19.02.2004

Interview

Verkehrswende im Dreyeckland ?
Rückblick und Perspektiven

Klaus Schramm sprach mit Berth Noeske

Vorbemerkung:
Berth Noeske ist seit 1986 Mitglied des Verkehrclubs Deutschland (VCD), eines Verbandes, der als Kontrast- Programm zum ADAC die Interessen von FußgängerInnen, RadfahrerInnen und NutzerInnen der öffentlichen Verkehrsmittel, aber auch die umweltbewußter Auto- fahrerInnen vertritt. 1987 war er Mitbegründer des VCD in Freiburg und über viele Jahre war er Vorsitzender des VCD-Kreisverbandes Südlicher Oberrhein. Auf der letzten Mitgliederversammlung gab er das Amt an einen Jüngeren weiter.

K. S.:
Ist Dein Rücktritt vom Amt des VCD-Vorsitzenden ausschließlich altersbedingt oder spielt nicht auch Frustration eine Rolle?

Berth Noeske:
Ich hatte ja bereits vor zwei Jahren angekündigt, nur bis zu meinem sechzigsten Lebensjahr im Amt zu bleiben. Und zugleich bleibe ich dem örtlichen VCD im erweiterten Vorstand als Ratgeber erhalten. Das Know-how bleibt abrufbar und jetzt sind frische Leute am Ruder.
Über zwanzig Jahre habe ich meine privaten Interessen und meine Hobbys zurückgestellt und dafür möchte ich jetzt mehr Zeit haben. Obwohl ich die Frustration nicht leugnen will - sie hat bei meiner Entscheidung keine Rolle gespielt. Und es ist ja auch immer dieselbe Frustration wie schon seit Jahren. Zugleich ist aber auch einiges auf den Weg gebracht und die Sachen laufen.

Hast Du Dir nicht mehr erhofft? Die versprochene Verkehrs-Wende?
Wie schätzt Du denn den von Minister Stolpe letztes Jahr verabschiedeten Verkehrswegeplan ein?

Das macht mich nicht gerade glücklich (lacht). Ich sage ja nicht: Wir haben alles erreicht. Die Auto-Lobby ist immer noch viel stärker als wir. Die Politiker sitzen im Auto statt im Bus und haben nach wie vor ihre Windschutzscheiben-Perspektive.

Was würdest Du denn als wichtigste "Wegmarken" der letzten 16 Jahre mit dem VCD in Freiburg bezeichnen?

Na ja, da muß ich wohl mit einer "Frustrationsmarke" beginnen: die B 31. Da ist jetzt genau das eingetreten, was wir befürchtet haben. Es gab lediglich eine Problemverschiebung, ja sogar eine Verkehrssteigerung durch die neue Trasse. Es entstehen jetzt wieder Bürgerinitiativen an der neuen B 31. Und das sehe ich im Zusammenhang mit der häufig überfüllten Höllentalbahn, die immer noch keine echte Alternative zum Auto ist, deren vermeidbaren Verspätungen, den laufend gekürzten GVFG-Mitteln...
Immerhin konnte eine Takt-Verdichtung bei der Höllentalbahn statt der geplanten Stillegung erreicht werden. Die Erfolge bei Breisgau-Bahn und Elztal-Bahn und verschiedene Straßenbahn-Linien in der Stadt kamen hinzu. Mit Info-Ständen und der Präsenz beispielsweise bei Jubiläen konnten wir schon so einiges unterstützen!
Einer der größten Erfolge war die Realisierung des "Mobile", der mit der Fahrradstation kombinierten Mobilitätszentrale beim Hauptbahnhof. Das war nur mit Ausdauer gegen den früheren Oberbürgermeister Böhme durchsetzbar, der dieses Modellprojekt ja bekämpft hatte. 1999 konnten wir es einweihen, der VCD war dabei schon federführend. Und heute ist es ein international bekanntes Beispiel mit dem sich Freiburg schmücken kann.
Aber auch viele sogenannte Kleinigkeiten konnten mit Unterstützung des VCD vorangebracht werden: abgesenkte Bordsteine, Spielstraßen und Tempo-30-Zonen.
Besonders am Herz liegt mir das Gehwege-Konzept. Fußgängerinnen und Fußgänger werden auch heute noch immer vernachlässigt; der rollende Verkehr überall bevorzugt.

Wie sieht's mit der Ausweitung der Fußgängerzone, wie mit dem Rotteck-Ring aus?

Da hatten wir bereits 1989 ein großes Fest für einen autofreien Rotteckring. Das war so etwas wie eine Initialzündung. Allerdings haben sich die Gemeinderatsfraktionen auf einen Kuhhandel eingelassen und für den Fortschritt am Rotteckring einen vierspurigen Ausbau der Stefan-Meier-Straße akzeptiert.

Welche Perspektiven siehst Du für den jetzt mit dem VCD Ortenau als Zusammenschluß entstandenen VCD-Regionalverband Südlicher Oberrhein?

Als Regionalverband kann der örtliche VCD mit größerem Gewicht für bessere Verbindungen ins benachbarte Frankreich werben. Wichtig sind jetzt die Neuen im Vorstand, die des Französischen mächtig sind. Wir hatten einmal gehofft, die reaktivierte Verbindung über Müllheim nach Mulhouse sei wegen des dortigen Flughafens ein Selbstläufer. Doch mit dem nachlassenden Flugverkehr sind auf dieser Strecke die Nutzerzahlen rückläufig.
Um den Ferienverkehr ans Mittelmeer auf die Schiene umzulenken, wäre eine neue Schienen-Anbindung Freiburg-Breisach-Marseille ideal. Eine stärkere Orientierung nach Frankreich könnte auch Freiburg aufwerten.
Auch bei der Anbindung der Industrie- und Gewerbegebiete an die Schiene muß der VCD den weiteren Rückbau stoppen. Zwei Negativ-Beispiele: Als der städtische Bauhof noch in der Tullastraße war, hatte er seinen eigenen Industriegleis-Anschluß. Nach dem Umzug nach St. Gabriel hat er keinen mehr. Dabei wäre dort ein Gleis-Anschluß ohne großen Aufwand möglich gewesen. Die Stadt Freiburg hätte mit gutem Beispiel voran gehen müssen. Und auch IKEA hatte vor dem Umzug auf die "grüne Wiese" einen Gleis-Anschluß - nun wird alles über große LKWs angeliefert. Auch hierbei hat die Stadtverwaltung versagt. Leider sind wir bisher mit unseren Vorschlägen zu einem "Runden Tisch Industriegleise" zusammen mit Industrie- und Handelskammer und Verbänden bei der Stadtverwaltung ohne Erfolg geblieben.
Aber auch beim "Klein-Klein" muß der VCD weiter Druck machen. Ein leidiges Thema ist nach wie vor, daß Gehwege zugeparkt werden. Es muß durchgesetzt werden, daß Parkplätze in der Stadt eigenständig finanziert werden und nicht über Wohnungsmieten.

Welche Bedeutung mißt Du Beispielen wie Sigmaringen oder Karlsruhe bei, wo Bus- und Straßenbahn in wenigen Jahren Steigerungsraten von 300 Prozent und mehr erzielen konnten - Beispielen wie sie Franz Alt bei seinen Vorträgen über eine Verkehrswende immer wieder benennt?

Bei der Breisgau-Bahn beispielsweise war nicht bedacht worden, daß bis zu diesem Bereich nicht zweispurig ausgebaut wurde, denn sonst hätte der Güterverkehr erhalten werden können. Insgesamt muß sich Freiburg sicher mehr an den Vorbildern des Straßenbahnausbaus orientieren. Überall dort, wo Taktverdichtungen und neue Strecken eingeführt wurden, konnten erfreuliche Fahrgastzuwächse verzeichnet werden. Mit einer optimalen Abstimmung der Fahrpläne zwischen Bus und Bahn, Erhöhung der Taktfrequenzen und der Zahl der Haltestellen allein ist es allerdings nicht getan. Wie die genannten Beispiele beweisen, gibt es eine ganze Palette von Möglichkeiten, den öffentlichen Nahverkehr attraktiver zu gestalten. Ich hoffe, daß nicht durch weitere GVFG-Mittel- kürzungen im Gegenteil eine Angebotsreduzierung eingeläutet und damit eine Förderung des Autoverkehrs betrieben wird.

Danke für das Gespräch.

 

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