Kampf gegen Kopftuch und Tschador - aber keine Gesinnungsschnüffelei!
Der Streit zwischen Fereshta Ludin und der baden-württembergischen Kultusministerin Anette Schavan geht in die
letzte Runde. Noch diesen Monat oder aber im September - so die Auguren - werde die Entscheidung ums
Kopftuch fallen. Eine Lapalie? Eine Grundsatzentscheidung?
Seit Ende der 70er Jahre, verstärkt seit 1979, seit dem Sturz des persischen Diktators Pahlewi
wurde das Kopftuch zum Symbol. Seit dem Sturz des Reza Pahlewi (durchaus zu begrüßen - ebenso wie der
Sturz des Saddam Hussein, wenn auch in beiden Fällen die Umstände und Folgen des Sturzes bei mir keine
Freude aufkommen lassen), dem bald darauf folgenden Sieg reaktionärer moslemischer Führer im Iran und der - an
Ablaß-Handel erinnernden - internationalen Finanzierung islamistischer Gruppen durch Saudi-Arabien wurde das
Kopftuch zu einem Symbol des sich ausbreitenden Islamismus. In immer mehr Ländern wurden ein Kopftuch- und
Schleierzwang für muslimische Frauen teils gegen deren Widerstand, teils aber auch mit deren Einwilligung
eingeführt. Das Kopftuch gilt auch in der inner-islamischen Diskussion als Symbol für politische Abgrenzung.
Und hier stehen gemäßigte Moslems in der Scheinalternative zwischen Integration und Abgrenzung auf verlorenem Posten.
Hintergrund des vorwärtsdrängenden Islamismus ist einerseits der Zusammenbruch des Sowjet-Imperiums und das
infolge dessen entstandene Vakuum und andererseits das Fehlen einer erkennbaren aufklärerischen oder
humanistischen Alternative zum - leider oft vereinfachend mit der gesamten westlichen Kultur oder gar der USA
gleichgesetzten - Kapitalismus. Wenn Alice Schwarzer sich im Editorial der Juli-Ausgabe von 'Emma' über die
Verwendung des Begriffs "westliche Dekandenz" ereifert, übersieht sie dabei den Anteil an Kritik, der darin enthalten
ist: Der Kritik, die westliche Kultur sei verkommen zu einer Anbetung des Konsums, der Kritik, "Freiheit und
Demokratie" seien nur verlogene Propaganda und ein Synonym für Unterdrückung, Ausbeutung und für die
Installation williger Potentaten a la Pahlewi oder Saddam. Das ist nur der eine Aspekt, der mit dem Schlagwort
von der "westlichen Dekadenz" angesprochen ist - aber ist der so falsch?
Ging es denn den Frauen unter Schah Reza Pahlewi besser? Was war das für ein Leben der Farah Diba, die statt
dem Kopftuch ein Krönchen trug und die für ihre Füßchen tausende Paar hochhackiger Schuhe zur Auswahl hatte,
während die Kinder- und Müttersterblichkeit im Iran (damals: Persien) eine der höchsten der Welt war? Ich will nicht
behaupten, daß es den Frauen im Iran heute wesentlich besser gehe. Eine bessere Gesundheitsversorgung ja, aber
was für Kuba gilt, gilt auch hier: ohne Freiheit ist das alles zweitrangig. Oder wie war das in der laizistischen Türkei
des Kemal Atatürk, der das Tragen des Kopftuchs verbot. Beweist dieses großangelegte Sozial-Experiment nicht
zur Genüge, daß Menschen nicht zur Freiheit gezwungen werden können?
Wie schnell frau auf die "schiefe Bahn" gerät, wenn sie sich (vielleicht aus altlinker Zwangsneurose, sich immer für
eine von zwei Seiten entscheiden zu müssen?) für den staatlich verordneten Zwang zur Kopftuch-Freiheit entscheidet,
zeigt Alice Schwarzer schön schaurig. Alice Schwarzer mag bei Fereshta Ludin allen Grund haben, daran zu zweifeln,
ob die vorgebrachten persönlichen Gründe ehrlich sind. Und sie mag ganz zu recht die Verbindung zu Milli Görüs
beleuchten, die ihr mehr als die zu einem Arbeitgeber erscheinen. Aber sie bringt all dies nicht als Fragen, sondern
als Beweise. Merkt sie denn nicht, daß sie - bei aller gebotenen Härte in der Sache - plötzlich auf Seiten der
Geheimdienste gelandet ist? Auf welches Terrain sie geraten ist, wenn sie in ihrem Editorial argumentiert, Milli
Görüs würde "seit Jahren vom Verfassungsschutz als potenziell verfassungsfeindlich beobachtet"? Merkt sie
denn nicht, daß sie sich zur Gesinnungpolizistin aufschwingt, wenn sie Fereshta Ludin die Führungen in einer
als "besonders konservativ geltenden Moschee" in den 90er Jahren und Äußerungen in einem Interview von 1997
als Beweise für deren heutige Gesinnung vorhält? Wohlgemerkt, Alice Schwarzer bringt dies hier als Beweise und
schreibt in positivem Konnex, daß Fereshta Ludin als Beamtin "auf dem Boden der freiheitlich demokratischen
Grundordnung stehen muss". Also auch Alice Schwarzer in dieser Gesellschaft "angekommen"? Oh Göttin!
Etwas ganz anderes wäre es, wenn Alice Schwarzer diese Vorhalte in einer offenen Diskussion mit Fereshta
Ludin präsentierte. Diese könnte sie - glaubwürdig oder auch nicht - zurückweisen, sich als Befürworterin oder
Gegnerin von Milli Görüs darstellen. Leugnete sie eine islamistische Position, würde ihre Wirkung als politische
verpuffen, bestätigte sie diese, könnte sich frau offensiv mit den reaktionären Inhalten befassen und der Streit wäre
Teil eines offenen Kampfes gegen islamistische frauenfeindliche Positionen. Wichtig und richtig ist in der neuen
Ausgabe der 'Emma' die Darstellung und Unterstützung des Kampfes französischer Muslimas gegen Kopftuch
und Vergewaltigungen - aber deshalb müssen wir noch lange nicht Anette Schavan zu unserer Mitstreiterin erklären.
Alice Schwarzer hat zurecht erkannt, daß in dieser Gesellschaft ein generelles Kopftuch-Verbot bei Lehrerinnen
ungeachtet der Motive nicht durchzusetzen wäre. Da sie sich nun aber darin verbissen hat, im Streit mit Fereshta
Ludin eine "Machtprobe" zu sehen, meint sie mit der Brechstange deren politisch-islamistische Motive beweisen
zu müssen. In diesem Eifer ist sie anscheinend blind und nicht mehr in der Lage, zu erkennen, daß eine staatliche oder gerichtliche Aufklärung
der Motive nur um den Preis von Gesinnungsschnüffelei zu haben wäre. Sie begibt sich damit zurück in die dunkle
Zeit der Berufsverbote. Eine Zeit der Gesinnungsschnüffelei, eine Zeit in der unser "Verfassungsschutz" Menschen
überwachte und Material zusammentrug, um deren Treue zur "FDGO", zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung,
zu prüfen.
In ihrem Editorial wähnt Alice Schwarzer ganz zu recht eine Voreingenommenheit des Verfassungsgerichts: "Für die
Befangenheit des Zweiten Senats in dieser Frage spricht eine Äußerung seines Vorsitzenden, Winfried Hassemer,
noch vor Beginn der Verhandlung. Er erklärte öffentlich, es ginge bei diesem Prozess auch um die Frage: Wie viel
fremde Religiosität verträgt eine Gesellschaft?"
Das läßt tatsächlich klar erkennen, daß sich das BVG nicht auf die brisante politische Schiene einlassen wird.
Einmal wird das BVG den Teufel tun, sich Ministerin Schavans - oder Alice Schwarzers - zuliebe wieder in Richtung
Gesinnungsschnüffelei zu bewegen. Nicht so sehr aus grundlegenden demokratischen Erwägungen, sondern allein
weil dieses traurige Kapitel der noch auf Willy Brandt zurückgehenden deutschen Geschichte zuviel internationale
Reputation gekostet hatte. Und zweitens ist es klug genug, zu erkennen, daß mit einer politischen Behandlung des
Kopftuch-Falls dessen tatsächlich grundsätzliche Bedeutung hervorgehoben und damit Öl ins Feuer der Islamisten
gegossen würde. Aus letztlich zweifach opportunistischen Gründen wird das BVG daher vermutlich nicht im Sinne
der Islamist(Inn)en entscheiden - gleich welches Urteil es auch fällen wird.
Adriana Ascoli