16.07.2003

Artikel

Liberia
reif zur Kolonialisierung?

1821 begab sich eine Gruppe befreiter amerikanischer Sklaven auf Spurensuche nach den Vorfahren in Westafrika. Dort wollte man ein neues Land gründen. Zunächst weigerten sich die Afrikaner, ein größeres Stück Land an die amerikanischen Schwarzen herauszurücken. Ein Offizier der US-Marine, der die Gruppe begleitete, konnte die Afrikaner allerdings mit vorgehaltener Waffe überzeugen, das Land herzugeben - für Kinkerlitzchen und Kekse im Wert von insgesamt 300 Dollar. So kam es zur Gründung des Staates Liberia. Die emigrierten Schwarzen fingen an, ihre (neue) Gesellschaft gemäß der einzigen Sozialstruktur zu organisieren, die man kannte - nämlich der des Südens vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg. Also legten sie wie die weißen Südstaatler Plantagen an, kleideten sich formal wie Südstaaten-Aristokraten und wurden Freimaurer. Auf der Veranda schlürfte man Bourbon und schickte seine Kinder ins Ausland auf die Schule. Monrovia, die Hauptstadt Liberias, ist nach dem amerikanischen Präsidenten Monroe benannt. Die Afrikaner, die auf ihren Plantagen arbeiteten, bezeichneten die umgesiedelten amerikanischen Ex-Sklaven als "Eingeborene".

Das, was ich hier, zugegeben etwas grob, versucht habe zu skizzieren, ist, was Präsident Bush letzte Woche als Liberias "einzigartige Geschichte" bezeichnet hat. Aufgrund dieser Geschichte, so Bush, herrsche "eine gewisse Erwartungshaltung", daß die USA sich einmischten, um die Lage (in Liberia) zu stabilisieren. Während der Wahlen 2000 hatte sich Bush noch gegen ein solches 'nation-building' ausgesprochen. Letzte Woche sagte seine Nationale Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice, der Präsident sei der Meinung, die Stabilität Westafrikas sei "wichtig" für unsere Interessen. Gegenüber Reportern erklärte sie in der vergangenen Woche, Bush denke, es sei notwendig, "Versöhnung zu schaffen" - zwischen Afrika und Amerika. Grund seien die besonderen Beziehungen - beispielsweise die Sklaverei, die von Rice als "Geburtsfehler" Amerikas bezeichnet wurde. Über ein Jahrhundert wurde das bizarre Experiment ‘Liberia’ (sehr eindrücklich u. detailiert nachzulesen in David Lambs Buch ‘Afrika, Afrika’ (Original: 'The Africans')) als Vorbild für Stabilität hochgehalten. Liberia sei eine Republik, in der gewählten Offiziellen ein langes und friedvolles Leben bevorstünde, bis sie eines natürlichen Todes stürben. Die von Amerika geklonte Klassenstruktur sorgte dafür, daß Liberias Naturschätze, etwa Holz und Diamanten, gründlich ausgebeutet wurden. In Liberia gibt es zudem die größte Gummiplantage der Welt. Sie gehört der Firma Firestone. Im Kalten Krieg war Liberia für die USA in Afrika so etwas wie der "Geschützposten Charly" - ein Kommunikations-Hauptquartier und ein Ort, an dem sich ganze Rudel CIA-Agenten trafen. (Der liberianische) Präsident William Tubman hatte ein erfülltes Leben und entschlief im Juli 1971 friedvoll. Sein Nachfolger war William Tolbert. Dessen Regierung verlief so lala. Aber alles Gute hat auf Dauer keinen Bestand. In einer Aprilnacht des Jahres 1980, als Tolbert in seinem präsidialen Bett ruhte, schlich sich ein junger "Eingeborener" - ein Armee-Sergeant namens Samuel Doe - auf das Präsidentengelände; er kletterte über die Mauer, stieg in das Schlafzimmer des Präsidenten ein, drückte diesem ein Auge aus und hackte ihn anschließend zu Tode. Kurz darauf trieben die Anhänger Does die aristokratischen Nachfahren der Gründer Liberias zusammen und stellten sie vor ein demütigendes Schaugericht. Anschließend karrte man alle zum Strand und erschoß sie - während ringsum Feierstimmung herrschte. Aber auch Doe wurde 1990 von seinen Widersachern ermordet. Die Armee, die Does Palast stürmte, hatte, weil es regnete, Duschhauben auf dem Kopf und trug kürzlich geplünderte Hochzeitskleider. Eine rivalisierende Splittergruppe hatte Haarteile aus einem Damen-Perückenladen aufgesetzt. Was genau da vor sich ging, bleibt im Dunkeln.

In den 70gern hatte das Bentley-College in Massachusetts einen liberianischen Studenten namens Charles Taylor, der sich in einer der liberianisch-amerikanischen Gesellschaften engagierte. Nach dem College kehrte Taylor in seine Heimat zurück und bekam einen Posten in der Regierung Doe. In dieser Eigenschaft soll er die Verbrechen Does angeprangert haben. Als er herausfand, daß Doe es auf ihn abgesehen hatte, kehrte er in die USA zurück, wo man ihn verhaftete, da Doe ihn der Unterschlagung bezichtigte. Taylors Anwalt war der New Yorker Aktivist und frühere Innenminister Ramsey Clark. Heute sagt Clark gegenüber ‘Voice Monday’, soweit er sich erinnere, sei damals bei den Unterschlagungsvorwürfen nichts herausgekommen. Bei der Verteidigung Taylors sei es ihm aber weniger um die Anklage gegangen als vielmehr um die Verhinderung von Taylors Auslieferung. Er, Clark, habe argumentiert, Taylor drohe der Tod, sollte er an Doe ausgeliefert werden. Die Sache hing noch in der Schwebe, als Taylor die Flucht aus dem Gefängnis (Plymouth County House of Corrections in Massachusetts) gelang. "Unklar, was da passiert ist", sagt Clark. "Schien so, als hätte Taylor die Sache nicht selbst organisiert. Einige Leute wollten abhauen, und Taylor ging einfach mit". Taylor floh und tauchte in Westeuropa unter - um anschließend in Afrika wieder aufzutauchen und zwar als mächtiger liberianischer Warlord. Er beteiligte sich am Umsturz Does und nahm den größten Teil des Landes ein, bevor er 1997 die Wahlen gewann. Unter Taylors Herrschaft versank Liberia noch mehr in Chaos und Gewalt. Eine sehr umfassende Untersuchung der UN von 2000 - siehe ‘UN Panel of Experts Report on Diamonds and Arms in Sierra Leone’ (Report der UN-Expertenkommission zu Diamanten und Waffen in Sierra Leone) verdeutlicht, wie Taylor zu einer wichtigen Figur im brutalen Bürgerkrieg im Nachbarland Liberias wurde. Taylor arrangierte die Finanzierung und das Militärtraining der ‘Revolutionary United Front’ (RUF) - Sierra Leones Rebellenbewegung - und stieg dadurch zu einem wichtigen Mann im weltweiten Diamantenhandel auf. Laut UN-Report gingen ganze Pakete mit Diamanten aus Sierra Leone direkt an Taylor. Liberia wurde zum Umschlagplatz für sogenannte ‘Blutdiamanten’ im Wert von Millionen von Dollars, die hier in Waffengeschäfte für die RUF investiert wurden - in militärische Hardware, vornehmlich leichte Waffen.

Als dieser Artikel hier in Druck ging, hatte sich Taylor - unter Druck der USA sowie anderer - bereiterklärt, Liberia zu verlassen. Die politischen Pläne der USA machen eine stabilere Regierung im Lande nötig. Erstens, nachdem der Kalte Krieg durch den Krieg gegen den Terror abgelöst ist, könnte Liberia erneut als Horchposten u. Operations-Center nützlich sein - im Kampf gegen Al Kaida oder andere militante Gruppen in Afrika. Dies ist umso wichtiger, als Westafrika sich für die USA zum wichtigen Öllieferanten - besonders aber zum wichtigen Erdgaslieferanten - entwickeln könnte. Mehr Erdgas ist auch zentraler Punkt in Bushs Energieprogramm. Dies würde jedoch bedeuten, spezielle Erdgastankschiffe (LNG-Tanker) transportieren gefrorenes Erdgas über den Ozean, wozu spezielle Häfen und Verarbeitungsfabriken erforderlich wären. Eine extrem kontroverse Angelegenheit, denn eine Explosion des LNG (liquefied natural gas) durch Unfall oder Anschlag - könnte verheerende Folgen haben. Jede reguläre Fahrt eines LNG-Tankers, der über den Atlantik von Westafrika an die Ostküste (der USA) schippert, müßten daher, um den Brennstoff vor möglichen Terroranschlägen zu beschützen, massive Luft-See-Militäroperationen begleiten.

Aber Bushs Afrika-Reise ist auch wichtig im Hinblick auf seine Kampagne zur Wiederwahl. Dass der Präsident Afrika besucht, kommt der religiösen Rechten zugute. Seit 20 Jahren überlegt sich der rechte Flügel der Republikaner nämlich, wie er es schaffen könnte, das Monopol der Demokraten auf die Stimmen der Schwarzen (in den USA) zu knacken. Clinton zum Beispiel hat sich sehr wenig für Afrika engagiert, obwohl er dauernd darüber redete. Er mußte sich sogar entschuldigen, nichts zur Verhinderung des Massakers in Ruanda unternommen zu haben. Sollte es Bush daher gelingen, sich im Kampf gegen Aids und Armut ernsthaft zu profilieren oder. Westafrika zu stabilisieren, könnte er es langfristig schaffen, einen Prozess zu starten, der den Demokraten die Stimmen der Schwarzen entzöge.

 

James Ridgeway
Erstveröffentlichung: Village Voice / ZNet 09.07.2003 [Orginaltitel: "Liberia - Ripe for Colonizing?"]
Zusatztexte von Phoebe St. John u. Johanna Khenkine
Übersetzt von: Andrea Noll

 

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