1.02.2003

Kommentar

Der Pferdefuß des Patriarchats

Zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts über das "Sorgerecht" und den Vorrang der Mutter

Letzten Mittwoch, 29.01.03, veröffentlichte das Bundesverfassungsgericht sein Urteil über die Klage von Vätern, die das "Sorgerecht" für ihre unehelichen Kinder erstreiten wollten. Erschreckend ist, daß hier entgegen dem schon nicht mehr ganz neuen Stand der Wissenschaft, alte ideologische Denk-Muster bestimmend waren. Bereits seit Mitte der 80er Jahre ist - ausgehend von US-amerikanischen Studien der Entwicklungspsychologie - wissenschaftlich unbestritten, daß Väter eine ebenso starke und für das Kind qualitativ gleichwertige Beziehung aufbauen können wie Mütter. Auf einem ganz anderen Blatt steht, ob sie dies denn wollen und, ob sie überhaupt dazu Gelegenheit haben. Der Münchner Psychologe Ftenakis hat dazu bereits Ende der 80er Jahre für den deutschsprachigen Raum wegweisende Standardwerke geschrieben. Die zuvor über Jahrzehnte maßgebliche Theorie des Bonding und der vorrangigen Mutter-Bindung des Säuglings wurde längst auf der Müllhalde der wissenschaftlichen Mythen entsorgt.

Doch was schreibt davon unangefochten unser Verfassungsgericht? Zur Mutter "entwickle sich schon während der Schwangerschaft eine Beziehung, die sich nach der Geburt fortsetze. Dagegen sei zum Zeitpunkt der Geburt oft noch nicht klar, wer der Vater sei und ob er bereit sei, eine Beziehung zum Kind aufzubauen."

Bricht nun das Matriarchat aus? Keineswegs. Muttermythos, Mütterkreuze und Marienglorie sind nicht erst neuerdings integraler Bestandteil der patriarchalen Ideologie. Sie dienen einerseits als unverbindliche und kostengünstige Alibi-Wertschätzung und damit andererseits zur gesellschaftlichen Ruhigstellung von Frauen. Bezeichnender Weise ist kein Thema in der heutigen Gesellschaft immer noch so tabuisiert wie Mütter, die - aus welchen Gründen auch immer - ihre Kinder nicht zu lieben vermögen. Und keiner Verbrecherin schlägt auch heute noch derartiger Haß entgegen (siehe auch die durchschnittliche Strafhöhe) wie der Kindsmörderin. Ganz unabhängig davon wie häufig - gesellschaftlich bedingt - Mütter oder Väter vorkommen, die ihre Kinder nicht lieben: Bei der Mutter gilt dies allgemein als pathologisch, wenn nicht gar "widernatürlich", beim Vater dagegen geradezu als normal.

Ganz unbestritten ist, daß vom Gesetz nicht einfach die "gemeinsame elterliche Sorge" verordnet werden kann. Denn die ist in der Regel sowieso nicht gegeben. Nach wie vor gilt Kindererziehung in dieser Gesellschaft als Frauensache. Gibt es allerdings Streit und der Vater will seine Beziehung zum Kind erhalten, ist die "gemeinsame Sorge" sowieso obsolet. Nur in wenigen Fällen gelingt es fortschrittlichen PsychologInnen oder TherapeutInnen, Eltern, die sich zerstritten haben, zur Erkenntnis zu verhelfen, daß es zum Wohl der Kinder - gerade in einer Situation, in der die Kinder meist die Hauptopfer sind - immer positiv ist, wenn sie die Beziehung sowohl zu Mutter als auch Vater uneingeschränkt aufrecht erhalten dürfen.

Wenn heute die Statistik davon berichtet, daß bei rund 80 Prozent aller Scheidungen mit Kindern das "gemeinsame Sorgerecht" vereinbart würde, vermittelt dies ein völlig falsches Bild. Die Rollenverteilung ist in den allermeisten Fällen eh nicht strittig und das "gemeinsame Sorgerecht" fungiert hier lediglich als Trostpflaster und Ehrenrettung für bereits zuvor allenfalls am Rande in die Erziehung einbezogene Väter. Stellen sie keine Ansprüche und zahlen brav die Alimente, werden sie mit regelmäßigen Sonntagsspaziergängen oder Zoobesuchen mit Kind belohnt. Schwierig wird es erst in den immer noch recht seltenen Fällen, in denen Väter darüber hinausgewachsen sind. Da ist dann auch die Versuchung für Frauen sehr groß, in einer Situation, die oft genug von gegenseitigem Haß geprägt ist, den ehedem Geliebten dort zu treffen, wo es am meisten weh tut...

Da hilft es auch nichts, wenn Väter, die - zeitweise vielleicht gar alleinerziehend - ihre Kinder ver"sorgt" haben und vielleicht nie die Vorzüge patriarchaler Gesellschaftsstrukturen für sich in Anspruch nahmen, sich darüber beklagen, daß nun ausgerechnet sie von ihren Kindern getrennt und für ihr Verhalten bestraft würden. Diese Welt ist nicht gerecht. Und der Pferdefuß des Patriarchats, der hier gewissermaßen nach hinten ausschlägt, ist nicht einmal blind wie das Bild suggeriert. Es ist geradezu die "gerechte" Strafe für Männer, die die Unverfrorenheit besaßen, sich der gültigen Rollenzuschreibung zu widersetzen. Dieses Urteil ist sexistisch - nur eben mal andersherum als üblich.

Im Streitfall pauschal der Mutter Vorrang einzuräumen, geht am immer so sehr beschworenen "Kindeswohl" völlig vorbei. Gerichte und Jugendämter wollen sich mit dieser anachronistischen Pauschal-Bevorzugung der Mutter nur aus der sicher immer sehr schwierigen Entscheidung davonstehlen, ob denn im konkreten Streitfall das Kind bei der Mutter oder beim Vater besser aufgehoben wäre. Dabei ist der Streit ums "Sorgerecht" eine ganz alte juristische Geschichte wie eine genauere Betrachtung des salomonischen Urteils im Alten Testament und dessen Neufassung durch Bert Brecht in 'Der kaukasische Kreidekreis' zeigt. In dieser alten Geschichte steckt zudem eine beachtliche Weisheit: Die rechte Liebe beweist, wer weniger am Kind zerrt.

 

Harry Weber

 

 

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