Kurz nach den terroristischen Angriffen auf das Word Trade Center und das Pentagon fand am
18.09.01 in Siegen eine Demo von Schülerinnen und Schülern statt: "Gegen Terror, Gewalt und Krieg". Rund 3.000 SchülerInnen nahmen daran teil. Die SchülervertreterInnen hatten u.a. Bernhard Nolz, Lehrer an der Bertha-von-Suttner-Gesamtschule, eingeladen, eine Rede zu halten. Wegen dieser Rede sah sich Bernhard Nolz heftiger Anfeindung und Respression ausgesetzt. Näheres hierzu im zweiten Abschnitt
dieses Artikels.
Hier zunächst der Text seiner Rede:
Liebe Schülerinnen und Schüler,
ich bin Lehrer an der Bertha-von-Suttner-Gesamtschule, deren Schülerinnen und
Schüler die Initiative ergriffen haben.
Bertha von Suttner war eine Friedenskämpferin und die erste Frau, die den
Friedensnobelpreis erhielt. Wenige Wochen
vor dem Beginn des 1. Weltkrieges im Jahre 1914 starb sie. Ihr Vermächtnis
halten unsere Schülerinnen und Schüler
am heutigen Tag wach.
Ich bin ein "Zugereister", ich stamme nicht von hier, bin nicht aus Siegen.
Geboren bin ich in Otterndorf bei Cuxhaven.
Mein Vater war Österreicher aus Wien, meine Mutter Hamburgerin. In
Schleswig-Holstein, nicht weit weg von
Dänemark, habe ich die meiste Zeit meines Lebens verbracht. Mein Vater war
katholisch, meine Mutter evangelisch.
Mein Bruder und ich wurden evangelisch getauft und konfirmiert. 10 Jahre später
bin ich aus der Kirche ausgetreten.
Ein Freund von mir ist Buddhist geworden. Meine besten Schülerinnen sind
Muslime.
Wir wissen nichts über die Glaubens- oder Religionszugehörigkeit der Opfer des
Terroranschlags in New York. Die Täter
sollen Islamisten sein. Im Tod sind alle Menschen gleich, sagt man. Und in allen
Religionen findet sich das Gebot: Du
sollst nicht töten! Es gilt für alle Menschen. Auch für Terroristen und
Politiker.
Deshalb meine ich auch, daß Politiker kein Recht dazu haben, Kriege zu führen
und Menschen töten zu lassen.
Auch Politiker sind den Menschenrechten verpflichtet. Das grundlegendste
Menschenrecht ist das Recht auf Leben.
Menschenleben und Menschenrechte aber sind den Terroristen egal.
amnesty international prangert Menschenrechtsverletzungen überall auf der Welt
an. Wer sich für die Menschenrechte
einsetzt leistet einen Beitrag gegen Terror, Gewalt und Krieg.
Ihr könntet bei amnesty oder bei anderen Organisationen mitmachen! Und ihr könnt
auch im alltäglichen Umgang miteinander versuchen, auf körperliche Gewalt und auf die verletzende Gewalt der Worte zu verzichten.
Es wird nur noch wenige Schulen in Siegen geben, die noch nicht das
Streitschlichterprogramm eingeführt haben. Die
Methode, Konflikte durch die Vermittlung von Dritten lösen zu können, ist nicht
neu. Sie ist meines Erachtens aber so
erfolgreich, weil sie Winner-Winner-Lösungen ermöglicht. Beide Parteien haben
aus den Verhandlungen und
Gesprächen einen Gewinn erzielt, der den Konflikt beendet. Was bei Kindern und
Jugendlichen funktioniert, klappt auch
bei den Erwachsenen. Mediation, das ist der Fachbegriff für Streitschlichtung,
kommt immer mehr zum Zuge, z.B. bei
Scheidungen und in Nachbarschaftskonflikten.
Auch die Konflikte von Staaten und Bevölkerungsgruppen gehören an den
Verhandlungstisch. Das war auch Bertha von
Suttners Idee. Sie forderte die Politiker immer wieder auf, zu
Friedenskonferenzen zusammen zu kommen, statt mit
Soldaten aufeinander los zu gehen. Auf der 1. Weltfriedenskonferenz im Jahre
1899 in Den Haag durfte sie als einzige
Frau reden. Terroristen reden nicht, sie verbreiten Furcht und Schrecken, um an
die Macht zu gelangen. Wenn sie an
der Macht sind, machen sie meist mit dem Terror weiter. Das nennt man
Staatsterrorismus. Dann verbreiten
Todesschwadronen von Polizei und Militär Angst und Schrecken, sie foltern, töten
und vernichten. Die millionenfachen
Opfer des Terrors in aller Welt mahnen uns zu Toleranz und Nächstenliebe. Es
darf kein Klima des Hasses und des
Mißtrauens entstehen. Solche Zeiten hatten wir öfters in Deutschland. Ich habe
so die siebziger Jahre erlebt. Da
waren es die RAF-Terroristen, die mit ihren Gewalttaten die
Herrschaftsverhältnisse in Deutschland ändern wollten.
Wie heute schlug der Staat auch damals mit Gesetzesverschärfungen und harten
Strafen zurück - und traf auch viele
Unschuldige. Ich gehörte zum Kreis der Verdächtigten, weil ich mit meinen
Schülerinnen und Schülern genau das
gemacht hatte, was wir hier gerade machen: Wir hatten auf dem Marktplatz
demonstriert. Ich wurde angezeigt und als
Verfassungsfeind bezeichnet. Erst Wochen später fanden Kriminalpolizei und
Verfassungsschutz - eine Art
Geheimdienst - heraus, was in unserer Stadt jeder schon wußte: Wir hatten für
den Bau eines Schwimmbades
demonstriert, damit die Schüler in der Schule schwimmen lernen können. Die Zeit
der Verdächtigungen und
Beschuldigungen, ein Terrorist zu sein, war furchtbar für mich. Ich möchte so
etwas nicht wieder erleben. Deshalb
wehre ich mich dagegen, daß zur Jagd auf Terroristen geblasen wird. Vielmehr
sind Besonnenheit und Mäßigung
gefragt, um die Spirale der Gewalt zu stoppen! Rachefeldzüge und
Vergeltungsschläge machen alles nur noch
schlimmer und sie treffen Unschuldige!
Wir wollen keinen Krieg! Militärschläge nützen weder den Opfern des Terrors noch
sind sie ein geeignetes Mittel zur
Verhinderung des Terrorismus.
Wir verweigern uns der Gewalt und dem Krieg! Euch, ihr Schüler, rufe ich auf,
wenn ihr wehrpflichtig werdet, den
Kriegsdienst zu verweigern. Damit setzt ihr ein Zeichen für den Frieden.
Und ihr, Schülerinnen, ihr könnt eurem Freunden zum Zivildienst raten, weil sie
dort lernen können, wie man helfend
und wertschätzend miteinander umgeht.
Nach den grausamen Erfahrungen des 2. Weltkrieges hatte die Gemeinschaft der
Völker die Vereinten Nationen
gegründet. Dort sollen die Probleme und Konflikte verhandelt werden und auf
friedliche Art und Weise - ohne Krieg -
gelöst werden. Seit vielen Jahren beeinträchtigen die USA die Arbeit der
Vereinten Nationen. Das reichste Land der
Weit kommt seinen finanziellen Verpflichtungen nicht nach und bezahlt seine
Beiträge nicht. Derselbe Staat stellt jetzt
40 Milliarden bereit, um aufzurüsten und andere Länder mit Krieg zu überziehen.
Tatsache ist: Für Alphabetisierungs-
und Lernprogramme, für das Gesundheitswesen und für die Schaffung sozialer
Einrichtung in den unterentwickelten
Ländern werden diese Milliarden dringend gebraucht. Stattdessen will die Nato,
wie sie es vor zwei Jahren auch in
Jugoslawien gemacht hat, Städte und Dörfer und die dort lebenden Menschen platt
machen. Das darf nicht geschehen.
Das Zentrum für Friedenskultur in Siegen, dessen Geschäftsführer ich bin, führt
jedes Jahr ein Schülerprojekt durch. Es
heißt SPUN, das bedeutet Schüler Planspiel United Nations. Dort wird eine
UN-Sitzungswoche simuliert und man lernt
auf spielerische Art, wie Konflikte durch Verhandeln und Diskutieren gelöst
werden können und arbeitet mit an der
Gestaltung einer friedlichen Welt. Anmeldungen von Schülergruppen nehmen wir im
Zentrum für Friedenskultur
entgegen.
Im Juni dieses Jahres war ich mit einer Gruppe von Schülerinnen und Schülern,
die aus unterschiedlichen Gründen nicht
am Religionsunterricht teilnehmen, im Friedensdorf Oberhausen. Dort leben z.Z.
120 Kinder aus Kriegsgebieten in
Europa, Afrika und Asien. Die Kinder sind Kriegsopfer. In Deutschland erhalten
sie ärztliche Hilfe und lernen mit ihren
Verstümmelungen und Verletzungen zu leben, bis sie so weit wieder hergestellt
sind, daß sie in ihre Heimatländer
zurück kehren können. Die Bertha-von-Suttner-Gesamtschule unterstützt das
Friedensdorf Oberhausen. Ähnliche
Hilfsprojekte gibt es an anderen Schulen.
Wir fordern die Politiker auf, die Steuergelder nicht für neue Waffen und in
sinnlosen Kriegen zu verschleudern.
Hilfsorganisationen und Friedensdienste sollten in die Krisengebiete geschickt
werden. Genau das meinte Bertha von
Suttner mit ihrer Parole: Die Waffen nieder!
Wir alle wüßten, wofür wir die Milliarden verwenden würden: Mehr Geld für
Schulen und Kindergärten! Mehr Geld für
Schüleraustausch-Programme! Mehr Geld für Projekte der Begegnung, wo junge und
alte Menschen, Menschen
unterschiedlicher Herkunft, mit unterschiedlichem Glauben und mit
unterschiedlichen kulturellen Erfahrungen
zusammen kommen und sich austauschen können. Mehr Geld für eine Jugendarbeit,
die der Verständigung und dem
friedlichen Zusammenleben dient. Damit würden Politiker euch Hoffnungen machen
können auf eine lebenswerte
Zukunft, die nur im Frieden möglich ist.
Give Peace a Chance!
Bereits am folgenden Tag wurde die Rede in der rechten "Siegener Zeitung" als Kritik an den USA - nicht etwa an der US-Regierung - dargestellt. Tag für Tag wurden die Angriffe verschärft. In der BILD-Zeitung
avancierte Bernhard Nolz bereits zum "Terroristenverteidiger". Lokale CDU-Politiker, darunter der Bundestagsabgeordnete Paul Breuer steigerten sich gegenseitig. Die Beschuldigungen reichten von
"Mißbrauch" der TeilnehmerInnen der Demo bis hin zu "Billigung von Straftaten nach § 149 Strafgesetzbuch". Die Staatsanwaltschaft Siegen und der Staatsschutz Hagen nahmen Ermittlungen auf. Als vorläufiger Höhepunkt wurde Bernhard Nolz von der Bezirksregierung Ansberg vorläufig vom Schuldienst suspendiert.
Mit zunehmender Dauer und Schärfe der Auseinandersetzungen um die Rede
Berhard Nolz wurden verschiedene Bereiche getroffen und unterschiedliche Absichten deutlich.
Auf der schulischen und beruflichen Ebene sind die Folgen besonders heftig und einschneidend. An
der Gesamtschule ist Bernhard Nolz als "Friedenspädagoge" bekannt und bei seinen KollegInnen und SchülerInnen mit seinem Programm zur friedlichen Konfliktbewältigung gefragt. Als solcher wurde er auch
für die Rede von den SchülervertreterInnen angefragt.
Die Aufregung auch vieler Schülervertretungen über die Rede kann wohl zum einen durch andere Erwartungen erklärt werden und zum anderen durch die Scharfmacherei von einigen Lehrern, Presse und
Lokalpolitikern.
Sicherlich wurde sofort Disziplinierungsdruck von Lehrern und Schulleitungen konservativerer Schulen gegenüber dem Schulleiter der eher als offen angesehenen Bertha-von-Suttner-Gesamtschule ausgeübt; aber daß dieser am 2. Tag nach der Kundgebung bereits dienstrechtliche Konsequenzen ankündigte, ist doch eher Angst vor (ver-)öffentlich(t)er Meinung und vorauseilendem Gehorsam geschuldet.
Verstärkt wurde der Druck auf den Leiter der Bertha-von-Suttner-Gesamtschule durch den Leiter der konkurrierenden Gesamtschule Eiserfeld, der sich wohl damit zu profilieren
glaubte.
Solidarität hat Bernhard Nolz nur von einzelnen KollegInnen erhalten. Aber weder das
Lehrerkollegium noch die örtliche GEW stellten sich hinter ihn, obwohl zwischenzeitlich in LeserInnenbriefen und Diskussionen zwischen den politischen Inhalten der Rede und den arbeitsrechtlichen Folgen, nämlich dem faktischen Berufsverbot, differenziert wurde. Ein Berufsverbot wurde von den meisten Kritiker
angeblich nicht verfolgt.
Die Schülervertretung der Bertha-von-Suttner-Gesamtschule hatte die Demo initiiert. An den Tagen danach wurde diese von den Ereignissen (Protest-Faxe an die Schule) überrollt. Schließlich gab sie eine Presseerklärung ab, in der Bernhard Nolz Mißachtung von Absprachen und Mißbrauch der
Trauerveranstaltung für seine politische Anschauung vorgeworfen wurden. In der Folgezeit fand sich aus den SchülerInnenreihen keine Kraft, die dem Druck aus der konservativen Ecke hätte was entgegensetzen können. Lediglich einzelne SchülerInnen zeigten Bernhard Nolz ihre Solidarität.
Die örtliche GEW als primäre Interessenvertretung hat sich öffentlich zu den Vorgängen bisher nicht geäußert. Dies kann Differenzen um die Einschätzung von Person und Sachlage bedeuten oder kann
Angst ausdrücken, auch in die terroristische Ecke gedrängt zu werden. Ein Mitglied des Ortsvorstandes ist wie Nolz auch Mitglied des Vorstandes im Förderverein der Bertha-von-Suttner-Gesamtschule; ohne die
Sachlage genauer zu prüfen hat dieser dem Kollegen Nolz den Rückzug aus dem Vorstand angetragen. Der
Ortsverbandsvorsitzende der GEW Siegen, Wilfried Böhl, schwieg bisher zu den Vorgängen. Die Verhaltensweise der örtlichen GEW läuft auf jeden Fall darauf hinaus, daß sie den Lehrer-Kollegen im Stich läßt.
Von anderen offiziellen Gewerkschaftsteilen sind gleichfalls keine Solidaritätsbekundungen bekannt geworden. Lediglich ein kleiner Kreis linker Gewerkschafter hat dem Kollegen Nolz eine
Solidaritätsbekundung mit Unterschriftenliste zukommen lassen.
Als weitere Ebene muss die politische Aktivität von Bernhard Nolz in der Anti-Kriegsbewegung Siegens beleuchtet werden. Nolz ist nicht nur Lehrer im friedenspädagogischen Bereich, sondern seit Jahren in der Friedensbewegung aktiv und seit 1999 mit Gründung des (Siegener) Zentrums für Friedenskultur (ZfK) dessen Geschäftsführer. Bereits seit Ende der Siebziger / Anfang der Achtziger geriet Nolz in das Mahlwerk
polizeilicher Ermittlungen, als im Zug der RAF-Hysterie jegliche linke Aktivität beäugt und verfolgt wurde.
Jedes Jahr im Dezember wird von Aktiven der Siegener Anti-Kriegsbewegung eine Demonstration und eine
Kundgebung aus Anlaß des vernichtenden Bombenangriffs im Dezember 1944 auf Siegen organisiert. Dies stieß jedes Jahr auf große Resonanz in der Siegener Bevölkerung trotz Boykott und gar heftiger Anfeindungen durch die konservativen und offiziellen Siegener Politikvertreter. Das ZfK ging nicht unwesentlich aus diesem Zusammenhang hervor und nimmt in der weiteren Organisierung dieser jährlichen Veranstaltung eine wichtige Rolle ein.
Daß die Folgen der Repressions-Kampagne nicht auf Bernhard Nolz beschränkt bleiben werden, kann
an einer geplanten Ausstellung im Rathausfoyer ersehen werden: Die "Arbeitsgemeinschaft Siegerländer
Friedensbewegung" hat (vor dem 18.09.01) die Räumlichkeiten beantragt, Thema der Ausstellung :" Gegen den Strom - Bilder und Dokumente zum zivilen Widerstand gegen das NS-Regime". Die CDU versuchte dies mit aller Macht zu hintertreiben und verwies auf den Namen Bernhard Nolz, obwohl dieser die Zurverfügungstellung des Räumlichkeiten gar nicht beantragt hatte, Die zwischenzeitlich ergangene Genehmigung wurde zurückgezogen. Die SPD schweigt zu den Vorgängen. Lediglich die örtlichen Grünen verteidigen Nolz und das ZfK im parteipolitischen Raum.
In der Siegener linken Szene gibt es heftige Diskussionen zu der Heimatfrontkampagne der CDU. Bernhard Nolz hat vielfältige Solidarität erfahren, die Veranstaltungen des ZfK sind besser besucht als zuvor, mehr Aktive haben sich um das ZfK versammelt, und mittlerweile wird eine Unterschriftensammlung "gegen die
Kriminalisierungskampagne der CDU Siegen" durchgeführt (beteiligt: ZfK-Mitstreiter, Gruppe "Widerstand
International", Sozialistische Alternative Voran und PDS).
Harry Weber