Eine brillante politische Aktion in Berlin
Welche Widmung entspricht der Wahrheit?
AktivistInnen setzten ein antikapitalistisches Zeichen vor und im Reichstagsgebäude.
Hier ihre Erklärung zur Aktion:
Geld oder Leben
Die
Betitelung der AktivistInnen als "Humankapital", das Verstreuen von Geld und
das Entrollen von Bannern mit Sprüchen wie "Die Wünsche der Wirtschaft sind
unantastbar" sollen verdeutlichen, daß der Bundestag lediglich das
Ausführungsorgan der großen Unternehmen ist und keine freiheitliche,
demokratische Institution darstellt. Dieses Bild wird dadurch verstärkt,
daß auf dem Dach des Reichstags der Schriftzug "Dem deutschen Volke" durch
das Banner "Der deutschen Wirtschaft" ersetzt wird. Ziel dieser Aktion ist
es, einen Diskurs anzustoßen, der die Scheindemokratie kritisch hinterfragt
und mit Vehemenz gesellschaftspolitische Veränderungen durchsetzt. Wir
fühlen uns durch die Größe der Probleme zu dieser Aktion genötigt.
Wir üben harte und tiefgreifende Kritik am bestehenden politischen System.
Schon in der Schule wird uns beigebracht, dieses System eine Demokratie zu
nennen. Es soll eine Herrschaft aller darstellen. Diese Herrschaft
beschränkt sich dann aber in der Praxis darauf, einmal in vier Jahren wählen
zu dürfen. Eine Weiterentwicklung des Systems ist offenbar nicht angedacht.
Diese parlamentarische Demokratie ist keine Demokratie, sondern eine
Scheindemokratie: Die WählerInnen werden nicht als teilnehmendes Element am
gesellschaftlichen Aufbau betrachtet, sondern nur als passive
KonsumentInnen, die über unterschiedliche Marketingstrategien der Parteien
zu urteilen haben.
Die Regierung hat kein Vertrauen in die Bevölkerung, sie kontrolliert sie,
setzt sie immer stärker einem Allgemeinverdacht aus und schafft ein Klima
der Angst. Die Parteien haben sich von weitergehenden Visionen verabschiedet
und leben nur noch in einer engen Welt der Realpolitik. Die Menschen
reagieren mit Politikverdrossenheit auf die zunehmende Ununterscheidbarkeit
der Parteien. Politik fungiert nur noch als Verwalterin der Wirtschaft, als
Ausführungsorgan der großen Unternehmen. Das liegt einerseits am massiven
Lobbyismus der Unternehmen, welcher mit viel Geld betrieben wird,
andererseits an der erstaunlichen großen Schnittmenge von
Abgeordnetenmandaten und Aufsichtsratposten. Entscheidenden Problemen wie
Klimawandel, Armut und Perspektivlosigkeit begegnet die Scheindemokratie mit
staunender Unfähigkeit. Der eingeschlagene Weg der kleinen Reformen bewirkt,
wenn überhaupt, negative Entwicklungen und dreht die Spirale des
scheiternden Systems immer weiter.
Wir haben keine Hoffnung in die PolitikerInnen dieser Zeit, sie sind zu fest
im System verankert, um über den Tellerrand blicken zu können. Sie
unterstützen eine fatale Entwicklung. Die Entmündigung aller durch ihre
sogenannten Vertreter muß zugunsten einer ständigen, politischen
Einflußnahme der gesamten Bevölkerung abgeschafft werden. Es ist
Schwachsinn, daß dieses System alternativlos ist. Wir wollen eine
Gesellschaft, in der alle Menschen Politik leben und ein andauernder Diskurs
grundlegende Veränderungen ermöglicht. Dafür ist eine radikale Form der
Demokratie notwendig.
Statt der Entwicklung politischer Visionen zur Verbesserung der allgemeinen
menschlichen Lebensumstände beherrscht ein unkritischer Wirtschaftsglaube
das politische Handeln. Das heutige politische System hat das nationale
Wirtschaftwachstum zum einzigen Maßstab politischen Erfolgs erkoren. Konsum
gilt als Ausdruck individueller Selbstverwirklichung. Es handelt sich
hierbei um ein System, das, in seiner einzig logischen Konsequenz, die
Umwelt zerstören, soziale Ungleichheit verschärfen und das menschliche Leben
in Formen pressen muß.
Der Mensch ist ein austauschbarer Funktionsträger in einer sinnlos
wachsenden Wirtschaft, wer sich weigert oder scheitert, ist nur noch Abfall.
In einer Gesellschaft, in der es wichtig ist, zu den Gewinnern zu gehören,
bleibt immer eine Mehrheit von Verlierern übrig. Das Ideal des mobilen,
flexiblen, motivierten und leistungsbereiten Menschen führt zu einer
vereinzelten Gesellschaft, in der ein solidarisches Miteinander zugunsten
eines wirtschafts-vergötternden Denkens dem Geld geopfert wird.
Gerade junge Menschen gestalten ihr Leben nur noch nach Bewerbungskriterien.
Unter dem Damoklesschwert der Arbeitslosigkeit ordnen viele ihr Leben
scheinbar freiwillig der wirtschaftlichen Verwertbarkeit unter.
Wir brauchen die Entkopplung von Arbeit und materieller Grundausstattung.
Eine kostenlose Grundversorgung, sprich Bildung, Gesundheit, Wohnraum,
Lebensmittel und Kultur, ist notwendig, um den Menschen ein freies und
selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.
Die immer stärkere Einflussnahme der Wirtschaft auf Bildungseinrichtungen
sowie die Orientierung vorgefertigter Lehrinhalte an ihrer ökonomischen
Nutzbarkeit sind maßgeblich verantwortlich für eine geistige Verkümmerung
und Normierung der Gesellschaft. Nicht soziales Denken, sondern Konkurrenz
und Leistungsdruck bestimmen den Ausbildungsalltag. Ziel einer jeden freien
und emanzipierten Gesellschaft muß es sein, die Entwicklung der
individuellen Persönlichkeit und selbstbestimmten Meinungsbildung zu
fördern. Dabei darf es Selektionskriterien wie solche nach sozialem Status,
persönlichen Fähigkeiten, Geschlecht sowie religiösem, nationalem oder
kulturellem Hintergrund, nicht mehr geben.
Während der Großteil der Weltbevölkerung in Armut lebt und durch
transnationale Konzerne ausgebeutet wird, kaufen wir alle wesentlich mehr,
als wir tatsächlich benötigen, als für uns ausreichend ist. Um den Menschen
in eine den Rest der Welt und die Herstellung ihres Produkts ignorierende
Kaufmaschine verwandeln zu können, bedient sich die Wirtschaft eines
trickreichen Instruments: der Werbung. Werbung ist keine Produktinformation,
sie ist Propaganda - subtile Propaganda, welche uns einen Lebensstil
aufzwängen soll, der dem Unternehmen Gewinne beschert und der
Volkswirtschaft gute Zahlen. Daß ein Geländewagen und Billigflüge den
Klimawandel anheizen, Kleidung unter menschenrechtsverachtenden Zuständen
entsteht, wird in dieser freundlichen Warenwelt nicht erwähnt. Wir lehnen
Werbung ab. Die Öffentlichkeit muß einer politisierten Gesellschaft
zurückgegeben werden.
Die Wirtschaft wird immer mehr von größeren Subjekten bestimmt und
unterwirft alles ihrem Streben nach Gewinn. Hier an das nicht vorhandene
Verantwortungsdenken der Unternehmen zu appellieren, greift zu kurz.
Den Konzernen muß der politische Einfluß und die Beherrschung öffentlicher
Räume entrissen werden. Dabei ist eine Zerschlagung aller Konzerne
notwendig, darunter verstehen wir eine Zerteilung und Vergesellschaftung.
Die Gesellschaft könnte somit wieder selbständig handeln, ihren politischen
Rahmen selbst definieren.
Wir verlangen, Utopien leben zu dürfen. Die Menschen sollten auf ihre Art
und Weise leben und an der Gesellschaft partizipieren dürfen. Die
fortschreitende technische Entwicklung und Produktivitätssteigerung würde
der Bevölkerung ermöglichen, weniger zu arbeiten für das Lebensnotwendige
und insgesamt mehr Freiräume zu haben. Der Einzelne muß den Glauben an die
Gesellschaft, an einen Sinn in seinem Leben außerhalb des Geldbeutels
wiederfinden.
Wir treten für eine Demokratie ein, die es Menschen gestattet, den
politischen Rahmen und ihr Umfeld zu gestalten und mitzubestimmen. Wir
treten für eine menschliche, ökologische und soziale Wirtschaft ohne
Konzerne und eine solidarische, freie, emanzipatorische Gesellschaft ein.
Unsere Forderungen richten sich an keine herrschende Elite. Wir rufen zu
einem öffentlichen Diskurs und zu einer neuen freien Bewegung auf. Mit
dieser Aktion setzen wir ein Zeichen gegen das derzeitige System. Alle, die
mit dem Bestehenden unzufrieden ist und die Hoffnung auf eine freie bessere
Gesellschaft nicht aufgegeben hat, rufen wir auf, Widerstand zu leisten.
Geld oder Leben
Siehe auch die Internet-Seite
http://geldoderleben.blogsport.de/
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