28.10.2005

Kommentar

»Kronzeugen«-Regelung
- Ein unwürdiger Deal

Die große Koalition ist eine große Gefahr für die Bürgerrechte. Wolfgang Schäuble (CDU) wird als Innenminister die rigide Sicherheitspolitik seines Vorgängers Otto Schily (SPD) nahtlos fortsetzen, Brigitte Zypries (SPD) wird als Justizministerin weiterhin nicht dagegenhalten. Den Beweis für diese düstere Prognose lieferten CDU/CSU und SPD gleich zu Beginn ihrer Verhandlungen über die künftige Innen- und Rechtspolitik. Sie verständigten sich sofort darauf, eine Uraltkamelle aus der Schublade zu holen: die 1999 ausgelaufene Kronzeugenregelung. Sie soll als erste Maßnahme der großen Koalition wieder eingeführt werden.

Dabei ist eine Kronzeugenregelung für jeden Rechtsstaat ein Schandfleck. Sie ist ein unwürdiger Deal des Staates mit einem Tatverdächtigen, den man mit der Aussicht auf Straffreiheit oder wenigsten Strafmilderung locken möchte, gegen andere Beschuldigte auszusagen. Wenn ein Staat auf diese Weise Verrat prämiert, ist dies allein schon unmoralisch. Vor allem aber dient eine Kronzeugenregelung nicht der Wahrheitsfindung. Jeder Praktiker weiß genau, daß unter Druck - und nichts anderes ist der Wink mit Strafverschonung - das Blaue vom Himmel herab gelogen wird, um die eigene Haut zu retten. Und darauf sollen dann Verurteilungen Dritter, womöglich zu hohen Freiheitsstrafen, gestützt werden.

Zu Recht hat der Deutsche Anwaltverein (DAV) seine entschiedene Ablehnung der Kronzeugenregelung erklärt und alle Politiker aufgefordert, darauf zu verzichten. Mit einer Kronzeugenregelung entstünden erhebliche Risiken für die Richtigkeit und die Gerechtigkeit der Entscheidungen der Justiz. "Kronzeugenregelungen sind unnütz und riskant«, kommentierte der DAV.

Die Kronzeugenregelung wird dazu benutzt werden, Protest und Widerstand zu kriminalisieren und ist somit letztlich eine Waffe, die Union und SPD gegen Linke und Oppositionelle schmieden. Während neben dem Anwaltsverein auch die Grünen die Pläne von Union und SPD kritisierten, verlangte die FDP eine neue Kronzeugenregelung, die nicht nur bei Terrorismusverdacht und »kriminellen Vereinigungen« gelten solle, sondern für alle Deliktbereiche. Anderenfalls wäre »der Gleichheitssatz verletzt« - eine skurrile Haltung für eine Partei, die sich eigentlich wieder mehr um die Bürgerrechte kümmern wollte.

Immerhin sind damit bereits jetzt die Fronten klar geworden: CDU/CSU und SPD werden nichts von dem zurücknehmen, was unter der SPD/Grünen-Regierung an Abbau von Bürgerrechten stattgefunden hat. Im Gegenteil: Die große Koalition wird sich mit dem Vorwand »Terrorbekämpfung« weiter an den Grundrechten vergehen.

 

Ulla Jelpke

 

Nachveröffentl. aus der heutigen 'Jungen Welt'

 

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