Die Sowohl-als-auch-Kirche im Hartz-Dilemma
Eigentlich müßte die Entscheidung den Christenmenschen leicht fallen.
Ihr Herr und Meister hat gesagt, was zu tun ist: "Gib Dein Geld den
Armen und komm und folge mir nach!" Wenn also die Regierung Schröder
den Sozialstaat schreddert, Renten kürzt, Kranksein bestraft,
Arbeitslose mit ihren Familien in Armut treibt, nur damit das Vermögen
der Reichen noch schneller sich anhäuft, dann hat eine solche Politik
mit Christentum und Kirche nichts mehr zu tun. Die Reichen und ihre
willigen Vollstrecker in Partei- und Regierungsapparaten sind zu
ermahnen, und wenn sie nicht hören, müssen sie gehen - zur christlichen
Kirche können sie allesamt nicht gehören. Für sie gilt Jesu Wort:
"Weh
euch Reichen, für euch gibt es keinen Trost mehr!" (Lukas 6,24)
Derart klare Worte und Taten aber fallen den Kirchenführern im real
existierenden Kapitalismus schwer, sie wollen es mit keiner Seite
verderben. Sie wollen "Kirche für alle" sein und merken nicht, wie sie
wieder einmal zur Kirche der herrschenden Schicht werden und die
Unteren verraten. Sie sind sowohl für die Hartz-Gesetze wie auch gegen
Hartz-Gesetze, wenigstens ein bißchen... So haben sich in
Mecklenburg-Vorpommern der katholische Bischof und die zwei
evangelischen sogar mit dem DGB zusammengetan und gefordert: "Hartz IV
muß osttauglich gemacht werden!" - Was das wohl heißen soll? Vielleicht
die Absenkung der 1-Euro-Jobs auf 93 Cent, entsprechend dem
Ost-Lohnniveau? Denn bei diesen Arbeitslosenpflichtjobs mit
Trinkgeld-Entlohnung haben ja in beschämender Weise beide Kirchen mit
ihren Sozialverbänden sehr bald "Hurra!" geschrien, die Caritas
sogleich und sehr laut, die Diakonie etwas verhaltener aber ebenso
nachhaltig. Die ungewöhnliche Koalition aus Kirchen und
Gewerkschaftsspitze ließ dann auch sogleich den Zweck ihres mutigen
Wortes verlauten: Sie wollten "das Feld der Kritik nicht PDS oder NPD
überlassen".
Ganz besondere Eier-Tänze, immer bemüht, die goldenen nicht zu
tangieren, führt wieder einmal der evangelische Bischof von
Berlin-Brandenburg und EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber vor. Schon
zum Jahreswechsel 2003 / 2004 hatte er als Domprediger ins Horn der
Regierungspropaganda geblasen: "Wir müssen einen kleiner werdenden
Kuchen fair verteilen. Wir haben soziale Errungenschaften
einzuschränken, wenn wir sie erhalten wollen. Wir müssen schärfere
Gegensätze in unserem Land aushalten. Kurzum: Es wird rauher zugehen."
Wie ein schneidiger Hof- und Feldprediger hatte er hier das Aushalten
der zunehmenden Gegensätze propagiert, Bundespräsident Köhler
sozusagen schon die Vorlagen für dessen "mehr Unterschiede in unserm
Land!" geliefert. Daß der Kuchen "Bruttoinlandsprodukt" in den letzten
zehn Jahren nominal um 26 Prozent angewachsen ist und keineswegs
kleiner wurde, daß aber für die abhängig Beschäftigten, die
Arbeitslosen und Rentner immer weniger übrig geblieben ist, weil die
reichen oberen 10 Prozent ihr Geldvermögen auf jetzt 4 Billionen Euro
in dieser Zeit mehr als verdoppeln konnten, scheint Huber nicht zu
stören.
Bischof Huber ist so dreist, auch noch angesichts der
Montagsdemonstrationen in einem Spiegelinterview den Regierenden "Mehr
Mut zu Reformen!" zuzurufen. Einerseits will er "den Menschen zur
Seite" stehen, "die Sorgen um elementare Zukunftsfragen" haben (Die
haben offenbar nur Fragen, keine begründete Furcht vor Verarmung durch
Hartz IV). Sie sind nämlich, laut Huber, oft nur "Opfer unzureichender
Informationen". Für den Bischof werden nur die "Menschen, die aus einem
relativ hohen Verdienst kommen, solche Einschnitte als sehr schmerzhaft
empfinden. Aber ich sage: Ein gewisser Abstieg wird unvermeidlich
sein..." Und 331 Euro pro Monat im Osten wird "als Grundsicherung zur
Zeit ausreichen müssen". Klar, wir denken jetzt nicht an
Bischofsgehälter, die so um die 20 mal höher ausfallen dürften.
Peinlich ist diesen Kirchenoberen, daß die Massenproteste gegen Hartz
IV sich in die Tradition der Leipziger Monatgsdemonstrationen gestellt
haben. Die Regierung wollte anfangs ja solche Demonstrationen
verbieten, der Montagabend habe demonstrationsfrei zu bleiben,
sozusagen eine heilige Zeit, die nur dem Gedenken an den glorreichen
Aufstand gegen die DDR-Regierung geweiht sein kann. Die Kirchenführer
bemühen sich seither in ökumenischer Eintracht, der Regierung im
Prinzip Recht zu geben, wenn sie auch um Verständnis dafür bitten, daß
viele Demonstrierer angeblich nicht wissen, was sie tun. Der
katholische Bischof Reinelt aus Dresden kritisiert offen die
Montags-Bezugnahme und meint, die Teilnehmer hätten nicht einmal eine
Vorstellung davon, "was sie mit den Protesten erreichen wollen". Huber
plädiert für "Hinnehmen", versichert aber, wir hätten "jetzt eine
völlig andere Situation als 1989".
Wenn die Kirchenführer sich da man nicht gewaltig irren. Sie scheinen
vergessen zu haben, daß die Leipziger Montagsdemonstration im
Zusammenhang der damals schon länger in der Nikoleikirche
veranstalteten Friedensgebete sich entwickelt haben. Es ging um den Ruf
nach Frieden und gegen Krieg, sowohl gegen das Aufrüsten zwischen den
Blöcken wie auch um die Bewahrung des Friedens innerhalb der damaligen
DDR-Gesellschaft, also bald auch gegen ein befürchtetes gewaltsames
Eingreifen der Staatsmacht. Hiergegen erklang die Parole "Wir sind das
Volk!"- der Volkspolizei zugerufen als Mahnung an ihre Aufgabe.
Bei den jetzigen Montagsdemonstrationen sind die Ziele ganz ähnlich. Es
geht um den Ruf nach Frieden, denn Hartz IV ist nichts anderes als eine
Kriegserklärung an alle Arbeitslosen, eine neue Stufe im neoliberalen
Kampf gegen alle von Arbeitseinkommen und sozialen Transfereinkommen
Abhängigen. Diejenigen, die mehr Gegensätze und größere Unterschiede
propagieren, sind dabei, den gesellschaftlichen Frieden noch mehr aufs
Spiel zu setzen als bisher schon. Und deshalb hat der Pfarrer der
Leipziger Nikolaikirche, Christian Führer, Recht, wenn er feststellt:
Die kapitalistische Marktwirtschaft sei nicht in der Lage, die Probleme
der Menschen zu lösen (zitiert nach Der Spiegel 34/04). Das ist der
Grund, weshalb in vielen Kirchen PfarrerInnen, SozialarbeiterInnen und
andere Gemeindeglieder sich nicht Sand in die Augen streuen lassen,
erst recht nicht von ihren Bischöfen. Sie reihen sich wieder ein bei
den heutigen Montagsdemonstrierern und versuchen dabei auch, ihrem
christlichen Glauben treu zu bleiben.
Otto Meyer
evangelischer Pfarrer im Ruhestand, Münster