24.09.2005

Wie lange noch
bis "Rot-Rot-Grün"?

Eine Diskussion über die Rolle der "Linkspartei" im neuen Bundestag wurde in den Mainstream-Medien vor der Wahl massiv unterdrückt. Lediglich von rechts wurde gestichelt - und so wurde "Rot-Rot-Grün" als reale Option nicht ernst genommen. Nicht zu bestreiten ist nun einerseits, daß sich die "Linkspartei" nicht mit fliegenden Fahnen "Rot-Grün" an den Hals werfen könnte - nachdem sie sich ja gerade in Abgrenzung zur SPD im Wahlkampf profiliert hat. Diese Abgrenzung ist jedoch keineswegs grundsätzlicher Art: Weder wurde "Rot-Grün" unzweideutig als Teil der neoliberalen Einheitspartei angegriffen, noch hat die "Linkspartei" eine echte Alternative - es sei denn, wir nähmen die neo-sozialdemokratischen Versatzstücke in deren Programmatik ernst.

Es wird nun wohl noch einige Wochen Koalitionsverhandlungen als alle Froschschenkel elektrisierendes Theaterstück geboten werden und vielleicht müssen wir schon dieses Jahr oder Anfang nächsten Jahres erneut Wahlen zum Bundestag über uns ergehen lassen. Aber über kurz oder lang ist auch dies eine Option des Kapitals: Eine "rot-rot-grüne" Koalition oder eine von der "Linkspartei" tolerierte Neuauflage der "rot-grüne" Koalition könnte die anstehende Verschärfung des Sozialabbaus sicherlich mit weniger gesellschaftlichem - und insbesondere gewerkschaftlichem - Widerstand umsetzen als eine "schwarz-gelbe" Koalition. Nicht ohne Grund wurde der Traum des früheren Bundeskanzlers Willy Brandt von "einer Mehrheit links von der Mitte" in den letzten Monaten wieder und wieder zitiert - nicht zuletzt von Oskar Lafontaine.

Wie nicht anders zu erwarten, traten bereits die ersten "Minenhunde" auf. Als erster brachte Brandts früherer Chefunterhändler mit der DDR, Egon Bahr, die "rot-rot-grüne" Option ins Gespräch: "Auf die Dauer kann das was werden, wenn die Linken sich denn bewegen." Bemerkenswert ist dabei, daß Bahr die selbsternannte "Linkspartei" bereits als "die Linken" anerkennt. Am Mittwoch meldete sich auch Hartmut Meine, Bezirksleiter der IG Metall für Niedersachsen und Sachsen-Anhalt zu Wort: "Mittelfristig" sei dies doch überlegenswert. Ver.di-Vorsitzender Frank Bsirske mit dem "grünen" Parteibuch reihte sich flugs in den Ringelreihen ein: "Es ist zu befürchten, daß eine Koalition - in welcher Zusammensetzung auch immer - ein Programm rechts von bisheriger rot-grünen Politik vertreten wird. Und dies, obwohl eine Mehrheit der Wählerinnen und Wähler links von der Mitte gewählt hat". Von den "Grünen" plädierte Tabea Rößner, Landesvorstandssprecherin in Rheinland-Pfalz, zumindest für Gespräche mit den PDS-Nachfolgern, und auch das "links-grüne" Alibi-Männchen Hans-Christian Ströbele favorisiert ganz offen ein Zusammengehen mit der "Linkspartei". Seit Montag erklärt er täglich: "Daran muß man arbeiten." Der als Linker geltende Verleger Klaus Wagenbach rechnet 51,5 Prozent zusammen und erklärt, das ergebe "eine deutliche, ordentliche linke Mehrheit". Hinterher plapperten Möchtegern-Promis wie Diedrich Diederichsen, der "irgendwie die linke Politik neu erfinden" will, und der attac-Dauerredner und FU-Professor Peter Grottian, der "Rot-Grün" eine "limitierte Tolerierung" anbieten würde. Das hört sich schon danach an als würde es - für die unteren Zweidrittel - besonders teuer.

Nachdem dies in der wahltrunkenen Anhängerschaft der "Linkspartei" keinen hörbaren Aufschrei provoziert hat, zog nun gleich der IG-Metall-Chef Peters nach und forderte in einem Interview (Leipziger Volkszeitung, 21.09.) die SPD auf, die "linke Mehrheit" zu nutzen. Er spielt damit ganz direkt auf das bekannte Wort Willy Brandts an. Und der 'spiegel' präsentierte in seiner online-Ausgabe am Mittwoch bereits vier neugewählte Abgeordnete der "Linkspartei", die sich vorstellen könnten, Schröder zum Kanzler zu wählen. Es gab zwar mittlerweile einige lauwarme Dementis. So habe der 'spiegel' ein Interview manipuliert. Doch auf eine Gegendarstellung ließ es niemand ankommen, da der 'spiegel' seine Interviews erfahrungsgemäß per Tonbandaufnahme dokumentieren kann.

Es ist immer das gleiche Spiel: Die Mainstream-Medien finden mit untrüglichem Gespür die Leute, denen sie nur ein Mikrofon unter die Nase halten müssen, um die erwünschten Äußerungen zu hören - und um so die Politik in die vorgegebene Richtung zu dirigieren.

Auch die 'taz' müht sich heftig, in diesem Spiel vorne mit dabei zu sein. Bereits wenige Tage nach der Wahl wurde in der 'taz' mit großem Scharfsinn analysiert: "Eine Koalition von SPD, Grünen und Linkspartei scheitert nicht an ihren Programmen." Und mit feinem Gespür bemerkte die 'taz', daß Dementis mißtrauisch machen und - "dauernd wiederholt wirken sie gar wie eine Bestätigung". Und: "Gerade weil alle Granden aus SPD, Grünen und Linken (auch hier die merkwürdige Exkulpation der PDS) ständig beteuern müssen, daß eine Zusammenarbeit prinzipiell ausgeschlossen sei, scheint es mit diesem Prinzip nicht weit her zu sein".

Als "antineoliberal" werden von der 'taz' nun SPD und "Grüne" verkauft. Über der heftig in den Ohren nachklingenden Wahlkampf-Propaganda soll die reale Politik der letzten sieben Jahre vergessen gemacht werden. So wird das Wahl-Manifest der SPD zitiert, als handele es sich dabei um bare Münze: "Der Kündigungsschutz bleibt. Die Tarifautonomie wird nicht angetastet. Die Mitbestimmung wird nicht eingeschränkt." Dies wird den 'taz'-LeserInnen schmackhaft gemacht als Fundament einer Zusammenarbeit von "Rot-Rot-Grün" wider den neoliberalen Feind. Weiter zählt die 'taz' auf: "So fordern inzwischen auch SPD und Grüne explizit Mindestlöhne." Als kleiner unbeabsichtigter Witz am Rande kommt dabei zu Tage, daß selbst der in der "Linkspartei" diskutierte Mindestlohn noch unter der Armutsdefinition der EU läge, durch welche die Grenze bei 1.500 Euro monatliche gezogen wird.

Auch beim Sozialabbau, der in der 'taz' immer noch Orwell-gemäß als "Arbeitsmarktreform" bezeichnet wird, diagnostiziert die 'taz' "große Nähe" zwischen "Linkspartei" und "Rot-Grün". So wird ganz realistisch erkannt, daß die "Linkspartei" zwar links blinke und "rabiat" die Forderung nach "Weg mit Hartz IV" hochhalte, zugleich aber "vor allem" fordere, daß das Arbeitslosengeld II auf 420 Euro steige. Doch dort seien die "Grünen" ebenfalls schon "verklausuliert" angekommen. Ebenso seien die Positionen bei den 1-Euro-Jobs nahe beieinander. Die Steuerpolitik, "Reichensteuer" etc., wird des weiteren als Schnittmenge präsentiert. Auch hier fällt etwas zu lachen ab: Die 'taz' merkt an, daß die von der "Linkspartei" geforderte Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 50 Prozent für Jahreseinkommen ab 60.000 Euro aufwärts noch unter dem Steuersatz bliebe, der noch vor 1998 unter der "schwarz-gelben" Regierung galt. In Hinblick darauf müsse es doch für "Rot-Grün" ein leichtes sein, dem zuzustimmen...

So zieht die 'taz' - völlig zurecht - das Fazit, daß die Programme von SPD, "Grünen" und "Linkspartei" so ähnlich seien, daß die letztere nun in Bedrängnis gerate, wenn sie partout in der Opposition bleiben wolle.

Dem 'taz'-Realismus ist kaum zu widersprechen, wenn zudem der eh schon wachsweiche Anspruch der "Linkspartei "Keine Beteiligung an völkerrechtswidrigen Kriegen" vom Tisch gewischt wird: "Dieser Widerstand könnte schnell brüchig werden. Die Grünen haben längst vorgemacht, daß sich der Begriff Pazifismus vielfältig interpretieren läßt".

Klar ist allerdings auch der 'taz', daß vor einer Installierung eines "rot-rot-grünen" Bündnisses der noch amtierende Kanzler, Gerhard Schröder, weggeräumt werden muß. Als Nachfolger brachte sich bereits Berlins regierender Bürgermeister Klaus Wowereit ins Gespräch (eine hübsche Parallele wäre zudem, daß auch Brandt aus diesem Sessel ins Kanzleramt wechselte), indem er "einen Verzicht auf Bundeskanzler Schröder" als möglichen Preis für eine Koalition ins Spiel brachte. Da er aber versehentlich von der "schwarz-gelben" Koalition gesprochen hatte, machte er schnell wieder einen Rückzieher. Der Dolch im Gewande war so jedoch für einen Moment sichtbar geworden.

Wowereit als Chef einer "rot-roten" Landesregierung könnte von der "Linkspartei" kaum mit stichhaltigen Gründen als Kanzlerkandidat abgelehnt werden. Und auch diejenigen, die zwar nicht an der Regierung sind, aber die Macht in Deutschland inne haben, wären mit Wowereit vollauf zufrieden. Ein kurzes Geplänkel, Theaterdonner und die Drohung mit dem Untergang des Abendlandes wäre als Spektakel für das Wahlvolk zweifellos vonnöten. Doch insgeheim hat sich die "Deutschland AG" längst von den Qualitäten Wowereits überzeugt, der den Sozialabbau in Berlin beispielhaft effizient und mit Einbindung der "Linken" seit Jahren durchzieht. In der 'taz' liest sich dies so: "Haushaltskonsolidierung, Einkommenskürzungen und Stellenabbau im öffentlichen Dienst sowie Rückbau ineffektiver öffentlicher Förderung."

Gerade zu Fraktionsvorsitzenden der "Linkspartei" im Bundestag gekürt, tönen Lafontaine und Gysi bereits, wie gerne sie mitregieren würden. Während über die vier von 'spiegel-online' Interviewten noch ein Sturm (künstlicher) Entrüstung hereinbrach, muckt gegen die diplomatischen Spitzfindigkeiten von Lafontaine und Gysi kein einziges "linkes" Stimmchen der neugewählten Abgeordneten auf. Formulierungen wie "Wir wollen mitregieren, aber wir können nicht!" oder - von Lafontaine - "Die Linke will mitregieren auf Grund eines klaren Programms" sind nahezu unangreifbar - aber sie haben einen Widerhaken. Wer ihnen einmal zugestimmt hat, kann nicht mehr zurück, wenn es dann plötzlich heißt: Unsere Forderungen sind von "Rot-Grün" erfüllt.

Die Dementis der letzten Tage auf die Aussagen der kleineren Fische beschränkten sich bezeichnender Weise ausdrücklich auf Schröder: Einen Kanzler Schröder würde "die Linke" nicht aufs Schild heben. Warten wir ab, wen die SPD als Nachfolger Schröders präsentiert. Dies kommt um so schnelles, je eher die Anhängerschaft der "Linkspartei" - bis hinein ins Lager der SPD-WählerInnen - davon überzeugt werden kann, daß es sich bei "Rot-Rot-Grün" um ein neues linkes Projekt handele, daß der Traum Willy Brandts von der "Mehrheit links von der Mitte" nun endlich in Erfüllung gehe.

Ein nur notdürftig übertünchte Riß geht allerdings quer durch die Anhängerschaft der "Linkspartei": Während die einen SPD und "Grüne" allen Ernstes zur Linken zählen, haben die anderen den Sozialabbau der letzten sieben Jahre, Hartz IV, die Kriegseinsätze im Kosovo und Afghanistan oder die Lüge vom Atomausstieg noch nicht vergessen. Wie schon so oft zuvor, werden die Menschen in Deutschland auf eine Probe ihres Gedächtnisses gestellt.

 

Adriana Ascoli

 

neuronales Netzwerk