31.05.2003

Braune Kapitel
von Kohren-Salis

Kohren-Salis, eine beschauliche sächsische Kleinstadt will ihr 550-jähriges Bestehen feiern und verheddert sich in die braune Vergangenheit.

Gleich in zweierlei Hinsicht erstehen die Schatten der Nazi-Vergangenheit in Kohren-Salis wieder auf. In Kohren-Salis befand sich eines der berüchtigten "Lebensborn"-Kinderheime. Während dieses dunkle Kapitel verdrängt wird, soll ein Nazi-Dichter gefeiert und zugleich dessen braune Flecken übertüncht werden.

Obwohl der Bürgermeister von Kohren-Salis, Konrad Steglich (parteilos), gleich mehrfach Hinweise erhielt, daß der Historiker und Leiter der Gedenkstätte Hadamar, Georg Lilienthal, der über die "Lebensborn"-Heime wissenschaftlich gearbeitet hat, zum Thema referieren könne, wurde versucht, dies zu ignorieren. Die Planungen zur 550-Jahrfeier laufen zwar bereits seit Monaten, doch das Kapitel "Lebensborn" sollte anscheinend ausgeblendet bleiben. Die Hinweise seien zu spät gekommen, sagt der Bürgermeister. Vielleicht kennt sich der Bürgermeister ja in der Stadtgeschichte nicht aus und wußte nichts vom "Lebensborn"-Kinderheim? Für die 200 Seiten umfassende Chronik der 550-jährigen Stadtgeschichte war in Absprache mit den Herausgebern von einer Historikerin auch ein Text über das Heim verfaßt worden. Er fehlte bei der Veröffentlichung. Der Verfasserin wurde kein Grund genannt.

Im Gegensatz hierzu soll jedoch der Nazi-Dichter Börries Freiherr von Münchhausen (1874-1945) gefeiert werden. Merkwürdig, daß sich an diesen jemand erinnert - allerdings war die Erinnerung bereinigt. Auch ein Professor Rainer Arnold vom Töpfermuseum in Kohren-Salis wußte anscheinend nur von den Versen des Dichters, die noch heute den Töpferbrunnen von 1928 zieren, daß er "nunmal eine berühmte Person der deutschen Literaturgeschichte" sei und zweifelsohne der "größte Balladendichter seiner Zeit". Es nutzte auch nichts, daß ein PDS-Stadtrat der Erinnerung auf die Sprünge helfen wollte. Alle hielten sich wohl die Ohren zu. Pech nur für die vereinigten Verdrängungsfraktionen, daß Börries von Münchhausen der Urgroßonkel der streitbaren Jutta Ditfurth ist. Glücklicherweise hat Jutta Ditfurth noch nie Hemmungen gezeigt, verschämt versteckte braune Flecken ans Licht der Öffentlichkeit zu befördern. Erinnert sei an den Fall Ernst Jünger. Wie nicht anders zu erwarten, wird Jutta Ditfurth auch diesmal hierfür angegiftet: Von "anmaßender Einmischung" ist in der Leipziger Volkszeitung zu lesen. Es fehlte nur noch, daß ihr zugleich "Nestbeschmutzung" vorgeworfen wird.

Wo einerseits in der neu veröffentlichten Stadtchronik keine Zeile über das Nazi-Kinderheim zu finden ist, geht Prof. Arnold zur präventiven Verteidigung des Nazi-Dichters in Stellung und schreibt darin, dieser habe sich "von allem Politischen, so gut es eben ging, vollkommen fern" gehalten und erst "im späteren Leben" sei dem Poeten manch anitsemitischer "Mißton" entschlüpft.

Jutta Ditfurth hält dem entgegen, ihr Urgroßonkel habe bereits den Ersten Weltkrieg glorifiziert (, was allerdings auch manchen Sozialdemokraten zierte) und eine Militärdiktatur der Demokratie vorgezogen. Sie führt aus, daß er mit reaktionären Kräften um den mächtigen Verleger Hugenberg paktierte, denen Hitler seinen Aufstieg verdankte und vergißt auch nicht zu erwähnen, daß er noch 1912 einigen alttestamentarische Helden mit jüdischen Namen huldigte. Doch mit dem Ersten Weltkrieg sei er zum Rassisten und Antisemiten geworden, der an drei "Völkerwiegen" glaubte, die er 1923 so charakterisierte: "Die der Kulturschöpfer in Nord- und Mitteleuropa, die der Kulturzerstörer in den asiatischen Steppen und die semitische der Kulturschmarotzer in Arabien".

1930 wütete er gegen den Einfluß "satanischer" jüdischer Literaturkritiker wie Alfred Kerr und "anderer Berliner Juden", deren "Plan (…) nichts anderes bedeute (…) als die dauernde Vergrößerung des jüdischen (…) als zersetzenden Elementes". Als die NS-Faschisten 1933 die Herrschaft übernahmen, war er längst ein beliebter und berühmter Nazidichter. 1936 setzte er sich beim NS-Reichsinnenminister Frick mit Erfolg dafür ein, daß den Juden, die seit 1900 deutsche Namen angenommen hatten, diese "Tarnnamen" abgenommen werden müsse: "..., daß eine solche Maßregel in Zukunft das Erkennen der Juden leichter machen würde,..."

In einem Interview versuchte Prof. Arnold sein Idol Börries von Münchhausen mit der Behauptung zu entlasten, dieser habe Juden versteckt. Jutta Ditfuth kontert darauf in aller gebotenen Härte: "Niemand in meiner Familie weiß davon. Was wurde aus den Juden? Wie sind ihre Namen?"

Es ist der Stadt Kohren-Salis zu ihrem 550-jährigen Jubiläum zu wünschen, daß diese Debatte zu lange entbehrter Klarheit verhilft. Was zu lange unterm Deckel gehalten wird, bricht sich oft schmerzlich Bahn.

 

Harry Weber

 

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