Martin Luther erläuterte seinen epochemachenden Schritt, ein bedeutendes
menschliches Kulturgut in die deutsche Sprache übersetzt zu haben,
bescheiden damit, er habe dem Volk einfach aufs Maul geschaut.
Dem Volk (kritisch) aufs Maul zu schauen, ist allemal besser als Politikern
aufs Maul zu schauen, die nach der Devise zu leben scheinen: Wer einmal
lügt, dem glaubt das Volk nicht mehr - also lügen wir dauernd. Warum also
den deutschen Parlamentariern, hier speziell den Bundestagsabgeordneten,
aufs Maul schauen? Weil wir hier exemplarisch den Gegensatz zwischen
ihren Reden und Programmen und ihrem tagtäglichen Verhalten betrachten
können.
Doch so einfach ist das nicht: Ein Redakteur des kleinen Branchenmagazins
'Schrot & Korn' * wollte sich gern einmal von der Umsetzung der "Agrar-Wende"
in den Bundestags- Restaurants (ja, da gibt es nicht nur eines !) überzeugen.
Doch eine solche Recherche ist "höchst kompliziert". Die Abgeordneten-Restaurants
sind für Besucher ("gläserner Reichstag") nicht geöffnet. Dort hineinzukommen,
ist "ein wahrer Hindernislauf". Zunächst einmal muß eigens eine Akkreditierung
beantragt werden. Danach ging die Odyssee erst richtig los...
Um es abzukürzen: In allen für Bundestagsabgeordnete vorbehaltenen Restaurants
gibt es - nach einem kurzen Zwischenspiel im Jahr 2000 als sich einige Abgeordnete
wie auch immer an fromme Vorsätze erinnerten - kein einziges Bio-Essen. Die
Preise sind durchaus moderat, können also kaum bei den bekanntermaßen
dürftigen Abgeordeten-Diäten abschreckend gewirkt haben. Eine Kellnerin, die
der verdutzte Redakteur befragt, weiß von nichts. Einer der Betriebsleiter ist
nicht zu sprechen, ein anderer gibt bereitwillig die ebenso klare wie ernüchternde
Erklärung: "Bio? Das will hier niemand bezahlen, das nimmt mir niemand ab."
Ein Betriebsleiter gibt den Tip, mal im Besucher-Restaurant nachzuschauen.
Und tatsächlich: Dort finden sich im üppigen Gesamt-Angebot gleich mehrere
Bio-Gerichte. Von den BesucherInnen des Reichstags werden die im Vergleich
kaum teureren Bio-Gerichte angenommen.
Kommentar des Journalisten: "Wer ist hier für wen das Vorbild?"
* "Kein Bio im Bundestag" von Holger Hansen,
'Schrot&Korn' 6/02
Adriana Ascoli