Buback - ein Nachruf
Dies soll nicht unbedingt eine Einschätzung sein oder ein
kommentierender Verriss vom Schreibtisch aus, mit päpstlichen
Gestus vorgetragen und als "solidarische Kritik"
bezeichnet. Ausgewogenheit, stringente Argumentation, Dialektik
und Widerspruch - das ist mir alles piep-egal. Mir ist bei dieser
Buback-Geschichte einiges aufgestoßen, diese Rülpser sollen zu
Papier gebracht werden, vielleicht tragen sie ein bißchen zu einer
öffentlichen Kontroverse bei.
Meine unmittelbare Reaktion, meine "Betroffenheit" nach dem
Abschuß von Buback ist schnell geschildert: ich konnte und
wollte (und will) eine klammheimliche Freude nicht verhehlen. Ich
habe diesen Typ oft hetzen hören, ich weiß, daß er bei der
Verfolgung, Kriminalisierung, Folterung von Linken einer
herausragende Rolle spielte. Wer sich in den letzten Tagen nur
einmal genau sein Konterfei angesehen hat, der kann erkennen,
welche Züge dieser Rechtsstaat trägt, den er in so hervorragender
Weise verkörperte. Und der kennt dann auch schon ein paar Züge von
Gesichtern jener aufrechten Demokraten, die jetzt wie ein Mann empört
und betroffen aufschreien.
Ehrlich, ich bedaure es ein wenig, daß wir dieses Gesicht nun nicht
mehr in das kleine rotschwarze Verbrecheralbum aufnehmen können,
das wir nach der Revolution herausgeben werden, um der meistgesuchten
und meistgehaßten Vertreter der alten Welt habhaft zu werden und
sie zur öffentlichen Vernehmung vorzuführen. Ihn nun nicht mehr - enfant perdu ...
Aber das ist ja nun nicht alles gewesen, was in meinem und im Kopf
vieler anderer nach diesem Ding herumspukte. So eine richtige Freude,
wie etwa bei der Himmelfahrt von Carrero Blanco konnte einfach nicht
aufkommen. Nicht, daß ich mich von der wirklich gut inszenierten
'öffentlichen' Empörung und Hysterie kirre machen ließ; dieses Spektakel
scheint ja wirklich von mal zu mal besser zu funktionieren und daß irgendwo
im Konzert dieser politischen Eunuchen, die von der herstellung der
'öffentlichen Meinung' leben (gut leben), sich eine einzige 'kritische' Stimme
erheben würde, daran glaubt von uns wohl keiner mehr.
Aber deswegen ist mir dieser hermetisch wirkende Block gleichgeschalteter
Medien, offizieller Verlautbarungen und Kommentare doch nicht so egal,
daß ich mich bei irgendwelchen Aktionen überhaupt nicht mehr um ihn zu
kümmern bräuchte. Die Wanzenaffäre hat doch gezeigt, daß sich dieser Chor
der Aufrechten Läuse in den Pelz gesetzt hat, die ihn kratzen, die sich nicht
mit Meinungen und Kommentaren hinwegtuschieren lassen. Da haben
sich immerhin Risse und Brüche in dieser scheinbar festgefügten Legitimationsfassade
gezeigt, die wir ausnützen müssen. Und können, sogar in bezug auf Stammheim.
Da haben wir eine Gelegenheit versäumt, ein öffentliches Gemurmel,
ein öffentliches Unbehagen der Nonchalance mit der die Bubacks, Maihofers,
Schiess und Benda die dicksten Rechtsbrüche begehen offensiv für uns und die
gefangenen zu nutzen. Diese Chance ist vorerst vorbei. Jetzt - nach dem
Anschlag - ist nicht nur wieder jedes Mittel recht, um die "Terroristenbrut" zu zerschlagen,
sondern die angewandten Mittel sind gar zu gering.
Das mag ein persönlicher Eindruck sein; ich hatte auch keine Ideen und keine
Kraft, bei dieser Affäre einzugreifen. Aber deutlicher wird das, was ich
damit kritisieren will, vielleicht am Beispiel des Roth/Otto-Prozesses
in Köln. In diesem Prozess war die Strategie der Bubacks, die, Linke, die
nachweislich nicht geschossen haben, als Polizisten-Mörder zu verurteilen.
Revolutionäre Linke sind Killer, ihre Gesinnung, ihre Praxis prädestinie
rt sie zu Killern, die vor keinem Mittel zurückschrecken - so die
Gleichung der Ankläger und (offensichtlich) der Richter.
In mühevoller Kleinarbeit ist es den beteiligten Genossen und Genossinnen
wenigstens ansatzweise gelungen, diese Strategie zu durchkreuzen und
zwar so zu durchkreuzen, daß selbst die gleichgeschalteten Medien über die
Sauereien, unmenschlichen Haftbedingungen, Verfahrensfehler etc. zu berichten
gezwungen sind. Das kleine Stammheim in Köln hat so auch ein Schlaglicht
auf das echte Stammheim werfen können. Am letzten Mittwoch haben die
Anwälte von Roth und Otto Antrag auf Haftentlassung gestellt, weil einfach
von der Beweislage her der vorwurf des gemeinschaftlichen Mordes am
Polizisten Pauli nicht mehr aufrecht zu erhalten war. Die Gleichung "Linke
sind Killer" war durchkreuzt. Ich befürchte aber, daß mit dem Anschlag
auf Buback den Genossen die guten Karten aus der Hand gesclagen worden
sind, daß hierdurch eine unfreiwillige Amtshilfe für die Justiz geleistet wurde, die
vielleicht sogar den Urteilsspruch negativ beeinflussen wird.
Der Blindheit jener, für die sich die politische Welt auf Stammheim reduziert
und die völlig unabhängig von der jeweiligen 'politischen Konjunktur' den
Kampf führen und ihre Mittel wählen, könnte so andere Genossinnen und
Genossen entwaffnen und wäre ein unfreiwilliger Beitrag dazu, sie fertig
zu machen, 'Counterinsurgency' andersherum ...
Diese Überlegungen alleine haben ausgereicht, ein inneres Händereiben zu stoppen.
Aber es kommt noch doller. Ich habe auch über eine Zeit hinweg (wie so viele
von uns) die Aktionen der bewaffneten Kämpfer goutiert; ich, der ich als
Zivilist noch nie eine Knarre in der Hand hatte, eine Bombe habe hochgehen
lassen. Ich habe mich schon ein bißchen dran aufgegeilt, wenn mal wieder
was hochging und die ganze kapitalistische Schickeria samt ih
ren Schergen in Aufruhr versetzt war. Sachen, die ich im Tagtraum auch
mal gern tun tät, aber wo ich mich nicht getraut habe sie zu tun.
Ich habe mir auch jetzt wieder vorgestellt, ich wäre bei den bewaffneten Kämpfern,
werde gesucht, gejagt, lebe irgendwo in einem konspirativen Zusammenhang
von einigen Leuten, muß aufpassen, daß meine alltäglichen
Verrichtungen (einkaufen gehen, Papierkörbe leeren, einen Film sehen) mir nicht
schon den Garaus machen.
Ich frage mich, wie ich - abgeschnitten von alltäglichen persönlichen und
politischen Zusammenhängen - mit meinen Leuten die Entscheidung über
solch eine Aktion fällen könnte. Wie ich mich monatelang darauf vorbereiten
müßte, daß Buback weg muß, wie mein ganzes Denken von Logistik und
Ballistik bestimmt wird. Wie ich mir sicher sein kann, daß dieser und
kein anderer sterben muß, wie ich in Kauf nehme, daß auch ein anderer dabei
draufgeht, ein dritter vielleicht querschnittsgelähmt sein wird etc. etc.
Ich müßte völlig umdenken: ich denke immer noch, daß die Entscheidung
zu töten oder zu killen bei der herrschenden Macht liegt, bei Richtern, Bullen,
Werkschützern, Militärs, AKW-Betreibern. Daß ich dafür extra
ausgebildet sein müßte; kaltblütig wie Al Capone, schnell, brutal, berechnend.
Wie soll ich mich entscheiden, daß Buback wichtig ist, nicht für mich und
meine Leute, sondern auch für die anderen Leute. Daß er wichtiger ist, als
der Richter X am Gefängnis Y oder einer seiner Wärter. Oder daß der
Verkäufer an der Ecke, der dauernd "Kopf ab" brüllt eine geringere 'Schuld'
trägt als Buback. Nur, weil er weniger 'Verantwortung' hat?
Warum diese Politik der Persönlichkeiten? Könnten wir nicht mal zusammen
eine Köchin entführen und sehen, wie sie dann reagieren, die aufrechten Demokraten?
Sollten wir uns überhaupt mehr auf die Köchinnen konzentrieren?
Wenn in Argentinien oder gar in Spanien einer dieser staatlich legitimierten
Killer umgelegt wird, habe ich diese Probleme nicht. Ich glaube zu spüren, daß
der Haß des Volkes gegen diese Figuren wirklich ein Volkshaß
ist. Aber wer und wieviele Leute haben Buback (tödlich) gehaßt. Woher könnte
ich, gehörte ich den bewaffneten Kämpfern an, meine Kompetenz beziehen,
über Leben und Tod zu entscheiden?
Wir alle müssen davon runterkommen, die Unterdrücker des Volkes stellvertretend
für das Volk zu hassen, so wie wir allmählich schon davon runter sind,
stellvertretend für andere zu handeln oder eine Partei aufzubauen.
Wenn Buback kein Opfer des Volkszornes wird (oder wegen mir auch des
Klassenhasses, damit kein falscher Verdacht aufkommt), dann geht die
Gewalt, die so ausgeübt wird, ebensowenig vom Volk aus, wie Bubacks Gewalt vom Volke
ausging.
Wir brauchen nur die Zeitungen aufzuschlagen und die Tagesmeldungen zu
verfolgen: die Strategie der Liquidierung, das ist eine Strategie der Herrschenden.
Warum müssen wir sie kopieren? Die Leute (das Volk!) haben Angst
davor, sie haben ihre Erfahrungen damit gemacht, genauso wie mit Einkerkerung
und Arbeitslager. Was wir auch tun: es wirft immer ein Licht auf das, was
wir anstreben. Wir werden unsere Feinde nicht liquidieren. Nicht in
Gefängnisse und nicht in Arbeitslager sperren und deswegen gehen wir
doch nicht sanft mit ihnen um.
Unser Zweck, eine Gesellschaft ohne Terror und Gewalt (wenn auch nicht
ohne Aggression und Militanz), eine Gesellschaft ohne Zwangsarbeit
(wenn auch nicht ohne Plackerei), eine Gesellschaft ohne Justiz, Knast und
Anstalten (wenn auch nicht ohne Regeln und Vorschriften oder besser:
Empfehlungen) dieser Zweck heiligt eben nicht jedes Mittel, sondern nur
manches. Unser Weg zum Sozialismus (wegen mir: zur Anarchie) kann nicht
mit Leichen gepflastert werden.
Warum liquidieren? Lächerlichkeit kann auch töten, zum Beispiel
auf lange Sicht und Dauer.
Unsere Waffen sind nicht lediglich
Nachahmungen der militärischen, sondern solche, die sie uns nicht
aus der Hand schießen können. Unsere Stärke braucht deswegen
nicht in einer Phrase zu liegen (wie in der 'Solidarität'). Unsere
Gewalt endlich kann nicht die Al Capones sein, eine Kopie des
offenen Straßenterrors und des täglichen Terrors; nicht autoritär,
sondern antiautoritär und deswegen um so wirksamer. Um der
Machtfrage willen (o Gott!), dürfen Linke keine Killer sein, keine
Brutalos, keine Vergewaltiger, aber sicher auch keine Heiligen,
keine Unschuldslämmer.
Einen Begriff und eine Praxis zu entfalten
von Gewalt/Militanz, die fröhlich sind und den Segen der beteiligten
Massen haben, das ist (zum praktischen Ende gewendet) unsere
Tagesaufgabe. Damit die Linken, die so handeln, nicht die gleichen
Killervisagen wie die Bubacks kriegen.
Ein bißchen klobig, wie? Aber ehrlich gemeint ....
Ein Göttinger Mescalero