El Sarkawi ist überall und nirgends
Kaum eine Woche vergeht, ohne daß Musab el Sarkawi1 in den Massenmedien als Drahtzieher irgendeines Terroranschlages weltweit genannt wird. Heute ist - einmal mehr ohne jeglichen Beweis - rund um den Globus zu erfahren, el Sarkawi sei für den Mord am 33-jährigen Südkoreaner Kim Sun Il verantwortlich. Gestern hatte der TV-Sender 'Al Dschasira' berichtet, ihn sei ein Video-Band zugespielt worden, aus dem hervorgehe, daß eine Gruppe von fünf maskierten GeiselnehmerInnen den Südkoreaner ermordet hätten. Der Mord sei die angedrohte Konsequenz, nachdem die südkoreanische Regierung einen Stop der Truppenentsendung in den Irak abgelehnt hatte. Zudem hätten sich die EntführerInnen als Anhänger von Al Qaida und "Gefolgsleute des weltweit gesuchten Terroristen Musab el Sarkawi ausgegeben".
Das ist sogar strenggenommen korrekt, als es sich dabei um keine Tatsachenbehauptung, sondern lediglich um die Wiedergabe einer unbewiesenen Aussage handelt. Die permanente Wiederholung jedoch - und das wissen nicht nur Medienwissenschaftler - gewinnt auf die Dauer in den Köpfen des Publikums den Charakter einer Tatsache. Dabei ist allen, die sich beispielsweise einmal mit Splatter-Videos beschäftigt haben, bekannt, daß mit der heute überall zugänglichen professionellen Computertechnik Videos so täuschend echt produziert werden können, daß selbst Fachleute keinen darauf dargestellten Mord als gestellt oder authentisch identifizieren können. Sicher, die Leiche Kim Sun Ils wurde von US-SoldatInnen in der Nähe Bagdads gefunden. Doch dies sagt nichts darüber aus, ob das präsentierte Video tatsächlich dessen Ermordung zeigt. Allein aufgrund des Umstandes, daß die Präsentation solcher Videos (auch der früheren "Bin-Laden-Videos") mehr Informationsgehalt verspricht als tatsächlich einlöst, bewegt sich der TV-Sender 'Al Dschasira' in einer journalistischen Grauzone.
Auch für den Aschura-Anschlag2 am 2. März 2004 wurde Musab el Sarkawi verantwortlich gemacht. Bereits am darauffolgenden Tag wußte General Mark Kimmitt, Sprecher der "US-Besatzungskräfte" (so der damalige offizielle Sprachgebrauch) im Irak, den Medien den Verantwortlichen zu benennen: Musab el Sarkawi. Nicht nur bei allen größeren Anschlägen im Irak wurde dieser Musab el Sarkawi - auch ohne je Beweise vorzulegen - immer häufiger genannt. Darüber hinaus wurden ihm die Bombenanschläge in Casablanca und der Türkei zur Last gelegt. Zwischenzeitlich geisterte auch durch die Massenmedien, dem CIA sei es gelungen, eine Diskette mit einem Brief el Sarkawis zu erlangen, in dem von Planungen über Anschläge auf Schiiten die Rede sei. Wie bei allen elektronischen oder elektromagnetischen Datenträgern besteht allerdings keinerlei Möglichkeit, den Urheber festzustellen - außer vielleicht über Fingerabdrücke. Aber hierüber war nichts zu erfahren.
In einer im Raum Fallujah verteilten Erklärung einer Widerstands- bewegung heißt es, der gebürtige Jordanier Musab el Sarkawi sei bereits seit April 2003 nicht mehr am Leben. In der betreffenden Erklärung der 'Führerschaft der Allahu Akbar Mujaheddin' wird behauptet, Musab el Sarkawi sei bei US-Bombenangriffen im Sulaimaniyah-Gebirge getötet worden. Dies kann zwar ebenso wenig als Beweis gewertet werden wie die Behauptungen der Gegenseite. Allerdings erscheint es unwahrscheinlich, daß es sich hier nur eine gezielte Falschinformation handelt. Denn wäre el Sarkawi ein derart hochrangiges Al-Qaida-Mitglied wie von US-Seite dargestellt wird, würde sein Tod auch von allen Widerstandsgruppen im Irak kaum zugegeben werden, da dies gleichbedeutend mit dem Verlust einer Identifikations- und Führer-Persönlichkeit wäre.
Die Erklärung zum Tod von Musab el Sarkawi besagt zum einen, daß dieser bei den Bombenangriffen auf Grund seiner Beinprothese nicht entkommen konnte - nach US-Geheimdienstinformationen war Musab el Sarkawi vor Beginn des Irak-Kriegs in Bagdad ein Bein amputiert worden. Des weiteren wird der vom CIA angeblich abgefangene Brief erwähnt und als Fälschung bezeichnet. Dieser gefälschte Brief diene den US-Besatzern, "um ihre Theorie eines Bürgerkriegs im Irak zu untermauern." Bereits seit Monaten war in kritischen Kreisen aufgefallen, daß mit Hilfe des CIA verstärkt daran gearbeitet wurde, ein neues Feindbild mit dem Namen Musab el Sarkawi aufzubauen. Gerüchte besagen, daß damit ein Nachfolger für Osama bin Laden geschaffen werden soll, der - so besagen manche Ausschmückungen - schon längere Zeit in US-Gewahrsam sei und dessen inszenierte Gefangennahme termingerecht während des US-Wahlkampfs von George W. Bush präsentiert werden wird.
Ute Daniels
Anmerkung:
1 Neuerdings häufig auch in der Schreibweise:
Mussab al-Zarqawi oder Abu Mussab al-Zarqawi
(gesprochen so ungefähr: Sarkaui).
Hierbei steht das "Abu" schlicht für "Vater"
- eine im arabischen Sprachraum häufig benutze Anrede
gegenüber Autoritäten.
2 Siehe auch unseren Artikel
'Hatte der CIA beim Aschura-Anschlag seine Finger im Spiel?'
(6.03.04)