13.05.2004

Rüstet Europa auf?

Das Friedensforum Lahr hatte mit Blick auf die Europawahl Arno Neuber von der Informationsstelle Militarisierung (IMI), Tübingen, eingeladen. Seine zentrale These, die Europäische Union erlebe in den letzten fünf Jahren eine rasante Militarisierung, belegte Neuber im Verlauf des Abends mit einer Fülle an Fakten.

Nach wie vor werde die öffentliche Wahrnehmung vom Mythos eines "Zivilprojekts Europa" bestimmt und die stetige Wiederholung von Klischees wie dem vom Europa als "ökonomischer Riese und militärischer Zwerg" lenke von der tatsächlichen Entwicklung ab. Allein die bisherige EU der 15 Staaten gebe täglich rund 500 Millionen Euro, jährlich somit 175 Milliarden Euro für militärische Zwecke aus. Rund zehn Milliarden Euro pro Jahr würden die neuen zehn Mitgliedsstaaten der EU seit ihrem Beitritt am 1. Mai dieses Jahres zusätzlich beisteuern. Damit sei Europa keineswegs der gern zitierte "Zwerg", sondern weltweit der zweitgrößte militärische Riese. Zwar würden in nahezu allen Ländern die Armeen zahlenmäßig reduziert, doch wie auch im produzierenden Bereich der Wirtschaft werde dieser "Personalabbau" durch Hightech kompensiert. Der Trend gehe zudem immer mehr weg von der Wehrpflichtigen-Armee und hin zu kleinen spezialisierten Sonder-Einsatztruppen.

Auch beim Rüstungsexport könne Europa keineswegs als Zwerg durchgehen, so Neuber. Frankreich, Großbritannien und Deutschland befänden sich unter den weltweit ersten fünf Rüstungsexporteuren. Ob die EU im Zuge der europäischen Einigung zur Atommacht aufsteige, sei zur Zeit eine "spannende Frage". Schon in nächster Zukunft werde sich zeigen, ob die bestehenden beiden Atommächte Großbritannien und Frankreich ihre Atomwaffen einem zentralen europäischen Kommando unterstellen.

Viel Beachtung innerhalb der Friedensbewegung, meinte Neuber, so auch beim gerade erst in Berlin abgehaltenen Kongress der Internationalen Ärzte gegen den Atomkrieg (IPPNW), finde die Entwicklung kleiner taktischer Atomwaffen, der sogenannten Mini-Nukes. Laut immer häufiger zu vernehmender Äußerungen führender Politiker nicht nur aus den USA, sondern auch aus Frankreich und Großbritannien, sollen diese Waffen bei "präemptiven Schlägen" eingesetzt werden. Nach Ansicht von Arno Neuber wären solche atomaren Erstschlags-Kriege - gleich welche Wortschöpfung dafür erfunden werde - eindeutig völkerrechtswidrig.

So äußerte beispielsweise der britische Verteidigungsminister vor Beginn des Irak-Kriegs die Bereitschaft, im Irak "im Ernstfall" mit Atomwaffen einzugreifen. Auch die französischen Atomwaffen seien, so Neuber, entsprechend ihrer Konzeption längst keine Zweitschlags-Waffen mehr. Die Reichweite der M51, mit der die französische U-Boot-Flotte derzeit modernisiert werde, sei 7000 bis 8000 Kilometer, also praktisch global.

In vielerlei Hinsicht seien in den vergangenen zehn Jahren verstärkte Anstrengungen zu einer gemeinsamen europäischen Militärpolitik zu beobachten. Dabei werde ein immer stärkeres Gegengewicht zu den USA aufgebaut und eine Abkoppelung von der NATO betrieben. So existiere beispielsweise seit mindestens vier Jahren ein bilateraler nuklearer Arbeitskreis, zu dem die deutsche Regierung von französischer Seite eingeladen wurde. Dieser Arbeitskreis existiere entgegen den alten drei D-Direktiven der früheren US-amerikanischen Außenministerin Madelaine Albright parallel zur nuklearen Planungsgruppe der NATO.

Ein weiters Beispiel sei die "Westeuropäische Union", eine lange Zeit nur auf dem Papier existierende Teil-Struktur der NATO, die 1999 vom deutschen Außenminister Fischer in die EU überführt wurde und seitdem den militärische Arm der EU darstelle, so Neuber. Auch mit dem Kongo-Einsatz Mitte letzten Jahres habe die EU versucht, sich als Weltmacht global ins Spiel zu bringen.

Wegweisend für eine weitere Entwicklung Europas zu einer friedensbedrohenden Militärmacht sei, so Neuber, die vorliegende EU-Verfassung, die wortwörtlich festschreibe, daß Europa seine militärischen Fähigkeiten "schrittweise zu verbessern" habe. Einer solchen Entwicklung Europas müsse die Friedensbewegung entgegentreten. Ziel müsse ein friedliebendes, soziales Europa für alle Menschen sein.

 

Klaus Schramm

 

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