19.03.2003

Kommentar

Die Ablenkung
ist vorbei

Zum Abbruch des NPD-Verbots-Verfahrens

Nach einem Jahr des Zögerns hat das Bundesverfassungs- gericht das NPD-Verfahren zu den Akten gelegt

Das war's dann also mit dem "Aufstand der Anständigen". Die hysterischen Schlagzeilen von der angeblich unmittelbar bevorstehenden Machübernahme beglatzter Schlägerbanden sind verschwunden - nur die üblichen Verdächtigen ergehen sich noch in Entlarvungen des "rechten" respektive "deutschen Konsens" in unserer Gesellschaft. Und nun hat das Bundesverfassungsgericht getan, was ohnehin klar war: das Verbotsverfahren gegen die NPD eingestellt. Zu viele V-Männer waren es, die seit Januar 2002 in den Führungs- gremien der Partei aufgeflogen sind. Verfahrenshindernisse, die drei der sieben Richter zu groß erschienen, was für das Ende des Verfahrens ausreichend ist.

Dabei war die ganze Aktion von Beginn an eine Posse. Aus einem Grund, den nur sie kennen, stießen Bundeskanzler Gerhard Schröder und sein Establishment im Sommer 2000 auf die gefährlichen rechten Umtriebe in unserer Gesellschaft. Kurz zuvor hatten über Monate die Kampfhunde den bundesdeutschen Blätterwald beherrscht - nun war das nächste Thema an der Reihe. Nicht, daß es in Deutschland keine rechte Gewalt, keine Übergriffe gegen Linke, Obdachlose oder Ausländer geben würde. Aber das war auch zuvor so und mit Ausnahme des Lichterketten-Herbstes 1992 hatte es den Staat nie interessiert. Das ist traurig, verstärkt aber den Eindruck, daß es sich bei der 2000er Anti-Rechts-Welle um nichts, als ein Ablenkungsmanöver handelte. Ablenkung vom voranschreitenden Sozialabbau, von den begonnenen Auslandseinsätzen der Bundeswehr, von der allgemeinen Krise der bundesdeutschen Gesellschaft. Die Demonstranten, herangekarrt am 9. November 2000 zur staatlich empfohlenen Manifestation in Berlin, erinnerten so in manchem an die Huldigungszüge der DDR.

Dann kam das Verbotsverfahren gegen die NPD. Bereits zu diesem Zeitpunkt muß den verantwortlichen Stellen in Bund und Ländern völlig klar gewesen sein, daß die Partei von oben bis unten von Spitzeln durchsetzt war. Manche ihrer früheren Führungspersönlichkeiten waren schon bei der Gründung der Partei Zuträger diverser Dienste, nicht wenige der radikalen Einpeitscher, auf deren Initiative manch ein Gewaltakt zurückging, waren bezahlte Agenten. Dem Bundesverfassungsgericht wurde dies verschwiegen. Die Richter erfuhren es erst aufgrund einer Indiskretion im Düsseldorfer Innenministerium, deren Motivation bis heute nicht recht geklärt ist. Dass Innenminister Otto Schily (SPD) damals nicht gehen mußte, verdankt er wohl den Tatsachen, daß Schröder ihn im Amt braucht und sich zudem keinen weiteren Ministerwechsel im Wahljahr leisten wollte.

Bereits damals war das Verfahren faktisch gescheitert. Die Partei wohlmöglich in wichtigen strategischen Entscheidungen von Einflußagenten bearbeitet, das Gericht dreist belogen, die ganze Kampagne ein durchsichtiges Ablenkungsmanöver - es war klar, daß die Richter dies nicht durchgehen lassen konnten, wollten sie noch ein unabhängiges Gericht bleiben. Dabei boten sie sich der Regierung auch nachher noch so weit an wie irgend möglich. Doch die hartnäckige Weigerung der Behörden, die Namen weiterer Spitzel offenzulegen, bewies die Dimension der Durchsetzung und machte ein weiteres Verfahren selbst bei noch so gutem Willen unmöglich.

Dabei kamen den Bundesverfassungsrichter aber wohlmöglich noch einige andere Zweifel. Ein Parteienverbot ist in einer Demokratie eine zu massive Einschränkung, als daß man es ohne Bauchschmerzen verhängt. Erst zwei Mal erfolgte es in der Geschichte der Bundesrepublik. 1952 bei der Sozialistischen Reichspartei, nach dem diese in Niedersachsen mehr als zehn Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinen konnte. Und 1956 bei der KPD im Rahmen des Kalten Krieges - und auch nur, nachdem die Adenauer-Regierung mehrere Jahre Druck auf Karlsruhe ausgeübt hatte. Zudem es der NPD schwer nachzuweisen gewesen wäre, daß sie verbotswürdig ist. Sie erfüllt die formalen Kriterien des Parteiengesetzes, wendet sich als Partei nicht gegen die demokratische Grundordnung der Republik. Man hätte sie für Äußerungen und Taten ihrer Mitglieder oder Sympathisanten in Haft nehmen können. Daß das - gerade nach den verschärften Sicherheitsgesetzen seit dem 11. September 2001 - nach Willkür und politischem Verfahren riecht, dürfte auch Karlsruhe bemerkt haben.

Nicht zu vergessen ist auch, daß ein Verbot der NPD durchaus hätte Schule machen können. Es wäre nicht die erste Repression, die rechts außen ausgetestet würde, um dann links, bei Friedens- oder Gewerkschaftsbewegung, schlicht bei jeder mißliebigen Organisation angewendet zu werden.

 

Martin Müller-Mertens

 

 

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