...eine Betroffene auf der gestrigen Montags-Demo in Leipzig:
Dienstag, 1. März - es gibt regulär ALG II
Donnerstag, 3. März - immer noch kein Geld da!
Ich begebe mich auf das Landratsamt, um mich nach dem Verbleib meines Geldes
zu erkundigen. Frau X, die zuständige Angestellte sucht ewig nach meiner
Akte, bis sie sie endlich doch findet und feststellt, daß keine Sperre des
Geldes vorlag.
Sperre dachte ich, wozu - ich hatte mir nichts zu schulden kommen lassen.
Wird man jetzt schon unschuldig vorverurteilt, nur weil man keine Arbeit
hat, die es ja auch nicht gibt, oder warum schaut Frau X zuerst nach einer
Sperre?
Wie dem auch sei, dachte ich. Frau X versprach jedenfalls, das Geld noch
heute anzuweisen.
Freitag, 4. März - kein Geld da
Wovon soll ich meine Wochenendeinkauf tätigen, wovon mein Kind ernähren. Mir
schnürte es die Kehle zu. Das erste Mal in meinem Leben überkam mich das
Gefühl der totalen Hilflosigkeit. Ich hatte plötzlich unendlich großen
Hunger. Ich borgte mir bei Freunden Geld für einen kleine Einkauf - nur das
Nötigste - versteht sich, man will ja niemanden auf der Tasche liegen. Aber
peinlich war's schon, erklären zu müssen, warum ich sie jetzt anpumpe.
Montag, 7. März - immer noch kein Geld.
Wovon soll ich die Miete bezahlen. Einen Anruf beim Vermieter und ihm sagen:
"Eh, tut mir leid. Das Amt zahlt die Almosen nicht, also ich dir auch keine
Miete?". Echt peinlich. Ich schäme mich für meine Situation. Ich beschließe,
mit dem Essen etwas kürzer zu treten. Man weiß ja nicht, wann das Geld
endlich gezahlt wird. Aber wenigstens mein Kind soll nicht hungern. Es kann
ja nichts dafür.
Die erste schlaflose Nacht. Ich hab Hunger. Dennoch ich muß aufs Amt.
Dienstag, 8. März - mein alltäglicher Gang zur Bank - erfolglos. Und ich
hatte so gehofft, mich nicht wieder wie eine Bettlerin aufs Amt begeben zu
müssen.
Na ja, gegen 17 Uhr hatte ich sowieso einen Termin. Ich muß meinen
Folgeantrag auf ALG II stellen. Da ich ja nun zwei Angelegenheiten zu klären
hatte, ging ich zwei Stunden eher hin. Natürlich kam ich doch erst um 17 Uhr
dran.
"Bin ich im falsche Film", fuhr es mir durch den Kopf? Das darf doch nicht wahr
sein.
Frau X war wieder ewig damit beschäftigt, meine Akte zu suchen und diesmal
fand sie sie nicht. Sie holte sich Kollegin Y zu Hilfe. Mit vereinten
Kräften fanden sie nach langen Suchen meine Akte und mußten feststellen, daß
keine Überweisung stattfand. Vielleicht auf ein anderes Konto, sagt Frau Y.
Auf welches andere Konto denn, fragte ich . Schließlich bin ich ALG-II-Empfängerin und kann mir kaum die Kontoführungsgebühren für ein Konto
leisten (Nach der Regelsatzverordnung stehen einem ALG-II-Empfänger, der den
vollen Regelsatz erhält, übrigens 0,36 Euro pro Monat dafür zu). Ich
lächelte müde und sagte: Ich habe nur ein Konto. Leise ganz leise fragt ich
nun nach einer Barauszahlung. Schließlich so erklärte ich, müsse ich Miete
bezahlen und auch meine Tochter bräuchte irgend etwas zum Essen.
Eine Barauszahlung, da waren sich Frau X und Frau Y einig - völlig
unmöglich. Die Gesetze ließen dies auf gar keinen Fall zu.
Na mein Gott - bin ich denn eine Verbrecherin - denke ich. Ich will doch
eigentlich nur meine "Grundsicherung zum Lebensunterhalt" die mir ja nach §1
SBG II auch zusteht, sagte ich wütend und verzweifelt.
Plötzlich, man hatte wohl Mitleid mit mir, mittlerweile liefen mir leise die
Tränen über beide Wangen, gab man mir einen Zettel, auf den stand, ich könne
mir 100 Euro an der Kasse der Führerscheinstelle abholen. Ich war entsetzt -
100 Euro - soll ich davon jetzt meinen Vermieter trösten oder uns etwas zu essen
kaufen?
Frau X und Frau Y verstanden meine Aufregung nicht - nun hatte ich doch
etwas Geld. Sie versprachen wieder das restliche Geld zu überweisen. Ich
lächelte müde und wollte gerade gehen, da sagte Frau X: "Ach ja da wäre noch
was: Wenn sie ihren Widerspruch zurückziehen würden, gäbe es sicher mit der
Überweisung keine Probleme!"
Jetzt schlägts 13, dachte ich. Ich bin plötzlich hellwach und sage wie von
selbst: "Meinen Widerspruch zurückziehen? - auf gar keine Fall. Sie zahlen mir
weniger als mir zusteht, zum Beispiel der Mehrbedarf für mich als
Alleinerziehende - immerhin 40 Euro im Monat - Nein meinen Widerspruch halte ich
aufrecht". Ich ging ohne zu grüßen.
Auf dem Weg zur Führerscheinstelle hatte ich ausreichend Zeit, mich zu
sammeln. Das war auch gut so, denn die Dame dort zahlte die 100 Euro aus als
wäre es ein Lottogewinn gewesen. Eigentlich genug Anlaß, um sich wieder
aufzuregen, aber ich wollte und konnte nicht mehr.
Mittwoch, 9. März - blieb ich den ganzen Tag im Haus. Ich war irgendwie
depressiv und immer noch total wütend über die Anmaßung mit dem Widerspruch.
Donnerstag, 10. März - kein Geld auf der Bank.
Der erste Mahnbrief vom Vermieter munterte mich auch nicht gerade auf. Was
denken sich bloß Schröder und Co, wenn sie die Menschen so unverschuldet ins
Elend stürzen, dachte ich.
Freitag, 11. März - Immer noch kein Geld!!
Ich ging nach Hause - nun wußte ich nicht mehr weiter. Gegen Mittag, das
Landratsamt war längst für den Besucherverkehr geschlossen, rief Frau Y mich
an. Sie kam ohne Umschweife zur Sache und beharrte darauf: Ich solle meinen
Widerspruch zurückziehen. "Nein" sagte ich - schon wieder auf 180. "Ich werde
meine Widerspruch nicht zurückziehen. Einen Widerspruch gegen einen Bescheid
einzulegen, ist eine demokratisch legitimierte Sache," erklärte ich völlig
aufgeregt.
Frau Y blieb ganz gelassen und erklärte, sie könne nicht verstehen, wieso
ich - trotzdem ich meinen Widerspruch nicht zurückziehen wolle - nun dennoch
Geld von Landratsamt verlange.
Jetzt platzt mir die Hutschnur - ich muß mich beruhigen.
Es gelingt und ich sage: "Das Geld, welches sie nicht zahlen wollen, hängt
nicht vom Widerspruch ab. Es steht mir per Gesetz zu - lesen sie doch mal im
SGB II nach".
Nun gut, sagt Frau Y, ich solle es mir noch einmal überlegen, wenn ich
nämlich meinen Widerspruch nicht zurückzöge, könnte ich auch keinen neuen
Antrag auf ALG II stellen. Sie wünsche mir ein schönes Wochenende und legte
einfach auf.
Jetzt reichts, dachte ich. So nicht mit mir.
Ich rief beim ver.di-Bezirk Leipzig-Nordsachsen an und schilderte meinen
Fall. Leider mußte ich dort erfahren, daß ich nicht die einzige bin, der
man das Geld einfach nicht auszahlt. Natürlich habe ich das Recht, bei meinem
Widerspruch zu bleiben, bestätigte mir die dortige Rechtsabteilung. Ich muß
den Widerspruch nicht zurückziehen, um den laufenden Regelsatz zu erhalten
oder gar einen Folgeantrag stellen zu können.
Ich war beruhigt. Ich laß mich nicht so maßregeln. Gleich am Montag starte
ich den nächsten Versuch. Ich werde für meine Rechte kämpfen. Tut Ihr es
auch! Kämpfen wir alle zusammen für eine sofortige Regelsatzerhöhung.
Wir müssen selbst für unsere Rechte kämpfen. Denn wenn wir es nicht machen,
macht es niemand.
Letzte Bemerkung zum Verschicken der Folgeanträge: Achtung, nicht alle
Folgeanträge werden pünktlich verschickt. Ihr müßt Euch selbst kümmern,
sonst bekommt ihr im April kein Geld, da die Anträge noch nicht bearbeitet
werden konnten. So jedenfalls könnte die Ausrede sein, die man Euch dann
auftischt.