Die große Koalition ist eine große Gefahr für die Bürgerrechte.
Wolfgang Schäuble (CDU) wird als Innenminister die rigide
Sicherheitspolitik seines Vorgängers Otto Schily (SPD) nahtlos
fortsetzen, Brigitte Zypries (SPD) wird als Justizministerin
weiterhin nicht dagegenhalten. Den Beweis für diese düstere
Prognose lieferten CDU/CSU und SPD gleich zu Beginn ihrer
Verhandlungen über die künftige Innen- und Rechtspolitik. Sie
verständigten sich sofort darauf, eine Uraltkamelle aus der
Schublade zu holen: die 1999 ausgelaufene Kronzeugenregelung.
Sie soll als erste Maßnahme der großen Koalition wieder
eingeführt werden.
Dabei ist eine Kronzeugenregelung für jeden Rechtsstaat ein
Schandfleck. Sie ist ein unwürdiger Deal des Staates mit einem
Tatverdächtigen, den man mit der Aussicht auf Straffreiheit oder
wenigsten Strafmilderung locken möchte, gegen andere
Beschuldigte auszusagen. Wenn ein Staat auf diese Weise Verrat
prämiert, ist dies allein schon unmoralisch. Vor allem aber dient
eine Kronzeugenregelung nicht der Wahrheitsfindung.
Jeder Praktiker weiß genau, daß unter Druck - und nichts anderes
ist der Wink mit Strafverschonung - das Blaue vom Himmel herab
gelogen wird, um die eigene Haut zu retten. Und darauf sollen
dann Verurteilungen Dritter, womöglich zu hohen Freiheitsstrafen,
gestützt werden.
Zu Recht hat der Deutsche Anwaltverein (DAV) seine
entschiedene Ablehnung der Kronzeugenregelung erklärt und alle
Politiker aufgefordert, darauf zu verzichten. Mit einer
Kronzeugenregelung entstünden erhebliche Risiken für die
Richtigkeit und die Gerechtigkeit der Entscheidungen der Justiz.
"Kronzeugenregelungen sind unnütz und riskant«, kommentierte
der DAV.
Die Kronzeugenregelung wird dazu benutzt werden, Protest und
Widerstand zu kriminalisieren und ist somit letztlich eine Waffe, die
Union und SPD gegen Linke und Oppositionelle schmieden.
Während neben dem Anwaltsverein auch die Grünen die Pläne
von Union und SPD kritisierten, verlangte die FDP eine neue
Kronzeugenregelung, die nicht nur bei Terrorismusverdacht und
»kriminellen Vereinigungen« gelten solle, sondern für alle
Deliktbereiche. Anderenfalls wäre »der Gleichheitssatz verletzt« -
eine skurrile Haltung für eine Partei, die sich eigentlich wieder
mehr um die Bürgerrechte kümmern wollte.
Immerhin sind damit bereits jetzt die Fronten klar geworden:
CDU/CSU und SPD werden nichts von dem zurücknehmen, was
unter der SPD/Grünen-Regierung an Abbau von Bürgerrechten
stattgefunden hat. Im Gegenteil: Die große Koalition wird sich mit
dem Vorwand »Terrorbekämpfung« weiter an den Grundrechten
vergehen.
Ulla Jelpke
Nachveröffentl. aus der heutigen 'Jungen Welt'