23.06.2004

Artikel

Mao-Te-Fering
ist Liebling der Partei

... und Genosse Finanzminister Eichel überlistet die Mathematik

Liebling der Partei

Die Werktätigen in unserer Republik haben auch in der Nacht zum Dienstag mit spontanen Freudenkundgebungen auf die Grundsatzrede des Genossen Vorsitzenden Franz Müntefering reagiert. Überall versammelten sich die Proletarier nach dem Gang zum Arbeitsamt vor den Fernsehgeräten der Gaststätten, viele

trugen Deutschlandfahnen und riefen "Tor" bei den Treffern ihrer englischen und französischen Klassenbrüder.

In einem Interview mit Radio Eriwan, das das ZDF-Morgenmagazin am Dienstag ausstrahlte, bekräftige Generalsekretär Klaus-Uwe Benneter die Fortsetzung der erfolgreichen Politik der Partei. Der Reformkurs sei nötig, um sich an die Veränderungen anzupassen. Man müsse "die alternde Gesellschaft in den Griff kriegen", sagte er - eine Anspielung auf Rentner und andere Arbeitsverweigerer.

Zum Haushaltsentwurf vom Genossen Bundesfinanzminister Hans Eichel meinte Benneter, der Etat für das Jahr 2005 sei "nicht nur solide, er ist auch verfassungsgemäß". Tatsächlich: Die Verfassung sieht vor, daß die Neuverschuldung die Summe der Investitionen im Bundeshaushalt nicht übersteigen darf. Dies ist dem Arbeiter- und Bauernsohn aus Hessen auch dieses Mal durch die schöpferische Weiterentwicklung der bürgerlichen Mathematik gelungen. Mit 22 Milliarden Euro bleibt Eichels Kreditaufnahme um knapp eine Milliarde Euro unter den vorgesehenen Investitionsausgaben. Weitere 18 Milliarden will Eichel durch den Totalverkauf von Bundesvermögen - vor allem der staatliche Anteile an Telekom, Post und einigen Flughäfen - einnehmen. Käufer ist die ebenfalls im Bundesbesitz befindliche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), die sich das dazu nötige Kapital leihen muß. Am Ende tauchen die Schulden der staatlichen KfW als Einnahmen im Staatshaushalt auf, hat sich Minus in Plus verwandelt - wahrlich ein Umschlag von Quantität in Qualität, ein Meisterstück des dialektischen Materialismus.

Solche Leistungen sind nur denkbar vor dem Hintergrund der kämpferischen Rede von Genossen Müntefering am Montag vor dem Zentralkomitee. Unter anderem sagte er: "Wir sind sicher: Die sozialdemokratische Idee ist die bestmögliche ..." Zur Begründung führte er aus: "Die SPD ist sich nicht selbst genug; ihr Zweck ist es zu regieren." In Abwandlung eines Mottos des japanischen Philosophen Toyota ("Nichts ist unmöglich") formulierte er: "Nichts ist von Dauer, alles muß in jeder Zeit immer wieder neu erkämpft werden ..." Schließlich warnte er die parteifeindlichen Elemente in den eigenen Reihen und erinnerte an die Prinzipien des demokratischen Zentralismus: "Wenn entschieden ist, muß Geschlossenheit im Handeln selbstverständlich sein. Disziplin ist eine Tugend der Demokratie."

Mit heiligem Schrecken hat das Großkapital die Ankündigung des Genossen Vorsitzenden verfolgt, Spitzengewinne künftig mit einem Satz von 50 Prozent zu besteuern. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) erteilte diesen Plänen am Dienstag eine klare Absage. Aber Müntefering hatte ohnedies eingeräumt, es gebe für das Vorhaben kein zeitliches Ziel.

 

Jürgen Elsässer

 

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