1821 begab sich eine Gruppe befreiter amerikanischer Sklaven auf Spurensuche nach den Vorfahren in Westafrika.
Dort wollte man ein neues Land gründen.
Zunächst weigerten sich die Afrikaner, ein größeres Stück Land an die amerikanischen Schwarzen herauszurücken.
Ein Offizier der US-Marine, der die Gruppe
begleitete, konnte die Afrikaner allerdings mit vorgehaltener Waffe überzeugen, das Land herzugeben - für Kinkerlitzchen
und Kekse im Wert von insgesamt 300
Dollar. So kam es zur Gründung des Staates Liberia. Die emigrierten Schwarzen fingen an, ihre (neue) Gesellschaft
gemäß der einzigen Sozialstruktur zu
organisieren, die man kannte - nämlich der des Südens vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg. Also legten sie wie die
weißen Südstaatler Plantagen an, kleideten sich
formal wie Südstaaten-Aristokraten und wurden Freimaurer. Auf der Veranda schlürfte man Bourbon und schickte seine
Kinder ins Ausland auf die Schule.
Monrovia, die Hauptstadt Liberias, ist nach dem amerikanischen Präsidenten Monroe benannt. Die Afrikaner, die auf ihren
Plantagen arbeiteten, bezeichneten die
umgesiedelten amerikanischen Ex-Sklaven als "Eingeborene".
Das, was ich hier, zugegeben etwas grob, versucht habe zu skizzieren, ist, was Präsident Bush letzte Woche als Liberias
"einzigartige Geschichte" bezeichnet hat.
Aufgrund dieser Geschichte, so Bush, herrsche "eine gewisse Erwartungshaltung", daß die USA sich einmischten, um
die Lage (in Liberia) zu stabilisieren. Während
der Wahlen 2000 hatte sich Bush noch gegen ein solches 'nation-building' ausgesprochen.
Letzte Woche sagte seine Nationale Sicherheitsberaterin Condoleezza
Rice, der Präsident sei der Meinung, die Stabilität Westafrikas sei "wichtig" für unsere Interessen.
Gegenüber Reportern erklärte sie in der vergangenen Woche,
Bush denke, es sei notwendig, "Versöhnung zu schaffen" - zwischen Afrika und Amerika.
Grund seien die besonderen Beziehungen - beispielsweise die Sklaverei,
die von Rice als "Geburtsfehler" Amerikas bezeichnet wurde. Über ein Jahrhundert
wurde das bizarre Experiment ‘Liberia’ (sehr eindrücklich u. detailiert
nachzulesen in David Lambs Buch ‘Afrika, Afrika’ (Original: 'The Africans')) als
Vorbild für Stabilität hochgehalten. Liberia sei eine Republik, in der gewählten
Offiziellen ein langes und friedvolles Leben bevorstünde, bis sie eines natürlichen
Todes stürben. Die von Amerika geklonte Klassenstruktur sorgte dafür, daß Liberias
Naturschätze, etwa Holz und Diamanten, gründlich ausgebeutet wurden. In
Liberia gibt es zudem die größte Gummiplantage der Welt. Sie gehört der Firma
Firestone. Im Kalten Krieg war Liberia für die USA in Afrika so etwas wie der
"Geschützposten Charly" - ein Kommunikations-Hauptquartier und ein Ort, an dem
sich ganze Rudel CIA-Agenten trafen. (Der liberianische) Präsident William
Tubman hatte ein erfülltes Leben und entschlief im Juli 1971 friedvoll. Sein Nachfolger
war William Tolbert. Dessen Regierung verlief so lala. Aber alles Gute hat auf Dauer
keinen Bestand. In einer Aprilnacht des Jahres 1980, als Tolbert in seinem
präsidialen Bett ruhte, schlich sich ein junger "Eingeborener" - ein Armee-Sergeant
namens Samuel Doe - auf das Präsidentengelände; er kletterte über die Mauer,
stieg in das Schlafzimmer des Präsidenten ein, drückte diesem ein Auge aus
und hackte ihn anschließend zu Tode. Kurz darauf trieben die Anhänger Does die
aristokratischen Nachfahren der Gründer Liberias zusammen und stellten sie vor
ein demütigendes Schaugericht. Anschließend karrte man alle zum Strand und
erschoß sie - während ringsum Feierstimmung herrschte. Aber auch Doe wurde
1990 von seinen Widersachern ermordet. Die Armee, die Does Palast stürmte,
hatte, weil es regnete, Duschhauben auf dem Kopf und trug kürzlich geplünderte
Hochzeitskleider. Eine rivalisierende Splittergruppe hatte Haarteile aus einem
Damen-Perückenladen aufgesetzt. Was genau da vor sich ging, bleibt im Dunkeln.
In den 70gern hatte das Bentley-College in Massachusetts einen liberianischen
Studenten namens Charles Taylor, der sich in einer der liberianisch-amerikanischen
Gesellschaften engagierte. Nach dem College kehrte Taylor in seine Heimat
zurück und bekam einen Posten in der Regierung Doe. In dieser Eigenschaft soll er die
Verbrechen Does angeprangert haben. Als er herausfand, daß Doe es auf ihn
abgesehen hatte, kehrte er in die USA zurück, wo man ihn verhaftete, da Doe ihn der
Unterschlagung bezichtigte. Taylors Anwalt war der New Yorker Aktivist und
frühere Innenminister Ramsey Clark. Heute sagt Clark gegenüber ‘Voice
Monday’, soweit er sich erinnere, sei damals bei den Unterschlagungsvorwürfen
nichts herausgekommen. Bei der Verteidigung Taylors sei es ihm aber weniger um
die Anklage gegangen als vielmehr um die Verhinderung von Taylors Auslieferung.
Er, Clark, habe argumentiert, Taylor drohe der Tod, sollte er an Doe ausgeliefert
werden. Die Sache hing noch in der Schwebe, als Taylor die Flucht aus dem
Gefängnis (Plymouth County House of Corrections in Massachusetts) gelang. "Unklar,
was da passiert ist", sagt Clark. "Schien so, als hätte Taylor die Sache nicht
selbst organisiert. Einige Leute wollten abhauen, und Taylor ging einfach mit". Taylor floh
und tauchte in Westeuropa unter - um anschließend in Afrika wieder aufzutauchen
und zwar als mächtiger liberianischer Warlord. Er beteiligte sich am Umsturz Does
und nahm den größten Teil des Landes ein, bevor er 1997 die Wahlen gewann. Unter
Taylors Herrschaft versank Liberia noch mehr in Chaos und Gewalt. Eine
sehr umfassende Untersuchung der UN von 2000 - siehe ‘UN Panel of Experts
Report on Diamonds and Arms in Sierra Leone’ (Report der
UN-Expertenkommission zu Diamanten und Waffen in Sierra Leone) verdeutlicht,
wie Taylor zu einer wichtigen Figur im brutalen Bürgerkrieg im Nachbarland
Liberias wurde. Taylor arrangierte die Finanzierung und das Militärtraining der
‘Revolutionary United Front’ (RUF) - Sierra Leones Rebellenbewegung - und stieg
dadurch zu einem wichtigen Mann im weltweiten Diamantenhandel auf. Laut
UN-Report gingen ganze Pakete mit Diamanten aus Sierra Leone direkt an Taylor.
Liberia wurde zum Umschlagplatz für sogenannte ‘Blutdiamanten’ im Wert von
Millionen von Dollars, die hier in Waffengeschäfte für die RUF investiert wurden - in
militärische Hardware, vornehmlich leichte Waffen.
Als dieser Artikel hier in Druck ging, hatte sich Taylor - unter Druck der USA sowie
anderer - bereiterklärt, Liberia zu verlassen. Die politischen Pläne der USA
machen eine stabilere Regierung im Lande nötig. Erstens, nachdem der Kalte Krieg
durch den Krieg gegen den Terror abgelöst ist, könnte Liberia erneut als
Horchposten u. Operations-Center nützlich sein - im Kampf gegen Al Kaida oder
andere militante Gruppen in Afrika. Dies ist umso wichtiger, als Westafrika sich für
die USA zum wichtigen Öllieferanten - besonders aber zum wichtigen
Erdgaslieferanten - entwickeln könnte. Mehr Erdgas ist auch zentraler Punkt in Bushs
Energieprogramm. Dies würde jedoch bedeuten, spezielle Erdgastankschiffe
(LNG-Tanker) transportieren gefrorenes Erdgas über den Ozean, wozu spezielle Häfen
und Verarbeitungsfabriken erforderlich wären. Eine extrem kontroverse Angelegenheit,
denn eine Explosion des LNG (liquefied natural gas) durch Unfall oder
Anschlag - könnte verheerende Folgen haben. Jede reguläre Fahrt eines LNG-Tankers,
der über den Atlantik von Westafrika an die Ostküste (der USA) schippert,
müßten daher, um den Brennstoff vor möglichen Terroranschlägen zu beschützen,
massive Luft-See-Militäroperationen begleiten.
Aber Bushs Afrika-Reise ist auch wichtig im Hinblick auf seine Kampagne zur
Wiederwahl. Dass der Präsident Afrika besucht, kommt der religiösen Rechten
zugute. Seit 20 Jahren überlegt sich der rechte Flügel der Republikaner nämlich,
wie er es schaffen könnte, das Monopol der Demokraten auf die Stimmen der
Schwarzen (in den USA) zu knacken. Clinton zum Beispiel hat sich sehr wenig
für Afrika engagiert, obwohl er dauernd darüber redete. Er mußte sich sogar
entschuldigen, nichts zur Verhinderung des Massakers in Ruanda unternommen
zu haben. Sollte es Bush daher gelingen, sich im Kampf gegen Aids und Armut
ernsthaft zu profilieren oder. Westafrika zu stabilisieren, könnte er es langfristig
schaffen, einen Prozess zu starten, der den Demokraten die Stimmen der Schwarzen
entzöge.
James Ridgeway
Erstveröffentlichung: Village Voice / ZNet 09.07.2003 [Orginaltitel: "Liberia - Ripe for Colonizing?"]
Zusatztexte von Phoebe St. John u. Johanna Khenkine
Übersetzt von: Andrea Noll