29.02.2008

Kommentar

Schmiedel hat recht

Aber: Ist Oettinger ein Neo-Nazi?

Wer unsere Ansichten über die SPD und die "Linkspartei" kennt, wird sicherlich nicht etwa Sympathie als Motiv vermuten, wenn wir dem relativ neuen SPD-Fraktionsvorsitzenden im baden-württembergischen Landtag, Claus Schmiedel, in seinem Vorwurf an Ministerpräsident Günther Oettinger recht geben. Da der Zusammenhang in den Mainstream-Medien vielfach - zu ungunsten Schmiedels - verkürzt dargestellt wurde, hier zunächst ein kurzer Bericht:

Am Dienstag, 26. Februar, hatte der "schwarze" baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger bei einer Pressekonferenz versucht, aus den gegenwärtigen SPD-internen Auseinandersetzungen um eine Annäherung an die "Linkspartei", den Kurswechsel des SPD-Vorsitzenden Kurt Beck zur Frage einer Wahl der hessischen SPD-Kandidatin Andrea Ypsilanti zur Ministerpräsidentin mit Hilfe der Stimmen von Pseudo-Grünen und "Linkspartei" und die Bildung einer "rot-grünen" Koalition unter Tolerierung durch die "Linkspartei", politisches Kapital bei seiner rechten Klientel zu schlagen. Oettinger warf der SPD einen "verräterischen Kurs" vor und bezichtigte sie, "versuchsweise den Virus auch nach Baden-Württemberg" tragen zu wollen. Aus dem Kontext geht klar hervor, daß der Begriff "Virus" sich auf die "Linkspartei" bezieht.

In der gestrigen Landtagsdebatte, die - ohne irgendeinen Landesbezug - auf Antrag der CDU stattfand, konterte Schmiedel und warf Oettinger vor, mit seiner Wortwahl vom Virus sei dieser "verdammt nahe" am Sprachgebrauch "der Nationalsozialisten" angelangt. Bekanntlich hatten die Nazis ihre politischen Gegner und ganz besonders die Juden mit Ratten, Läusen und Krankheitserregern verglichen, und mit dieser Propaganda versucht, die Hemmschwelle vor dem Töten menschlichen Lebens durch die Assoziation mit Ungeziefer und Blutsaugern herabzusetzen. Ihr Ziel war unverkennbar, Zustimmung im Volk für die Ausrottung ihrer Feinde zu wecken.

Als Claus Schmiedel das Wort "Nationalsozialismus" aussprach, verließ die CDU-Fraktion wie auf ein Stichwort hin geschlossen den Plenarsaal. Sie stellt sich hinter Oettinger und fordert Rücktritt und Entschuldigung von Schmiedel.

Nun ist seit Jahren allenthalben zu beobachten, daß die Sensibilität bei der Wortwahl, ebenso wie eine - nur bei mangelnder Sensibilität nötige - Tabuisierung bestimmter Begriffe und Begriffsbildungen, die durch die Nazis in eindeutiger Weise geprägt wurden, deutlich nachläßt. Dies muß leider nicht nur bei der Rechten, sondern ebenso bei der Linken (und hierunter ordnen wir nach wie vor auch Teile der Sozialdemokratie ein) konstatiert werden.

So wurde Anfang 2005 vom damaligen SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering das Schlagwort von den "Heuschrecken" mit Bezug auf bestimmte Unternehmen aufgebracht. Die Parallele zum Sprachgebrauch der Nazis bestand hierbei nicht allein darin, einen politischen Gegner mit einem als Ungeziefer und als (biblische) Plage dargestellten Insekt zu bezeichnen, sondern zudem in einem gefährlichen Argumentationsmuster, mit dem zwischen einer negativen und einer positiven Form des Kapitals unterschieden wird. Damit werden Anklänge an die Unterscheidung der Nazis zwischen "raffendem" und "schaffendem" Kapital geweckt.

Ebenso töricht waren während des Wahlkampfs im Herbst 2005 Versuche, mit dem Wortspiel "Merkel - Ferkel" politische Argumente durch pure Stimmungsmache zu ersetzen. Wer versuchte, Leute, die solcherart "politisch" agitierten, darauf kritisch anzusprechen und sie darauf hinzuweisen, daß jeder Tiervergleich - zumindest in einer Gesellschaft, in der das Schlachten von Tieren als unbedenklich gilt - einen gewissen augenzwinkernden Subtext enthält, der die betreffende Person zum "Freiwild" erklärt, stieß in aller Regel auf Unverständnis. Die - wenngleich mal mehr, mal weniger stark ausgeprägte - Mordlust am politischen Feind, ist allzu tief ins Unbewußte verdrängt.

Allzu gerne eingeräumt wird diese Mordlust von Linken in Erinnerung an Franz Josef Strauß, der vor einem Vierteljahrhundert noch ehrliche Abscheu bis weit ins konservative Lager erregte, als er linke Intellektuelle (er zielte konkret unter anderen auf Günter Grass und Heinrich Böll) als "Ratten und Schmeißfliegen" verunglimpfte.

Es sollte selbstverständlich sein, daß solche "Ausfälle" nicht im einen Falle kritisiert und im anderen gebilligt werden können. Es gehört zur intellektuellen Redlichkeit, Rechte wie Linke mit demselben Maß zu messen.

Nebenbei bemerkt: Wenn es nun gelegentlich heißt, mit seinem Vorwurf habe Schmiedel überzogen und auf diese Weise - durch unangemessene Nazi-Vergleiche - werde das Nazi-Regime verharmlost, trifft dieser Anwurf den Falschen. Schmiedels Kritik ist vergleichsweise vorsichtig formuliert. Und es besteht ein gravierender Unterschied, ob der Sprachgebrauch eines Menschen als "verdammt nahe an dem der Nationalsozialisten" kritisiert wird oder ob dieser Mensch selbst mit den Nazis verglichen wird. Bezeichnender Weise schwiegen einige derer, die nun meinen, Schmiedel der "NS-Verharmlosung" bezichtigen zu müssen, fein still, als Joseph Fischer das Grauen von Auschwitz instrumentalisierte, um so den Kosovo-Krieg zu rechtfertigen.

Und hier kommen wir zum zweiten und wichtigeren Thema: Was bezweckt Oettinger mit seinem Sprachgebrauch, der sicherlich nicht zufällig und bereits seit geraumer Zeit einen immer wieder zu beobachtenden mal leichten mal deutlichen Stich ins bräunliche aufweist. Daß es sich um gezielte und ganz bewußt gesetzte sprachliche "Duftmarken" handelt, zeigt nicht nur die Häufung, sondern auch der offensichtliche Versuch, im Zweideutigen und damit Unangreifbaren zu lavieren. Der Eklat, der aus der Rede Oettingers anläßlich des Todes des früheren Ministerpräsidenten Hans Filbinger resultierte, beweist keineswegs das Gegenteil, sondern zeigt nur auf, daß ein solches Lavieren gelegentlich mal in die Hose gehen kann.

Doch ganz offensichtlich ist Oettinger kein Neo-Nazi, sondern setzt diesen Sprachgebrauch kalt kalkulierend ein, um so die äußerste Rechte zu bedienen. Im Unterschied zu seinen Vorgängern Erwin Teufel oder auch Hans Filbinger ist Günther Oettinger an keinerlei Grundsätze oder Ideologie gebunden. Gerade weil Oettinger ein prinzipienloser Technokrat und purer Opportunist ist, erachtete Teufel ihn nicht als geeigneten Nachfolger. Doch selbst wenn Teufel, Späth oder Filbinger noch gewissen politischen Grundsätzen folgten, waren diese keineswegs christlicher Natur wie es das "hohe C" im Parteinamen suggerieren soll.

Oettinger übernahm jedoch von seinen Lehrmeistern den wichtigen Rat, niemals eine Partei rechts der CDU hochkommen zu lassen und dieses Ziel notfalls mit einer auf den neonazistischen Geschmack zielenden Rhetorik zu verfolgen. Nun besteht hier allerdings zum Vorteil der Rechten bei diesem Spiel der Täuschung keine Symmetrie im politischen Spektrum. Während die Union die extreme Rechte mit ihrer Rhetorik täuscht, erfüllt sie doch zu großen Teilen mit ihrer realen Politik deren Erwartungen - wenn auch nicht ihre antisemitischen und immer weniger ihre ausländerfeindlichen Erwartungen. Die SPD jedoch hat immer dann, wenn sie an der Regierung beteiligt war, weder zu großen noch zu kleinen Teilen linke Politik realisiert, sondern ihre Versprechen in nahezu allen Fällen ins Gegenteil verkehrt und eine Politik betrieben, die sich - mit Ausnahme der Jahre 1969 bis 1974 als Willy Brandt Kanzler war - nicht von der Unions-geführter Regierungen unterschied.

Oettinger unterscheidet nun von seinen Unions-Vorgängern, daß er deren Orientierung an "Werten" wie dem der Familie - was nichts anderes hieß als eine gewisse an bäuerlicher und mittelständischer Klientel orientierte Politik - aufgegeben hat. Reale Grundlage ist seine Erkenntnis, daß das Stimmenpotential dieser Kreise in folge ihrer zahlenmäßigen Dezimierung - deutlich sichtbar beispielsweise an der rasant abnehmenden Zahl bäuerlicher Betriebe in Baden-Württemberg - nicht mehr zu Buche schlägt. Um sich im Amt des Ministerpräsidenten zu halten, ordnet er seine Politik den Erfordernissen der gegenwärtig immer noch dominierenden neoliberalen Ideologie unter, ist aber jederzeit bereit, auf jedes beliebige andere Pferd umzusatteln, das ihm erfolgversprechend erscheint.

An einem Opportunisten wie Oettinger prallt Schmiedels Kritik, so berechtigt sie ist, sicherlich ab, ohne auch nur die geringste Spur zu hinterlassen.

 

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