17.10.2004

Artikel

Bundesweites
Koordinierungs-Treffen
der Montags-Demos

in Hannover: Über 250 TeilnehmerInnen aus 96 Städten

Über 250 TeilnehmerInnen waren am Samstag zu einem bundesweiten Koordinierungs-Treffen nach Hannover gekommen. Aus 96 Städten kamen 107 gewählte Delegierte. Aus manchen Städten, wo keine Delegierten gewählt werden konnten oder wo sich wegen der langen Anreise niemand gefunden hatte, wurden Gruß-Botschaften verlesen, so beispielsweise aus Görlitz.

In der bisherigen siebenköpfigen Koordinierungs-Gruppe, die das Treffen vorbereitet hatte, war leider bisher keine Frau vertreten - ein Manko, das allerdings bei der Neuwahl einigermaßen ausgebügelt wurde. Überhaupt mußte sich auf dem Treffen so mancher Mann treffsichere Antworten von Seiten streitbarer Frauen anhören. Die bisherigen Mitglieder der Koordinierungs-Gruppe kamen aus Berlin, Dortmund, Dresden, Gelsenkirchen, Kassel und Malchow. Obwohl die Montags-Demonstrationen aus dem Süden Deutschlands am Samstag in Hannover schwach vertreten waren, sind auch sie bei der Zusammensetzung der neugewählten Koordinierungs-Gruppe gut repräsentiert.

Immer wieder wurde die Veranstaltung durch Meldungen vom Streik bei Opel in Bochum unterbrochen und die Nachrichten stießen auf großes Interesse - so wurde denn auch zum Ende des Treffens eine Solidaritäts-Adresse an die Opel-Belegschaft diskutiert und abgestimmt.

Für große Unruhe sorgte gleich zu Beginn eine Wortmeldung von Bielefelder Delegierten, laut denen sich zwei "Faschisten" im Saal befänden. Die emotionalen Wellen schlugen hoch, zumal die Vorwürfe - wie kaum anders zu erwarten - im Saal nicht aufgeklärt werden konnten. Soviel konnte immerhin widerspruchsfrei zusammengetragen werden: Zwei der ursprünglich gewählten Delegierten wurden nach der Wahl in Bielefeld von Mitgliedern der dortigen Antifa als FaschistInnen bezeichnet. Danach wurde zu einem anderen Zeitpunkt die Wahl der beiden Delegierten rückgängig gemacht - allerdings ohne ihnen überhaupt Gelegenheit zu einer Antwort auf die Vorwürfe zu geben. In Hannover erklärte einer der beiden Beschuldigten nun, die Vorwürfe basierten zwar zum Teil auf Tatsachen, diese lägen jedoch 15 bis 20 Jahre zurück; er distanzierte sich zugleich klar von rassistischem und faschistischem Gedankengut. Da die über 250 Anwesenden die Versammlung nicht zu einem Tribunal umfunktionieren lassen wollten, wurde die Klärung der Angelegenheit den Bielefeldern aufgetragen. Mit großer Mehrheit wurde dem Beschuldigten die weitere Anwesenheit als Gast ohne Stimmrecht zugebilligt.

Einer der zentralen Punkte des Treffens war sicherlich der Erfahrungsaustausch. So wurde von vielen TeilnehmerInnen beklagt, daß einzelne Organisationen ohne Rücksprache die Anmeldung einer zweiten Montags-Demo vornahmen - an einem anderen Ort als dem, wo bereits mehrere Auftakt-Kundgebungen stattgefunden hatten. Aus der Übereinstimmung dieser Berichte konnte darauf geschlossen werden, von welchen Gruppierungen die Spaltung offensichtlich betrieben wurde.

Als besonders wichtige positive Erfahrungen kristallisierten sich heraus, daß an jenen Orten ein Aufschwung und erneuter Zulauf bei den Montags-Demos zu verzeichnen war, wo auf folgendes geachtet wurde:

  • jeder Montag wird unter ein aktuelles Thema gestellt
  • ein kulturelles Beiprogramm oder eine Party im Anschluß an die Demo wird organisiert
  • die Inhalte werden in witziger Form - beispielsweise im Sketch oder visualisiert - vorgetragen
Für den weiteren Erfahrungsaustausch und als gemeinsame Plattform wurde die Einrichtung einer überparteilichen Internet-Seite verabredet. Mit diese können alle Montags-Demos, die bereits über eine eigene Homepage verfügen, ihre Seite verlinken. Auf diese Weise können die Seiten zudem leichter von anderen Städten aus oder von bislang unbeteiligten, aber interessierten BürgerInnen gefunden werden. Zudem ist eine solche gemeinsame Homepage ein nicht zu unterschätzendes Mittel, um die immer noch anhaltende "Nachrichtensperre" der Massenmedien zu durchbrechen.

Für zukünftige bundesweite Koordinierungs-Treffen wurde ein Delegierten-Schlüssel je nach Größe der örtlichen Montags-Demos diskutiert und verabschiedet. Die TeilnehmerInnen-Zahl bezieht sich dabei auf das bisher vor Ort erreichte Maximum: So soll von Montags-Demos bis maximal 500 TeilnehmerInnen in Zukunft einE DelegierteR entsandt werden, bei maximal 3.000 TeilnehmerInnen 3 Delegierte, bei über 3.000 TeilnehmerInnen 5 Delegierte. Ein weiterer Passus dieser Regelung sorgte für hitzige Diskussionen. So sollen bundesweite Organisationen, die "bei den Montags-Demonstrationen unterstützend mitgewirkt haben" mit je eineRM Delegierten bedacht werden. Dies ist zwar eher als symbolisch zu verstehen, da eine Person im Verhältnis zu ein- oder zweihundert Delegierten kaum ins Gewicht fällt.

Von manchen RednerInnen wurde jedoch angemahnt, daß eine solche Regelung gerade für GegnerInnen der Montags-Demos ein gefundenes Fressen sei. Eine allseits bekannte kleine Partei, die sich vehement und mit viel Engagement bei der Montags-Demo-Bewegung einbringt, werde eh schon für allerlei Vorwürfe als Zielscheibe benutzt. Eine solche Sonderregelung lenke nur unnötig Wasser auf Mühlen jener KritikerInnen. Zusätzlich sorgte diese Sonderregelung für Verwirrung und Protest einer türkischen EmigrantInnen-Organisation. Ein Vertreter dieser Organisation hatte fälschlich angenommen, Mitglieder seiner Organisation könnten in Zukunft nicht mehr auf Montags-Demonstrationen als Delegierte aufgestellt werden, sondern müßten sich mit eineRM einzigen Delegierten bundesweit begnügen. Dieses Mißverständnis konnte aufgeklärt werden und der Passus mit der umstrittenen Sonder-Regelung fand eine klare Mehrheit.

Eben jene kleine Partei geriet dann gegen Ende der Versammlung nochmals ins Kreuzfeuer. Für die Wahl der Koordinierungs-Gruppe hatte die Versammlung mehrheitlich für ein Verfahren gestimmt, wonach die Vorgeschlagenen en bloc gewählt werden, so nicht Einzelabstimmung beantragt würde. Zu zwei der KandidatInnen waren gerade Einzelabstimmungen - einmal Pro einmal Kontra - durchgeführt worden, da stellte ein Teilnehmer den Antrag, über alle Mitglieder jener Partei müsse einzeln abgestimmt werden. Ich stellte dagegen einen Geschäftsordnungs-Antrag dies nicht zuzulassen. Meine Begründung: Bisher hatten sich zwar etliche der KandidatInnen bei ihrer Vorstellung zu Partei-Mitgliedschaften bekannt oder erklärt, keiner Partei anzugehören. Meiner Ansicht nach wäre es jedoch ein Unding, jedeN KandidatIn zu einer solchen Erklärung zu nötigen, das führt zu Inquisition und zurück ins Mittelalter. Mein GO-Antrag wurde mit wenigen Gegenstimmen angenommen.

So konnte die Versammlung mit großer Zeitnot, da der Saal nur bis 18 Uhr zur Verfügung stand, mit Wahlen und der Verabschiedung der Grundsätze der weiteren Zusammenarbeit erfolgreich zu Ende gebracht werden. Neben einer Solidaritäts-Erklärung an die streikende Opel-Belegschaft wurde auch für die Belegschaft von Karstadt/Quelle ein Zeichen der Solidarität verabschiedet. Bei allen - teils auch heftigen - Kontroversen war die Versammlung von einer Aufbruchstimmung und großer Zuversicht geprägt. Der beflügelnde Erfahrungsaustausch und der erfolgreiche Abschluß der Versammlung machte den TeilnehmerInnen sichtlich Mut, die Montags-Demos in einer mit beginnendem Winter sicherlich nicht leichten Zeit fortzuführen.

 

Klaus Schramm

 

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