In den vergangenen Wochen schien es, als seien die wöchentlichen Montagsdemonstrationen auf ihren harten Kern zusammen- geschmolzen. Doch nun deutet sich eine Wiederbelebung an. Zumindest die gestrigen Umzüge fanden teilweise wieder erheblich mehr Zulauf. Zudem verständigten sich die Initiatoren am Wochenende darauf, die Proteste fortzusetzen und inhaltlich zu verbreitern.
Zentrum der Proteste war in dieser Woche Magdeburg, von wo die Umzüge auch einen ihrer Ausgangspunkte hatten. Rund 3.000 Menschen zogen am frühen Abend durch die Innenstadt und blockierten mehrere Straßenkreuzungen - als ersten Schritt des "zivilen Ungehorsams". In Berlin konnte die Demonstration mit 1.200 Teilnehmern gegenüber 800 in der Vorwoche deutlich zulegen. In Dresden gingen 500 Menschen auf die Straße, in Rostock 600, in
Dortmund 350 und in Gelsenkirchen 320.
Zwar nahm die Zahl der Städte, in denen nicht mehr zu Protesten aufgerufen wurde, insgesamt zu, allerdings gab es auch eine Reihe beendeter Demonstrations-Pausen. In Frankfurt am Main gingen etwa 200 Menschen auf die Straße, nachdem es in der Vorwoche keinen Umzug gegeben hatte. In Greiz waren es 180, in Spremberg 450 und in Torgau 120.
Ob der Protest neue Kraft entfaltet, oder nur ein "Indian Summer" war, bleibt abzuwarten. Zumindest das Wetter war außerordentlich demonstrationsfreundlich. Doch die Spannung in der Bevölkerung steigt weiter. Ob das Arbeitslosengeld II zum neuen Jahr überhaupt flächendeckend ausbezahlt wird, ist unklar. Der rasante Abbau von Arbeitsplätzen geht unvermindert weiter und die Bundesregierung erklärt inzwischen offen, daß sie eine offensive, auf den Erhalt von Stellen ausgerichtete Wirtschaftspolitik nicht für ihren Aufgabenbereich hält. Die Wut wächst, wenn auch noch schleichend.
Wie weit der Streik der Bochumer Opel-Belegschaft stimulierend auf die Demonstrationen gewirkt hat, ist ebenfalls unklar. Zumindest zwei Dinge hat er jedoch deutlich gemacht. Zum keinen können nur radikalere Maßnahmen als Bitte und leise Proteste zu Erfolgen führen, zum zweiten ist die Hoffnung auf ein Einlenken der Bundesregierung und eine Unterstützung durch die DGB-Gewerkschaften sinnlos. Der Protest muß sich von unter formieren und darf sich nicht durch kleinere Versprechungen abwürgen lassen.
So sahen dies auch die Organisatoren der Montagsdemonstrationen, die sich am Wochenende in Magdeburg zu einem weiteren Koordinierungstreffen zusammen fanden. Der Protest soll nicht nur fortgeführt, sondern thematisch über den Widerstand gegen Hartz IV erweitert werden. Denn die ALG-II-Massenverarmung noch von ihrem Beginn zu stoppen, ist aussichtslos. Der Neoliberalismus sei ein "Exzeß der Gier entarteter Großkonzernstrukturen", so die gemeinsame Erklärung, die entsprechende Politik ein "Generalangriff" zur Entrechtung des Volkes und für eine Gesellschaft, die "einer Diktatur mehr gleicht als einer Demokratie".
Knackpunkt des Widerstands ist dabei letztlich die Mobilisation jedes Einzelnen. Außenstehende gibt es bei Hartz IV jedenfalls nicht. Auch, wer heute in Tariflohn steht, kann morgen herbe Zumutungen präsentiert bekommen und sich im Wettbewerb mit Ein-Euro-Jobbern sehen. Das dürfte sich spätestens ab Januar auch herumsprechen. Dann muß der Widerstand Woche für Woche anschwellen, um nicht nur einzelne Gesetze, sondern das System der neoliberalen Ausbeutung aus den Angeln zu heben.
Paul Müller
Anmerkung
Erstveröffentlichung: www.rbi-aktuell.de