft noch heute, nach über 50 Jahren, als Verräter angesehen. Milomir Mostic, der aufgrund der Repressionen nach Budapest floh, fragt da zu recht: "Realisiert irgendjemand, was uns bei einer Rückkehr erwartet? Wie kann unser Freund Sinisa zurückkehren, wenn ihn sein Großvater töten will? Wie können wir zurückkehren, wenn unsere Nachbarn im Kosovokrieg Familienmitglieder verloren haben? Mein Vater warnte mich, bevor ich das Land verließ: 'Wenn Du Dein Vaterland verlässt, komm' niemals zurück!' Meine Mutter erzählte mir, dass er in eine neue, höhere Position in der Koalition der linken Parteien, geführt von der Frau Milosevics, Mira Markovic, gewählt wurde. Ich fragte sie, was sie nun machen wollen? 'Ganz bestimmt nichts Gutes', sagte sie. Für sie sind wir Verräter und werden es für immer bleiben. Veränderungen des politischen Systems haben nichts mit solchen Familientragödien und irrationalem Hass zu tun."

Es sind die außergesetzlichen Repressionen, die Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern nicht nur das Leben schwer machen können, sondern ihnen die Lebensgrundlage entzieht. Es kann Schwierigkeiten bei der Anmeldung bei den Behörden geben, bei der Suche nach einem Job, bei der Einschulung von Kindern, in der Nachbarschaft. Wird ihre Handlung bekannt, so erwartet sie eine umfassende Ausgrenzung und Schikanierung. Sie hätten nur dann eine Chance, wenn sie ihre Handlung verheimlichen oder sie gar als Fehltritt darstellen.

Darum ist die Forderung nach eine Amnestie, besser noch in Zusammenhang mit einer öffentlichen Rehabilitierung, unbedingt notwendig, um zumindest eine strafrechtliche Verfolgung zu beenden. Wichtiger ist aber noch, dass die Deserteure und Kriegsdienstverweigerer selbst entscheiden müssen, ob und wann sie zurückkehren, ob ihre Rückkehr sicher genug ist.

Flüchtlingspolitik der westeuropäischen Länder
Die Veränderungen in Jugoslawien wurden von den Regierungen der westlichen Länder regelrecht herbeigesehnt. Sie dienen nun nachträglich als weitere Begründung für den militärischen Einsatz der NATO. Dabei hatte die Bombardierung gerade eine kontraproduktive Konsequenz in Bezug auf die Strukturen in Jugoslawien: die ohnehin schwache Opposition wurde während des Krieges vollkommen marginalisiert, weil das Regime unter Milosevic sich wieder einmal als Retter von Serbien gegen einen, in diesem Falle übermächtigen Feind, darstellen und die Opposition als Handlanger des Westens brandmarken konnte.

Seit Jahren versucht z.B. die Bundesrepublik Deutschland, Flüchtlinge aus der Bundesrepublik Jugoslawien abzuschieben, mit unterschiedlichem Erfolg. Zunächst war das nicht umsetzbar, weil es keine Flugverbindungen gab. 1996 wurde ein Rückübernahmeabkommen zwischen beiden Ländern vereinbart, was aber nicht in allen Fällen umgesetzt werden konnte. Konkret wurden in Einzelfällen abgeschobene Flüchtlinge von den Behörden der Bundesrepublik Jugoslawien abgelehnt und zurückgeschickt. Schließlich verhinderte der Krieg die Abschiebung. So leben einige seit Anfang der Neunziger Jahre ohne Aussicht auf einen ständigen Aufenthalt in Deutschland, halbjährlich mit Duldungen abgespeist. Ihnen wurde auch, wie den bosnischen Flüchtlingen, jede Chance auf die Inanspruch- nahme der sogenannten Altfallregelung von 1999 ausdrücklich verwehrt.

In diesem Zusammenhang ist auch unklar, wie mit der Entscheidung des Innenministeriums, Deserteure und Kriegsdienstverweigerer des Kosovo/a-Krieges aufzunehmen, die ihre Militärdienstentziehung oder Desertion glaubhaft machen konnten, in Zukunft umgegangen wird.

Man muss sicherlich befürchten, dass sehr bald Stimmen erhoben werden, dass mit einer Amnestie ihr Aufenthalt zu beenden sei. Es steht zu befürchten, dass selbst ohne ein Amnestiegesetz Abschiebungen stattfinden werden, zunächst bei Flüchtlingen, die schon lange in Deutschland sind, schließlich aber auch bei denjenigen, die eigentlich unter die Regelung des Innenministeriums fallen müssten.

Aufnahme von Deserteuren durch Städte
Die Frage der Desertion im Zusammenhang mit dem Kosovo/a-Krieg hatte den Initiativen zur Aufnahme von Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern aus Kriegs- und Krisengebieten heftigen Aufwind gegeben. Insbesondere das Argument, dass die NATO zunächst Soldaten der jugoslawischen Armee zur Desertion aufgerufen hatte, die NATO-Länder dann aber keinen Schutz gewährten, brachte selbst CDU-Parlamentarier ins Grübeln. Keine Frage, hier ging es um die schlechteren und besseren Deserteure. Die Deserteure der jugoslawischen Armee sind die good guys in einem Krieg, der von der NATO geführt wurde. Nichts kann dies deutlicher machen, als die Strafprozesse, die zugleich gegen FriedensaktivistInnen in Deutschland geführt werden, weil sie im Kosovo/a-Krieg deutsche Soldaten zur Desertion und Befehlsverweigerung aufriefen.

Mit Blick auf den Kosovo/a-Krieg kam es in verschiedenen Städten zu Beschlüssen zur Aufnahme von Deserteuren, teilweise sogar mit Zustimmung der CDU-Fraktionen. Kurz nach dem Krieg gelang es sogar in zwei Fällen, Kriegsdienstverweigerer nach Münster einzuladen. Allerdings blieben das die einzigen Fälle.

In den anderen von den Städten an das deutsche Konsulat in Budapest herangetragenen Fällen verweigerte dieses die Erteilung eines Visa. Es war immer die gleiche Begründung: Ihr Aufenthalt in Ungarn sei zwar befristet. Gleichwohl hätten sie aber die Möglichkeit, die vom ungarischen Staat in Form der Flüchtlingslager angebotene Unterstützung anzunehmen, so dass ihr Auskommen gesichert sei. Zudem lasse sich die Situation des dargestellten Einzelfalls mit der von anderen Flüchtlingen vergleichen und sei keinesfalls dramatischer. Schließlich drohe ihnen auch nicht unmittelbar die Abschiebung nach Jugoslawien.

Hier ist daran zu erinnern: die Botschaften sind an die Weisungen des Auswärtigen Amtes gebunden. Und was in zwei Fällen möglich war, sollte offensichtlich in allen anderen Fällen nicht mehr umsetzbar sein. Dennoch war damit noch nicht das Ende erreicht. Nach heftiger Intervention durch einen Abgeordneten der SPD stimmte die Botschaft zu, dass "sich die Botschaft allerdings einer Visumserteilung nicht widersetzen wird, falls die Stadt Freiburg in diesem konkreten Fall trotz der negativen Stellungnahme der Botschaft aufgrund dort vorliegenden zusätzlichen Erkenntnissen eine Vorabzustimmung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in der Form des Visums erteilt."5 Nun liegt es an der Stadt Freiburg - und die wartet wohl ab, wie so viele andere auch.

Die Entscheidung, einige Deserteure und Kriegsdienst- verweigerer aufzunehmen, hängt also von so vielen Gremien und Personen ab, dass es geradewegs als Zufall erscheint, wenn all dies wirklich zusammenpassen sollte. Tatsächlich ist es kein Zufall, denn die Aufnahme von Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern bedeutet immer ein Politikum und eine Auseinandersetzung mit der Frage, welche Rechte einem Einzelnen gegenüber dem Militär zustehen. Und nicht nur das: die Entscheidungen ziehen sich auch über Monate hin, in denen sich möglicherweise die Situation im Herkunftsland verändert, ganz sicher aber der Deserteur selbst weiterhin im Ungewissen gelassen wird.

Nun sind die Städte möglicherweise sogar gefragt, ob sie bei ihren grundsätzlichen Beschlüssen bleiben und versuchen, Deserteure und Kriegsdienstverweigerer auch aus anderen Kriegs- und Krisengebieten aufzunehmen, oder ob es bei dieser einmaligen Kampagne bleibt, die sich lediglich auf diejenigen bezog, die sich "auf der richtigen Seite" dem Ansinnen des Militärs entzogen, am Krieg teilzunehmen.

Fazit
Bei all diesen Unwägbarkeiten bleibt dennoch zum Abschluss festzuhalten, dass es darum gehen muss, Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern die Entscheidung zu überlassen, wo und wie sie am Besten vor Repressionen, vor der Stigmatisierung als Verräter geschützt sind. Sie müssen selbst entscheiden, ob eine Rückkehr für sie sicher genug ist. Erst mit einem sicheren Aufenthaltsstatus sind sie in ihrer Entscheidung frei, im Exil zu bleiben oder zurückzukehren. Erst dann können sie auch positiv in dem Sinne wirken, dass sie mit ihrer eigenen Entscheidung möglicherweise in ihren Herkunftsländern gegen Militär und Krieg aktiv werden können.

  1. Beispiele aus: Bojan Aleksov, Rudi Friedrich: Bericht über neue Rekrutierungen seit dem 11. Juni 1995. Rundbrief "KDV im Krieg", Offenbach 4/95
  2. aus: Broschüre: Connection e.V. u.a. (Hrsg.): "Kriegsdienstverweigerung und Asyl in Europa", Mai 1998, S. 31f
  3. Appell für eine Amnestie der Deserteure in der Bundesrepublik Jugoslawien. Zitiert nach: Rundbrief "KDV im Krieg", Offenbach, 4/00, S. 10
  4. nach: Rundbrief "KDV im Krieg", Offenbach, 5/96, S.6
  5. Schreiben des Botschafters Wilfried Gruber an MdB Gernot Erler vom 9. August 2000

aus: Connection e.V., Bildungswerk der DFG-VK Hessen: Milosevic abgewählt - und nun?. Die Broschüre entstand aus Anlass der Rundreise "Milosevic abgewählt - und nun?", November 2000. Mit Dank für den Zuschuss der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) Landesverband Niedersachsen/Bremen

 

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