6.09.2006

Artikel

"Schwarz-Rot" ist
Minderheitsregierung

"Große" Parteien bei 20 Prozent

Bereits in einer gemeinsamen Erklärung* der Wahlboykott-Initiative zur Bundestagswahl haben wir am 18. September 2005 festgestellt:
"Realitätsfern feiern sich die »großen« Parteien entsprechend ihren gewohnten Ritualen als »Wahlsieger« und spekulieren darauf, daß Prozentrechnen nur noch von wenigen beherrscht wird. Bei sinkender Wahlbeteiligung klaffen jedoch die offiziell verkündeten Prozentzahlen auf der Basis der insgesamt abgegebenen Stimmen und die realen Prozent-Ergebnisse auf der Basis der Gesamtzahl der Wahlberechtigten immer weiter auseinander: Tatsächlich haben kaum mehr als ein Viertel der Wahlberechtigten CDU/CSU oder SPD gewählt."

Nach aktuellen Umfragen würden heute nur noch 30 Prozent der Wahlwilligen - nicht: der Wahlberechtigten! - CDU/CSU und nur noch 29 Prozent die SPD wählen. Das Berliner Forsa-Institut hat jedoch ermittelt, welchen Rückhalt "Schwarz-Rot" tatsächlich in der Bevölkerung haben: Unter Berücksichtigung der dezidierten Nicht-WählerInnen entsprechen den 30 Prozent für die CDU/CSU real nur 20,7 Prozent - und den 29 Prozent für die SPD real nur 20,0. Diese Zahlen setzen aber eine Wahlbeteiligung von 69 Prozent voraus; eine Annahme, die in Anbetracht der von Mal zu Mal sinkenden Wahlbeteiligung nicht als realistisch gelten kann. Es ist also zu vermuten, daß die veröffentlichten Zahlen geschönt und die "großen" Parteien schon unter 20 Prozent abgesunken sind.

Obwohl die dezidierten NichtwäherInnen längst zum größten Block geworden sind, werden sie in Kommentaren und Leitartikeln beschimpft, lächerlich gemacht und als demokratiefeindlich gebrandmarkt. Doch längst ist erkennbar, daß das parlamentarische System sich weiter und weiter von realexistierender Demokratie entfernt: 70 Prozent der Deutschen sprechen sich für einen Atomausstieg aus und ahnen zumindest, daß sie - oder genauer: diejenigen, die "Rot-Grün" gewahlt haben - sieben Jahre lang zum Narren gehalten wurden. 70 Prozent sprechen sich gegen Gentechnik in Nahrungsmitteln aus und müssen erkennen, daß kunstvolle Scheingefechte um Haftungsregelungen im Bundestag ausgetragen werden, um für den Anbau von Gen-Pflanzen so in Deutschland den Weg frei zu machen. Zwei Drittel der Deutschen sind vom Sozialabbau betroffen und werden zunehmend depressiver, weil im Bundestag die RepräsentantInnen des oberen Drittels über eine Zweidrittel-Mehrheit verfügen. Eine Mehrheit ist gegen weitere Auslandseinsätze der Bundeswehr, so daß selbst Deutschlands meistverkauftes Toilettenpapier (das mit den vier Buchstaben) sich populistisch gegen Bundeswehr-Kanzlerin Merkel stellt. Allein: Es wird nichts nützen!

Allmählich begreifen selbst die Dümmsten, daß die "Probleme", vorneweg die Massenarbeitslosigkeit, weder mit "rot-grünen" noch mit "scharz-gelben" Reformen gelöst werden können und sollen. Dies dürfte der Hauptgrund sein, weshalb "Schwarz-Rot" immer deutlicher zur Minderheitsregierung wird. Immer deutlicher wird sie nur noch von einer Minderheit gestützt, da sie nur einer Minderheit dient.

Die Zustimmung sowohl zur SPD wie auch zur CDU/CSU ist so gering wie noch nie seit 1949. Ein historischer Vergleich macht die Dynamik noch anschaulicher: 1983 hatte Helmut Kohl noch 43 Prozent der Wahlberechtigten für die Union gewonnen. Die CDU/CSU war damals also allein stärker als die beiden "großen" Parteien heute mit zusammen 40,7 Prozent. Nur fusioniert, was programmatisch wohl kein unüberwindbares Problem wäre, hätte "Schwarz-Rot" noch die Kraft einer Volkspartei alten Schlages.

Laut Forsa-Institut haben sich 22 Prozent der Unions-WählerInnen von 2005 inzwischen entschieden, nicht mehr zu wählen. Bei der SPD sind es 24 Prozent. So wird eine fundamentale Vertrauenskrise der "Großen" sichtbar. Ein Zerfall des historischen Parteiensystems läßt sich daran ablesen.

Wie sagte Abraham Lincols so schön: "Ihr könnt alle Leute für einige Zeit zum Narren halten, ihr könnt sogar einige Leute für alle Zeit zum Narren halten - aber ihr könnt nicht alle Leute für alle Zeit zum Narren halten."

 

Adriana Ascoli

 

Anmerkung

* Siehe www.wahlboykott2005.de

 

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