Zum Film über den "zweitgrößten Mann der deutschen Geschichte"
Adenauer war der größte. Gegen ihn kam keiner an in der ZDF-Umfrage. Unser Marx bekam einen ehrenvollen Platz drei. Vor ihm aber hielt sich Martin Luther. Rechtzeitig zur Abstimmung war der Film herausgekommen, der uns das richtige deutsche Vorbild zeigte. "LUTHER" aus dem Leben gegriffen - von den größten internationalen Schauspielern garniert, in Kämpfe verstrickt, von Leidenschaften erschüttert, aber am Ende - nicht Sieger, eher - Versöhner.
Der Rebell, der heimfand, der das Werk der Vorfahren glänzender, größer und vor allem dauerhafter vor uns hinstellte.
Luther - trotziger Sohn
Mit dem trotzigen Sohn setzt der Film ein: der junge Luther benutzt die Erschütterung durch einen Blitzschlag, um durch ein Gelübde seinen Vater tödlich zu ärgern. Er gibt das Jurastudium auf und will ins Kloster gehen.
Das klassische Vater-Sohn-Drama wird abgespult. Papa Luther erscheint zwar zur ersten Messfeier in der Kirche, aber nur, um seinen Sohn so einzuschüchtern, daß der den Messwein verschüttet. Und will keine Entschuldigung von seinem Tölpel hören, der ihn vor allen Gevattern blamiert hat.
Aber unser Luther junior wächst über sich hinaus: er lernt, nun selbst Befehle zu geben, Widerworte, allerlei Markiges. Und als die alte Welt sich gegen ihn erhebt, wer steht da vor der Klostermauer? Der Vater.
Versöhnt erkennt der Zuschauer: sie wollten am Ende doch beide dasselbe.
Papst Ochsenknecht - zu kurz gesprungener Luther
Auch der Papst im Film ist so ein Vater. Auf der Pilgerschaft nach Rom steht der junge Mönch Luther erschüttert am Straßenrand, als der Hirt der Christenheit im Jagdkostüm durch enge Gassen braust. Er will ja die Kirche zusammenhalten - aber schafft nur einen Petersdom, ansatzweise. Die treuen Begleiter - Kardinal Cajetan und Sekretär Alexander später an seinem Grab: "Er hätte die Welt verändern können ... Er war ein geistiger Zwerg als wir einen Riesen gebraucht hätten ... einen Mann wie Luther".
Einen wirklichen Gegensatz zwischen den beiden scheint es nie gegeben zu haben.
Autorität - Ordnung - Unterwerfung
Daß Luther, angeblich Rebell, eigentlich letzter Verteidiger von Autorität und Ordnung war - wo läßt sich das besser zeigen als an seinem Vorgehen gegen die "Schwärmer" in Wittenberg und später gegen aufständische Bauern?
Kaum war der Gründer und Verwalter der neuen Lehre aus dem Verkehr gezogen und übersetzte auf der Wartburg seine Bibel, kamen in Wittenberg eine Art finstere Ajatollahs an die Macht. Sie warfen Fenster ein, wollten von keiner Obrigkeit mehr wissen und verzichteten auf ihre akademischen Titel. Am schlimmsten der ehemalige Prof Luthers - Karlstadt.
Wörtlich spricht er vom "Heiligen Krieg". Gottseidank gibt es die politische Feuerwehr. Erst in Gestalt des jungen Melanchthon. Der fährt ihn an: "Du träumst wie eh und je. Was Du predigst führt zu Rebellion und Aufruhr: Im Süden sollen sich Menschen zusammenschließen, um gegen ihre Herren zu Felde zu ziehen."
Dann Luther selbst. Kaum erkennen ihn die Anhänger Karlstadts, da lassen sie den links liegen und ordnen sich dem umsichtigen Herren unter.
Daß der Bauernkrieg dann nur sehr undeutlich abgehandelt werden kann, versteht sich. Im Film wird er in das Jahr 1523 vorverlegt, wahrscheinlich um das Jahr der Hochzeit mit Katharina von Bora - 1525 - nicht mit Schmerzlichem zu belasten. Die Andeutungen zum Bauernkrieg geben Luther vor allem Gelegenheit, als Früh-Schröder aufzutreten. Er mahnt, warnt, schlägt unbarmherzig zu - und leidet furchtbar darunter.
"In einem Brief bat Martin die Führer der Aufständischen um Zeit. Die Welt, so schrieb er ihnen, sei nicht stark genug, zu viele Veränderungen auf einmal zu verkraften. Den Christen stehe nicht zu, sich mit Gewalt gegen die Obrigkeit aufzulehnen. Im Jenseits werde ihnen dafür Gerechtigkeit widerfahren. Martin wußte wohl, daß diese Worte auf die Unterdrückten wie Hohn wirken würde, aber ihm blieb keine andere Wahl. Wollte er Schlimmeres verhindern, müßte er sie aufhalten."
Originalton Kanzler. Da gibt es in seiner Partei immer noch welche, die schauen nur auf das Soziale und nicht auf die Pflicht zur Modernisierung. Dann hilft eben nur noch Haue.
Protestanten = Masochisten
Immerhin heißen die Anhänger der Lehre Luthers ja von alters her: PROTESTANTEN.
Das heißt, irgendwann müssen doch auch diese aufbauenden Werterhalter protestiert haben. Wie wird der Film denn damit fertig? Spielend!
In der Schlußszene im Reichstag zu Augsburg 1530. Es stehen sich gegenüber auf der einen Seite Kaiser Karl, umschlichen vom päpstlichen Sekretär. Auf der anderen Seite die Reichsfürsten und Vertreter der freien Städte, sitzend nach Rang und Amt und Würde.
Kaiser Karl fährt die Lutheranhänger an: Morgen hätten sie alle zur Fronleichnamsprozession zu erscheinen, sonst... Da tritt Philipp von Hessen vor, bricht in die Knie, bietet seinem kaiserlichen Herrn den Hals fürs Richtbeil, wenn es dem beliebe, aber vom Glauben lasse er nicht. Und kaum kniet der eine, so gleich neben ihm Kurfürst Johann von Sachsen - schließlich andere Fürsten und die Vertreter von Nürnberg und Reutlingen. So auf den Knien leistet man in Deutschland Widerstand - wenn es nach den Filmemachern geht.
Luther - der einsame Mann nach dem Herzen aller
Das also ist Deutschlands Zweitplazierter auf der Chartliste. Der Mann ohne Eigenschaften - aber für jede und jeden etwas. Das ist natürlich logische Folge einer so international angelegten Produktion, die schließlich in allen Ländern verkauft werden soll. Da heißt es Gegensätze abstumpfen, nicht aufreißen, sonst kommt es noch zu Absatzstockungen.
Aber nicht nur. Der Personenkult, der mit dieser Art Filmen gefördert wird, reißt die gezeigte Figur notwendig aus allen Zusammenhängen seiner Zeit heraus. Vor allem aus den gedanklichen, die überhaupt erst eine Breitenwirkung ermöglichen. Irgendwas muß ja bei den verschiedensten Leuten schon vorher in die Richtung Luthers gedrängt haben, wenn sein Wort solche Wirkung hatte. Dem nachzugehen, würde aber ablenken vom gläubigen Blick auf die Allzweckwaffe: Großer Mann - fürsorgende Frau. Wenn nichts mehr hilft, dann einfach den Glauben nicht verlieren: Sankt Luther (Schröder, Merkel) machs für uns...
Und damit wir in diesem Glauben fest bleiben, hat es also die Reformation gegeben?
Fritz Güde
Anmerkung:
Wörtliche Zitate sämtlich entnommen aus
'Buch zum Film', Guido Diekmann, Luther / Roman, Aufbau-Verlag,
Taschenbuch, Berlin 2003