20.07.2002 (veränderte Version: 3.08.02)

Diskussionsbeitrag

Warum ich am 22. September
kein Kreuzchen machen werde

"Diesmal weiß ich wirklich nicht, hinter welcher Partei ich mein Kreuzchen machen soll."

Das ist ein häufig zu hörender Seufzer.
Auch mich bedrückt diese Frage. Doch je näher der Wahltermin rückt, desto sicherer werde ich mir. Ich werde von meinem Wahlrecht Gebrauch machen, indem ich es nicht ausübe.

Damit möchte ich ausdrücken, dass ich ja gar keine Wahl mehr habe. Die Parteien vertreten in den wichtigsten Politikbereichen eine gleiche, von mir abgelehnte Position.

Frieden

Während der ehemalige Bundeskanzler Kohl sich 16 Jahre lang vergeblich darum bemühte, die Bundeswehr zu einer weltweit agierenden Eingreiftruppe umzuformen, gelang dies Bundeskanzler Schröder mit Unterstützung der Bündnisgrünen innerhalb kürzester Zeit. Auch deutsche Soldaten müssen im Kosovo-Krieg und zur aussichtslosen Befriedung von Stammesfehden in Afganistan ihr Leben aufs Spiel setzen. Tatsächlich ist der Afghanistan-Krieg ein Feldzug um Öl und geostrategische Vorteile für die USA. Und die USA plant weltweit weitere kriegerische Aktionen mit deutscher Beteiligung, ohne dass von deutschen Politikern der notwendige massive Protest zu vernehmen ist.

Soziale Sicherheit und Arbeitslosigkeit

Gegen die Einschnitte im sozialen Netz (Renten, Sozialversicherung, Gesundheit, usw.) wird von keiner Partei ernsthaft Sturm gelaufen. Stattdessen wird die Lüge verbreitet oder unwidersprochen stehen gelassen, Einsparungen im sozialen Bereich würden zu mehr Arbeitsplätzen führen. Wieso eigentlich? Ein Ergebnis ist doch, dass Personen, die im Gesundheitsbereich arbeiten, entlassen werden und die Kaufkraft derjenigen, deren Einkommen verringert wird, abnimmt Der Effekt ist also ein gänzlich entgegengesetzter als behauptet wird.

Umwelt

Selbst hier sind sich die Parteien im Wesentlichen einig. Beispiel Abfallbeseitigung: Während früher verkündet wurde, es müsse Müll vermieden werden, wird heute weitgehend auf Müllbeseitigung durch Verbrennen gesetzt. Trotz bestehender Überkapazitäten bei Müllverbrennungsanlagen wird auch noch die Mitverbrennung von Müll z. B. in Kalk- und Braunkohleöfen gefördert. Das bewirkt, dass die im Müll vorhandenen Schadstoffe bundesweit über Luft, Wasser, Boden, Nahrungsmittel und Konsumgüter gleichmäßig verteilt werden. Dazu gehören auch schwach strahlende Abfälle aus Atomanlagen, da Rot-Grün unbemerkt von der Öffentlichkeit beschlossen hat, sie wie konventionelle zu behandeln und vom Etikett "radioaktiv" zu befreien.

Auch der versprochene Ausstieg aus der Atomkraft wurde nicht vollzogen. Entgegen der offiziellen Darstellung ist das Atomausstiegsgesetz ein Ausstiegsverhinderungsgesetz. Das Gesetz ist so abgefasst, dass die in ihm genannten Laufzeiten für die einzelnen AKWs - auch die älteren - verlängert werden können. Darüber hinaus hat es u.a. mit Standortzwischenlagern und der weitestgehenden Beseitigung der atomrechtlichen Aufsicht die Position der Atomfirmen außerordentlich gestärkt, so dass das Neubauverbot für AKWs nicht durchsetzbar sein wird Ich bin mir sicher, dass auch eine zum zweiten Mal gewählte rot-grüne Bundesregierung es auf Wunsch der Atomwirtschaft rasch beseitigen wird. Wozu fördert sie denn sonst das deutsch-französische Gemeinschaftsprojekt von Framatom und Siemens für einen neuen europäischen Reaktor, den EPR ?

Gleichfalls gibt es keine ernsthaften Bemühungen der Massentierhaltung und der die Böden ausbeutenden intensiven Landwirtschaft wirksam Einhalt zu gebieten. Statt mit "Lebensmitteln", die der menschlichen Gesundheit und Abwehrkraft dienen, wird die Bevölkerung mit gehaltlosen Nahrungsmitteln versorgt.

Die politische Selbstentmachtung zu Gunsten der Großkonzerne

Die VertreterInnen der derzeit agierenden politischen Parteien schufen und schaffen Gesetze, die den Unternehmen starke - fast unanfechtbare - Rechte gewähren und ihre Verpflichtung gegenüber dem Allgemeinwohl missachten. Damit berauben die Politiker sich selbst der Möglichkeit, die Bevölkerung vor negativen Auswirkungen wirtschaftlichen Handelns zu schützen. Profitieren werden davon letztendlich die nationalen, vor allem die internationalen Konzerne. Existentiell betroffen werden aber kleine und mittlere Betriebe in Industrie, Handel und Landwirtschaft und die Bevölkerung. Die Menschen werden den Gefährdungen für Gesundheit und Lebensgrundlagen, die sich aus Umweltbelastungen und finanziellen Unsicherheiten ergeben, schutz- und rechtlos ausgeliefert.

Im Rahmen der Globalisierung wird darüber hinaus die Privatisierung der öffentlichen Dienstleistungen vorangetrieben. Auf internationalen Ebenen wie EU und WTO haben die Politiker Absprachen getroffen (GATS), die sie der Öffentlichkeit gegenüber fälschlich als völkerrechtlich verbindlich darstellen, obwohl es dazu keine demokratische Willensbildung durch parlamentarische Abstimmungen gegeben hat.
Ausländische Investoren und Finanziers sollen das Recht erhalten, nationale öffentliche Dienstleistungen (Aufgaben der staatlichen Daseinsvorsorge wie Bildung, Kultur, Wasserversorgung, Wasserentsorgung usw.) zu übernehmen, lediglich mit dem Ziel, Gewinne zu erzielen.

Von keiner politischen Seite wird Protest gegen diese Selbstentmachtung der Politiker laut, geschweige denn, dass die Politiker sich verpflichtet fühlen, zum Schutz der Bevölkerung dem uneingeschränkten Freihandel und den Machtansprüchen der internationalen Großkonzerne entgegenzutreten. Auch dass die Vereinigten Staaten nach weltweiter Dominanz streben, wird von den deutschen Politikern eher unterstützt als bekämpft und sogar der Bevölkerung gegenüber als politisch notwendig dargestellt.

Folgende Erwartungen habe ich gegenüber den Politikern:

  • Zurücknahme der Zustimmung zum weltweiten Einsatz deutscher Soldaten bei kriegerischen Aktionen
  • Kritische Distanz zum weltweiten Führungsanspruch der USA
  • Wahrnehmung der Aufgaben der Daseinsvorsorge (Wasserversorgung, Abfallentsorgung, Energieversorgung, Gesundheit, Bildung, Kultur usw.) als politische und per Verfassung auferlegte Pflicht.
  • Keine Auslieferung dieser nationalen staatlichen Aufgaben an private Firmen und Geldgeber.

Erst wenn Parteien in den nächsten 4 Jahren auf der Grundlage obiger Punkte politisch arbeiten, werde ich als bewußte Nichtwählerin des Jahres 2002 in 2006 mein Stimmrecht wieder ausüben.
Für die Wahl 2002 möchte ich an alle, die wegen der nicht mehr existierenden Wahlmöglichkeit ihre Stimme nicht sinnlos vergeben wollen, appellieren, öffentlich kundzutun, warum sie kein Kreuzchen machen. Es ist unbedingt erforderlich, unsere Meinung in die Öffentlichkeit zu bringen, dass die Parteien wegen der weitgehenden Übereinstimmung in ihren Positionen zu Überlebens- und Demokratiefragen keine Alternativen bieten. In diesem Sinne hat sich bereits eine Wahlboykottinitiative gegründet. Die Initiatoren haben auch schon Vorstellungen zur Durchführung eines Wahlboykotts entwickelt. So sollen entschiedene Nichtwähler ihre Benachrichtigungskarte an ein Anwaltsbüro senden, wo die Karten ausgezählt und vernichtet werden. Dazu müssten natürlich auch Öffentlichkeitskampagnen (Anzeigen, Leserbriefe, Schreiben an MdBs, usw.) laufen, in denen die Motivationen für die Nichtwahl dargelegt werden.

Weiteres siehe www.wahlboykott2002.de

 

Traute Kirsch

 

Geistes-Blitz-Werk