Opel-Arbeitsplätze nach Polen: Folgen eines Rüstungsdeals
Hier der Mitschnitt eines Beitrags von MONITOR:
Sonia Mikich: "Die Methode macht Schule: Arbeitgeber drohen mit
Abwanderung, Arbeitnehmer sollen auf Weihnachtsgeld oder
Zuschläge verzichten und länger arbeiten, um ihren Arbeitsplatz zu
sichern.
Bei Daimler-Chrysler wird noch über Zugeständnisse gestritten, bei
Siemens ist die Entscheidung bereits gefallen.
Und bei Opel? Bei Opel wurde nicht lange diskutiert. Längst hat der
amerikanische Mutterkonzern General Motors Europa beschlossen:
Ein Teil der Produktion wandert von Deutschland nach Polen.
Um Kosten zu sparen? Nein, die Verlagerung deutscher Arbeitsplätze
ist ein Dankeschön für einen ganz anderen Deal, ganz woanders.
Kai Rüsberg und Markus Zeidler berichten über internationale
Koppelgeschäfte, die sonst im Verborgenen ablaufen."
Schlechte Aussichten für Opel in Deutschland.
Mindestens 1.200 Jobs sind in Gefahr. Die
Konzernmutter General Motors verlagert Teile
der Produktion nach Polen.
Nein, hier geht es nicht um mangelnde Wettbewerbsfähigkeit
deutscher Standorte, hier gibt es einen anderen Grund.
Und der ist deutlich größer als ein Opel, hat mehr PS und heißt F16.
Ein Kampfjet als Jobkiller. Ein überraschender Zusammenhang.
Doch bei der Produktionsverlagerung von Opel nach Osten spielt ein
Rüstungsdeal eine zentrale Rolle. In der Opelstadt Rüsselsheim wollte
das anfangs niemand wahrhaben.
Heiner Friedrich, Bündnis 90 / Die Grünen, Stadtverordnetenversammlung
Rüsselsheim: "Wir waren wirklich geschockt, daß es nicht um
wirtschaftliche Fragen ging, sondern um politische und sogar
militärische Fragen, eben Teil eines militärischen Deals zwischen den
USA und Polen ist. Wirtschaftlich hätten wir uns für Rüsselsheim
durchaus Chancen ausgerechnet mit Leanfield, nämlich dem
modernsten Automobilwerk, was es europaweit hier in Rüsselsheim
gibt. Politisch oder militärisch sogar, wenn diese Aspekte im
Fordergrund stehen, sind wir natürlich machtlos."
Deutsche Arbeitsplätze in Gefahr wegen einer
amerikanisch-polnischen Rüstungsdeals?
Wer das verstehen will, muß zunächst nach Amerika blicken, zurück
ins Jahr 1997.
Beim Rüstungskonzern Lockheed Martin wittert man damals ein ganz
großes Geschäft. Osteuropäische Länder wie Ungarn und Polen
wollen in die NATO und brauchen dafür moderne Waffensysteme,
wie das Kampfflugzeug F16. Daß sich die armen Osteuropäer die
teuren Flieger eigentlich nicht leisten können, scheint dabei kein
Problem.
Oats Schwarzenberger, Lockheed Martin, 1997: "Wenn jemand
so etwas benötigt oder haben möchte, dann ist es zweitrangig, ob er
es sich im Moment leisten kann. Wir kennen das doch alle selbst,
wenn wir ein Auto kaufen. Die Entscheidung liegt natürlich zunächst
bei diesen Ländern. Aber wir sagen, es gibt immer Mittel und Wege
solche Probleme zu lösen, ohne daß man gleich einen Bankeinbruch
verüben muß."
Wo ein Wille, da also auch ein Weg. Das dachte damals auch der
polnische Ministerpräsident. Begeistert vom amerikanischen Angebot
bestellte er gleich 48 US Kampfjets vom Typ F16.
Auch bei Opel in Deutschland herrschte vor einigen Jahren noch
Begeisterung über das neue Modell Zafira. Jetzt wandert ein Teil der
Produktion nach Polen. General Motors hat versprochen, daß die
Konzerntochter Opel dort kräftig investiert - im Rahmen des
F16-Deals.
Die Grundlage für dieses Koppelgeschäft wurde im April 2003 in
Warschau besiegelt: Der F16-Vertrag. Ein Jahrhundertgeschäft -
schwärmt man in Polen - das wie folgt funktioniert:
Die polnische Regie- rung zahlt Lockheed Martin für die Flug- zeuge stolze 3,5
Milliar- den US-Dollar. Auf Pump der US-Regie- rung.
Im Gegenzug ver- spricht Lockheed Martin ein lukratives
Koppelgeschäft. Durch vertraglich zugesich- erte Investitionen sol- len
mehr als 6 Mrd. Dollar zurück nach Polen fließen.
Hier kommt der amerikanische Automobilkonzern General Motors
ins Spiel. Ihm schickt Lockheed eine bislang nicht bekannte
Millionensumme aus dem Rüstungsdeal zu. Als Anreiz, damit General
Motors über seine Tochter Opel anstelle von Lockheed einen Teil der
zugesagten 6 Milliarden investiert.
Beide Konzerne bestätigen den Deal, schweigen aber über die Höhe
der geflossenen Gelder.
Polnischen Zeitungen zufolge sollen über die General Motors Tochter
Opel insgesamt 800 Millionen Euro zurück nach Polen fließen. Hier
wird in Zukunft nicht nur der Astra gebaut, auch ein Teil der Zafira-Produktion soll ab kommendem Jahr in Gliwice (Gleiwitz) vom Band
laufen.
Damit baut die Konzernmutter General Motors den Standort Polen
weiter aus, obwohl das modernste Opelwerk in Rüsselheim nur zu
rund 60 Prozent ausgelastet ist.
Monitor wollte in Polen nachfragen, welche Rolle dabei der
Rüstungsdeal spielte. Doch ein Interview bekommen wir nicht.
Stattdessen eilt der polnische Werkschutz heran und verbietet uns
weitere Dreharbeiten.
Immerhin, schriftlich äußert sich General Motors: Die
Produktions- verlagerung habe "rein betriebswirtschaftliche Gründe."
"Stimmt nicht", sagt der deutsche Betriebsrat.
Klaus Franz, Betriebsrat Adam Opel AG: "Es ist eine rein
politische Entscheidung gegen den Produktionsstandort Deutschland
mit der Konsequenz, daß in Polen Überkapazitäten geschaffen
werden, und wir auf der anderen Seite hier in Rüsselsheim eine
Unterauslastung haben und damit ein Beschäftigungsproblem für 1200
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter."
Harte Vorwürfe gegen die Konzernleitung. Doch die polnische
Regierung bestätigt den Verdacht. Stolz verkündet der
stellvertretende Verteidigungsminister Janusz Zemke vor zwei
Wochen in einem Parlaments-Ausschuß:
"Ohne das Kompensationsgeschäft im Rahmen der
Rüstungs- beschaffung wäre die Produktion des Opel
Zafira nicht von Deutschland nach Polen verlagert
worden. Wir rechnen damit, daß dadurch bis zu 4.000
Menschen in Polen Arbeit finden werden."
An den deutschen Opel-Standorten dagegen herrscht Zukunftsangst.
Bislang hofften die meisten hier, gegen die Konkurrenz aus den
Niedriglohnländern bestehen zu können. Mit Innovation, Hightech und
zur Not auch mit Mehrarbeit.
Jetzt entdeckt die Politik die Gefahr, die von internationalen
Rüstungskonzernen ausgeht.
Udo Bullmann, SPD, Europaabgeordneter: "Es kann nicht
angehen, daß die Arbeitsplätze Spielball werden von internationalen
Rüstungs- konzernen. Deswegen ist es dringend geboten, daß die
Kommission diesen Vorgängen nachgeht und daß wir eine Politik
entwickeln, eine bessere gemeinsam abgestimmte Industriepolitik, die
unsere Arbeitsplatzentwicklung auch schützt vor internationalen
Rüstungskonzernen."
Denn die meisten Nebendeals der Rüstungsindustrie kommen gar
nicht erst ans Tageslicht. Der aktuelle Fall wurde nur öffentlich, weil
die polnische Regierung die enormen Kosten vor der Bevölkerung
rechtfertigen musste. Die zusätzlichen Arbeitsplätze waren da ihr
bestes Argument.
Bericht: Kai Rüsberg und Markus Zeidler
Anmerkungen:
aus: MONITOR Nr. 521 am 22. Juli 2004
Siehe auch unsere Artikel
'Sechster Streiktag in Bochum' (19.10.04)
'Streik bei Opel' (15.10.04)