4.07.05
Wir stellen hier eine aktuelle Grafik der Reallohn-Entwicklung zur Verfügung.
Nicht vergessen werden darf dabei, daß auch 2004 das Bruttosozialprodukt wuchs. Doch der Zuwachs
des Kuchens wird zunehmend auf eine immer kleinere Schicht von Superreichen umverteilt.
Das Gesamt-Geld-Vermögen beläuft sich in Deutschland auf rund 4 Billionen
Euro. Rund 3 Billionen - entsprechend 70 Prozent - konzentrieren sich auf weniger als
800.000 Köpfe - also auf weniger als ein Prozent der Deutschen. Die Schere zwischen Arm und
Reich klafft auch in Deutschland von Jahr zu Jahr weiter auseinander.
Die 30 im Deutschen Aktienindex DAX notierten Unternehmen konnten ihren Profit
von 2003 auf 2004 insgesamt um 88 Prozent steigern.
Hier einige Beispiele:
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Gewinn in Mio. Euro
|
|
2003
|
2004
|
prozentuale Veränderung
|
Telekom
|
1.253
|
4.634
|
+ 270 %
|
Siemens
|
2.445
|
3.405
|
+ 39 %
|
Deutsche Bank
|
1.365
|
2.472
|
+ 81 %
|
BASF
|
977
|
2.014
|
+ 106 %
|
ThyssenKrupp
|
552
|
904
|
+ 64 %
|
MAN
|
235
|
323
|
+ 37 %
|
Die Produktivität pro Arbeitnehmer ist in den zehn Jahren von 1990 bis 2000 um 73,7 Prozent
gewachsen. Dies bedeutet andersherum betrachtet, daß beispielsweise dort, wo 1990
noch 100 Menschen in der Autoproduktion beschäftigt waren im Jahr 2000 nur noch 56 Menschen
für den selben Output an Autos benötigt wurden.
Dies ist zugleich die Ursache der zunehmenden Arbeitslosigkeit. Auch wenn PolitikerInnen aller
Couleur daran vorbeireden und auch Münteferings Kritik des Kapitalismus diesen zentralen
Punkt ausspart: Kein irgendwie gearteter Aufschwung könnte in nennenswertem Umfang
Arbeitsplätze schaffen, könnte die Gesamtsumme der in Produktion und im Dienstleistungsbereich
benötigten Arbeitszeit merklich oder gar langfristig erhöhen. Allenfalls kann es zu gelegentlichen Verzögerungen beim
Arbeitsplatz-Abbau kommen, die dann zu um so kräftigeren Investitionen in Rationalisierung und Produktivitäts-Steigerung
genutzt werden. Wenn also dennoch Jahr um Jahr die "Schaffung von Arbeitsplätzen" versprochen wird, widerspricht dies
schlicht den Gesetzen kapitalistischer Ökonomie.
Die einzige Möglichkeit, Arbeitsplätze zu schaffen, bestünde darin, die vorhandene Arbeitszeit auf alle Köpfe zu verteilen.
Konkret hieße das: Geringere Wochenarbeitszeit bei vollen Lohnausgleich. Doch im Kapitalismus ist diese Forderung illusionär.
Zum einen ist in Folge der gesunkenen Zahl der Erwerbstätigen zugleich die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder dahin
geschmolzen. Zu Anfang dieses Jahres sank ihre Zahl unter 7 Millionen.
Damit ist die Macht der Gewerkschaften, die allein den "Sozialstaat" ermöglicht haben, nach und nach geschrumpft.
Alle sozialen Errungenschaften, die seit den Zeiten Bismarcks niemals Geschenke waren, sondern errungen werden
mußten, verdanken wir allein den Gewerkschaften:
1883 Krankenversicherung
(zunächst zu 2/3 aus Beiträgen der Arbeiter finanziert)
1884 Unfallversicherung
1889 Invaliden- und Altersversicherung
1918 Acht-Stunden-Tag
1927 Arbeitslosenversicherung
1956 45-Stunden-Woche
1957 Rentenreform (dynamische Rente)
1961 Bundessozialhilfegesetz
1969 Gesetz über Lohnfortzahlung im Krankheitsfall
1971 BAFöG
1972 flexible Altersgrenze
Die Rolle der Politik und der Parteien bestand seit Beginn des Kapitalismus lediglich darin, den jeweiligen Status Quo im
Kräftemessen zwischen Kapital und Arbeit in Gesetzes-Form zu gießen.
Die Macht der Gewerkschaften beruht im Kern auf einer Preisabsprache, um damit das ökonomische Gesetz von Angebot und
Nachfrage wenigstens teilweise auszuhebeln. Nach dem Freiheits-Begriff des Liberalismus müßten alle AnbieterInnen von
Arbeitskraft auf dem freien Markt von Angebot und Nachfrage gegeneinander als "Ich-AGs" konkurrieren. Das Tarifrecht
ist nichts anderes als ein Eingeständnis, daß im Kapitalismus beim Ringen um den Preis für die Arbeitskraft, den
Tarifverhandlungen, die Kräfte zwischen "Arbeitnehmer" und "Arbeitgeber" ungleich verteilt sind. Fair ist ein
Wettkampf nur bei Gegnern, die einigermaßen gleich stark sind.
Bei einem "freien Spiel der Kräfte", bei dem "Arbeitnehmer" jeder gegen jeden gegeneinander konkurrieren müßten, würden
Löhne und Gehälter ins Bodenlose fallen. So ist das Tarifrecht, das den "Arbeitnehmern" erlaubt, sich zusammen zu schließen
und sich gewerkschaftlich zu organisieren, ein Staus Quo. Es ist eine Art Waffenstillstandslinie, die zugleich dem Kapitalismus
das Fortbestehen und den "Arbeitnehmern" das Überleben sicherte. Zugleich galt es lange Zeit als selbstverständlich, daß
auf der anderen Seite sich Unternehmen nicht zum Zweck der Preisabsprache zusammenschließen durften. Dafür sorgte das Kartellrecht.
Wenn das Modell der "Sozialen Marktwirtschaft", auch "Rheinischer Kapitalismus" genannt, das seinen Höhepunkt Mitte der
70er Jahre überschritten hat, lange Zeit insbesondere in Deutschland funktionierte, dann allein deshalb, weil weltweit aufgeschlossene
Absatzmärkte die gesteigerte Produktion schlucken konnten. Die goldene Zeit der 50er und 60er Jahre, deren scheinbar immerwährendes
Wirtschaftswachstum Deutschland auch das Phänomen des "Gastarbeiters" (ein Begriff, der heute fast vergessen ist) bescherte, ist
unwiederbringlich vorbei. Auf der Grundlage der Prosperität und des Mangels an Arbeitskräften, war es möglich, so etwas wie einen
"Sozialstaat" zu erkämpfen. Die Gewerkschaften waren stark und konnten sich ihre Erfolge auch von einer Adenauer-, einer Erhard-
und einer Kiesinger-Brandt-Regierung in Gesetzesform verpacken lassen. Das war die materielle Grundlage eines zeitweiligen
Kräftegleichgewichts. Unvermeidlich war dabei, daß diese Regierungen die sozialen Errungenschaften als ihre "Wohltaten"
verkündeten.
Systemkonkurrenz - wie es orthodoxe Linke immer noch gerne behaupten - war keineswegs die Grundlage der "sozialen Marktwirtschaft".
Es ist illusionär und zeugt von einer idealistischen statt einer materialistischen Betrachtungsweise, anzunehmen, der Westen habe
es nötig gehabt, Sozialleistungen als Geschenke zu verteilen, um die "Arbeiterklasse" vom vorbildlichen Funktionieren des
"realexistierenden Sozialismus" abzulenken. Diese Argumentation dient nicht nur dazu, den mit der UdSSR verbundenen Diktaturen
postum einen Glorienschein zu verleihen. Es verdunkelt auch das Verständnis der tatsächlichen Zusammenhänge, beeinträchtigt
damit die Analyse und eine darauf beruhende Entwicklung einer Perspektive jenseits von Kapitalismus und Pseudo-Sozialismus.
Einem "Sozialismus", der lediglich auf einer staatsdirigistischen Wirtschaftssteuerung beruhte und zu seinem Erhalt tatsächlich
auf - nicht unerhebliche - soziale Wohltaten angewiesen war.
Eine sich überschlagende Produktivitätssteigerung führte in den letzten dreißig Jahren dazu, daß eine sich notwendig verkleinernde
Zahl von Produzenten auf den nicht beliebig zu vermehrenden globalen Absatzmärkten miteinander konkurriert. Das nebulöse
Schlagwort von der Globalisierung hat hier seine Berechtigung, denn in den letzten dreißig Jahren zeigt sich immer deutlicher, daß
eine Ausdehnung der Absatzmärkte an ihre globalen Grenzen stößt.
Wenn der Absatz global stagniert und die Produktion sich daher nicht mehr beliebig steigern läßt, bedeutet dies bei weiter fortschreitender
Produktivitätssteigerung, daß die Zahl der Unternehmen sinken muß und - in noch stärkerem Maße - die insgesamt global benötigte Zahl an
Arbeitsstunden. Und damit wächst unvermeidlich die Zahl der Arbeitslosen.
Doch durch das riesige Heer der Arbeitslosen ist die letztlich einzige Waffe der Gewerkschaften, der Streik, stumpf geworden und die
Tarifautonomie wird weiter und weiter unterhöhlt. 1983 wurde unter der Kohl-Regierung der Krankenversicherungs-Beitrag für
RentnerInnen erhöht und scheibchenweise werden die einmal erkämpften sozialen Errungenschaften abgetragen. Doch die tiefsten
Einschnitte getraute sich erst die "rot-grüne" Bundesregierung. Und seit Beginn der Agenda 2010 treffen die "Reformen" bezeichnender
Weise - Sichwort: Arbeitslosenversicherung - diejenigen, die sich am wenigsten wehren können.
Auch der - hypothetische - Vorschlag, die vorhandene Arbeit ohne Anhebung des Stundenlohns auf alle Köpfe zu verteilen, hat
keine Chance auf Realisierung: Der Druck des "Arbeitslosenheeres", der zum Lohndumping genutzt werden kann, ginge so verloren.
Und die Kapitalseite hat - schon lange im globalen Wettbewerb - nichts zu verschenken. Um so mehr ist die Forderung nach einer
Reduzierung der Wochenarbeitszeit bei teilweisem oder völligem Lohnausgleich illusionär - im Kapitalismus. Zum anderen
zeigt das sich immer mehr verschiebende Verhältnis zwischen Erwerbstätigen und Erwerbslosen, daß die Nachfrage nach
menschlicher Arbeitskraft sinkt. Und nach den Gesetzen der kapitalistischen Ökonomie bedeutet dies nichts anderes, als daß die Löhne sinken müssen.
Dem könnten die Gewerkschaften nur etwas kraftvolles entgegensetzen, wenn sie verstärkt europaweit - langfristig: global - zusammenarbeiten.
Nun heißt es zwar von Seiten der Gewerkschaftsbürokratie, es gäbe bereits grenzübeschreitende Zusammenarbeit beispielsweise zwischen
deutschen und französischen GewerkschafterInnen. Doch grenzüberschreitende Streiks sind bisher tabu. Auch existiert bereits seit 1973
der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB), dem mittlerweile rund 80 Gewerkschaftsverbände aus 34 Ländern Europas und somit rund
60 Millionen ArbeitnehmerInnen angehören. Er ist bisher allerdings lediglich als "Dachverband" konstruiert und kein schlagkräftiges
Werkzeug zur Organisation europaweiter solidarischer Aktion.
Zumindest auf nationaler Ebene wird die Position der Gewerkschaften immer schwächer. Zugleich setzt sich der seit Beginn des Kapitalismus
zu beobachtende Prozeß der Konzentration, der Verflechtung des Kapitals und der Bildung multinationaler Konzerne beschleunigt fort. Dies ist
nur ein Aspekt der sich dramatisch verändernden globalen Ökonomie. Das Schlagwort von der Globalisierung verschleiert dabei mehr, als daß es
zur Erhellung der seit Beginn des 19. Jahrhundert bestehenden Grundprinzipien der gegenwärtigen, aber sicher nicht auf ewig bestehenden Form
der Ökonomie beiträgt - ob diese nun als Kapitalismus oder wie auch immer bezeichnet wird.
Mitte Oktober letzten Jahres streikten die ArbeiterInnen bei Opel Bochum, um die angekündigte Streichung von rund einem Drittel der europaweit
32.000 Arbeitsplätze bei Opel und anderen Tochter-Unternehmen des GM-Konzerns zu verhindern. Sogar in Brasilien wurde die Arbeit in drei
GM-Werken zeitweise niedergelegt. In Europa jedoch machte sich die Solidarität recht bescheiden aus: In Polen, im Opel-Werk in Gleiwitz mit
1.600 Beschäftigten, rangen sich diese zu einer Solidaritäts-Erklärung und einer kurzen "Info-Veranstaltung" durch, die jedoch nicht einmal als
Streik bezeichnet wurde. Im Saab-Werk im schwedischen Trollhättan, das ebenfalls zum GM-Konzern gehört, gab es ebenfalls eine kurze
"Info-Veranstaltung" - keinen Streik. Auch in den GM-Werken in Azambuja, Portugal, oder in Figueruelas bei Saragossa, Spanien, mit
8.600 Beschäftigten schlossen sich die ArbeiterInnen dem Streik in Bochum nicht an. Und wenn im Opel-"Stammwerk" in Rüsselsheim die
Bänder nach sechs Tagen Streik in Bochum stillstanden, dann nicht weil irgendein "starker Arm" das wollte, sondern als Folge des Streiks in
Bochum. Auch in Antwerpen standen die Bänder wegen "Teilemangels" still - eigentlich eine optimale Vorgabe sich dem Kampf der
ArbeiterInnen in Bochum anzuschließen. Doch die Chance wurde vertan, weil die Gewerkschaftsspitze auf eine Verhandlungslösung in Form
sogenannter Auffang-Gesellschaften setzte.
"Es ist der schärfste Einschnitt in der Nachkriegsgeschichte", erklärte der Vorsitzende des Opel-Gesamtbetriebsrates,
Klaus Franz, offenherzig. 500 Millionen Euro könne GM so jährlich einsparen. Eine ähnliche Strategie hat die "rot-grüne" Bundesregierung
verfolgt. Jährlich wurden über 20 Milliarden an Steuereinnahmen an die Unternehmen verschenkt. Die "Gegenleistung" war ein vages
Versprechen, nach einem Aufschwung" Arbeitsplätze zu schaffen.
Übersicht über die Einnahmen des Bundes
|
2000
|
2001
|
2002
|
2003
|
Veranlagte Einkommen-Steuer
|
12,2
|
8,8
|
7,5
|
4,6
|
Gewerbesteuer
|
27,0
|
24,5
|
23,5
|
23,4
|
Zinsabschlags-Steuer
|
7,3
|
9,0
|
8,5
|
7,5
|
Kapital-Ertrags-Steuer
|
13,5
|
20,9
|
14,0
|
9,0
|
Körperschafts-Steuer
|
23,6
|
-0,4
|
2,9
|
8,3
|
Summe
|
83,6
|
62,8
|
56,4
|
52,9
|
Doch sowohl diese Geschenke als auch den beispiellosen Sozialabbau der letzten Jahre hat "die Wirtschaft" nicht wie
verkündet mit Aufschwung und Arbeitsplätzen honoriert. War dies anders zu erwarten? Ist es nicht eher so, daß "die Politik"
schon längst jegliche Handlungsfähigkeit eingebüßt hat?
Bereits 1968 analysierte Johannes Agnoli in seinem Werk 'Die Transformation der Demokratie', daß und wie sich die
Mächtigen im Nachkriegsdeutschland die Parteien, das Parlament und die Exekutive gesichert hatten. Als einziges
hat sich inzwischen geändert, daß die Mächtig nicht mehr ihre politischen Huren bezahlen, sondern, daß die Huren ihre
Freier mit Geschenken überhäufen, um nicht durch andere ersetzt zu werden.
Wenn nun der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering in einer Zeit, in der dies immer durchsichtiger wird, plötzlich von der
"wachsenden Macht des Kapitals" lamentieren und den "Kapitalismus" an die "Sozialpflichtigkeit des Eigentums" gemaht,
wirkt dies wie Kabarett. Seine Sprüche hat er offenbar aus derselben Mottenkiste, aus der er vor einigen Jahren seinen
roten Schal hervorzog. So zieht er nicht erst seit der Übernahme des SPD-Vorsitzes von Gerhard Schröder durch Stadt und
Land, indem er den "Roten" mimt und zugleich eine Politik mit trägt, für die ihn ein August Bebel hochkant aus der SPD geworfen hätte.
Zugleich spielen Chef-Redakteure etlicher Tageszeitungen den Konterpart zu Müntefering und fabulieren von den "ethischen
Grundlagen" des Kapitalismus. Wer allerdings den Sozialdarwinismus als ernsthaftes ethisches System anerkennt, der mag
dies konkret als Grundlage des Kapitalismus beim Namen nennen. Er kann - weniger hochtrabend - eben so gut von rücksichtslosem Egoismus reden.
Merkwürdig ist an diesem medial inszenierten Diskurs allein, daß es nun als unausweichlich angesehen wird, "unser
Wirtschaftssystem" in Frage zu stellen. Sicherlich dient dies allein dazu, eine aufkeimende öffentliche Diskussion, die
von gut bezahlten Sozialwissenschaftlen und Demoskopen als gefährlich erkannt wurde, in die "richtigen" Bahnen zu
lenken. Doch noch vor wenigen Jahren galt nach dem Ende der 80er Jahre zusammenbrechenden Herrschaftssystem
der UdSSR und ihrer Satelliten, das in den westlichen Medien mit Inbrunst als "Sozialismus" bezeichnet worden war, die
TINA-Doktrin. Margaret Thatcher, die "eiserne Lady", die in Großbritannien die Gewerkschaften zerschlug, hatte verkündet,
er gäbe fortan keine Alternative mehr zum Kapitalismus (TINA = "There is no alternative")
Zudem hatten in den letzten Jahren nahezu alle, die in ein Mikrophon sprechen durften, bekannt, niemand habe den Zusammenbruch des "realexistierenden
Sozialismus" vorhersehen können, aber unbezweifelbar sei die Vorhersage, daß der Kapitalismus - gewissermaßen als Vollendung
der "Post-Moderne" - bis in alle Ewigkeit fortbestehe.
Erinnert werden muß hier an Herbert Gruhl, an den konservativen Autor des 1975 veröffentlichten Buchs 'Ein Planet wird
geplündert', in dem zu lesen ist: "Jede Periode enthält nach Hegels Wort schon den Keim zu ihrem Gegensatz in sich. Dieser
Gegensatz ist längst nicht mehr der zwischen östlichem Kommunismus und westlichem Kapitalismus; denn beide sind am Ende.
Sie werden beide durch ein neues Prinzip abgelöst werden - die Frage ist nur, ob dies unter dem Zwang der Naturgesetze
(durch Katastrophen) geschieht oder aufgrund menschlicher Einsicht."
Und wie auch immer dieses "neue Prinzip" einmal getauft werden wird - im "Einstein-Jahr" sei auch daran erinnert, daß sich Albert
Einstein bereits 1949* recht tiefsinnige Gedanken dazu gemacht hat, die zudem orthodoxen Linken recht wenig schmecken dürften:
"Ich bin davon überzeugt, daß es nur einen Weg gibt, dieses Übel loszuwerden, nämlich den, ein sozialistisches Wirtschaftssystem
zu etablieren, begleitet von einem Bildungssystem, das sich an sozialen Zielsetzungen orientiert. in solch einer Wirtschaft gehören die
Produktionsmittel der Gesellschaft selbst und ihr Gebrauch wird geplant. Eine Planwirtschaft, die die Produktion auf den Bedarf der
Gemeinschaft einstellt, würde die durchzuführende Arbeit unter all denjenigen verteilen, die in der Lage sind zu arbeiten und sie
würde jedem Mann, jeder Frau und jedem Kind einen Lebensunterhalt garantieren. Die Bildung hätte zum Ziel, daß die Individuen
zusätzlich zur Förderung ihrer eigenen angeborenen Fähigkeiten einen Verantwortungssinn für die Mitmenschen entwickeln
anstelle der Verherrlichung von Macht und Erfolg in unserer gegenwärtigen Gesellschaft.
Dennoch ist es notwendig festzuhalten, daß eine Planwirtschaft noch kein Sozialismus ist. Eine Planwirtschaft als solche kann mit
der totalen Versklavung des Individuums einhergehen. Sozialismus erfordert die Lösung einiger äußerst schwieriger sozio-politischer
Probleme: Wie ist es angesichts weitreichender Zentralisierung politischer und ökonomischer Kräfte möglich, eine Bürokratie daran zu
hindern, allmächtig und maßlos zu werden? Wie können die Rechte des Einzelnen geschützt und dadurch ein demokratisches
Gegengewicht zur Bürokratie gesichert werden?"
Die Steuerung der Produktion wäre mit den heute vorhandenen Kommunikationsmittel wie Computer und Internet sicherlich effektiver
und reibungsloser zu organisieren wie über den so hoch gelobten "freien Markt". Nicht zuletzt bedeutet eine solche Steuerung die
Realisierung von Demokratie im grundlegenden Bereich unserer Gesellschaft: der Ökonomie. Dies würde letztlich die Schaffung
einer realexistierenden Demokratie bedeuten. Daß dies von den ökonomischen Schulen, die den wissenschaftlichen ökonomischen
Diskurs bestimmen, bewußt ausgeblendet wird, hat einen einfachen Grund: Nicht nur "die Politik" wird schon seit Jahrzehnten
"rücksichtslos" von den Interessen des Kapitals bestimmt, sondern ebenso Betriebswirtschaftslehre und Volkswirtschaftslehre an den
Universitäten.
Nicht vergessen werden darf dabei die deutliche Warnung Albert Einsteins, daß eine allmächtige und maßlose Bürokratie die
Kontrolle der Produktionsmittel an sich reißen und damit das "neue Prinzip" zum Scheitern bringen kann. Es darf niemals ein Zurück
zu einem Gesellschaftssystem geben, das sich eine Legitimation durch Scheinwahlen zu verschaffen versuchte.
Während des Streiks bei Opel in Bochum wurde darüber diskutiert, daß die ArbeiterInnen selbst das Werk übernehmen sollten, um
beispielsweise die Produktion auf ein 3-Liter-Auto umzustellen. Die Zustimmung einer Mehrheit in Deutschland wäre ihnen sicher gewesen.
Eine Mehrheit von über 70 Prozent der Deutschen ist nach wie vor für einen Atomausstieg. Daß dieser seit 1998 versprochen, aber
nicht realisiert wird (Obrigheim wird abgeschaltet, der FRM 2 in Garching eingeschaltet), hat seine Ursache in der Machtstellung der
vier marktbeherrschenden Energie-Konzerne RWE, E.on, EnBW und Vattenfall. Obwohl eine Mehrheit in Deutschland den raschen
Ausbau von Blockheizkraftwerken befürwortet, wird dies blockiert, weil so die Macht der vier Konzerne gebrochen werden könnte.
In Holland wie in Dänemark tragen Blockheizkraftwerke längst zu über 50 Prozent zur Stromversorgung bei.
Ebenso fatal ist die Kontrolle der Chemie- und Agro-Konzerne über die deutsche Landwirtschaft. Obwohl es sich beim
Öko-Landbau um eine Wachstumsbranche handelt, darf in diesem Jahr bundesweit auf über 1.000 Hektar Gen-Mais ausgesät
werden. Während in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt wird, "Rot-Grün" wolle den Anbau von genmanipulierten Pflanzen
per Gesetz verhindern, wird seit sieben Jahren real eine Politik betrieben, die mit Salami-Taktik nach und nach den gentechnik-freien
Anbau in Deutschland unmöglich macht. Über zwei Drittel der Deutschen wollen laut Umfrage-Ergebnissen, die seit rund zehn
Jahren stabil sind, keine genmanipulierten Nahrungsmittel. Immer mehr Menschen steigen auf Öko-Lebensmittel um, obwohl sich
ihre finanzielle Situation in den letzten Jahren nicht verbessert hat. In einer Demokratie wäre es selbstverständlich, daß die Mehrheit
bestimmt und nicht eine kleine Zahl mächtiger Konzerne.
Und Herrn Müntefering wollen wir einen Spruch des früheren US-amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln (manchmal
auch in einer verkürzten Fassung von Bob Marley zitiert) ans Herz legen:
"Du kannst einige Leute für alle Zeit zum Narren halten,
du kannst sogar alle Leute für einige Zeit zum Narren halten, aber du kannst nicht alle Leute für alle Zeit zum Narren halten."
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Anmerkung
* Dieser Text von Albert Einstein, den wir 2002 auf unsere web site (einstsoz021224.html) stellten,
wurde in der 'UZ' vom 22. April 05 ungekürzt nachveröffentlicht.