Klaus Schramm sprach mit Berth Noeske
Vorbemerkung:
Berth Noeske ist seit 1986 Mitglied des Verkehrclubs Deutschland (VCD), eines Verbandes, der als
Kontrast- Programm zum ADAC die Interessen von FußgängerInnen, RadfahrerInnen und NutzerInnen
der öffentlichen Verkehrsmittel, aber auch die umweltbewußter Auto- fahrerInnen vertritt. 1987 war er
Mitbegründer des VCD in Freiburg und über viele Jahre
war er Vorsitzender des VCD-Kreisverbandes Südlicher Oberrhein. Auf der letzten Mitgliederversammlung
gab er das Amt an einen Jüngeren weiter.
K. S.:
Ist Dein Rücktritt vom Amt des VCD-Vorsitzenden ausschließlich
altersbedingt oder spielt nicht auch Frustration eine Rolle?
Berth Noeske:
Ich hatte ja bereits vor zwei Jahren angekündigt, nur bis zu meinem
sechzigsten Lebensjahr im Amt zu bleiben. Und zugleich bleibe ich dem
örtlichen VCD im erweiterten Vorstand als
Ratgeber erhalten. Das Know-how bleibt
abrufbar und jetzt sind frische Leute am
Ruder.
Über zwanzig Jahre habe ich meine
privaten Interessen und meine Hobbys
zurückgestellt und dafür möchte ich jetzt
mehr Zeit haben. Obwohl ich die Frustration nicht leugnen will - sie hat bei
meiner Entscheidung keine Rolle gespielt. Und es ist ja auch immer dieselbe
Frustration wie schon seit Jahren. Zugleich ist aber auch einiges auf den Weg
gebracht und die Sachen laufen.
Hast Du Dir nicht mehr erhofft? Die versprochene Verkehrs-Wende?
Wie schätzt Du denn den von Minister Stolpe letztes Jahr verabschiedeten
Verkehrswegeplan ein?
Das macht mich nicht gerade glücklich (lacht). Ich sage ja nicht: Wir
haben alles erreicht. Die Auto-Lobby ist immer noch viel stärker als wir. Die
Politiker sitzen im Auto statt im Bus und haben nach wie vor ihre
Windschutzscheiben-Perspektive.
Was würdest Du denn als wichtigste "Wegmarken" der letzten 16
Jahre mit dem VCD in Freiburg bezeichnen?
Na ja, da muß ich wohl mit einer "Frustrationsmarke" beginnen: die
B 31. Da ist jetzt genau das eingetreten, was wir befürchtet haben. Es gab
lediglich eine Problemverschiebung, ja sogar eine Verkehrssteigerung durch die neue
Trasse. Es entstehen jetzt wieder Bürgerinitiativen an der neuen B 31. Und das
sehe ich im Zusammenhang mit der häufig überfüllten Höllentalbahn, die immer
noch keine echte Alternative zum Auto ist, deren vermeidbaren Verspätungen,
den laufend gekürzten GVFG-Mitteln...
Immerhin konnte eine Takt-Verdichtung bei der
Höllentalbahn statt der geplanten Stillegung erreicht werden. Die Erfolge bei
Breisgau-Bahn und Elztal-Bahn und verschiedene Straßenbahn-Linien in der
Stadt kamen hinzu. Mit Info-Ständen und der Präsenz beispielsweise bei
Jubiläen konnten wir schon so einiges unterstützen!
Einer der größten Erfolge war die Realisierung des "Mobile", der mit der
Fahrradstation kombinierten Mobilitätszentrale beim Hauptbahnhof. Das war nur
mit Ausdauer gegen den früheren Oberbürgermeister Böhme durchsetzbar, der
dieses Modellprojekt ja bekämpft hatte.
1999 konnten wir es einweihen, der VCD war dabei schon federführend. Und
heute ist es ein international bekanntes Beispiel mit dem sich Freiburg
schmücken kann.
Aber auch viele sogenannte Kleinigkeiten konnten mit Unterstützung des
VCD vorangebracht werden: abgesenkte Bordsteine, Spielstraßen und
Tempo-30-Zonen.
Besonders am Herz liegt mir das Gehwege-Konzept. Fußgängerinnen und
Fußgänger werden auch heute noch immer vernachlässigt; der rollende
Verkehr überall bevorzugt.
Wie sieht's mit der Ausweitung der Fußgängerzone, wie mit
dem Rotteck-Ring aus?
Da hatten wir bereits 1989 ein großes Fest für einen autofreien
Rotteckring. Das war so etwas wie eine Initialzündung. Allerdings haben
sich die Gemeinderatsfraktionen auf einen Kuhhandel eingelassen und
für den Fortschritt am Rotteckring einen vierspurigen Ausbau der
Stefan-Meier-Straße akzeptiert.
Welche Perspektiven siehst Du für den jetzt mit dem VCD
Ortenau als Zusammenschluß entstandenen VCD-Regionalverband Südlicher
Oberrhein?
Als Regionalverband kann der örtliche VCD mit größerem Gewicht für
bessere Verbindungen ins benachbarte Frankreich werben. Wichtig sind jetzt
die Neuen im Vorstand, die des Französischen mächtig sind. Wir hatten einmal
gehofft, die reaktivierte Verbindung über Müllheim nach Mulhouse sei
wegen des dortigen Flughafens ein Selbstläufer. Doch mit dem nachlassenden
Flugverkehr sind auf dieser Strecke die Nutzerzahlen rückläufig.
Um den Ferienverkehr ans Mittelmeer auf die Schiene umzulenken, wäre
eine neue Schienen-Anbindung Freiburg-Breisach-Marseille ideal. Eine
stärkere Orientierung nach Frankreich könnte auch Freiburg aufwerten.
Auch bei der Anbindung der Industrie- und Gewerbegebiete an die Schiene
muß der VCD den weiteren Rückbau stoppen. Zwei Negativ-Beispiele: Als der
städtische Bauhof noch in der Tullastraße war, hatte er seinen eigenen
Industriegleis-Anschluß. Nach dem Umzug nach St. Gabriel hat er keinen mehr.
Dabei wäre dort ein Gleis-Anschluß ohne großen Aufwand möglich gewesen. Die
Stadt Freiburg hätte mit gutem Beispiel voran gehen müssen. Und auch IKEA
hatte vor dem Umzug auf die "grüne Wiese" einen Gleis-Anschluß - nun wird
alles über große LKWs angeliefert. Auch hierbei hat die Stadtverwaltung versagt.
Leider sind wir bisher mit unseren Vorschlägen zu einem "Runden Tisch
Industriegleise" zusammen mit Industrie- und Handelskammer und Verbänden bei
der Stadtverwaltung ohne Erfolg geblieben.
Aber auch beim "Klein-Klein" muß der VCD weiter Druck machen. Ein leidiges
Thema ist nach wie vor, daß Gehwege zugeparkt werden. Es muß durchgesetzt
werden, daß Parkplätze in der Stadt eigenständig finanziert werden
und nicht über Wohnungsmieten.
Welche Bedeutung mißt Du Beispielen wie Sigmaringen oder
Karlsruhe bei, wo Bus- und Straßenbahn in wenigen Jahren Steigerungsraten von
300 Prozent und mehr erzielen konnten - Beispielen wie sie Franz Alt bei seinen
Vorträgen über eine Verkehrswende immer wieder benennt?
Bei der Breisgau-Bahn beispielsweise war nicht bedacht worden,
daß bis zu diesem Bereich nicht zweispurig ausgebaut wurde, denn sonst
hätte der Güterverkehr erhalten werden können. Insgesamt muß sich Freiburg
sicher mehr an den Vorbildern des Straßenbahnausbaus orientieren. Überall
dort, wo Taktverdichtungen und neue Strecken eingeführt wurden, konnten
erfreuliche Fahrgastzuwächse verzeichnet werden. Mit einer optimalen
Abstimmung der Fahrpläne zwischen Bus und Bahn, Erhöhung der
Taktfrequenzen und der Zahl der Haltestellen allein
ist es allerdings nicht getan. Wie die genannten Beispiele beweisen, gibt es eine
ganze Palette von Möglichkeiten, den öffentlichen Nahverkehr attraktiver zu
gestalten. Ich hoffe, daß nicht durch weitere GVFG-Mittel- kürzungen im
Gegenteil eine Angebotsreduzierung eingeläutet und damit eine Förderung des
Autoverkehrs betrieben wird.
Danke für das Gespräch.