Innovativer Lehrstellenmangel
Wie das Statistische Bundesamt gestern (leider kein April-Scherz) mitteilte, haben wieder einmal weniger Jugendliche einen Ausbildungsvertrag bekommen als im Jahr zuvor: rund 564.500. Damit sank diese Zahl 2003 auf den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung. Dem stand eine um zwei Prozent gestiegene Zahl von Schulabgängern gegenüber.
Viele werden sich noch an die "rot-grünen" Versprechungen erinnern, alle Jugendlichen würden einen Ausbildungsplatz bekommen. 100.000 zusätzliche Arbeitsplätze für Jugendliche versprach die "rot-grüne" Bundesregierung beim Amtsantritt. Beim "Jump"-Sofortprogramm nahmen 500.000 Jugendliche teil. Die Kosten beliefen sich auf 3 Milliarden Euro. Immerhin wurden 40 - 60.000 (je nach Darstellung) neue Lehrstellen geschaffen. Dennoch sank insgesamt die Zahl der Lehrstellen und auf der anderen Seite stieg die Zahl der Arbeitslosen unter 25 und ist längst höher als beim Amtsantritt Schröders. Mit dem als "Agenda 2010" getarnten Sozialabbau wird sich diese Entwicklung weiter beschleunigen. Und allein um von dieser reaktionären Politik abzulenken, soll nun - nach bald sechs Jahren "rot-grüner" Umverteilung von unten nach oben - als Alibi eine Ausbildungsabgabe beschlossen werden. Daß diese Ausbildungsabgabe gestern im Bundestag in erster Lesung beraten wurde, während zugleich die veröffentlichten Zahlen das Mißverhältnis von Wort und Tat beleuchten, ist allerdings ein April-Scherz der ganz besonders zynischen Art.
Tatsächlich sind laut DGB ('Die Welt' v. 18.11.03) faktisch nicht 24.000, sondern mehr als 200.000 Jugendliche auf Lehrstellensuche. Allein 70.000 junge Menschen bewerben sich gegenwärtig als Ungelernte. Und zudem sind rund 53 Prozent der Jugendlichen nicht in betrieblichen, sondern in steuerfinanzierten Ausbildungsstätten geparkt. Dort können sie jedoch nach ihrer Lehrzeit nicht übernommen werden.
Daß mit dieser "innovativen" Bildungspolitik auch die Benachteiligung der Frauen weiter zunehmen wird, ist aus folgenden statistischen Daten ersichtlich: Im Jahr 2003 schlossen 236.400 weibliche Jugendliche einen neuen Ausbildungsvertrag ab. Das waren 3,1 Prozent (- 7.600) weniger als im Vorjahr, während die Zahl der männlichen Jugendlichen mit einem neuen Ausbildungsvertrag um 1,2 Prozent (+ 4.000) zunahm. Damit verminderte sich der Anteil der Frauen an neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen um 1,0 Prozent auf 41,9 . Mädchen werden damit verstärkt in prekäre Jobs abgedrängt, um später als ungelernte Arbeitskräfte einem höheren Arbeitslosigkeitsrisiko ausgesetzt zu sein. Und zu einem gewissen Teil weichen sie auf eine rein schulische Berufsausbildung aus wie sie bei den "typisch weiblichen" Berufen im Sozial- und Gesundheitsdienst vorgesehen sind - ein Bereich mit bekanntermaßen schlechten Verdienstmöglichkeiten.
Ungelernte Arbeitskräfte haben schon heute den höchsten Anteil unter den Langzeitarbeitslosen. Und der Anteil der Frauen ohne Berufsausbildung liegt im Vergleich zur Gesamtzahl der weiblichen Beschäftigten beispielsweise in Baden-Württemberg bei 53 Prozent. So ist es nicht verwunderlich, daß Frauen unverändert auch nach über fünf Jahren "Rot-Grün" rund 30 Prozent weniger verdienen als Männer1.
Harry Weber
Anmerkungen:
1 Siehe auch unseren Artikel
'Auch nach fünf Jahren "Rot-Grün": Frauen bei 70 Prozent'
v. 3.03.04