26.09.2004

Artikel

Weh euch,
die ihr reich seid!

Die Sowohl-als-auch-Kirche im Hartz-Dilemma

Eigentlich müßte die Entscheidung den Christenmenschen leicht fallen. Ihr Herr und Meister hat gesagt, was zu tun ist: "Gib Dein Geld den Armen und komm und folge mir nach!" Wenn also die Regierung Schröder den Sozialstaat schreddert, Renten kürzt, Kranksein bestraft, Arbeitslose mit ihren Familien in Armut treibt, nur damit das Vermögen der Reichen noch schneller sich anhäuft, dann hat eine solche Politik mit Christentum und Kirche nichts mehr zu tun. Die Reichen und ihre willigen Vollstrecker in Partei- und Regierungsapparaten sind zu ermahnen, und wenn sie nicht hören, müssen sie gehen - zur christlichen Kirche können sie allesamt nicht gehören. Für sie gilt Jesu Wort:
"Weh euch Reichen, für euch gibt es keinen Trost mehr!" (Lukas 6,24)

Derart klare Worte und Taten aber fallen den Kirchenführern im real existierenden Kapitalismus schwer, sie wollen es mit keiner Seite verderben. Sie wollen "Kirche für alle" sein und merken nicht, wie sie wieder einmal zur Kirche der herrschenden Schicht werden und die Unteren verraten. Sie sind sowohl für die Hartz-Gesetze wie auch gegen Hartz-Gesetze, wenigstens ein bißchen... So haben sich in Mecklenburg-Vorpommern der katholische Bischof und die zwei evangelischen sogar mit dem DGB zusammengetan und gefordert: "Hartz IV muß osttauglich gemacht werden!" - Was das wohl heißen soll? Vielleicht die Absenkung der 1-Euro-Jobs auf 93 Cent, entsprechend dem Ost-Lohnniveau? Denn bei diesen Arbeitslosenpflichtjobs mit Trinkgeld-Entlohnung haben ja in beschämender Weise beide Kirchen mit ihren Sozialverbänden sehr bald "Hurra!" geschrien, die Caritas sogleich und sehr laut, die Diakonie etwas verhaltener aber ebenso nachhaltig. Die ungewöhnliche Koalition aus Kirchen und Gewerkschaftsspitze ließ dann auch sogleich den Zweck ihres mutigen Wortes verlauten: Sie wollten "das Feld der Kritik nicht PDS oder NPD überlassen".

Ganz besondere Eier-Tänze, immer bemüht, die goldenen nicht zu tangieren, führt wieder einmal der evangelische Bischof von Berlin-Brandenburg und EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber vor. Schon zum Jahreswechsel 2003 / 2004 hatte er als Domprediger ins Horn der Regierungspropaganda geblasen: "Wir müssen einen kleiner werdenden Kuchen fair verteilen. Wir haben soziale Errungenschaften einzuschränken, wenn wir sie erhalten wollen. Wir müssen schärfere Gegensätze in unserem Land aushalten. Kurzum: Es wird rauher zugehen." Wie ein schneidiger Hof- und Feldprediger hatte er hier das Aushalten der zunehmenden Gegensätze propagiert, Bundespräsident Köhler sozusagen schon die Vorlagen für dessen "mehr Unterschiede in unserm Land!" geliefert. Daß der Kuchen "Bruttoinlandsprodukt" in den letzten zehn Jahren nominal um 26 Prozent angewachsen ist und keineswegs kleiner wurde, daß aber für die abhängig Beschäftigten, die Arbeitslosen und Rentner immer weniger übrig geblieben ist, weil die reichen oberen 10 Prozent ihr Geldvermögen auf jetzt 4 Billionen Euro in dieser Zeit mehr als verdoppeln konnten, scheint Huber nicht zu stören.

Bischof Huber ist so dreist, auch noch angesichts der Montagsdemonstrationen in einem Spiegelinterview den Regierenden "Mehr Mut zu Reformen!" zuzurufen. Einerseits will er "den Menschen zur Seite" stehen, "die Sorgen um elementare Zukunftsfragen" haben (Die haben offenbar nur Fragen, keine begründete Furcht vor Verarmung durch Hartz IV). Sie sind nämlich, laut Huber, oft nur "Opfer unzureichender Informationen". Für den Bischof werden nur die "Menschen, die aus einem relativ hohen Verdienst kommen, solche Einschnitte als sehr schmerzhaft empfinden. Aber ich sage: Ein gewisser Abstieg wird unvermeidlich sein..." Und 331 Euro pro Monat im Osten wird "als Grundsicherung zur Zeit ausreichen müssen". Klar, wir denken jetzt nicht an Bischofsgehälter, die so um die 20 mal höher ausfallen dürften.

Peinlich ist diesen Kirchenoberen, daß die Massenproteste gegen Hartz IV sich in die Tradition der Leipziger Monatgsdemonstrationen gestellt haben. Die Regierung wollte anfangs ja solche Demonstrationen verbieten, der Montagabend habe demonstrationsfrei zu bleiben, sozusagen eine heilige Zeit, die nur dem Gedenken an den glorreichen Aufstand gegen die DDR-Regierung geweiht sein kann. Die Kirchenführer bemühen sich seither in ökumenischer Eintracht, der Regierung im Prinzip Recht zu geben, wenn sie auch um Verständnis dafür bitten, daß viele Demonstrierer angeblich nicht wissen, was sie tun. Der katholische Bischof Reinelt aus Dresden kritisiert offen die Montags-Bezugnahme und meint, die Teilnehmer hätten nicht einmal eine Vorstellung davon, "was sie mit den Protesten erreichen wollen". Huber plädiert für "Hinnehmen", versichert aber, wir hätten "jetzt eine völlig andere Situation als 1989".

Wenn die Kirchenführer sich da man nicht gewaltig irren. Sie scheinen vergessen zu haben, daß die Leipziger Montagsdemonstration im Zusammenhang der damals schon länger in der Nikoleikirche veranstalteten Friedensgebete sich entwickelt haben. Es ging um den Ruf nach Frieden und gegen Krieg, sowohl gegen das Aufrüsten zwischen den Blöcken wie auch um die Bewahrung des Friedens innerhalb der damaligen DDR-Gesellschaft, also bald auch gegen ein befürchtetes gewaltsames Eingreifen der Staatsmacht. Hiergegen erklang die Parole "Wir sind das Volk!"- der Volkspolizei zugerufen als Mahnung an ihre Aufgabe.

Bei den jetzigen Montagsdemonstrationen sind die Ziele ganz ähnlich. Es geht um den Ruf nach Frieden, denn Hartz IV ist nichts anderes als eine Kriegserklärung an alle Arbeitslosen, eine neue Stufe im neoliberalen Kampf gegen alle von Arbeitseinkommen und sozialen Transfereinkommen Abhängigen. Diejenigen, die mehr Gegensätze und größere Unterschiede propagieren, sind dabei, den gesellschaftlichen Frieden noch mehr aufs Spiel zu setzen als bisher schon. Und deshalb hat der Pfarrer der Leipziger Nikolaikirche, Christian Führer, Recht, wenn er feststellt: Die kapitalistische Marktwirtschaft sei nicht in der Lage, die Probleme der Menschen zu lösen (zitiert nach Der Spiegel 34/04). Das ist der Grund, weshalb in vielen Kirchen PfarrerInnen, SozialarbeiterInnen und andere Gemeindeglieder sich nicht Sand in die Augen streuen lassen, erst recht nicht von ihren Bischöfen. Sie reihen sich wieder ein bei den heutigen Montagsdemonstrierern und versuchen dabei auch, ihrem christlichen Glauben treu zu bleiben.

 

Otto Meyer

evangelischer Pfarrer im Ruhestand, Münster

 

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