Zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts über das "Sorgerecht" und den Vorrang der Mutter
Letzten Mittwoch, 29.01.03, veröffentlichte das Bundesverfassungsgericht sein Urteil
über die Klage von Vätern, die das "Sorgerecht" für ihre unehelichen Kinder erstreiten
wollten. Erschreckend ist, daß hier entgegen dem schon nicht mehr ganz neuen Stand der
Wissenschaft, alte ideologische Denk-Muster bestimmend waren. Bereits seit Mitte der
80er Jahre ist - ausgehend von US-amerikanischen Studien der Entwicklungspsychologie -
wissenschaftlich unbestritten, daß Väter eine ebenso starke und für das Kind qualitativ
gleichwertige Beziehung aufbauen können wie Mütter. Auf einem ganz anderen Blatt steht,
ob sie dies denn wollen und, ob sie überhaupt dazu Gelegenheit haben. Der Münchner
Psychologe Ftenakis hat dazu bereits Ende der 80er Jahre für den deutschsprachigen
Raum wegweisende Standardwerke geschrieben. Die zuvor über Jahrzehnte maßgebliche
Theorie des Bonding und der vorrangigen Mutter-Bindung des Säuglings wurde längst auf
der Müllhalde der wissenschaftlichen Mythen entsorgt.
Doch was schreibt davon unangefochten unser Verfassungsgericht? Zur Mutter "entwickle
sich schon während der Schwangerschaft eine Beziehung, die sich nach der Geburt fortsetze.
Dagegen sei zum Zeitpunkt der Geburt oft noch nicht klar, wer der Vater sei und ob er
bereit sei, eine Beziehung zum Kind aufzubauen."
Bricht nun das Matriarchat aus? Keineswegs. Muttermythos, Mütterkreuze und Marienglorie
sind nicht erst neuerdings integraler Bestandteil der patriarchalen Ideologie. Sie dienen
einerseits als unverbindliche und kostengünstige Alibi-Wertschätzung und damit
andererseits zur gesellschaftlichen Ruhigstellung von Frauen. Bezeichnender Weise ist
kein Thema in der heutigen Gesellschaft immer noch so tabuisiert wie Mütter, die - aus
welchen Gründen auch immer - ihre Kinder nicht zu lieben vermögen. Und keiner
Verbrecherin schlägt auch heute noch derartiger Haß entgegen (siehe auch die
durchschnittliche Strafhöhe) wie der Kindsmörderin. Ganz unabhängig davon wie
häufig - gesellschaftlich bedingt - Mütter oder Väter vorkommen, die ihre Kinder nicht
lieben: Bei der Mutter gilt dies allgemein als pathologisch, wenn nicht gar
"widernatürlich", beim Vater dagegen geradezu als normal.
Ganz unbestritten ist, daß vom Gesetz nicht einfach die "gemeinsame elterliche Sorge"
verordnet werden kann. Denn die ist in der Regel sowieso nicht gegeben. Nach wie vor
gilt Kindererziehung in dieser Gesellschaft als Frauensache. Gibt es allerdings Streit
und der Vater will seine Beziehung zum Kind erhalten, ist die "gemeinsame Sorge"
sowieso obsolet. Nur in wenigen Fällen gelingt es fortschrittlichen PsychologInnen
oder TherapeutInnen, Eltern, die sich zerstritten haben, zur Erkenntnis zu verhelfen,
daß es zum Wohl der Kinder - gerade in einer Situation, in der die Kinder meist die
Hauptopfer sind - immer positiv ist, wenn sie die Beziehung sowohl zu Mutter als auch
Vater uneingeschränkt aufrecht erhalten dürfen.
Wenn heute die Statistik davon berichtet, daß bei rund 80 Prozent aller Scheidungen mit
Kindern das "gemeinsame Sorgerecht" vereinbart würde, vermittelt dies ein völlig falsches
Bild. Die Rollenverteilung ist in den allermeisten Fällen eh nicht strittig und
das "gemeinsame Sorgerecht" fungiert hier lediglich als Trostpflaster und Ehrenrettung
für bereits zuvor allenfalls am Rande in die Erziehung einbezogene Väter. Stellen sie
keine Ansprüche und zahlen brav die Alimente, werden sie mit regelmäßigen
Sonntagsspaziergängen oder Zoobesuchen mit Kind belohnt. Schwierig wird es erst in
den immer noch recht seltenen Fällen, in denen Väter darüber hinausgewachsen sind.
Da ist dann auch die Versuchung für Frauen sehr groß, in einer Situation, die oft
genug von gegenseitigem Haß geprägt ist, den ehedem Geliebten dort zu treffen, wo
es am meisten weh tut...
Da hilft es auch nichts, wenn Väter, die - zeitweise vielleicht gar alleinerziehend -
ihre Kinder ver"sorgt" haben und vielleicht nie die Vorzüge patriarchaler
Gesellschaftsstrukturen für sich in Anspruch nahmen, sich darüber beklagen, daß
nun ausgerechnet sie von ihren Kindern getrennt und für ihr Verhalten bestraft
würden. Diese Welt ist nicht gerecht. Und der Pferdefuß des Patriarchats, der hier
gewissermaßen nach hinten ausschlägt, ist nicht einmal blind wie das Bild suggeriert.
Es ist geradezu die "gerechte" Strafe für Männer, die die Unverfrorenheit besaßen,
sich der gültigen Rollenzuschreibung zu widersetzen. Dieses Urteil ist sexistisch -
nur eben mal andersherum als üblich.
Im Streitfall pauschal der Mutter Vorrang einzuräumen, geht am immer so sehr
beschworenen "Kindeswohl" völlig vorbei. Gerichte und Jugendämter wollen sich
mit dieser anachronistischen Pauschal-Bevorzugung der Mutter nur aus der sicher
immer sehr schwierigen Entscheidung davonstehlen, ob denn im konkreten Streitfall
das Kind bei der Mutter oder beim Vater besser aufgehoben wäre. Dabei ist der Streit
ums "Sorgerecht" eine ganz alte juristische Geschichte wie eine genauere Betrachtung
des salomonischen Urteils im Alten Testament und dessen Neufassung durch Bert Brecht
in 'Der kaukasische Kreidekreis' zeigt. In dieser alten Geschichte steckt zudem eine
beachtliche Weisheit: Die rechte Liebe beweist, wer weniger am Kind zerrt.
Harry Weber