Thomas Krahe organisiert zusammen mit der
Friedensinitiative Bad Tölz-Wolfratshausen ein Projekt
'menschliche Schutzschilde für den Irak'. Wir berichteten
bereits in einem Artikel am 13.03.
Das Interview führte Klaus Schramm.
K.S.: Hast Du bereits zuvor an eine aktive Hilfe für die Menschen im Irak
gedacht oder wie bist Du auf diese Idee,
den Krieg möglicherweise verhindern zu können, gekommen ?
Thomas Krahe: Ich war im November/Dezember letzten Jahres mit einer Delegation des
Versöhnungsbundes im Irak. Das Fazit unserer Reise war "Wir haben Familie im
Irak". Wenn ein "Thema" plötzlich ein Gesicht bekommt, greifbare
Lebensgeschichten, konkrete Namen, dann verändert sich die Qualität des
Engagements grundsätzlich.
Wenn die eigene Familie bedroht ist, dann setzt man sich mit aller Kraft,
aller Entschlossenheit und Ausdauer für sie ein. Es bedeutet aber auch, in
Beziehung zu Menschen zu treten. Ich kam zurück mit der Gewissheit, wir
könnten sehr viel voneinander lernen. Das geht vom reinen Protest weg. Es
bedeutet Brücken zu bauen, den Frieden zu gestalten. Sich auch auf Konflikte
und Widersprüche einzulassen und Beziehung zu gestalten. Es bedeutet auch,
nach Überwindung einer Bedrohung weiter Verantwortung für das Schicksal der
Menschen im Irak zu übernehmen. Der Vorwurf, wo denn die Friedensbewegung
ihren Teil zur Überwindung des Regimes geleistet habe, muss plötzlich ernst
genommen werden.
K.S.: Was hälst Du von "TJP Human Shield" ?
Thomas Krahe: Die Idee der menschlichen Schutzschilde ist für mich sehr wichtig. Sie sagt,
alle Menschen sind gleich. Wenn ihr Iraker bombardieren wollt, dann müsst
ihr auch mich bombardieren.
Human Shields sind natürlich nicht die einzige Gruppe, die das organisieren.
Sie sind schnell entstanden und "kranken" an den für mich typischen Mängeln
einer jungen Initiative. Sie setzen auf Masse, also möglichst vielen
Menschen, die sich daran beteiligen. Und das ist im Moment auch für mich das
vorrangige Ziel. Den Zerfall der Initiative bedaure ich sehr.
K.S.: Gibt es Überlegungen dazu, wie ihr dem entgegensteuern könnt, als
Saddam-Hussein-Freund hingestellt zu werden ?
Thomas Krahe: Bei der letzten Reise haben wir darauf geachtet, unsere Berührungen mit
staatlichen Institutionen so gering wie möglich zu halten. Wir haben zum
Beispiel unseren Aufenthalt selber finanziert.
Doch laufen die Uhren im Irak völlig anders wie bei uns. Alles läuft
irgendwann über staatliche Institutionen. Unsere Vorstellungen greifen hier
aber nicht. Und das hat viel mit kulturellen Unterschieden zu tun. Ich habe
die Erfahrung gemacht, dass wir nicht manipuliert oder gesteuert wurden. Wir
haben selber entschieden, was wir sehen und wen wir sprechen wollen. Und das
ist dann auch passiert. Ganz im Gegenteil habe ich sogar die Erfahrung
gemacht, dass für uns eigene Regeln der dortigen Kultur ausser Kraft gesetzt
wurden, nur in der Hoffnung, wir können helfen den Krieg abzuwenden und die
Sanktionen aufzuheben.
Natürlich gibt es ganz "oben" das Interesse, an der Macht bleiben zu wollen.
Aber daneben gibt es auch das Interesse, die Bevölkerung zu schützen und
ihnen endlich die Grundversorgung zu ermöglichen. Die staatlich bediensteten
Menschen, mit denen wir zu tun hatten, litten selber existentiell an den
Sanktionen.
Für die Reise im April versuchen wir die Unabhängigkeit von staatlichen
Institutionen so gering wie möglich zu halten, aber dennoch auch deren
Perspektive kennen zu lernen. Die müssen wir dann natürlich mit denen
anderer vergleichen und überprüfen. Im Moment sind wir dabei auszuloten wie
groß unser Spielraum für die nächste Reise sein wird.
K.S.: Wie steht es mit der freien Bewegungsmöglichkeit im Irak ? Gibt es dazu
Verhandlungen mit dem Regime ? Zusagen ? Seid ihr sicher, nicht plötzlich
dort "zur eigenen Sicherheit" interniert zu werden ?
Thomas Krahe: Die Frage der Internierung bringt mich immer zum Lachen. Das zeigt wie
verzerrt hier das Bild des Irak dargestellt wird. 1991 gab es diese Gefahr,
keine Frage. Aber inzwischen haben vor allem Voices in the Wilderness viel
Arbeit und Zeit rein gesteckt, um Anerkennung für ihre Arbeit im Irak zu
bekommen. Sie haben 6 Jahre gebraucht, um diese kulturellen Brücken zu
bauen. Jetzt haben sie die Bewegungsfreiheit, die sie wollen. Voraussetzung
ist dafür, sich mit der Kultur zu verständigen und auch ihre Regeln zu
respektieren. Wenn langhaarige Hippies oder Frauen in engen Hosen da hin
fahren und sich so aufführen wie sie es hier tun, dann gibt es Probleme. Das
ist eine der Schwierigkeiten von Human Shields.
Die Gastfreundschaft zu verletzen, bedeutet alles Vertrauen zu verlieren.
Die irakischen Behörden haben sehr viele negative Erfahrungen mit Ausländern
gemacht - wie den spionierenden Waffeninspektoren 1998. Aber auch mit
Journalisten, die mit Vorurteilen kamen und diese unbedingt bestätigt sehen
wollten. Habe ich selber mit einem SPIEGEL-Journalisten erlebt. Die Arroganz
unserer westlichen Kultur steht uns im Weg. Demut und Bescheidenheit sind
der Schlüssel für eine Verständigung.
Ich persönlich habe überhaupt keine Angst davor.
Mein vorrangiges Ziel ist es, im Irak Solidarität mit den Menschen zu
bekunden. Es kann sein, dass unsere Bewegungsfreiheit eingeschränkt ist. Ich
weiß aber auch aus meiner Erfahrung, dass sich das schnell ändern kann, wenn
klar wird, dass wir ehrliche und verlässliche Partner sind - ohne eigene
Abstriche machen zu müssen. Fordernd und rebellisch aufzutreten ist
allerdings die Garantie dafür, nichts zu erreichen.
K.S.: Wie gehst Du mit der Angst um, dort Dein Leben aufs Spiel zu setzen ?
Thomas Krahe: Die Menschen im Irak haben überhaupt keine Möglichkeit, zu wählen. Sie sind
eingeschlossen und können den Bomben nicht ausweichen. Deswegen empfinde ich
mein Möglichkeit zu wählen, wo ich mein Leben einsetze, als Luxus. Mir ist
es nicht möglich, Bashars Gesicht vor mir zu sehen und zu denken, das
betrifft mich nicht. Immer wieder hörten wir: "Laßt uns nicht allein".
Ich bin nicht mehr bereit dazu, diesen Krieg hinzunehmen und dann zurück zu
schauen und es als Geschichte zu betrachten. Für Gandhi war die
Voraussetzung dafür, etwas grundsätzlich zu ändern, sein Leben voll dafür
einzusetzen und auch die entsprechende Disziplin aufzubringen. Von Soldaten
wird das als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt. Für den Frieden gilt
dasselbe. Frieden kann man nicht als Hobby betreiben.
Ob das eine Wirkung hat, weiß ich nicht. Mir ist es wichtig, das Richtige zu
tun. Und ich merke, wie sich daraus von selber eine Wirkung ergibt, wenn man
aufmerksam damit umgeht und es richtig einsetzt.
Natürlich habe ich Angst. Wer hätte das nicht. Das ist für mich aber kein
Hinderungsgrund.
K.S.: Wie regieren FreundInnen und Bekannte auf Dein Vorhaben ?
Thomas Krahe: Entsetzen und Besorgnis, aber auch Anteilnahme. Die Meisten versuchen mich
zu überreden, davon abzulassen. Andere wollen in mir unbedingt einen Helden
sehen. Das ist immer eine willkommene Möglichkeit, die eigene Verantwortung
abzuschieben und sie auf mich zu übertragen.
Unsere Gesellschaft leidet meiner Meinung nach fundamental daran, dass sie
alles Unbequeme wie Schmerz, Trauer und Angst versucht zu betäuben oder zu
verdrängen. Als Drogenberater sehe ich das in meiner täglichen Arbeit. Angst
und Schmerz anzunehmen als Weg und Zugang zu etwas Neuem ist hier
unterentwickelt. Dabei sind sie nur Zeichen, dass sich etwas verändern will,
dass eine Vorstellung oder ein Verhaltensmuster nicht mehr greift. Das gilt
auch für Gesellschaften.
Die Fragen an mich sind eigentlich Fragen, die sich die Menschen selber
stellen. Das versuche ich klar zu machen. Dem Tod kann niemand weg laufen.
Man kann nur damit umgehen lernen.
Ich bin alleinstehend. Insofern ist es für mich leichter, so eine
Entscheidung zu treffen. Und ich sehe das als Arbeitsteilung. Es braucht
Leute, die in den Irak gehen, und es braucht Leute, die sich hier
engagieren. Es geht also nicht um ein Entweder-Oder, sondern um ein Sowohl
als auch.
Ich hoffe darauf, dass meine Präsenz im Irak die Menschen, die mich kennen,
motiviert, nicht aufzugeben, den Krieg zu verhindern. Es ist sozusagen eine
Metapher, denn die Wenigsten kennen Menschen im Irak, aber mich schon.